Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungshöchstdauer von Unterhaltsvorschussleistungen. Anrechnung von Leistungszeiten nach Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung/Rückzahlung von Unterhaltsleistungen
Leitsatz (amtlich)
Auf die Leistungshöchstdauer nach § 3 Abs. 1 UVG sind erbrachte Unterhaltsvorschussleistungen jedenfalls dann nicht anzurechnen, wenn der zu Grunde liegende Bewilligungsbescheid aufgehoben worden und die Leistung von dem Berechtigten (§ 5 Abs. 2 UVG) oder einem Elternteil, mit dem dieser zusammenlebt, zurückerstattet (§ 5 Abs. 1 UVG) worden ist.
Normenkette
UVG §§ 3, 5 Abs. 1-2
Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 25.10.2006; Aktenzeichen 6 B 11.05) |
VG Berlin (Entscheidung vom 15.03.2004; Aktenzeichen 37 A 90.02) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die bei ihrer Mutter lebenden Kläger weitere Zahlungen an Unterhaltsvorschuss über den 20. März 2002 hinaus verlangen dürfen, und hierbei ausschließlich um die Frage, ob die Kläger sich entgegenhalten lassen müssen, dass die Unterhaltsleistung nach § 3 UVG längstens für 72 Monate gezahlt wird.
Mit Bescheiden vom 31. Januar 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2002 stellte das Bezirksamt des Beklagten die Zahlung weiterer Unterhaltsvorschussleistungen zugunsten der Kläger mit der Begründung ein, die nach § 3 UVG zu beachtende Höchstdauer für die zu erbringenden Unterhaltsleistungen werde mit Ablauf des 20. März 2002 überschritten. Dabei rechnete das Bezirksamt auch erbrachte Leistungen für den Zeitraum Oktober 1997 bis März 1998 an, obgleich die Bewilligungsbescheide zwischenzeitlich aufgehoben worden sind und die Mutter der Kläger die für den fraglichen Zeitraum erhaltenen Unterhaltsvorschüsse zurückerstattet hatte, um ihren mit bestandskräftigen Bescheiden vom 2. November 1999 geltend gemachten Rückzahlungspflichten nach § 5 Abs. 1 UVG zu entsprechen.
Die auf Leistungsgewährung gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 15. März 2004 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die in dem erörterten Zeitraum erbrachten Leistungen seien nicht im Rechtssinne rückabgewickelt worden. Auf die Erfüllung des Anspruchs aus § 5 Abs. 1 UVG durch die Mutter könnten sich die Kläger hierbei deshalb nicht stützen, weil das klägerische Vermögen durch die Zahlung der Mutter nicht geschmälert worden und deshalb nach wie vor um den geleisteten Unterhaltsvorschuss gemehrt sei. Die Aufhebung der Bewilligungsbescheide für den streitigen Zeitraum sei im Hinblick auf § 3 UVG ebenfalls ohne rechtliche Bedeutung, weil die Leistungen nicht von den Klägern zurückgefordert worden seien.
Auf die Berufung der Kläger hat das Oberverwaltungsgericht den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide dazu verpflichtet, den Klägern für weitere sechs Monate ab dem 21. März 2002 Unterhaltsvorschussleistungen in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. Seine Entscheidung hat es hauptsächlich darauf gestützt, dass die in dem Zeitraum Oktober 1997 bis März 1998 erbrachten Leistungen außer Betracht bleiben müssten, weil die Bewilligungsbescheide aufgehoben und die erbrachten Unterhaltsvorschüsse von der Mutter der Kläger an den Beklagten zurückerstattet worden seien. Da für die streitigen Zahlungen nach alledem kein im Unterhaltsvorschussgesetz liegender Rechtsgrund mehr bestehe, sei die Bewilligungshöchstdauer nach § 3 UVG nicht erfüllt gewesen.
Mit ihrer Revision rügt der Beklagte eine fehlerhafte Auslegung und Anwendung des § 3 UVG.
Die Kläger verteidigen das angegriffene Urteil.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten, über die das Bundesverwaltungsgericht im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist nicht begründet.
Das Oberverwaltungsgericht hat im Einklang mit dem Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) dahin erkannt, dass der Zeitraum von Oktober 1997 bis März 1998 nicht auf die nach § 3 UVG bestimmte Leistungshöchstdauer anzurechnen und der Beklagte deshalb verpflichtet ist, den Klägern die beantragten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für weitere sechs Monate nach Ablauf des 20. März 2002 in der gesetzlichen Höhe zu gewähren.
Nach § 3 UVG wird die Unterhaltsleistung längstens für insgesamt 72 Monate gezahlt. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass zur umfassenden Klärung aller mit der Anrechnung von Leistungszeiten auf die Leistungshöchstdauer verbundenen Fragen; zu beurteilen ist hier allein der Fall, dass vor Erreichen der Leistungshöchstdauer der Bescheid über die Bewilligung der Unterhaltsleistung für einen gewissen Zeitabschnitt gegenüber dem Leistungsempfänger aufgehoben worden ist und der geleistete Betrag von dem mit dem Leistungsempfänger zusammenlebenden Elternteil nach § 5 Abs. 1 UVG an den Träger der Leistung zurückerstattet worden ist. Jedenfalls in einem solchen Fall ist eine Unterhaltsleistung nicht mehr i.S.d. § 3 UVG “gezahlt”, so dass die Bewilligungsbehörde entsprechende Leistungszeiträume bei der Berechnung der Bewilligungshöchstdauer außer Betracht zu lassen hat.
