Entscheidungsstichwort (Thema)
Anschluss- und Benutzungszwang. öffentliche Einrichtung. kommunale Einrichtung. Benutzungsverhältnis. privatrechtliche Ausgestaltung. öffentlich-rechtliche Ausgestaltung. privater Betreiber. Betreibermodell. Betriebsführungsmodell. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Kontrollrechte. Einwirkungsmaßstab. Versorgungssicherheit
Leitsatz (amtlich)
Die Anordnung eines kommunalrechtlichen Anschluss- und Benutzungszwanges für die Fernwärmeversorgung schließt es nicht aus, dass das Benutzungsverhältnis privatrechtlich ausgestaltet ist.
Der Anschluss- und Benutzungszwang für eine öffentliche Einrichtung, die durch eine juristische Person des Privatrechts, an der die Kommune nicht beteiligt ist, betrieben wird, ist nur dann verhältnismäßig, wenn die Kommune über hinreichende Einflussmöglichkeiten verfügt, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Normenkette
GG Art. 28 Abs. 2; S-H GO § 17 Abs. 2
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 22.10.2003; Aktenzeichen 2 KN 5/02) |
Tenor
Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. Oktober 2003 wird insoweit geändert, als es § 8 Ziffer 2 der Satzung über die Wärmeversorgung der Grundstücke im Baugebiet Ahrensburger Redder und den Anschluss an die Nahwärmeversorgungsanlagen (Anschlusssatzung) der Stadt Ahrensburg vom 28. Juni 2000 in der Fassung der 1. Nachtragssatzung vom 16. September 2002 für nichtig erklärt hat.
Insoweit wird der Antrag abgelehnt.
Im Übrigen wird die Revision mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass §§ 4 und 5 der Anschlusssatzung für unwirksam erklärt werden.
Von den Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller ein Drittel und die Antragsgegnerin zwei Drittel.
Tatbestand
I.
Die Antragsgegnerin wendet sich gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts, mit dem die §§ 4, 5 und 8 Nr. 2 ihrer Satzung über die Wärmeversorgung der Grundstücke im Baugebiet Ahrensburger Redder und den Anschluss an die Nahwärmeversorgungsanlagen (Anschlusssatzung) der Stadt Ahrensburg vom 28. Juni 2000 in der Fassung der 1. Nachtragssatzung vom 16. September 2002 für nichtig erklärt werden.
Die Revisionsbeklagten und Antragsteller wandten sich mit einem am 8. Juli 2002 eingegangenen Normenkontrollantrag gegen mehrere Vorschriften der Anschlusssatzung. Die Satzung enthält u.a. folgende Regelungen:
§ 1
Allgemeines
1. In der Stadt Ahrensburg wird zur Einschränkung der Immissionen aus Feuerungsanlagen eine Nahwärmeversorgung aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen betrieben.
2. Der Geltungsbereich der Satzung bezieht sich auf die Bebauungsplangebiete 74 und 76 – Ahrensburger Redder – …
3. Die Stadt ist berechtigt, die Durchführung der Wärmeversorgung auf eine Betreibergesellschaft zu übertragen.
4. Art und Umfang der Nahwärmeversorgungsanlagen, den Zeitpunkt ihrer Herstellung, Erweiterung und Erneuerung sowie Art und Zustand des Wärmeträgers bestimmt die Stadt.
5. …
6. …
§ 2
Anschluss- und Benutzungsrecht
1. Jede Eigentümerin und jeder Eigentümer eines im Geltungsbereich liegenden bebaubaren Grundstücks, das unmittelbar an eine Straße grenzt, in der sich eine betriebsfertige Nahwärmeleitung befindet, ist – vorbehaltlich der Einschränkung in § 3 – berechtigt zu verlangen, dass ihr/sein Grundstück an die Nahwärmeversorgung angeschlossen wird (Anschlussrecht). …
2. Nach dem betriebsfertigen Anschluss des Grundstücks an die Nahwärmeversorgung haben die Anschlussnehmerinnen und Anschlussnehmer das Recht, die benötigten Wärmemengen aus der Versorgungsanlage zu entnehmen (Benutzungsrecht).
