Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 09.08.2007; Aktenzeichen 25 B 05.3055) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. August 2007 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 und 2; die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 3 trägt diese selbst.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage (BBegr. S. 5),
(ob) der Ausschluss aller Nutzungsarten, die gem. § 3 Abs. 3 BauNVO in einem reinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig sind, regelmäßig einen Grundzug der Planung, der die Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB für alle Nutzungsarten außer dem reinen Wohnen ausschließt (begründet),
rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung. Sie ist ungeachtet der allgemein gehaltenen Formulierung auf den konkreten Einzelfall zugeschnitten und unterstellt dem Berufungsgericht einen allgemeinen Rechtssatz, den das Gericht seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt hat.
Das Berufungsgericht hat entgegen den Darlegungen der Beschwerde nicht darauf abgestellt, “dass regelmäßig dann, wenn eine Gemeinde bei Festsetzung des Gebietstypus reines Wohngebiet i.S.d. § 3 BauNVO alle nach § 3 Abs. 3 BauNVO ausnahmsweise zulässigen Nutzungsarten ausschließt, eine Befreiung für andere Nutzungsarten außer Wohnen a limine (tatbestandlich) ausscheidet” (BBegr. S. 6 – Klammerzusatz im Original).
Die Einschätzung des Berufungsgerichts, dass die Zulassung der gewerblichen Mobilfunk-Sendeanlage im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berühre, beruht auf einer die konkreten Umstände würdigenden Einzelfallbetrachtung (UA S. 14). Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt – wie auch die Beschwerde erkennt – von der jeweiligen Planungssituation ab (Beschlüsse vom 5. März 1999 – BVerwG 4 B 5.99 – Buchholz 406.11 § 31 BauGB Nr. 39 und vom 19. Mai 2004 – BVerwG 4 B 35.04 – ZfBR 2007, 72). Ausgehend von diesem Grundsatz hat das Berufungsgericht den Bebauungsplan, der dem irrevisiblen Landesrecht angehört, ausgelegt und festgestellt, dass es das planerische Grundanliegen des Plangebers war, das reine Wohngebiet “kompromisslos” von allen gewerblichen und sonstigen Nutzungen freizuhalten (UA S. 13). Das Berufungsgericht hat indes daraus nicht – wie die Beschwerde meint – den generellen Schluss gezogen, dass “regelmäßig”, gleichsam als tatbestandlicher Automatismus bereits ein Abweichen von den Festsetzungen die planerische Grundentscheidung berührt. Es hat vielmehr nach den Auswirkungen der konkreten Anlage auf die nähere Umgebung gefragt (UA S. 14 f.) und ist auf der Grundlage des vorgenommenen Augenscheins zu der – in tatsächlicher Hinsicht bindenden – Einschätzung gelangt, dass die Anlage zum einen “optisch laut” und zum anderen auf Grund ihrer Eigenschaft als gewerbliche Anlage (“gewerblicher Fremdkörper”) negativ in Erscheinung tritt (UA S. 15). Dass das Berufungsgericht diese Auswirkungen als erheblich bewertet hat, wird nicht allein damit begründet, dass bei Erteilung einer Befreiung – mit Blick auf deren Vorbild- und Folgewirkungen – das stringent geplante Festsetzungskonzept missachtet würde. Hinzu tritt vielmehr nach der Einschätzung des Berufungsgerichts der weitere Umstand, dass das (reine) Wohngebiet auch im Baurechtsvollzug bisher vollständig intakt geblieben ist (UA S. 16). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Beschwerde eine Grundsatzfrage “konstruiert”, die an den Feststellungen des Berufungsgerichts vorbei geht.
