Verfahrensgang

Hessischer VGH (Aktenzeichen 3 UE 727/01.A)

 

Tenor

Dem Kläger wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin Ursula Schlung-Muntau, Jahnstraße 49, 60318 Frankfurt, als Prozessbevollmächtigte beigeordnet.

Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Juni 2001 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

 

Gründe

Die Beschwerde ist mit der Rüge eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) begründet. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurück.

Zu Recht rügt die Beschwerde die Ablehnung des Beweisantrags des Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den gesundheitlichen Risiken für den Fall seiner Rückkehr nach Angola als verfahrensfehlerhaft.

Der Kläger hat im vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130 a VwGO schriftsätzlich beantragt, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis darüber zu erheben, dass er im Falle der Rückkehr wegen seiner nicht mehr vorhandenen Anpassungsmöglichkeit im Immunsystem an die dortigen Infektions- und Erkrankungsrisiken auf dem Hintergrund des heruntergewirtschafteten Gesundheits- und Sozialwesens in Angola in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung bzw. bald danach schwerwiegend an einer der dort vorkommenden Tropenerkrankungen (wie Typhus, Hepatitis, Malaria usw.) mit der Folge schwerster gesundheitlicher Schäden bis hin zum Tod erkranken werde. Das Berufungsgericht ist dem Antrag nicht nachgekommen und hat dies in dem angefochtenen Beschluss damit begründet, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger, der immerhin bis zu seinem 27. Lebensjahr in seinem Heimatland gewohnt habe, bei einer Abschiebung nach Luanda sehenden Auges dem sicheren Tod entgegen ginge. Der Kläger sei nicht gesundheitlich vorbelastet, sodass erwartet werden könne, dass er sich den Lebensbedingungen in Angola und insbesondere auch den schwierigen gesundheitlichen Bedingungen wieder werde anpassen können (BA S. 8).

Die auf diese Erwägungen gestützte Ablehnung des Beweisbegehrens des Klägers ist verfahrensfehlerhaft. Zwar steht es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im tatrichterlichen Ermessen des Berufungsgerichts (§ 98 VwGO in Verbindung mit § 412 ZPO in entsprechender Anwendung), die Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens etwa wegen bereits vorhandener Erkenntnismittel oder im Hinblick auf die sonst ausreichend bestehende eigene Sachkunde abzulehnen. Das Tatsachengericht muss seine Entscheidung allerdings für die Beteiligten und das Rechtsmittelgericht nachvollziehbar begründen und gegebenenfalls angeben, woher es seine Sachkunde hat (vgl. etwa Beschluss vom 27. März 2000 – BVerwG 9 B 518.99 – Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60; Beschluss vom 11. Februar 1999 – BVerwG 9 B 381.98 – Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 42). Hier hat sich das Berufungsgericht indes weder auf dieses Ermessen noch auf eine besondere eigene Sachkunde zu den vom Kläger aufgeworfenen Fragen berufen, ob und mit welchen Folgen sich das Immunsystem aus Afrika stammender Ausländer, die sich längere Zeit in Europa aufgehalten haben, zurückbilde. Es ist im Übrigen auch nichts dafür ersichtlich und vom Berufungsgericht nicht dargelegt, dass hierzu ausreichende Erkenntnisse vorliegen. Vor diesem Hintergrund erweist sich, wie die Beschwerde zu Recht rügt, die Erwägung des Berufungsgerichts, es könne davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger auch den schwierigen Lebensbedingungen in Angola wieder werde anpassen können, als spekulativ. Jedenfalls kann das Berufungsgericht damit, ebenso wenig wie mit dem Hinweis darauf, dass der Kläger gesundheitlich nicht vorbelastet sei, die insoweit fehlende oder jedenfalls nicht nachgewiesene eigene Sachkunde ersetzen.

Sollten die Ausführungen des Berufungsgerichts dahin zu verstehen sein, es habe den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens mit der Begründung ablehnen wollen, dass es sich um einen unzulässigen Beweisermittlungsantrag handele, könnte auch dies die Entscheidung nicht tragen. Das hat der Senat mit dem gleichzeitig ergangenem Beschluss in dem Parallelverfahren in der Sache BVerwG 1 B 326.01 näher begründet; hierauf wird verwiesen.

Die Entscheidung beruht auch auf diesem Verfahrensrechtsverstoß, denn das Berufungsgericht hat die unter Beweis gestellte Tatsache aus seiner insoweit maßgeblichen materiellrechtlichen Sicht erkennbar als entscheidungserheblich angesehen und wäre daher bei Befolgung des Beweisantrags möglicherweise zu einem dem Kläger günstigeren Ergebnis gelangt. Deshalb ist die Sache, die ausschließlich den Anspruch des Klägers auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG zum Gegenstand hat, zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die von der Beschwerde zudem geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) steht der Zurückverweisung nach § 133 Abs. 6 VwGO nicht entgegen, da dieser Revisionszulassungsgrund nicht vorliegt. Auch hierzu verweist der Senat auf seine Begründung in dem Beschluss über das Parallelverfahren BVerwG 1 B 326.01 zu der von der Prozessbevollmächtigten des Klägers dort gleichlautend erhobenen Rüge.

Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe beruht auf §§ 114 f., 121 ZPO; sie war dem Kläger nach seinen glaubhaft gemachten Einkommensverhältnissen ohne Ratenzahlung zu gewähren.

 

Unterschriften

Eckertz-Höfer, Dr. Mallmann, Dr. Eichberger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI706536

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