Verfahrensgang

VG Berlin (Aktenzeichen 22 A 29.95)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 13. Januar 2000 wird zurückgewiesen.

Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 Million DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Das angefochtene Urteil weicht nicht von den in der Beschwerde genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ab (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts weicht nicht von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. März 1994 (BVerwG 7 C 16.93 – BVerwGE 95, 284 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 19 S. 13) und von dem Beschluß vom 12. November 1997 (BVerwG 7 B 374.97 ≪BAS 3≫) ab. Vielmehr folgt das angegriffene Urteil ausdrücklich dieser Rechtsprechung und wendet sie auf den vorliegenden Einzelfall an. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts werden Enteignungen nach dem Aufbaugesetz der DDR nicht schon deshalb vom Tatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG (entschädigungslose Enteignung) erfaßt, weil im Einzelfall die Entschädigung dem Enteigneten nicht zugeflossen ist. Eine entschädigungslose Enteignung im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG liegt vielmehr nur dann vor, wenn der rechtsstaatswidrige Gehalt der betreffenden Maßnahme in dem diskriminierenden und gerade deshalb entschädigungslos bleibenden Zugriff auf das Eigentum, nicht aber in dem bloßen Unterbleiben einer Entschädigung liegt. Erfaßt werden nur solche Enteignungen, deren besonderer Unrechtsgehalt darin liegt, daß bereits nach den einschlägigen Vorschriften der DDR für bestimmte Enteignungsmaßnahmen eine Entschädigung generell ausgeschlossen war. Der generelle Ausschluß kann sich auch aus Verwaltungsanweisungen, Erlassen und sonstigen von den staatlichen Stellen zu beachtenden generellen Regelungen ergeben (vgl. Urteil vom 24. März 1994 – BVerwG 7 C 16.93 – a.a.O.).

Im Rahmen der ihm obliegenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, daß hier keine generelle Regelung über entschädigungslose Enteignungen angewandt wurde. Das streitgegenständliche Grundstück ist – nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts – nicht nach den Bestimmungen der Konzern-Verordnung aus dem Jahre 1949 kraft Gesetzes enteignet worden und gehörte auch nicht zu den nach dieser Verordnung „nachzuerfassenden” Grundstücken. Weiter ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, daß das Grundstück nach der Aufbauverordnung in Anspruch genommen und enteignet wurde sowie, daß die generelle ministerielle Vorgabe, von der Durchführung eines Entschädigungsverfahrens bis zur endgültigen Aufklärung des Sachverhalts abzusehen, wenn die Eigentumsverhältnisse nicht vollständig aufgeklärt werden konnten, keine Regelung ist, die eine entschädigungslose Enteignung anordnet. Statt dessen führte – nach Auffassung des Verwaltungsgerichts – diese ministerielle Vorgabe im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugriffs auf das Eigentum nicht zum Verlust des Entschädigungsanspruchs; die Entscheidung über die Durchführung des Entschädigungsverfahrens wurde vielmehr auf einen späteren Zeitpunkt hinausgeschoben.

Auch war – nach dem verwaltungsgerichtlichen Urteil – die Inanspruchnahme des Grundstücks für zum Komplex des Staatsratsgebäudes gehörende Grünanlagen wohl durch das Aufbaugesetz gedeckt, zumindest aber kein eine unlautere Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG begründender Verstoß gegen das Aufbaurecht.

In Wirklichkeit wendet sich die Beschwerde vor allem gegen die tatrichterliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung. Entgegen den Feststellung des Verwaltungsgerichts meint sie u.a., in Anwendung der Konzern-Verordnung sei das Grundstück entschädigungslos enteignet worden. Das Verwaltungsgericht hätte bei richtiger Auslegung des Vermerks des Hauptreferats Staatliches Eigentum vom 9. Mai 1963 zu dem Ergebnis kommen müssen, daß damit allenfalls der Schein gewahrt werden sollte, die Sache nach dem Bekanntwerden entsprechender Umstände neu aufgreifen zu wollen. Mit Angriffen gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung kann aber keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dargelegt werden.

Das angefochtene Urteil weicht auch nicht ab vom Urteil vom 27. Juni 1996 (BVerwG 7 C 3.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 83 S. 245 ≪249≫). In dieser Entscheidung befaßt sich das Bundesverwaltungsgericht mit Entschädigungen bei Enteignungen nach der Konzern-Verordnung. Nach dem angefochtenen Urteil liegt hier jedoch eine Enteignung nach dem Aufbaugesetz und nicht etwa auch nach der Konzern-Verordnung vor.

2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Daran fehlt es hier. Die Beschwerde hält für klärungsbedürftig die Frage,

wie zu entscheiden ist, wenn im Zeitpunkt des Zugriffs auf das Eigentum sowohl die Voraussetzungen für eine entschädigungslose Enteignung nach generellen internen Richtlinien gegeben waren, als auch tatbestandliche Voraussetzungen für eine Enteignung nach der Aufbauverordnung bzw. dem Aufbaugesetz vorlagen und deshalb die Behörde vordergründig das Eigentum der Betroffenen nach Maßgabe des Aufbau- oder Baulandgesetzes in Anspruch genommen hat, jedoch ohne ein Entschädigungsverfahren durchzuführen.

Diese Frage ist, soweit sie von fallübergreifender Bedeutung und im vorliegenden Fall entscheidungserheblich ist, durch die oben genannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 1 Abs. 1 a VermG sowie durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 1 Abs. 3 VermG, mit der sich die Beschwerde nicht auseinandersetzt, geklärt. Eine unlautere Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG kann demnach u.a. dann vorliegen, wenn ein Enteignungszweck nur vorgeschoben war, um in Wahrheit zu ganz anderen Zwecken das Eigentum an dem Vermögenswert zu erlangen (vgl. u.a. Urteil vom 26. Juni 1997 – BVerwG 7 C 25.96 – ZOV 1997, 355 ≪356≫). Weiteren Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Im übrigen hat das Verwaltungsgericht nicht festgestellt, daß das Grundstück nur „vordergründig” nach dem Aufbaugesetz in Anspruch genommen wurde.

3. Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht verletzt. Die bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anwaltlich vertretenen Klägerinnen haben – ausweislich der Sitzungsniederschrift – die Vernehmung von Herrn P. als Zeugen dafür, daß die vorläufige Rückstellung eines Entschädigungsverfahrens nur zum Schein erfolgte, nicht beantragt. Ohne einen derartigen Beweisantrag mußte es sich dem Verwaltungsgericht nicht aufdrängen, Herrn P. zu dieser Frage als Zeugen zu vernehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 13, 14 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Müller, Krauß, Golze

 

Fundstellen

Dokument-Index HI566890

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