Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Beschluss vom 07.11.2012; Aktenzeichen 19 BV 12.322) |
Tenor
Den Klägern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt U… H…, N…, beigeordnet.
Auf die Beschwerden der Kläger wird der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. November 2012 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).
Rz. 2
Die Beschwerden haben mit einer der von ihnen erhobenen Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die Berufungsentscheidung durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO).
Rz. 3
Die Beschwerden rügen zu Recht, das Berufungsgericht habe den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör verletzt (§ 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG), weil es sich in seiner Entscheidung nicht mit der von ihnen behaupteten Zusage der Deutschen Botschaft in Chisinau auseinandergesetzt habe. Damit hat das Berufungsgericht wesentliches Vorbringen der Kläger nicht in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen und erwogen. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG vorschreibt, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Etwas anderes gilt aber, wenn besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Gericht bestimmtes Vorbringen nicht berücksichtigt hat (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 ≪145 f.≫). Das ist hier der Fall.
Rz. 4
Die Kläger haben im Berufungsverfahren geltend gemacht, dass sie schon im August 2001 Aufnahmeanträge gestellt und nach der Aufnahme der Eltern und des Bruders des Klägers zu 1 im Jahr 2003 von der Botschaft mündlich die Zusage erhalten hätten, dass sie ebenfalls aufgenommen würden, wenn sie eine Bescheinigung über die Mitgliedschaft der Mutter des Klägers zu 1 in der jüdischen Gemeinde in F… vorlegten. Obwohl sie dem nachgekommen seien, sei über ihre Anträge nicht entschieden worden, sondern seien sie 2004 aufgefordert worden, neue Aufnahmeanträge zu stellen, die dann wegen Nichtvorliegens der materiellen Aufnahmevoraussetzungen abgelehnt worden seien.
Rz. 5
Dieses Parteivorbringen hat das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung nicht in der gebotenen Weise in Erwägung gezogen. Zwar erwähnt es im Tatbestand seiner Entscheidung die von den Klägern behauptete Zusage (BA S. 6), setzt sich hiermit in den Gründen seiner Entscheidung aber nicht auseinander. Weder hat es in tatsächlicher Hinsicht die Richtigkeit der von den Klägern unter Beweis gestellten Behauptung aufgeklärt noch hat es in rechtlicher Hinsicht geprüft, ob die Kläger aus einer derartigen Erklärung der Auslandsvertretung – möglicherweise in Verbindung mit der Verwaltungspraxis – einen Anspruch auf Erteilung einer Aufnahmezusage herleiten können. Auf diesem Verfahrensverstoß kann die Entscheidung beruhen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht zu einem für die Kläger günstigeren Ergebnis gekommen wäre, wenn es sich mit diesem Vorbringen der Kläger auseinandergesetzt hätte.
Rz. 6
Zwar würde eine derartige Zusage rechtlich noch keine – unter einer aufschiebenden Bedingung stehende – Aufnahmezusage darstellen. Denn die Entscheidung über die Aufnahme jüdischer Flüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion oblag – was den Klägern aus dem Verfahren der Eltern und des Bruders des Klägers zu 1 bekannt gewesen dürfte – schon seinerzeit nicht den Auslandsvertretungen. Zuständig für die Erteilung einer Aufnahmezusage waren vielmehr die Länder. Nach dem Teilrunderlass des Auswärtigen Amtes vom 25. März 1997 (Az.: 514 – 516. 20/7) konnten Aufnahmeanträge zwar nur bei den Auslandsvertretungen in der ehemaligen Sowjetunion gestellt werden (vgl. II. 1 des Teilrunderlasses). Diese entschieden – allerdings nur verwaltungsintern – in der Regel abschließend über die Zugehörigkeit zum berechtigten Personenkreis (vgl. IV. 1 des Teilrunderlasses). Die geprüften Anträge wurden von den Auslandsvertretungen an das Bundesverwaltungsamt übersandt, das die Antragsteller auf die Länder verteilte (vgl. IV. 2 des Teilrunderlasses). Erst die Länder erteilten nach Maßgabe der verfügbaren Plätze Aufnahmezusagen, die den Auslandsvertretungen über das Bundesverwaltungsamt übersandt und von dort aus den Antragstellern zugestellt wurden (vgl. IV 3 des Teilrunderlasses).