Soweit die Beschwerde zur Begründung des allgemeinen Klärungsbedarfs auf ein weiteres Urteil des Berufungsgerichts vom selben Tag verweist (BBegr. S. 7 f.), das ebenfalls die Zulassung einer Befreiung für eine Mobilfunk-Sendeanlage in einem “kompromisslos” reinen Wohngebiet betrifft (Urteil vom 9. August 2007 – VGH 25 B 05.1337 –), wird nicht beachtet, dass der Verwaltungsgerichtshof in jenem Urteil davon ausgeht, dass die Grundzüge der Planung i.S.d. § 31 Abs. 2 Satz 1 BauGB nicht (mehr) berührt werden und die Erteilung einer Befreiung daher nicht an dieser gesetzlichen Voraussetzung scheiterte (vgl. dazu Beschluss vom 28. April 2008 – BVerwG 4 B 16.08 –), mithin es auch in diesem Fall auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankam.
2. Die im Zusammenhang mit der ersten Grundsatzrüge vorsorglich mit Blick auf die textliche Festsetzung Nr. IV.8 gestellte Frage, ob durch planerische Festsetzungen in einem Bebauungsplan ein in gestalterischer (und optischer) Hinsicht relevanter Grundzug der Planung begründet werden kann (BBegr. S. 10 – Klammerzusatz im Original), geht ebenfalls an der Begründung des Berufungsgerichts vorbei. Das Gericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, dass diese Festsetzung “Gestaltungsfragen” betrifft, sondern den ortsrechtlichen Begriff “Nebengebäude” ausgelegt und nach dem Stellenwert dieser Festsetzung im planerischen Gesamtkonzept gefragt (UA S. 13).
3. Auch mit den auf das Tatbestandsmerkmal des “Berührtseins” zielenden Grundsatzrügen wird kein Klärungsbedarf aufgezeigt.
3.1 Die auf Seite 11 der Beschwerdebegründung formulierte Frage stellt lediglich eine Abwandlung der bereits unter 1 behandelten Frage dar; insoweit wird auf die dortigen Ausführungen verwiesen.
3.2 Den Klärungsbedarf der – mit unterschiedlichen Umschreibungen gefassten – Frage (BBegr. S. 12),
(ob) sich die Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauNVO in einem kompromisslos reinen Wohngebiet (verbietet), für das die BauNVO 1962/1968/1977 Anwendung findet, weil hierdurch ein gewerblicher Fremdkörper in diesem Wohngebiet in Erscheinung tritt,
begründet die Beschwerde unter Bezugnahme auf zwei obergerichtliche Entscheidungen mit dem Hinweis, das Verwaltungsgericht habe abweichend vom Berufungsgericht angenommen, dass Grundzüge der Planung nicht berührt würden. Die Beschwerde erschöpft sich insoweit in einer auf den Einzelfall bezogenen Urteilskritik.
Soweit unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Maßstabs auf den Unterschied zwischen § 14 Abs. 2 BauNVO in der Fassung von 1962/1968/1977 und von 1990 verwiesen und geltend gemacht wird, aus der Fassung von 1990 ergebe sich die städtebauliche Wertung, dass Mobilfunkanlagen in einem reinen Wohngebiet keinen “gewerblichen Fremdkörper” darstellten (BBegr. S. 13), zielt die Rüge auf den Vorwurf, das Gericht habe im konkreten Fall die gewerbliche Zweckbestimmung der Anlage überbewertet. Ein verallgemeinerungsfähiger Klärungsbedarf wird damit nicht aufgezeigt. Nicht beachtet wird, dass nach Auffassung des Berufungsgerichts der Plangeber im vorliegenden Fall auf der Grundlage der Festsetzungsmöglichkeiten gemäß § 1 Abs. 4 bis 10 BauNVO in zulässiger Weise eine besondere städtebauliche Lösung entwickelt und zur Grundkonzeption der Planung erhoben hat (UA S. 16). Insofern fehlt es auch an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit. Der Sache nach wird lediglich erneut ein tatbestandlicher “Automatismus” unterstellt (BBegr. S. 13), von dem das Berufungsgericht nicht ausgegangen ist.