§ 4
Anschlusszwang
1. Jede Eigentümerin und jeder Eigentümer eines Grundstückes … ist verpflichtet, ihr bzw. sein Grundstück an die Nahwärmeversorgung anzuschließen, sobald es mit einem Gebäude oder mit mehreren Gebäuden bebaut ist oder mit der Bebauung begonnen wird und auf ihm Wärmeverbrauchsanlagen betrieben werden sollen.
2. Die Stadt gibt öffentlich bekannt, welche Straßen mit betriebsfertigen Versorgungsleitungen versehen sind. Mit Ablauf eines Monats nach erfolgter öffentlicher Bekanntgabe ist der Anschlusszwang wirksam.
3. Werden an öffentlichen Straßen, die noch nicht mit Versorgungsleitungen ausgestattet sind, aber später damit versehen werden sollen, Neubauten errichtet, so sind auf Verlangen der Stadt alle Einrichtungen für den späteren Anschluss vorzubereiten. Das gleiche gilt, wenn bereits bestehende Bauten durch An- und Umbau wesentlich geändert werden sollen.
§ 5
Benutzungszwang
1. Der gesamte Wärmebedarf im Sinne von § 1 Abs. 5 ist ausschließlich aus den Nahwärmeversorgungsanlagen zu entnehmen.
2. Die Errichtung und der Betrieb von Wärmeerzeugungsanlagen für die in § 1 Abs. 5 genannten Verwendungszwecke ist nicht gestattet.
…
§ 8
Anschluss an die Nahwärmeversorgungsanlagen und Rechtsgrundlage für die Nahwärmeversorgung
1. Der Anschluss an die Nahwärmeversorgungsanlagen ist von der bzw. dem Verpflichteten bei der Stadt bzw. der von ihr eingesetzten Betreibergesellschaft zu beantragen. Bei Neubauten ist der Antrag gleichzeitig mit dem Antrag auf Baugenehmigung zu stellen.
2. Die Wärmeversorgung erfolgt auf privatrechtlicher Grundlage. Hierfür sind die jeweils gültigen Bedingungen für die Versorgung mit Wärme aus den Nahwärmeversorgungsanlagen maßgebend.
Am 28. Juni 2000 schloss die Antragsgegnerin mit der NEA Norddeutsche Energieagentur Industrie und Gewerbe GmbH (NEA) zunächst auf 15 Jahre einen Gestattungsvertrag über die Wärmeversorgung im Satzungsgebiet. Danach verpflichtete sich die NEA, der Stadt und den Erwerbern der Grundstücke im Versorgungsgebiet aufgrund der Bestimmungen des Vertrages Nahwärme mit dem Blockheizkraftwerk für Raumheizung und Warmwasserbereitung zu liefern. Die Stadt verpflichtete sich, bei der Aufstellung des Bebauungsplanes 74 die Bindung der Grundstückserwerber an den Anschluss der Nahwärmeversorgungsanlage der NEA verbindlich vorzuschreiben und insofern keine Wärme-Eigenversorgung zuzulassen. Hinsichtlich der gegenseitigen Verpflichtungen wird auf § 3 AVBFernwärmeV vom 20. Juni 1980 in der jeweils gültigen Fassung verwiesen. Nach § 8 des Vertrages darf die NEA mit Einwilligung der Stadt Nahwärmeversorgungsanlagen von Dritten errichten lassen und eigene Versorgungsanlagen Dritten für eine befristete Betriebsführung überlassen. Die Stadt kann der Übertragung widersprechen, wenn der Dritte nicht genügend Sicherheit für die Erfüllung der Vertragspflichten bietet oder wenn begründete Bedenken insbesondere gegen die technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Rechtsnachfolgers bestehen. Die NEA ist verpflichtet, die Wärmeversorgung zu den in einer Anlage zum Vertrag genannten Konditionen anzubieten.
Am 30. Oktober 2000 schloss die NEA einen Geschäftsbesorgungsvertrag mit der Wärmeversorgung Ahrensburg GmbH (WVA). Darin übertrug sie der WVA die Rechte und Pflichten des Versorgungsunternehmens aus dem Gestattungsvertrag mit der Stadt Ahrensburg.
