Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 18.01.2006; Aktenzeichen 2 A 7.05) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 100 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragsteller beimessen.
1.1 Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Rechtsfrage auf, ob bei Vorliegen von gesundheitsgefährdenden Verkehrslärmbelastungen erhöhte Anforderungen an die Rechtfertigung einer (Bauleit-)Planung für einen Verkehrsweg gestellt werden müssen. Diese Frage ist, soweit sie im Streitfall entscheidungserheblich ist, nicht in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig, da sie sich auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des beschließenden Senats ohne weiteres beantworten lässt.
Der Senat hat bereits entschieden: Bei der Festsetzung von Straßen durch Bebauungspläne (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB) gehört der Verkehrslärmschutz grundsätzlich nach § 1 Abs. 5 Satz 2, Abs. 6 Nr. 1 und 7 BauGB zum Kreis der abwägungsrelevanten Belange. Die Gemeinde hat sich unter diesem Blickwinkel Klarheit darüber zu verschaffen, ob und in welchem Ausmaß das Straßenbauvorhaben Maßnahmen des aktiven oder passiven Schallschutzes nach sich zieht. Dies folgt aus den §§ 50 und 41 BImSchG, die von der Gemeinde bereits bei der Aufstellung eines Bebauungsplans zu beachten sind. Durch den Bau von Straßen dürfen grundsätzlich keine Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden, die als schädliche Umwelteinwirkungen zu qualifizieren sind. Die Gemeinde hat sich daher bei der Abwägung unter den Gesichtspunkt der Abwehr von Lärmbeeinträchtigungen an dem Schutzmodell des Bundes-Immissionsschutz-gesetzes auszurichten. Der Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche richtet sich nach den in § 2 der 16. BImSchV baugebietsbezogen festgelegten Immissionsgrenzwerten. Diese Grenzwerte beanspruchen auch für die Festsetzung von Straßen durch Bebauungsplan unmittelbar Geltung. Nach diesen Grenzwerten beurteilt sich nicht nur, bis zu welchem Lärmniveau Straßenverkehrslärm ohne Schutzmaßnahmen oder eine angemessene Entschädigung in Geld (§§ 41, 42 BImSchG) von der Nachbarschaft als zumutbar hinzunehmen ist. Auch eine Verkehrslärmbelästigung, die unterhalb dieser Erheblichkeitsschwelle bleibt, ist auf der Grundlage der konkreten Verhältnisse des Einzelfalls in der Abwägung zu berücksichtigen (vgl. hierzu Beschlüsse vom 14. November 2000 – BVerwG 4 BN 44.00 – Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 95 m.w.N. und vom 8. Juni 2004 – BVerwG 4 BN 19.04 – BauR 2005, 829).
Nach § 41 Abs. 2 BImSchG muss sich die Gemeinde insbesondere vor Augen führen, welche Dimension der Lärmkonflikt hat, den sie auslöst, wenn sie eine Straße plant. Ihr Interesse, von der Festsetzung aktiver Schutzvorkehrungen (Lärmschutzwall, Lärmschutzwand) abzusehen, soweit sie mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sind, ist mit den Lärmschutzinteressen der betroffenen Grundstücksnachbarn abzuwägen. Kommen aktive Lärmschutzmaßnahmen aus technischen und/oder finanziellen Gründen nicht in Betracht, hat die Gemeinde zu prüfen, ob hinreichend gewichtige Verkehrsbelange ihre Verkehrsplanung gleichwohl rechtfertigen. Bejaht sie das, muss sichergestellt sein, dass die Betroffenen durch Maßnahmen des passiven Lärmschutzes vor unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen bewahrt werden. Das gilt auch für bereits vorhandene Bebauung an der Straße (vgl. Beschluss vom 17. Mai 1995 – BVerwG 4 NB 30.94 – Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 82 = NJW 1995, 2572, 2573). In diesem Fall haben die betroffenen Anlieger einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Durchführung der erforderlichen (passiven) Schutzmaßnahmen am Gebäude sowie gegebenenfalls einen Anspruch auf angemessenen Ausgleich für die Beeinträchtigung der Nutzung ihres Außenwohnbereichs (Beschluss vom 7. September 1988 – BVerwG 4 N 1.87 – BVerwGE 80, 184, 192 m.w.N.).
