Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde. Divergenz. inhaltsgleiche Vorschriften verschiedener Personalvertretungsgesetze
Leitsatz (amtlich)
Eine die Rechtsbeschwerde eröffnende Divergenz liegt auch vor, wenn die Entscheidungen mit den einander widersprechenden Rechtssätzen zu inhaltsgleichen Vorschriften verschiedener Personalvertretungsgesetze ergangen sind.
Normenkette
BlnPersVG § 91; ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 2, §§ 92, 92a
Verfahrensgang
OVG Berlin (Beschluss vom 19.08.2003; Aktenzeichen 60 PV 7.02) |
VG Berlin (Entscheidung vom 24.02.2003; Aktenzeichen 61 A 28.02) |
Tenor
Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Fachsenats für Personalvertretungssachen Berlin des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 19. August 2003 wird aufgehoben.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde hat Erfolg (§ 91 Abs. 2 BlnPersVG i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 2, § 92 Abs. 1 Satz 2, § 92a Satz 1 ArbGG).
1. Der angefochtene Beschluss weicht von dem Senatsbeschluss vom 19. Mai 2003 – BVerwG 6 P 16.02 – (PersR 2003, 314, 317) ab.
a) Eine die Rechtsbeschwerde eröffnende Divergenz besteht, wenn das Beschwerdegericht seinem Beschluss einen abstrakten, entscheidungstragenden Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der im Widerspruch zu einem ebensolchen Rechtssatz in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts steht, und wenn beide Entscheidungen auf der Grundlage derselben Rechtsvorschrift ergangen sind (vgl. Beschluss vom 24. Januar 2001 – BVerwG 6 PB 15.00 – Buchholz 251.95 § 88 MBGSH Nr. 1 S. 1). Eine Divergenz kann aber auch dann anzunehmen sein, wenn beide Entscheidungen auf der Grundlage von verschiedenen, aber inhaltsgleichen Rechtsnormen ergangen sind (vgl. Beschluss vom 25. Mai 1982 – BVerwG 6 P 39.80 –; ähnlich zu § 2 RsprEinhG: Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 6. Februar 1973 – GmS-OGB 1/72 – BVerwGE 41, 363, 365; offen gelassen durch BAG, Beschluss vom 8. Dezember 1994 – 9 AZN 849/94 – BAGE 79, 3, 7 f.; Beschluss vom 20. August 2002 – 9 AZN 130/02 – AP Nr. 45 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz Bl. 15). Für den Bereich des Personalvertretungsrechts liegt dies besonders nahe, weil die Personalvertretungsgesetze des Bundes und der Länder letztlich dieselben Grundvorstellungen verfolgen und bundesverfassungs- und bundesrahmenrechtlich in einer tendenziell auf Vereinheitlichung zielenden Weise vorgeprägt sind (vgl. dazu bereits Beschluss vom 18. Oktober 1963 – BVerwG VII P 2.63 – BVerwGE 17, 43, 48; Beschluss vom 7. Mai 1976 – BVerwG VII P 5.75 – Buchholz 238.3 A § 83 BPersVG Nr. 4).
Entgegen einer in der bisherigen Senatsrechtsprechung geläufigen Formulierung kann es dabei nicht ausschlaggebend darauf ankommen, ob die jeweils zur Anwendung gelangten Rechtsnormen wörtlich übereinstimmen. Einerseits können gleich lautende Vorschriften eine verschiedene Bedeutung haben, wenn sie in einem für die systematische Auslegung bedeutsamen andersartigen Regelungszusammenhang stehen (vgl. Beschluss vom 27. Juli 1990 – BVerwG 6 PB 12.89 – Buchholz 250 § 83 BPersVG Nr. 53 S. 10). Andererseits können Vorschriften verschiedenen Wortlauts inhaltsgleich sein, wenn austauschbare Begriffe verwandt werden und der jeweilige systematische Regelungszusammenhang übereinstimmt. Letzteres kann etwa dann der Fall sein, wenn die einschlägigen Regelungskomplexe in den jeweils gegenüberzustellenden Personalvertretungsgesetzen des Bundes und der Länder einheitliche Grundstrukturen aufweisen (vgl. zur Regelungssystematik der eingeschränkten Mitbestimmung: Beschluss vom 9. Juli 2003 – BVerwG 6 PB 4.03 –). Für die Beantwortung der maßgeblichen Frage, ob Vorschriften verschiedener Personalvertretungsgesetze inhaltlich übereinstimmen, kann auch die Gesetzessystematik von Bedeutung sein (vgl. Beschluss vom 24. Januar 2001, a.a.O., S. 1 f.). Gleiches mag ergänzend für die Entstehungsgeschichte gelten, soweit die Gesetzesmaterialien verlässlich darüber Aufschluss geben, ob die Vorstellungen der jeweiligen Gesetzgeber im Wesentlichen übereinstimmen oder erheblich voneinander abweichen.
b) Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist die Divergenz im vorliegenden Fall zu bejahen. Nach dem im zitierten Senatsbeschluss vom 19. Mai 2003 enthaltenen Rechtssatz schließt die Beschränkung der Beteiligung des Personalrats auf ein Mitwirkungsrecht bei der Vorbereitung von Verwaltungsanordnungen für die innerdienstlichen, sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 BPersVG nicht aus, dass die Verwaltungsanordnung ganz oder teilweise der Mitbestimmung unterliegt (a.a.O., S. 317; ebenso bereits zum Hamburgischen Personalvertretungsrecht: Beschluss vom 24. April 2002 – BVerwG 6 P 3.01 – BVerwGE 116, 216, 218 f.). Im Gegensatz dazu steht der Rechtssatz des Oberverwaltungsgerichts im angefochtenen Beschluss, wonach das Mitwirkungsrecht der Personalvertretung beim Erlass von Verwaltungsvorschriften für die innerdienstlichen, sozialen oder persönlichen Angelegenheiten der Dienstkräfte nach § 90 Nr. 2 BlnPersVG jedes thematisch eingreifende Mitbestimmungsrecht verdrängt. § 78 Abs. 1 Nr. 1 BPersVG und § 90 Nr. 2 BlnPersVG stimmen zwar ihrem Wortlaut nach nicht uneingeschränkt überein. Beide Vorschriften betreffen jedoch in der Sache die Mitwirkung des Personalrats beim Erlass abstrakt-genereller Regelungen der Dienststelle in innerdienstlichen, sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten. Rechtssystematisch stellt sich auch für § 90 Nr. 2 BlnPersVG die vom Senat zu § 78 Abs. 1 Nr. 1 BPersVG behandelte Frage, ob die Mitbestimmung beim Erlass abstrakt-genereller Regelungen stets ausgeschlossen ist, obwohl die Mitbestimmungstatbestände mit dem generellen Verweis auf den Abschluss von Dienstvereinbarungen (vgl. die Einleitungssätze in § 85 Abs. 1 und 2 BlnPersVG) oder mit ihren speziellen Regelungsgegenständen (vgl. § 85 Abs. 2 Nr. 2 BlnPersVG: Beurteilungsrichtlinien) auf die Mitbestimmung bei abstrakt-generellen Regelungen angelegt sind.
Die vom Oberverwaltungsgericht zitierten Gesetzesmaterialien schließen die Divergenz nicht aus. Aus ihnen geht nicht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, dass der Berliner Landesgesetzgeber die Mitbestimmung des Personalrats beim Erlass abstrakt-genereller Regelungen ausnahmslos ausschließen wollte (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 6/1354 S. 20 ff.).
Die Divergenz entfällt schließlich nicht deswegen, weil das Oberverwaltungsgericht sich mit seiner Auffassung auf den Senatsbeschluss vom 7. Februar 1980 – BVerwG 6 P 35.78 – (Buchholz 238.32 § 90 BlnPersVG Nr. 1) stützen kann. Soweit aus den generalisierenden Ausführungen dieses zu § 90 Nr. 3 BlnPersVG ergangenen Beschlusses herzuleiten ist, dass das Mitbestimmungsrecht bei Erlass von Verwaltungsvorschriften in innerdienstlichen, sozialen oder persönlichen Angelegenheiten ihrem Gegenstand nach einschlägige Mitbestimmungsrechte verdrängt, ist der Beschluss durch die zitierten neueren Senatsbeschlüsse vom 24. April 2002 und 19. Mai 2003 überholt.
2. Der angefochtene Beschluss beruht auf der dargestellten Abweichung. Wie den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zu entnehmen ist, ist der Mitbestimmungstatbestand nach § 85 Abs. 2 Nr. 2 BlnPersVG in Betracht zu ziehen, wenn § 90 Nr. 2 BlnPersVG keine die Mitbestimmungsrechte verdrängende Wirkung entfaltet.
Unterschriften
Bardenhewer, Büge, Vormeier
Fundstellen
ZBR 2004, 181 |
ZTR 2004, 330 |
PersR 2004, 179 |
PersV 2004, 273 |
RiA 2004, 230 |