Die Antragsteller sind Eigentümer eines im räumlichen Geltungsbereich der angegriffenen Satzung gelegenen Grundstücks. Sie bewohnen dort ein Einfamilienhaus, das inzwischen an die von der WVA betriebene Wärmeversorgung angeschlossen ist, ohne dass sie den von der WVA ihnen zugesandten Wärmelieferungsvertrag unterschrieben haben.
Zur Begründung ihres Normenkontrollantrags haben sie vorgetragen, dass ein dringendes öffentliches Bedürfnis für die Anordnung eines Anschluss- und Benutzungszwanges nicht bestehe. Eine mögliche globale Verminderung des Schadstoffausstoßes erfülle dieses Tatbestandsmerkmal des § 17 Abs. 2 GO nicht. Die Nahwärmeversorgung führe zu unzumutbaren finanziellen Belastungen. Sie würden von der privaten Betreibergesellschaft, auf die die Antragsgegnerin keinen bestimmenden Einfluss ausüben könne, zu Nutzungsentgelten herangezogen, die um bis zu 30 % über dem Preisniveau vergleichbarer Nahwärmeversorgungen lägen. Das von der Antragsgegnerin verfolgte Ziel, CO(2)-Immissionen zu senken, dürfe zu den damit für die Anwohner verbundenen Kosten nicht außer Verhältnis stehen. Darüber hinaus komme ein Anschluss- und Benutzungszwang nur in Betracht, wenn die Rechtsbeziehungen zwischen den Betroffenen und der Gemeinde beständen. Ein privatrechtlich ausgestalteter Betrieb der Einrichtung scheide deshalb aus.
Die Antragsteller haben erstinstanzlich beantragt,
§§ 4, 5, 8 Ziffer 2 und 15 Ziffer 3 der Satzung über die Wärmeversorgung der Grundstücke im Baugebiet Ahrensburger Redder und den Anschluss an die Nahwärmeversorgungsanlagen (Anschlusssatzung) der Stadt Ahrensburg vom 18. Juni 2000 in der Fassung der 1. Nachtragssatzung vom 16. September 2002 für nichtig zu erklären.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Das nach § 17 Abs. 2 GO erforderliche dringende öffentliche Bedürfnis für die Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwanges liege vor. Die Maßnahme diene der Einschränkung der Immissionen aus Feuerungsanlagen und damit der Gesundheit und dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen im Sinne des § 17 Abs. 2 GO. Der Anschluss- und Benutzungszwang sei auch notwendig, da allein eine entsprechend große Zahl von Benutzern die Anlage rentabel mache und sie anderenfalls nicht zu realisieren wäre. Die Regelungen im Gestattungsvertrag stünden nicht im Widerspruch zu den öffentlich-rechtlichen Bindungen des Anschluss- und Benutzungszwanges. Die Gemeinde sei nicht verpflichtet, eine öffentliche Aufgabe selbst zu erfüllen. Im Gestattungsvertrag sei zugleich sichergestellt, dass die Einrichtung Nahwärmeversorgung tatsächlich für diesen Versorgungszweck zur Verfügung stehe. Planungen für Bauvorhaben müsse die Betreiberin abstimmen.