3.3 Die Frage (BBegr. S. 14),
(ob) das Berühren der Grundzüge der Planung in Bezug auf die Zulassung von Mobilfunkanlagen in reinen Wohngebieten im Wege einer Befreiung mit der Vorbildwirkung einer derartigen Anlage für weitere Befreiungsanträge begründet werden (kann),
zielt ebenfalls lediglich darauf, die Würdigung des Berufungsgerichts als unzutreffend anzugreifen. Soweit die Beschwerde meint, das Berufungsgericht habe sich von der Erwägung leiten lassen, man dürfe nicht isoliert auf die einzelne Anlage abstellen (BBegr. S. 13 f.), wird nicht beachtet, dass das Berufungsgericht mit der Frage nach der Vorbild- und Folgewirkung – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats – darauf abstellt, ob mit Blick auf das konkrete Vorhaben Gründe für eine Befreiung vorliegen, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle anführen ließen (Beschluss vom 5. März 1999 a.a.O.).
4. Die im Hinblick auf die textliche Festsetzung Nr. IV.8 vorsorglich erhobene Divergenzrüge (BBegr. S. 14 f.) genügt nicht den Darlegungsanforderungen. Die Beschwerde nennt zwar zwei Entscheidungen des Senats zum Schutz des Ortsbildes (Urteil vom 11. Mai 2000 – BVerwG 4 C 14.98 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 200) und zu den Voraussetzungen für die Annahme einer atypischen Situation (Beschluss vom 20. November 1989 – BVerwG 4 B 163.89 – Buchholz 406.11 § 31 BBauG/BauGB Nr. 29), zeigt jedoch keinen Rechtssatzwiderspruch auf. Abgesehen davon, dass das Urteil des Senats vom 11. Mai 2000 zu dem hier nicht einschlägigen § 34 Abs. 1 BauGB ergangen ist, unterstellt die Beschwerde dem Berufungsgericht, es habe angenommen, die Festsetzung Nr. IV.8 sei eine bauordnungsrechtliche Gestaltungsvorschrift. Das trifft – wie bereits dargelegt – nicht zu. Das Berufungsgericht hat in Auslegung irrevisiblen Landesrechts darauf abgestellt, dass es sich um eine Regelung zur baulichen und städtebaulichen Gestaltung handelt, die die planerische Grundentscheidung zusätzlich untermauert und um weitere Aspekte ergänzt (UA S. 13). Entscheidend ist nach Auffassung des Berufungsgerichts, dass auch diese Festsetzung mit dem Ausschluss von Nebengebäuden die “bauliche Nutzung” durch die Beschränkung (mit wenigen Ausnahmen) nur auf Wohngebäude regelt, mithin eine Bestimmung zum Nutzungsregime enthält, die dem städtebaulichen Ziel der “Wohnruhe” dient. Die vom Berufungsgericht hervorgehobene “Einheitlichkeit”, die das Gericht auch mit dem Begriff “optisch” zu verbildlichen sucht, beschreibt kein bauordnungsrechtliches Gestaltungsziel, sondern ist ausgerichtet auf das städtebauliche Konzept der “reinen” Wohnnutzung, die der Plangeber im Rahmen der Festsetzungsmöglichkeiten nach § 1 Abs. 4 bis 10 BauNVO verwirklichen kann.
5. Die Grundsatzfragen, die die Beschwerde im Zusammenhang mit den ergänzenden Ausführungen des Berufungsgerichts zur Rechtmäßigkeit der Ermessensbetätigung aufwirft (BBegr. S. 16 – 18), stellen sich nicht. Ist eine gerichtliche Entscheidung – wie hier – auf mehrere, jeweils für sich selbstständig tragfähige Gründe gestützt worden, kommt eine Zulassung der Revision nur in Betracht, wenn für jeden dieser Gründe ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Rojahn, Dr. Philipp, Dr. Bumke
Fundstellen
BauR 2009, 78 |
ZfBR 2008, 797 |