Allerdings ist der Wortlaut des § 3 UVG nicht eindeutig. Der Begriff der “Unterhaltsleistung” verweist auf die Leistungsvoraussetzungen des § 1 UVG und kann so gedeutet werden, dass es nicht allein auf den tatsächlichen Zufluss der Leistungen und die dadurch bewirkte Verbesserung der finanziellen Situation der Kinder ankommt, sondern darauf, ob die gewährte Unterhaltsleistung rechtlich und wirtschaftlich als rechtmäßig gewährte Leistung nach § 1 UVG den Berechtigten auch verblieben und nicht nach § 5 Abs. 1 oder 2 UVG rückabgewickelt worden ist. Demgegenüber könnte das Tatbestandsmerkmal “gezahlt” darauf weisen, dass allein auf die Auszahlung im Verhältnis zwischen dem Träger der Leistung und dem Leistungsempfänger abzustellen und eine spätere Rückabwicklung der Leistung unerheblich ist (vgl. in diesem Sinne Helmbrecht, Unterhaltsvorschussgesetz, 5. Aufl. 2004, § 3 Anm. 2).
Nach dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes ist die erste Auslegungsmöglichkeit vorzuziehen. Ausweislich der Gesetzesmaterialien bezweckt das Unterhaltsvorschussgesetz, den Schwierigkeiten zu begegnen, “die alleinstehende Eltern und ihre Kinder haben, wenn sich ein Elternteil den Zahlungsverpflichtungen gegenüber einem unterhaltsberechtigten Kind entzieht, hierzu ganz oder teilweise nicht in der Lage ist oder ein Elternteil verstorben ist” (BTDrucks 8/1952 S. 1). Die hiermit einhergehenden finanziellen Belastungen, die dadurch entstehen, dass der mit dem Kind zusammenlebende Elternteil im Rahmen seiner eigenen Leistungsfähigkeit auch für den vom anderen Elternteil geschuldeten Unterhalt aufkommen soll, sollen durch die Einführung der Unterhaltsvorschussleistung gemildert werden (BTDrucks 8/1952 S. 6; ebenso BTDrucks 8/2774 S. 11). Die Höchstdauer der öffentlichen Unterhaltsleistung soll dabei auch die wirtschaftliche Belastung der Unterhaltsvorschusskasse begrenzen, wenn auch unabhängig von der Durchsetzung nach § 7 UVG übergegangener Ansprüche.
Die Rechtfertigung für eine Anrechnung auf die vom Gesetzgeber zur Kostenbegrenzung eingeführte Höchstdauer der öffentlichen Unterhaltsleistung entfällt aber jedenfalls dann, wenn die Behörde den im Unterhaltsvorschussgesetz liegenden Rechtsgrund mit der Aufhebung des Bewilligungsbescheides beseitigt und der Leistungsempfänger nach § 5 Abs. 2 UVG oder der Elternteil, mit dem er zusammenlebt, nach § 5 Abs. 1 UVG die auf der Grundlage des Bescheides gewährten Beträge an den Träger der Unterhaltsleistung zurückerstattet. Liegt ein solcher Fall – wie hier im Falle der Kläger – vor, können die zwar ausbezahlten, aber rückwirkend ohne Rechtsgrund erbrachten und vollständig zurückerstatteten Beträge nicht mehr als gezahlte Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz i.S.d. § 3 UVG betrachtet werden. Durch die Rückabwicklung einer erbrachten, aber nach den Leistungsvoraussetzungen des Unterhaltsvorschussgesetzes nicht zustehenden Leistung, der nach dem systematischen Zusammenhang auch die Ersatzpflicht nach § 5 Abs. 1 UVG zuzuordnen ist, bringt der bei bewirkter Rückzahlung auch wirtschaftlich wieder entlastete Träger der Unterhaltsleistung selbst zum Ausdruck, dass mangels Leistungsvoraussetzungen rechtlich der Unterstützungseffekt für den allein erziehenden Elternteil nicht hat bewirkt werden können. Dann ist es aber auch nicht mehr gerechtfertigt, die entsprechenden Zeiträume in die Berechnung der Leistungshöchstdauer des § 3 UVG einzubeziehen und den Kindern die Leistungen in Höhe der rückabgewickelten Zahlungen bei erneutem Vorliegen der Bewilligungsvoraussetzungen vorzuenthalten.
Der Senat kann offen lassen, ob bei der Berechnung der Leistungshöchstdauer nach § 3 UVG Leistungszeiten bereits dann unberücksichtigt zu bleiben haben, wenn entweder nur die Bewilligung der Unterhaltsleistung aufgehoben worden ist oder nur die Unterhaltsleistung von dem Berechtigten selbst nach § 5 Abs. 2 UVG zurückzuzahlen oder der geleistete Betrag von einem Haftenden nach § 5 Abs. 1 UVG an den Träger der Leistung zu erstatten ist, ohne dass zuvor der Bewilligungsbescheid aufgehoben wurde, und ob in Fällen bestands- oder rechtskräftig festgesetzter Ersatz- und Rückzahlungspflicht die Berücksichtigung nach § 3 UVG erst dann entfällt, wenn die festgesetzte Ersatzleistung oder Rückzahlung auch erbracht worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.
Unterschriften
Hund, Schmidt, Dr. Franke, Dr. Brunn, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen
Haufe-Index 1786251 |
VR 2007, 358 |
FuBW 2009, 160 |