Mit Urteil vom 22. Oktober 2003 hat das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht den Antrag hinsichtlich § 15 der Satzung als unzulässig abgelehnt und die §§ 4, 5 und 8 Nr. 2 für nichtig erklärt. Zu Letzterem hat es ausgeführt, dass die Voraussetzungen für einen Anschluss- und Benutzungszwang nicht vorlägen. Zwar handele es sich bei der Einrichtung um eine solche der Fernwärmeversorgung. Auch sei trotz der hier gewählten Form der funktionalen Privatisierung durch Übertragung der Durchführung der Aufgabe auf die NEA in Form eines so genannten Betreibermodells noch eine öffentliche Einrichtung im Sinne des § 17 Abs. 1 GO gegeben. Auch reiche es für die Annahme eines dringenden öffentlichen Bedürfnisses im Sinne des § 17 Abs. 2 GO aus, dass die Gemeinde mit der Anlage zum Klimaschutz beitragen wolle und dieses nur bei globaler Betrachtung unter Einbeziehung ersparter Kraftwerksleistungen an anderer Stelle zu bejahen sei. Wenn diese Voraussetzungen vorlägen, liege die Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwanges aber im satzungsgeberischen Ermessen der Gemeinde. Die Anordnung dürfe deshalb nur erfolgen, wenn die dadurch herbeigeführten Grundrechtseingriffe verhältnismäßig seien. Werde durch den Anschluss- und Benutzungszwang eine Abhängigkeit des Pflichtigen von der Einrichtung begründet, verlange der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine dauerhafte Sicherung des Benutzungsrechts. Sofern die öffentliche Einrichtung von einem Privaten betrieben werde, müsse die Gemeinde auch Vorkehrungen treffen, um einen Ausfall des privaten Betreibers zu verhindern oder bei dessen Ausfall die Versorgung aufrechterhalten zu können. Daran fehle es hier. Das gelte insbesondere für eine Insolvenz, die das Risiko der Nichtlieferung der vereinbarten Leistungen begründe. Bei einer hoheitlichen Verpflichtung zum Anschluss sei dieses Risiko nicht hinnehmbar. Die Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwanges lasse eine privatrechtliche Regelung des Benutzungsverhältnisses nicht zu. Mit der Anordnung werde kraft Gesetzes ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis zwischen der Gemeinde und dem betroffenen Bürger begründet, aus dem der Bürger zum Anschluss und zur Benutzung verpflichtet sei. Dabei sei er unter Ausschluss der privatrechtlichen Vertragsfreiheit den einseitig festgesetzten Benutzungsbedingungen unterworfen. Zudem entstünden durch das Betreibermodell zusätzliche Kosten, die die öffentliche Hand nicht hätte. Deshalb sei in der privatrechtlichen Ausgestaltung des öffentlich-rechtlich erzwungenen Benutzungsverhältnisses auch ein Verstoß gegen das Übermaßverbot zu sehen.
Gegen das Urteil hat die Antragsgegnerin die vom Senat zugelassene Revision eingelegt.
Die Antragsgegnerin rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. Oktober 2003 den Antrag der Antragsteller, die §§ 4, 5 und 8 Ziffer 2 der Satzung über die Wärmeversorgung der Grundstücke im Baugebiet Ahrensburger Redder und den Anschluss an die Nahwärmeversorgungsanlagen (Anschlusssatzung) der Stadt Ahrensburg vom 28. Juni 2000 in der Fassung der 1. Nachtragssatzung vom 16. September 2002 für nichtig zu erklären, abzulehnen.
Die Antragsteller beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren, ohne einen Antrag zu stellen. Er hegt rechtliche Bedenken gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist teilweise begründet. Soweit das Oberverwaltungsgericht § 8 Ziffer 2 der Anschlusssatzung der Antragsgegnerin für nichtig erklärt hat, verletzt es Bundesrecht (1.). Hinsichtlich der §§ 4 und 5 der Anschlusssatzung ist die Entscheidung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (2.).
1. Das Oberverwaltungsgericht hat § 8 Ziffer 2 der Anschlusssatzung für nichtig erklärt, weil die Anordnung eines Anschluss- und Benutzungszwanges eine privatrechtliche Regelung des Benutzungsverhältnisses ausschließe. Diese Rechtsauffassung verstößt gegen den bundesrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Bei der Benutzung öffentlicher Einrichtungen ist zwischen dem Anspruch auf Zugang zu der öffentlichen Einrichtung, das „Ob” der Benutzung, und der Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses, dem „Wie” der Benutzung, zu unterscheiden. Während der Anspruch auf Zulassung oder Zugang zu der öffentlichen Einrichtung einer Kommune grundsätzlich nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften der Gemeindeordnung zu bestimmen ist, kann das Benutzungsverhältnis sowohl öffentlich-rechtlich als auch privatrechtlich ausgestaltet sein. Das wird insoweit vom Oberverwaltungsgericht auch nicht in Frage gestellt. Es meint aber, wenn der Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung aufgrund eines von der Gemeinde angeordneten Anschluss- und Benutzungszwanges öffentlich-rechtlich verpflichtend ist, sei eine privatrechtliche Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses nicht mehr möglich. Diese Auffassung verkennt die der Kommune zustehende Formenwahlfreiheit hinsichtlich der Regelung der Benutzungsverhältnisse ihrer öffentlichen Einrichtungen. Sie ermöglicht eine privatrechtliche Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses – und damit z.B. auch eine privatrechtliche Entgeltregelung – immer dann, wenn diese nicht durch kommunalrechtliche Vorschriften ausdrücklich ausgeschlossen ist. Dies ist nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum irreversiblen Landesrecht nicht der Fall; auch der Begriff der öffentlichen Einrichtung im Sinne des § 17 Abs. 2 der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein schließt danach eine privatrechtliche Gestaltung nicht aus. Der generelle Ausschluss eines privatrechtlichen Benutzungsverhältnisses lässt sich entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts auch nicht aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz herleiten, dem die Eingriffe in die Grundrechte der betroffenen Einwohner durch den angeordneten Anschluss- und Benutzungszwang entsprechen müssen. Dementsprechend ist es in der Rechtsprechung weitgehend anerkannt, dass die Regelung des Benutzungsverhältnisses, insbesondere die des Entgelts für die Benutzung einer öffentlichen Einrichtung, grundsätzlich auch dann privatrechtlich erfolgen kann, wenn für die Einrichtung ein Anschluss- und Benutzungszwang besteht (vgl. u.a. BGH, DVBl 1992, 369/370 m.w.N.; OVG Lüneburg, NJW 1977, 450; Sächsisches OVG, DVBl 1997, 507; HessVGH, ESVGH 25, 59; OVG Münster, NVwZ 1987, 727; a.A. Frotscher, Die Ausgestaltung kommunaler Nutzungsverhältnisse bei Anschluss- und Benutzungszwang, 1974, S. 17; Hölzl/ Hien/Huber, BayGO u.a., Art. 21 GO Anm. 3.1). Die öffentlich-rechtliche Regelung des Zugangs zu einer öffentlichen Einrichtung kann von der Ausgestaltung der Benutzung getrennt betrachtet werden, so dass eine einschränkende Vorgabe für die Gestaltung durch die Kommune nicht erforderlich ist.
Insoweit stellt sich die angefochtene Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Die Regelung des § 8 Ziffer 2 der Anschlusssatzung, der zufolge die Nahwärmeversorgung auf privatrechtlicher Grundlage erfolgt, ist nicht zu beanstanden.
2. Im Übrigen ist die Revision unbegründet. Die Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, dass §§ 4 und 5 der Anschlusssatzung nichtig seien, verletzt Bundesrecht nicht. Die Änderung des Tenors dahingehend, dass diese Vorschriften für unwirksam (statt nichtig) erklärt werden, trägt der Änderung des Wortlauts des § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO durch das Europarechtsanpassungsgesetz Bau-EAG Bau vom 24. Juni 2004 BGBl I S. 1359 (1381) Rechnung.
a) Entgegen der Auffassung der Revision verstößt das Urteil des Oberverwaltungsgerichts nicht gegen die von der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG umfasste Organisationshoheit der Gemeinde. Zwar umfasst die zur Selbstverwaltungsgarantie gehörende Befugnis eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte auch die Organisationshoheit (vgl. BVerfGE 38, 258 ≪278 ff.≫; 52, 95 ≪117≫; 78, 331 ≪341≫; 83, 363 ≪382≫; 91, 228 ≪236≫). Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistet die eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung aber lediglich im Rahmen der Gesetze. Dementsprechend sind auch die den Gemeinden zustehenden Organisationsbefugnisse durch die Vorgaben des Gesetzgebers gebunden (BVerfGE 91, 228 ≪238≫). Die Grenzen für die Vorgaben des Gesetzgebers finden sich im Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie (BVerfGE 1, 167 ≪174 f.≫; 79, 127 ≪146≫; stRspr) und der Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 GG, den Gemeinden die Möglichkeit eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung zu garantieren (BVerfGE 79, 127 ≪147≫; BVerwG, Urteil vom 6. April 2005 – BVerwG 8 CN 1.03 –).
