Studie: Stilllegung von Gasnetzen für Wärmewende notwendig

Das Wirtschaftsministerium sieht den Abbau der Erdgasnetze im Zuge der Wärmewende bis 2045 vor – auch im Gebäudebereich. Die Kommunen umschiffen das Thema größtenteils noch, während Netzbetreiber schon über Kündigungen nachdenken. Das müssen Hauseigentümer wissen.

"Ziel ist es, Klimaneutralität spätestens im Jahr 2045 zu erreichen. Bis dahin muss der Ausstieg aus fossilem Erdgas vollzogen worden sein, Gasverteilernetze für die bisherige Erdgasversorgung werden dann in der derzeitigen Form und Umfang nicht mehr benötigt werden." Das schreibt das Bundeswirtschaftministerium in einem Green Paper, das jetzt auf der Webseite veröffentlicht wurde.

Dazu bedürfe es frühzeitig Antworten auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen bestehende Gasnetzanschlüsse getrennt und zurückgebaut werden dürften, heißt es da weiter – überraschende Stilllegungen für Nutzer seien zu vermeiden, angebundene Kunden bräuchten einen hinreichenden Vorlauf. Augsburg setzt das nun als erste Stadt in Deutschland um, wie das "Handelsblatt" zuerst berichtet hat: Gaskunden bekommen hier bereits Briefe, die ein Ende der Belieferung mit Erdgas in zehn Jahren ankündigen. Im zweiten Halbjahr 2023 war der Großteil der verkauften Anlagen immer noch Gasheizungen (60 Prozent), wie der Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie (BDH) berichtet.

Im Zuge der Wärmewende werden Gasverteilnetze in Zukunft weniger genutzt und zum Teil stillgelegt werden müssen, heißt es auch in einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Die Städte und Gemeinden stelle das vor erhebliche finanzielle und regulatorische Probleme. Von der kommunalen Wärmeplanung sind auch Hauseigentümer betroffen.

Studie: Stilllegung von Gasnetzen für Wärmewende notwendig

Die Kommunen gehen die (Teil-)Stilllegung der Gasnetze laut der Analyse der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt des DIW Berlin und Forschern der Europa-Universität Flensburg sowie der Technischen Universität Berlin nicht mit der eigentlich nötigen Konsequenz an. Im Fokus der Studie stand die Frage, inwiefern der Abbau der Erdgasinfrastruktur mithilfe von kommunaler Wärmeplanung und Rekommunalisierung des Gasgeschäfts, also dem Rückkauf der Netze von privaten Unternehmen, planvoller vorantreiben könnten.

In die Analyse eingeflossen sind unter anderem Erkenntnisse aus Interviews mit Vertretern der wichtigsten Interessengruppen der Wärmewende in Baden-Württemberg, das bei der Umsetzung der kommunalen Wärmeplanung Vorreiter in Deutschland ist – Kommunen mussten dort bereits Ende 2023 erstmals Wärmepläne vorlegen. Die Stilllegung von Erdgasverteilnetzen spielt aber auch dort noch keine große Rolle, wie die Analyse zeigt. Beteiligte verweisen meist darauf, dass die Entwicklung der Gasnachfrage unsicher sei und die Infrastruktur künftig womöglich für die Versorgung mit Wasserstoff gebraucht werde.

Gasverteilnetze: Akzeptanz für Finanzierung bei Mietern?

Eine Möglichkeit, mit der Wärmewende umzugehen, ist den Studienautoren zufolge der Rückkauf von Gasnetzen. Kommunen hätten so mehr Einfluss auf die Gasversorgung und könnten die Netze verkleinern. Doch mit der Rekommunalisierung allein wäre die Wärmewende noch nicht geschafft. Die Netze zu verkleinern sei bisher kaum möglich. Laut Energiewirtschaftsgesetz müssen bestehende Netze weiter betrieben werden, solange auch nur vereinzelt Haushalte an das Netz angeschlossen sind. Wenn weniger Erdgaskunden über die Netzentgelte dasselbe Gasverteilnetz wie heute finanzieren müssten, könnte laut DIW-Studie die Akzeptanz der Wärmewende leiden, zum Beispiel bei Mietern, die keinen Einfluss auf ihre Heizanlage haben.