Das Schutzmodell des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und die Grenzwerte der 16. BImSchV stellen in aller Regel sicher, dass die mit der Festsetzung von Straßen durch Bebauungspläne verbundenen Lärmimmissionen auf ein Maß zurückgeführt werden, das die menschliche Gesundheit nicht gefährdet (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) oder einen Eingriff in die Substanz des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) nicht darstellt. Können Gesundheitsgefahren und Eingriffe in das Eigentum auch durch passive Schutzvorkehrungen und Ausgleichsansprüche nicht vermieden werden und scheiden Planungsalternativen oder eine vollständige Umplanung nach der städtebaulichen Konzeption der Gemeinde und/oder angesichts der örtlichen Verhältnisse aus, muss die Gemeinde von der beabsichtigten Straßenplanung Abstand nehmen. Die grundrechtlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG setzen der bauleitplanerischen Gestaltungsfreiheit der Gemeinde äußerste (strikte) Grenzen, die im Wege der Abwägung nicht überwindbar sind. Ein Bebauungsplan, dessen Verwirklichung im Zeitpunkt seines Inkrafttretens dauerhafte Hindernisse rechtlicher oder tatsächlicher Art entgegenstehen, verletzt § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB und ist unwirksam. Eine Planung, die objektiv vor nicht überwindbaren Hindernissen steht, verfehlt ihren gestaltenden Auftrag (vgl. hierzu Urteile vom 21. März 1996 – BVerwG 4 C 9.95 – BVerwGE 101, 1, 10 ff. und vom 21. März 2002 – BVerwG 4 CN 14.00 – BVerwGE 116, 144, 146 ff. jeweils m.w.N.).
Die Beschwerde zeigt keinen über diese Grundsätze hinausgehenden revisionsgerichtlichen Klärungsbedarf auf. Das gilt auch für die weiteren Fragen, welche die Beschwerde für den Fall des Überschreitens der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeitsgrenze durch Verkehrslärm in der Bauleitplanung aufwirft. Diese Fragen konkretisieren oder variieren die erste Grundsatzrüge. Sie zielen ebenfalls auf die lärmbezogenen Anforderungen des Abwägungsgebots im Fall einer Straßenplanung durch Bebauungsplan und sind in Anwendung der vom Senat aufgestellten Grundsätze zu beantworten.
1.2 Die Beschwerde möchte ferner rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, ob in einem Bebauungsplan aus Lärmschutzgründen Beschränkungen hinsichtlich der zulässigen Fahrzeugart (z.B. Lkw-Verbot) oder Verkehrsbeschränkungen wie die Anordnung von “Tempo 30” innerorts getroffen werden können. Diese Fragen wären ebenso wie die weiteren zur Festsetzung derartiger Verkehrsbeschränkungen aufgeworfenen Fragen in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Das Normenkontrollgericht begründet seinen Rechtsstandpunkt, der Verzicht der Antragsgegnerin auf die Festsetzung von Verkehrsbeschränkungen in den angegriffenen Bebauungsplänen sei nicht zu beanstanden, selbstständig entscheidungstragend mit dem Argument, ausweislich der Planbegründungen seien weder ein – von der konkreten Verkehrsbelastung unabhängiger – vollständiger Ausschluss des Lkw-Verkehrs noch eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h mit der beabsichtigten Verkehrsbedeutung des Straßenzuges Birkenallee/Saarlandstraße vereinbar. Die Frage, ob § 9 Abs. 1 Nr. 11 und 24 BauGB a.F. eine Rechtsgrundlage für derartige verkehrsbeschränkende Maßnahmen enthält, könnte deshalb in einem Revisionsverfahren offenbleiben.
2. Die Divergenzrügen führen ebenfalls nicht zum Erfolg.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen steht das angegriffene Urteil nicht im Widerspruch zu Rechtssätzen, die der beschließende Senat in seinem Beschluss vom 8. Juni 2004 – BVerwG 4 BN 19.04 – (BauR 2005, 829) wiedergegeben hat. In dem Beschluss heißt es u.a., als Abwägungsposten sei das Lärmschutzinteresse nicht erst beachtlich, wenn die Geräuschbeeinträchtigungen im Sinne des § 41 Abs. 1 BImSchG als schädliche Umwelteinwirkungen zu qualifizieren seien, die einen Kompensationsanspruch nach sich zögen oder gar die Schwelle der Gesundheitsgefährdung überschritten, die eine absolute Planungssperre markiere. Auch Verkehrslärm, der nicht aufgrund der Wertung des einfachen oder des Verfassungsrechts als unzumutbar einzustufen sei, könne im Rahmen der Abwägungsentscheidung den Ausschlag geben. Das Normenkontrollgericht hat in seinem Urteil keinen Rechtssatz aufgestellt, der dem widerspricht. Es ist vielmehr davon ausgegangen, dass vorliegend eine “absolute Planungssperre” nicht bestehe, weil das Schutzkonzept der Antragsgegnerin, die Antragsteller auf passiven Lärmschutz zu verweisen, ausreiche, um Grundrechtsgefährdungen auszuschließen. Die Beschwerde erschöpft sich insoweit in einer Kritik der vorinstanzlichen Sachverhaltwürdigung und Rechtsanwendung, die eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht zu begründen vermag.
