Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 18.08.2005; Aktenzeichen 12 B 03.2340) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. August 2005 wird zurückgewiesen.
Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin … beizuordnen, wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs ist erfolglos. Das Beschwerdevorbringen kann eine Revisionszulassung nicht rechtfertigen.
1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die Beschwerde betrachtet als eine grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfrage die Frage, „ob in einer Berufungsbeschränkung im Rahmen eines Strafverfahrens gemäß § 318 StPO der Wille des Betroffenen liegt, auf eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch Einvernahme von Zeugen zu verzichten, und auch das Verwaltungsgericht wegen dieses Willens von der sich sonst aufdrängenden Einvernahme dieser Zeugen absehen kann”. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtsfrage nur, wenn sie bisher höchstrichterlich noch nicht geklärt ist und ihre im künftigen Revisionsverfahren zu erwartende Entscheidung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder für eine bedeutsame Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BVerwGE 13, 90 ≪91 f.≫; stRspr). Daran fehlt es beispielsweise bei Fragen, deren Bedeutung sich auf den jeweiligen Einzelfall beschränkt, weil sie nur abhängig von den Einzelfallumständen beantwortet werden können, bei Fragen, die sich im Revisionsverfahren nicht als entscheidungserheblich stellen würden, sowie bei (Rechts-)Fragen, die sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten lassen (stRspr; siehe z.B. BVerwG, Beschluss vom 16. November 2004 – BVerwG 4 B 71.04 – NVwZ 2005, 449 = Buchholz 406.11 § 154 BauGB Nr. 5). So liegen die Dinge hier.
Es ist ohne weiteres zu bejahen, dass mit der Beschränkung eines Rechtsmittels gegen ein Strafurteil auf den Straffolgenausspruch vor Einvernahme von zur Hauptverhandlung geladenen und erschienenen Zeugen der Rechtsmittelführer auf deren Einvernahme im Strafverfahren verzichtet hat. Ob dieses Verhalten die Schlussfolgerung rechtfertigt, dass eine Vernehmung dieser Zeugen sich in einem späteren Verwaltungsrechtsstreit, in dem die in das Wissen der Zeugen gestellten Tatsachen bestritten sind, dem Verwaltungsgericht aufdrängt oder nicht, ist vom Verwaltungsgericht nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls im Rahmen seiner vom Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägten Sachverhaltswürdigung zu beurteilen. Schon die Frage, wann sich dem Gericht eine Beweiserhebung aufdrängt (aufdrängen muss), lässt sich nicht in einer verallgemeinerungsfähigen Weise beantworten. Die Frage sodann, ob das Verwaltungsgericht von einer „sich sonst aufdrängenden” Zeugenvernehmung absehen darf, wenn der Betroffene im Strafverfahren auf eine solche Beweisaufnahme zuvor verzichtet hat, würde sich in einem Revisionsverfahren in der vorliegenden Sache nicht stellen, weil sich dem Verwaltungsgerichtshof eine Zeugenvernehmung gerade nicht aufgedrängt hat. Das Berufungsgericht hat dabei die Verwertbarkeit einzelfallbezogen geprüft und ist nicht von einer strikten Sperrwirkung des Verzichts auf eine Einvernahme im Strafverfahren ausgegangen.
2. Die behauptete Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist schon nicht schlüssig dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
Die Beschwerde meint, das Berufungsurteil weiche „von der Entscheidung des BVerwG vom 13.08.1988 (… NVwZ 1989, 67) ab” (gemeint ist der Beschluss vom 13. September 1988 – BVerwG 1 B 22.88 – ≪NVwZ 1989, 67 = Buchholz 402.24 § 24 AuslG Nr. 12≫), in dem das Bundesverwaltungsgericht die rechtlichen Voraussetzungen aufgezeigt hat, unter denen der Inhalt beigezogener Akten auch gegen den Widerspruch eines Beteiligten im Wege des Urkundenbeweises berücksichtigt werden darf. Eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt vor, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht; diese Voraussetzung muss der Beschwerdeführer durch eine Gegenüberstellung der divergierenden (abstrakten) Rechtssätze darlegen (stRspr; vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 2005 – BVerwG 9 B 38.04 – ≪NVwZ 2005, 447 = Buchholz 406.25 § 43 BImSchG Nr. 22≫). Daran fehlt es hier. Der Verwaltungsgerichtshof hat sein Urteil ausdrücklich auf die in dem oben genannten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. September 1988 aufgestellten Rechtssätze gestützt. Einen entgegenstehenden Rechtssatz hat er dagegen nicht aufgestellt; die Beschwerde behauptet Derartiges auch nicht.
3. Die Revision kann auch nicht wegen eines von der Beschwerde behaupteten Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zugelassen werden.