Die Studienautoren plädieren für deutlich mehr Unterstützung des Bundes für Länder und Kommunen. Zudem müsse die allgemeine Anschlusspflicht, die das Energiewirtschaftsgesetz vorsieht, aufgehoben werden. Damit sich sowohl kommunale als auch privatwirtschaftliche Unternehmen die Stilllegung von Erdgasnetzen finanziell leisten können, müssten entsprechende Anreize geschaffen und die Regulierung angepasst werden.

DIW-Studie "Wärmewende: Bundesregierung sollte Kommunen bei der Stilllegung der Erdgasnetze unterstützen"

Wärmewende Infografik DIW

Hauseigentümer: Offene Fragen bei Wärmeversorgung

Die Umsetzung der Wärmewende werde die Kommunen deutlich mehr Geld kosten als angenommen, sagte Michael Hofmeister vom Hessischen Städtetag der Deutschen Presse-Agentur. "Der Bund hat weder die Planungsverfahren noch deren Harmonisierung noch eine Kostenabschätzung noch einen Kostenausgleichsmechanismus im Blick und im Griff".

Die kommunale Wärmeplanung soll in Großstädten ab Mitte 2026 und für die restlichen Kommunen ab Mitte 2028 vorliegen. Hauseigentümer sollen dann Klarheit haben, ob sie zum Beispiel an ein Fernwärmenetz angeschlossen werden oder ob sie sich bei einer neuen Heizung um eigene dezentrale Lösungen kümmern sollen – also etwa eine Wärmepumpe anschaffen. "Allerspätestens dann, wenn es um die Realisierung der Planung geht, muss klar sein: Mit welchen finanziellen Mitteln und unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen geschieht das?", erklärte der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD). Nach den jetzigen Bedingungen könne die Stadt nicht sagen, was tatsächlich auf sie zukomme. Und anderen Städten geht es nach seiner Einschätzung ebenso.

"Jenseits von ökologischen Überzeugungen wird den Bürger auch seine private wirtschaftliche Lage sehr interessieren. Und da braucht es Antworten." Die fehlten bislang, warnten Kaminsky und der Hessische Städtetag. Nach vorsichtigen Berechnungen ergebe sich etwa für die rund 100.000 Einwohner zählende Stadt Hanau bis zum Jahr 2040 ein Investitionsbedarf von 920 Millionen Euro, um die Wärmewende umzusetzen. Es sei völlig ausgeschlossen, das Geld allein aufzubringen. "Und die Stadtwerke können die Kosten nicht in voller Höhe auf die Kunden umlegen", wie deren Geschäftsführerin Martina Butz zu bedenken gab.

GEG: "Anschluss- und Benutzungszwang" als Hebel

Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) sieht vor, das Kommunen den Bürgern nach jeweiligem Landesrecht einen "Anschluss- und Benutzungszwang" an ein öffentliches Fernwärmenetz auferlegen können. Im Gesetzestext wird dabei ausdrücklich auf "Klima- und Ressourcenschutz" verwiesen. "Können", heißt es da, nicht "müssen". Viele Kommunen werden angesichts der immensen Investitionskosten beim Fernwärmeausbau darauf setzen, dass möglichst viele Eigentümer ihre Häuser an diese Versorgung anschließen lassen.

Laut Butz ist ein Anschluss- und Benutzungszwang ohnehin löchrig. So gebe es Ausnahmeregelungen etwa für Passivhäuser und Gebäude mit einer Wärmepumpe. Kaminsky verwies außerdem auf ein Imageproblem der Fernwärme in Teilen der öffentlichen Diskussion. "Da gibt es Kritik an der Preisgestaltung. Und auch Wörter wie Anschlusszwang oder Benutzungszwang machen die Sache nicht besser", sagte er.

Die Bürger müssten bei der Wärmewende mitgenommen werden. Dazu sind dem Hanauer Oberbürgermeister zufolge bei der Fernwärme mit Blick auf den Anschluss- und Benutzungszwang neben der Rechtssicherheit massive Anreize und Förderungen notwendig, ohne dass sich die Bürger ruinieren oder den Lebensstandard einschränken müssen. Aus ökologischen Gründen müsse man die Wärmewende so schnell wie möglich anpacken, der Bund mache es sich aber zu einfach. "Wir brauchen bei der künftigen Energiepolitik einen parteiübergreifenden Ruck im Bund und im föderalen System", forderte Kaminsky.

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Schlagworte zum Thema:  Gebäude, Heizung, Wohnimmobilien, Energieversorgung