Die gerügte Abweichung von den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. November 1974 – BVerwG 4 C 38.71 – (BVerwGE 47, 144, 151) und vom 3. März 1972 – BVerwG 4 C 4.69 – (Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 97) besteht ebenfalls nicht. In diesen Entscheidungen wird ausgeführt, im Rahmen der bauleitplanerischen Abwägung umfasse der Schutz von Wohngebieten vor schädlichen Umwelteinwirkungen nicht nur den Schutz der Wohnruhe in Wohngebäuden, sondern auch den Schutz vor Lärmbelästigungen in betroffenen Hausgärten. Das angegriffene Normenkontrollurteil enthält keinen Rechtssatz, der hiervon abweicht. Soweit das Normenkontrollgericht in den Gründen seines Urteils (UA S. 38 f.) ausführt, einer Straßenplanung könne nicht allein die Überschreitung der Grenzwerte in den Außenwohnbereichen – im Sinne einer “Planungssperre” – entgegengehalten werden, wenn sich durch passive Lärmschutzmaßnahmen jedenfalls Innenpegel gewährleisten ließen, die verkehrslärmbedingte Kommunikations- und Schlafstörungen ausschließen, so bringt es damit entgegen der Beschwerde nicht zum Ausdruck, dass den Antragstellern ein Entschädigungsanspruch wegen der Beeinträchtigung der Außenwohnbereiche nicht zustehe.
3. Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor.
Die Beschwerde rügt eine Verletzung der Grundsätze richterlicher Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie trägt hierzu vor, das Normenkontrollgericht habe in Betracht zu ziehende Alternativtrassen “sachlich falsch und schlichtweg nicht mehr vertretbar” gewürdigt, und sieht darin einen Verstoß gegen die “Denkgesetze”. Dieser Vorwurf ist unbegründet. Die Beschwerde kritisiert die sachliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils, indem sie der tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung eine eigene abweichende Würdigung aus ihrer Sicht möglicher Alternativplanungen entgegensetzt. Damit ist ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1VwGO nicht dargetan. Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung – wenn sie denn vorliegen, wofür hier nichts spricht – sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern der Anwendung des materiellen Rechts zuzurechnen. Ein Verstoß gegen die “Denkgesetze”, der einen Verfahrensfehler darstellen könnte, liegt nur vor, wenn nach Lage der Dinge nur eine einzige Schlussfolgerung möglich ist, weil jede andere aus “denkgesetzlichen” Gründen auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen ausscheidet (vgl. Beschluss vom 12. Januar 1995 – BVerwG 4 B 197.94 – Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4). Dafür ist hier nichts ersichtlich.
Die Beschwerde rügt ferner, das Normenkontrollgericht habe “zentralen Vortrag” der Antragsteller, der die im Lärmminderungsplan der Antragsgegnerin festgesetzte Schwelle zur Gesundheitsschädigung (65 dB(A)) betreffe, nicht berücksichtigt. Die Rüge ist zurückzuweisen. Ein Tatsachengericht verletzt den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO), wenn es über entscheidungserhebliches Parteivorbringen hinweggeht, ohne darzulegen, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Erwägungen es keiner Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen und keiner (weiteren) Sachaufklärung bedarf (Urteil vom 15. April 1997 – BVerwG 8 C 20.96 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 274). Das Normenkontrollgericht legt im Einzelnen dar (UA S. 28), aus welchen Gründen es den im Lärmminderungsplan festgelegten Lärmgrenzwerten im Zusammenhang mit dem Vorbringen der Antragsteller zum Bestehen einer grundrechtlichen Schutzpflicht der Antragsgegnerin keine rechtliche Bedeutung beimisst. Von diesem Rechtsstandpunkt aus hatte die Vorinstanz keinerlei Veranlassung, auf das Vorbringen der Antragsteller zum Lärmminderungsplan der Antragsgegnerin weiter einzugehen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Prof. Dr. Rojahn, Dr. Jannasch
Fundstellen
Haufe-Index 1672839 |
ZUR 2007, 205 |
FuBW 2007, 819 |
FuHe 2007, 721 |
FuNds 2008, 144 |