Rz. 7
Auch der Umstand, dass die von den Klägern behauptete Zusage seinerzeit möglicherweise auf einer entsprechenden Verwaltungspraxis der Auslandsvertretungen beruhte, würde noch keinen Aufnahmeanspruch begründen. Soweit das Berufungsgericht seine Entscheidung darauf stützt, dass die Kläger auch nach dem Teilrunderlass des Auswärtigen Amtes vom 25. Mai 1997 bzw. dessen praktischer Anwendung keine Aufnahme hätten finden können, weil schon damals nach der gängigen Praxis des Auswärtigen Amtes für den Nachweis der Abstammung von einem jüdischen Elternteil grundsätzlich die Vorlage alter staatlicher Urkunden verlangt worden sei (BA S. 13), steht diese Feststellung allerdings im Widerspruch zum Vorbringen der Beklagten, die im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht eingeräumt hat, dass das Auswärtige Amt in der Vergangenheit für den Nachweis der Abstammung von einem jüdischen Elternteil auch auf Bescheinigungen der jüdischen Gemeinden in Deutschland für bereits übergesiedelte Verwandte zurückgegriffen hat (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 29. Juni 2010, Bl. 22 der VG-Akten). In diese Richtung deuten im Übrigen auch die Aktenvermerke der Auslandsvertretung in Chisinau vom 28. August 2002 und vom 10. Juli 2006. Im Aktenvermerk vom 28. August 2002 (Bl. 188 der VGH-Akten) geht die Botschaft davon aus, dass die Eltern und der Bruder des Klägers zu 1 zur jüdischen Emigration berechtigt seien, der Kläger zu 1 hingegen “momentan” noch nicht zur Ausreise berechtigt sei. Im Aktenvermerk vom 10. Juli 2006 (Bl. 285 der VGH-Akten) weist sie darauf hin, dass der Kläger zu 1 u.a. eine Bescheinigung der Zentralwohlfahrtsstelle in F… vorgelegt habe, die bestätige, dass seine Mutter und sein Bruder Mitglied in der jüdischen Kultusgemeinde in F… seien, und keine aktuellen Erkenntnisse vorlägen, die einer Aufnahme der Kläger entgegenstünden. Auf die Verwaltungspraxis des Auswärtigen Amtes kommt es hier aber schon deshalb nicht entscheidend an, weil nach der Verlagerung der Zuständigkeit für die Durchführung des Aufnahmeverfahrens nach § 23 Abs. 2 AufenthG von den Ländern auf den Bund, inzwischen ausschließlich das Bundesamt für die Erteilung einer Aufnahmezusage zuständig ist (§ 75 Nr. 8 AufenthG).
Rz. 8
Selbst wenn sich damit unmittelbar aus der von den Klägern behaupteten Zusage der Botschaft kein Aufnahmeanspruch ergibt, hätte das Berufungsgericht mit Blick auf den Anspruch der Kläger auf Gleichbehandlung aber prüfen müssen, wie das inzwischen zuständige Bundesamt mit derartigen Zusagen der Auslandsvertretungen umgegangen ist. Hierzu enthält die Entscheidung des Berufungsgerichts keine Feststellungen. Stattdessen wird nur allgemein geprüft, wie das Bundesamt die in der Anordnung des Bundesministeriums des Innern gemäß § 23 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes über die Aufnahme jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion mit Ausnahme der Baltischen Staaten vom 24. Mai 2007 in der Fassung vom 22. Juli 2009 aufgeführten materiellen Aufnahmevoraussetzungen in der Praxis anwendet. Auch der Umstand, dass die Anordnung keine Übergangsregelungen enthält, besagt noch nicht, dass das Bundesamt etwaigen Zusagen der Auslandsvertretungen in der Praxis keinerlei Bedeutung beigemessen hat.
Rz. 9
Auf die weiter erhobenen Rügen kommt es damit nicht entscheidungserheblich an. Für das weitere Verfahren weist der Senat jedoch darauf hin, dass sich das vorliegende Verfahren mit Blick auf die von den Klägern behauptete Zusage von dem der Entscheidung des Senats vom 15. November 2011 – BVerwG 1 C 21.10 – (BVerwGE 141, 151) zugrunde liegenden Fall unterscheidet und hierdurch sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht Besonderheiten aufweist, die einer erneuten Entscheidung im Beschlusswege nach § 130a VwGO entgegenstehen dürften.
Rz. 10
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Fricke, Dr. Maidowski
Fundstellen