Der Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie ist tangiert, wenn die Vorgaben des Gesetzgebers eine eigenständige organisatorische Aufgabenerfüllung ersticken, sei es, dass die Gemeinde aus der Verantwortung verdrängt wird, sei es, dass sie keinen organisatorischen Spielraum zur Aufgabenbewältigung mehr hat. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Für die Organisationshoheit gilt – anders als für die Bestimmung der gemeindlichen Aufgaben – nicht ein Prinzip der Allzuständigkeit, nach dem die Gemeinde grundsätzlich alle Fragen ihrer Organisationshoheit selbst zu entscheiden hätte. Die prinzipielle Allzuständigkeit, von der in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG die Rede ist, bezieht sich allein auf die örtlichen Angelegenheiten und damit die sachlichen Aufgaben, nicht aber auf die Organisation der Gemeinde. Dem staatlichen Gesetzgeber kommt vielmehr eine weitgehende Befugnis zu, die Organisationsstrukturen nach seinen Vorstellungen zu regeln. Davon hat er mit den Regelungen des Kommunalrechts Gebrauch gemacht. Die Organisationshoheit ist deshalb von vornherein nur relativ gewährleistet (vgl. BVerfGE 91, 228 ≪240≫).
So ist die Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 GG auch im Vorfeld der Sicherung des Kernbereichs nicht verletzt. Die Entscheidung der Antragsgegnerin, ob sie eine Einrichtung der Fernwärmeversorgung – dass es sich trotz der Bezeichnung als Nahwärmeversorgungsanlage um eine Anlage der Fernwärmeversorgung im Sinne der Schleswig-Holsteinischen Gemeindeordnung handelt, hat das Oberverwaltungsgericht revisionsrechtlich bindend festgestellt – betreiben will und in welcher Rechtsform dies geschehen soll, gehört zu der ihr im Rahmen der Selbstverwaltung zustehenden Organisationshoheit. Bei der Ausgestaltung im Einzelnen ist sie aber an die gesetzlichen Grenzen des Kommunalrechts gebunden, zu denen auch die Voraussetzungen gehören, unter denen ein Anschluss- und Benutzungszwang für öffentliche Einrichtungen begründet werden darf. Das Selbstverwaltungsrecht der Antragsgegnerin aus Art. 28 Abs. 2 GG wird nicht dadurch verletzt, dass das Oberverwaltungsgericht die hier von ihr gewählte konkrete Ausgestaltung der Organisation ihrer Fernwärmeversorgung für unverhältnismäßig gehalten hat. Denn ihr verbleibt ein hinreichender Spielraum für von ihr zu wählenden Gestaltungsmöglichkeiten zum Betrieb einer der Fernwärmeversorgung dienenden öffentlichen Einrichtung. So kann sie nicht nur z.B. einen privaten Betreiber im Rahmen eines so genannten Betriebsführungsmodells, bei dem das Benutzungsverhältnis zwischen ihr und dem Benutzer der Einrichtung besteht, einschalten; sie kann auch, wie hier, im Rahmen eines so genannten Betreibermodells den Betrieb der Einrichtung einschließlich der Rechtsbeziehungen zum Benutzer einem privaten Unternehmen übertragen, wenn sie sich selbst entsprechend wirksame Kontroll- und Einflussmöglichkeiten vorbehält.
b) Die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts dass die hier gewählte Ausgestaltung des Betriebs der Einrichtung der Fernwärmeversorgung zu unverhältnismäßigen Grundrechtseingriffen bei den Benutzern führt, verletzt nicht den bundesrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Das Oberverwaltungsgericht ist in irrevisibler Auslegung der landesrechtlichen Vorschrift des § 17 Abs. 2 GO zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Anschluss- und Benutzungszwang nur für eine öffentliche Einrichtung angeordnet werden kann und dass es sich bei der von der WVA betriebenen Fernwärmeversorgungsanlage um eine öffentliche Einrichtung im Sinne der Schleswig-Holsteinischen Gemeindeordnung handelt. Denn für die Annahme einer öffentlichen Einrichtung komme es nur auf die Allgemeinheit des Bereitstellungszweckes an.
Aufgrund dieses sehr weit gefassten Begriffs der öffentlichen Einrichtung (enger z.B. für das sächsische Landesrecht: Sächsisches OVG, Urteil vom 3. Juni 2003 – 4 D 373/99 – NJ 2003, 613 ≪LS≫) stellt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erhöhte Anforderungen an die von der Gemeinde zu treffenden Vorkehrungen, wenn der Anschluss- und Benutzungszwang für eine solche Einrichtung angeordnet werden soll. Diese betreffen insbesondere die Gewährleistung der Versorgungssicherheit, d.h. den Schutz vor dem Ausfall oder der Beeinträchtigung der Leistung. Auch wenn bundesrechtlich grundsätzlich keine Bedenken bestehen, einen Anschluss- und Benutzungszwang für privatrechtlich ausgestaltete Benutzungsverhältnisse zu begründen (s.o.), so fordert in diesem Fall das Verbot, die Grundrechte der betroffenen Bürger übermäßig einzuschränken, dass die Versorgung, die der Bürger aus der öffentlichen Einrichtung beziehen muss, in gleichem Umfang gesichert ist, als wenn sie durch die öffentliche Hand erfolgte. Denn diese trägt die Gewähr dafür, dass die Leistung, die sich der Bürger nicht aufgrund eigener Entscheidung verschaffen darf, erbracht wird. Verhältnismäßig ist die im Anschluss- und Benutzungszwang liegende Grundrechtseinschränkung nur, wenn die Kommune die Versorgungssicherheit gewährleistet.
Die Versorgungssicherheit kann die Gemeinde nur garantieren, wenn sie im Fall eines so genannten Betreibermodells, wie es das Oberverwaltungsgericht hier festgestellt hat, trotz des Betriebs der Einrichtung durch eine juristische Person des Privatrechts, die auch die Rechtsbeziehungen zu den Benutzern unterhält, durch Einwirkungs- und Kontrollrechte hinreichend Einfluss auf den Betreiber nehmen kann. Dabei ist durch Bundesrecht nicht vorgegeben, in welcher konkreten Form diese Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten bestehen müssen. Sie können z.B. durch gesellschaftsrechtliche Beteiligungen, aber auch durch Maßnahmen der Vertragsgestaltung, wie z.B. Selbsteintritts-, Übernahme- oder Vetorechte der Gemeinde, Genehmigungs- und Abstimmungspflichten des Betreibers mit der Gemeinde bezüglich der Preisgestaltung und des Ausbaus der Anlage etc. erfolgen. Maßstab für die Einwirkungsmöglichkeiten der Gemeinde ist die Versorgung, die sie bei öffentlich-rechtlicher Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses gewähren würde. Das erfordert nicht nur Eingriffsmöglichkeiten für den Ausfall des Betreibers, z.B. durch Übernahmerechte oder vorzeitige Kündigungsrechte, sondern auch für die Sicherung der zuverlässigen Versorgung im Sinne des Satzungszwecks, was gegebenenfalls auch eine Anpassung an technische Verbesserungen zugunsten des angestrebten Immissionsschutzes notwendig machen kann.
Das ist nach den das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hier nicht der Fall. Die Regelung der Satzung über den Anschluss- und Benutzungszwang muss mit dem den Betrieb auf den privaten Betreiber übertragenden Gestattungsvertrag der Antragsgegnerin mit der NEA als Einheit gesehen werden. Danach hat die Antragsgegnerin zwar eine langfristige schuldrechtliche Verpflichtung der NEA für die Versorgung der anzuschließenden Grundstücke begründet und sich nach Ablauf des Vertrages ein Übernahmerecht einräumen lassen. Während der Laufzeit des Vertrages hat sie aber keine Einflussmöglichkeiten, sondern nur ein Informationsrecht und das Recht, dass nach Möglichkeit Planungen aufeinander abgestimmt werden. Ein durchsetzbarer Anspruch der Antragsgegnerin auf die Ausgestaltung der Wärmeversorgung ist nicht vorgesehen. Ohne entsprechende Rechte der Gemeinde ist der Anschluss- und Benutzungszwang aber unzulässig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Unterschriften
Gödel, Golze, Dr. von Heimburg, Postier, Dr. Hauser
Fundstellen
Haufe-Index 1386353 |
BVerwGE 2006, 159 |
BVerwGE |
ZAP 2005, 1004 |
VR 2006, 35 |
BTR 2006, 42 |
BayVBl. 2006, 313 |
GV/RP 2006, 441 |
Städtetag 2005, 37 |
UPR 2005, 351 |
ZNER 2005, 243 |
CuR 2005, 83 |
FuBW 2006, 124 |
FuHe 2006, 342 |
FuNds 2006, 419 |
SächsVBl. 2005, 253 |