Die Beschwerde rügt, dass das Berufungsgericht es unterlassen habe, Zeugen zu vernehmen, aus deren Aussage sich ergeben hätte, „dass der Kläger über die im Verfahren behaupteten Vermögenswerte nicht verfügen konnte und keinerlei falsche Angaben bei der Antragstellung auf Bewilligung von Sozialhilfe gemacht” habe. Hierzu macht die Beschwerde geltend, der Kläger habe den Antrag auf Zeugenvernehmung mit Schreiben vom 16. Juli 2003 gestellt, die Gerichtsakten seien Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen, der Antrag des Klägers sei darin enthalten und als Gegenstand der mündlichen Verhandlung anzusehen gewesen. Ein Verfahrensfehler ergibt sich aus dem Vorgehen des Berufungsgerichts entgegen der Annahme der Beschwerde indessen nicht.
Einen förmlichen Beweisantrag hatte der Kläger – worauf im Berufungsurteil hingewiesen ist – nicht gestellt. Dies hätte in mündlicher Verhandlung geschehen sein müssen (vgl. z.B. Geiger in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 11. Auflage 2000, § 86 Rn. 29), ist vorliegend ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 17. August 2005 jedoch nicht geschehen. Nur für diesen Fall hätte das Gericht gemäß § 86 Abs. 2 VwGO durch einen Gerichtsbeschluss über den Beweisantrag befinden müssen. Auch wenn die erstinstanzlichen Verfahrensakten Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, bedeutet dies (wie mittelbar auch aus § 86 Abs. 2 VwGO hervorgeht) noch nicht, dass sich damit ein förmlicher, ausdrücklicher Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung erübrigt hätte. Allein die Tatsache, dass der Kläger die Vernehmung der Zeugen schriftsätzlich beantragt hatte, konnte auch nicht dazu führen, dass sich eine solche Maßnahme dem Berufungsgericht aufgedrängt hätte bzw. hätte aufdrängen müssen. Daher liegt auch der weitere Umstand nicht vor, der nach den im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. September 1988 (a.a.O.) aufgezeigten Grundsätzen das Berufungsgericht daran hätte hindern müssen, die Feststellungen, die in dem im Strafverfahren ergangenen Berufungsurteil getroffen waren und zur Verurteilung des Klägers u.a. wegen Betrugs zu Lasten des Sozialhilfeträgers geführt hatten, ohne weitere Beweiserhebung zu verwerten. Dies gilt zumal in Anbetracht dessen, dass der in der mündlichen Berufungsverhandlung anwaltlich vertretene Kläger nicht durch Stellung eines förmlichen Beweisantrags deutlich gemacht hatte, dass ihm eine bestimmte Beweiserhebung unerlässlich erschien. Es hätte aber besonderer Umstände bedurft, damit sich dem Verwaltungsgerichtshof eine Zeugenvernehmung aufgedrängt hätte, um die der Kläger gegenüber dem Verwaltungsgericht durch Schriftsatz vom 16. Juli 2003 (Bl. 96 der Streitakte) gebeten hatte, wenn „trotz wiederholtem Sachvortrag Zweifel bestehen (sollten)”. Hierauf hatte sich der Kläger, anwaltlich vertreten, wenn auch möglicherweise in der irrigen Annahme, die Zeugenvernehmung sei (bereits) förmlich beantragt (vgl. Schriftsatz vom 2. Oktober 2003, S. 9), im Berufungszulassungsverfahren nur schriftsätzlich unter näheren Darlegungen bezogen und im Berufungsverfahren lediglich auf diesen Sachvortrag verwiesen (Schriftsatz vom 13. Mai 2004). Nachdem der Kläger schon mit seinem Antrag auf Berufungszulassung gerügt hatte, dass die erste Instanz sich den Feststellungen des Strafgerichts angeschlossen hatte, ohne die benannten Zeugen vernommen zu haben, der Verwaltungsgerichtshof aber zur Berufungsverhandlung keine Zeugen geladen und dies dem Kläger mit der Terminsladung unter dem 30. Mai 2005 auch mitgeteilt hatte, war für den Kläger erkennbar, dass das Berufungsgericht zu diesem Zeitpunkt eine Zeugenvernehmung nicht für erforderlich hielt. In dieser Situation wäre es Sache des Klägers gewesen, in prozessual geeigneter Weise auf die von ihm für geboten gehaltene Beweiserhebung hinzuwirken. Dies ist nicht geschehen und wird von der Beschwerde auch nicht geltend gemacht.
Die vom Kläger beantragte Prozesskostenhilfe und Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten ist aus den vorstehenden Gründen jedenfalls mangels Erfolgsaussicht der Beschwerde zu versagen (§ 166 VwGO, §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Dr. Rothkegel, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen