Entscheidungsstichwort (Thema)
Herausgabe von Stasi-Unterlagen. Opferschutz. personenbezogene Informationen. Betroffener. Persönlichkeitsrecht. Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Leitsatz (amtlich)
1. Beabsichtigt die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, in Verkennung der Rechtslage Stasi-Unterlagen mit personenbezogenen Informationen an Dritte herauszugeben, so steht dem davon Betroffenen nach § 4 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1, § 5 Abs. 1 StUG ein Unterlassungsanspruch zu.
2. § 32 Abs. 1 Nr. 3 1. Spiegelstrich StUG lässt die Freigabe von Stasi-Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger in Ausübung ihres Amtes nicht zu, wenn sie Betroffene im Sinne des § 6 Abs. 3 StUG waren, wenn sie also systematisch vom Staatssicherheitsdienst ausgespäht wurden.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1; StUG § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1, §§ 5, 6 Abs. 3, 7, § 32 Abs. 1 Nr. 3, § 34; BDSG § 3 Abs. 1
Verfahrensgang
VG Berlin (Entscheidung vom 04.07.2001; Aktenzeichen 1 A 389/00) |
Tenor
Die Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (zukünftig: Bundesbeauftragte) aufgrund des Stasi-Unterlagen-Gesetzes – StUG – vom 20. Dezember 1991 befugt ist, vom Staatssicherheitsdienst gesammelte Unterlagen, die Informationen über den Kläger enthalten, für die Forschung zum Zwecke der Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit, für Zwecke der politischen Bildung und zur Verwendung durch die Medien herauszugeben.
Nach eigenen Angaben verfügt die Bundesbeauftragte über etwas mehr als 7 000 Blatt Unterlagen, die den Kläger betreffen, wovon sie ca. 2 500 Blatt für herausgabefähig hält. Sie hat im erstinstanzlichen Verfahren versichert, keine Unterlagen herausgeben zu wollen, die ausschließlich private Daten über den Kläger enthalten oder aus Mitschnitten von Telefonaten des Klägers auf Tonbändern sowie aus davon gefertigten Wortlautprotokollen bestehen. Sie hat angekündigt, die übrigen Unterlagen auf entsprechende ihr vorliegende Anträge hin zur Verfügung zu stellen. Der Kläger sieht dies als unzulässig an und beansprucht umfassenden Schutz vor Verwendung sämtlicher ihn betreffenden Informationen, die aufgrund zielgerichteter Informationserhebung oder Ausspähung durch den Staatssicherheitsdienst gesammelt wurden.
Die im Streit befindlichen Unterlagen und Informationen betreffen das Leben und Wirken des Klägers über Jahrzehnte hin bis zur Herstellung der Einheit Deutschlands; der Kläger war in dieser Zeit in verschiedenen hervorgehobenen Funktionen tätig; unter anderem war er Ministerpräsident eines Bundeslandes, Abgeordneter und Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und Bundesvorsitzender einer Partei.
Der im Dezember 2000 erhobenen vorbeugenden Unterlassungsklage des Klägers hat das Verwaltungsgericht durch das angefochtene Urteil vom 4. Juli 2001 stattgegeben und im Übrigen die Erledigung des Rechtsstreits festgestellt, soweit der Kläger zunächst auch die Unterlassung der Zugänglichmachung von Tonbändern und Mitschnitten von ihm geführter Telefongespräche und von Wortlautprotokollen solcher Telefonate begehrt hatte. Zur Begründung des Unterlassungsanspruchs hat das Verwaltungsgericht ausgeführt (vgl. NJW 2001, 2987):
Die Klage sei statthaft, denn sie richte sich gegen ein schlichtes Verwaltungshandeln der Bundesbeauftragten. Sie sei auch im Übrigen zulässig, weil sich das Klagebegehren nur auf solche Informationen beziehe, deren Zugänglichmachung die Bundesbeauftragte angekündigt habe. Sie sei in diesem Umfang auch begründet, weil die Voraussetzungen der von der Bundesbeauftragten in Anspruch genommenen Vorschriften (§ 32 Abs. 1 Nr. 3 1. Spiegelstrich StUG i.V.m. § 34 Abs. 1 StUG) für eine Herausgabe nicht vorlägen. Auf den Kläger treffe die Einschränkung zu, dass er Betroffener (oder jedenfalls Dritter) sei; deshalb sei die beabsichtigte Verwendung seiner Daten nur mit seiner Einwilligung zulässig, die nicht vorliege.
Allerdings sei nicht im Streit, dass die Beklagte die gesetzlich vorgegebene Zweckbindung – Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit durch Forschung, Bildung, Medien – einhalten wolle und der Kläger auch als eine absolute Person der Zeitgeschichte zu bewerten sei. Indessen sei der Kläger im vorliegenden Zusammenhang überwiegend als Betroffener im Sinne der für alle Vorschriften geltenden Definition in § 6 Abs. 3 StUG anzusehen, was die Verwendung der entsprechenden Daten ausschließe. Zu Unrecht fordere die Beklagte im Zusammenhang des § 32 StUG ein anderes Verständnis des Betroffenenbegriffs mit der Begründung, dass ansonsten der von ihr in Anspruch genommenen Vorschrift ein eigenständiger Anwendungsbereich nicht oder kaum mehr zukomme.
Auch der Umstand, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei Personen der Zeitgeschichte aufgrund des öffentlichen Informationsinteresses an diesen Personen grundsätzlich auf den Schutz des Kernbereichs der Privatsphäre beschränkt sei, rechtfertige die von der Bundesbeauftragten reklamierte Einschränkung nicht.
Diese Auslegung werde durch § 5 Abs. 1 Satz 1 StUG bestätigt. Während § 5 StUG insoweit die allgemeinere und grundsätzliche Vorschrift sei, sei § 32 StUG die Spezialvorschrift, die durch die Betroffenen-Einschränkung das in der allgemeinen Vorschrift enthaltene Verwendungsverbot „wieder aufgreife”.
Nach allem bestimme die in Rede stehende Vorschrift für den hier betroffenen Personenkreis in unbedenklicher Weise einen Vorrang des in § 1 StUG angelegten Opferschutzes vor dem ebenfalls in § 1 StUG angelegten Ziel der Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit; dieses Aufarbeitungsziel könne im Übrigen mit Hilfe der Zurverfügungstellung anonymisierter Unterlagen und solcher, hinsichtlich derer eine Einwilligung erteilt worden sei, verfolgt werden, und außerdem stünden Informationen über Personen zur Verfügung, die als Mitarbeiter und Begünstigte zu qualifizieren seien.
Mit der Revision, die auf Abänderung des Urteils und Klageabweisung zielt, macht die Beklagte Folgendes geltend:
Dem Kläger stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu. § 32 Abs. 1 Nr. 3 (1. Spiegelstrich) StUG sei dahin zu verstehen, dass Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über den Kläger, durch deren Herausgabe bzw. Verwendung dessen schutzwürdige Interessen, insbesondere sein Persönlichkeitsrecht nicht verletzt würden, von ihr auf – vorliegende – zulässige Anträge hin herausgegeben werden müssten. Gegenstand des Rechtsstreits seien aber nur noch Unterlagen mit solchen Informationen, die weder seine Privat- bzw. Intimsphäre beträfen, noch aus anderen Gründen geeignet seien, überwiegende schutzwürdige Interessen des Klägers zu verletzen.
Nach den Maßstäben des angefochtenen Urteils verbleibe für die Vorschrift des § 32 Abs. 1 Nr. 3 (1. Spiegelstrich) StUG kein Regelungsinhalt und damit kein Sinn, was der Gesetzgeber weder gewollt habe noch ihm unterstellt werden dürfe; der gesetzlichen Erwähnung der hervorgehobenen Personengruppe hätte es nicht bedurft, wenn man – wie es das Verwaltungsgericht tue – davon ausgehe, dass eine Herausgabe sie betreffender Informationen wegen des Betroffenen- bzw. Dritten-Einwands entweder überhaupt nicht oder ohnehin deswegen zulässig sei, weil der jeweils Betroffene zugleich Mitarbeiter oder Begünstigter im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 3 StUG sei.
Vom Verwaltungsgericht vernachlässigt bzw. übersehen worden sei, dass der tragende Gedanke des Stasi-Unterlagen-Gesetzes derjenige eines inhaltlichen Ausgleichs zwischen den Zielen der politischen, historischen und juristischen Aufarbeitung und dem gebotenen Schutz des Einzelnen vor unbefugter Verwendung seiner persönlichen Daten sei. Diesem Gedanken sei auch § 32 StUG verpflichtet, was es ausschließe, sämtliche personenbezogenen Informationen von Personen der Zeitgeschichte etc. der Aufarbeitung vorzuenthalten, soweit die Personen zugleich Betroffene oder Dritte gewesen seien. Zwar sei zuzugeben, dass durch die Gesetz gewordene Fassung, die auf einem in letzter Stunde eingebrachten Änderungsantrag (BTDrucks 12/1563) beruhe, eine zuvor beabsichtigte – im Sinne der Beklagten eindeutige – Regelung an Klarheit verloren habe, was aber keineswegs zur vom Kläger und dem Verwaltungsgericht vorgenommenen Auslegung berechtige.
Gehe man – statt der Gesetz gewordenen Fassung – von der Entwurfsfassung aus, die den vorerwähnten Ausgleichsgedanken am deutlichsten ausdrücke (§ 26 in BTDrucks 12/1540), so werde die Annahme des Gesetzes deutlich, dass es auch Personen der Zeitgeschichte etc. gebe, die nicht Betroffene oder Dritte seien. Der richtige Ansatz liege deshalb darin zu untersuchen, ob eine Verwendung einer Information überwiegende schutzwürdige Interessen von Personen der Zeitgeschichte etc. zu beeinträchtigen geeignet sei oder nicht.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und führt bestätigend und ergänzend Folgendes aus:
Durchgängig während des Gesetzgebungsverfahrens und bestätigt durch die Gesetz gewordene Fassung sei es vorrangiges Gesetzesziel gewesen, die im Streitfall allein in Rede stehende Personen-Schnittmenge zu schützen; diese Schnittmenge bestehe aus Personen, die zugleich Betroffene oder Dritte und Personen der Zeitgeschichte etc. (gewesen) seien. Die gegenteilige Auffassung finde weder in der Entstehungsgeschichte noch im Wortlaut noch im Zweck des Gesetzes eine ausreichende Stütze. Insbesondere der eindeutig dem Gesetz zugrunde liegende Gedanke des Opferschutzes lasse keine andere Auslegung zu. Denn gerade der Rechtsstaat sei zum Opferschutz verpflichtet und müsse alles tun, damit niemals wieder jemand zum Opfer rechtsstaatswidriger Bespitzelung werde oder im Nachhinein unter deren Ergebnissen leiden müsse; deshalb müssten Informationen, die der Staatssicherheitsdienst in rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechender Weise erlangt habe, womit er die Betroffenen zum Objekt seiner Tätigkeit gemacht habe, im Gegensatz zu sonstigen Unterlagen der Forschung und den Medien vorenthalten werden. Eine Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes um jeden Preis dürfe nicht Ziel des Gesetzes sein, weswegen die in der Tat stark eingeschränkten Möglichkeiten, Unterlagen über betroffene Personen der Zeitgeschichte etc. zur Verfügung zu stellen, als sachgerecht hingenommen werden müssten; im Übrigen verblieben die Möglichkeiten der Anonymisierung, der Einwilligung sowie der Zurverfügungstellung von Unterlagen, die Mitarbeiter und Begünstigte betreffen.
Der Vertreter des Bundesinteresses verteidigt ebenfalls das angefochtene Urteil; dessen Annahmen würden durch die Entstehungsgeschichte der streitigen Vorschrift eindeutig belegt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die Bundesbeauftragte dürfe die noch streitgegenständlichen Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über den Kläger aufgrund des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz) vom 20. Dezember 1991 (BGBl I S. 2272; zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Juni 1999, BGBl I S. 1334, 1336) – StUG – nicht für die Forschung, die politische Bildung oder die Verwendung durch die Medien zur Verfügung stellen, verletzt kein Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO).
1. Nicht mehr im Streit ist die fehlende Befugnis der Bundesbeauftragten, Tonbänder des Staatssicherheitsdienstes mit abgehörten Telefongesprächen des Klägers oder davon gefertigte Wortlautprotokolle Antragstellern aus Forschung, politischer Bildung und Medien zur Verfügung zu stellen. Die vom Verwaltungsgericht entsprechend dem Antrag des Klägers getroffene Feststellung, dass der Rechtsstreit insoweit durch die Erklärungen der Beklagten erledigt sei, wird mit der Revision nicht angegriffen. Darüber hinaus erfasst das Klagebegehren keine Informationen, die ausschließlich das Privatleben oder die Privatsphäre des Klägers betreffen, da auch diese Informationen aufgrund der Unterlassungserklärung der Bundesbeauftragten nicht in den Klageantrag einbezogen sind.
2. Rechtsgrundlage des hiernach noch vom Kläger geltend gemachten und vom Verwaltungsgericht anerkannten Unterlassungsanspruchs ist § 4 Abs. 1 Satz 1 StUG. Danach haben öffentliche und nicht öffentliche Stellen nur Zugang zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik und dürfen sie nur verwenden, soweit das Stasi-Unterlagen-Gesetz es erlaubt oder anordnet. Die Bundesbeauftragte bedarf mithin für die von ihr beabsichtigte Freigabe der von der Stasi gesammelten Informationen über den Kläger einer Ermächtigungsnorm.
Zwar ist in § 4 Abs. 1 Satz 1 StUG nicht ausdrücklich von einem Anspruch Betroffener oder Dritter die Rede, die nicht legitimierte Weitergabe personenbezogener Informationen zu unterlassen. Schon der in § 1 Abs. 1 Nr. 2 StUG niedergelegte Zweck des Gesetzes, den Einzelnen davor zu schützen, dass er durch den Umgang mit den vom Staatssicherheitsdienst zu seiner Person gespeicherten Informationen in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird, verbietet jedoch die Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 1 StUG im Sinne einer objektivrechtlichen Befugnisnorm ohne Anspruchscharakter. In dieselbe Richtung weist § 5 Abs. 1 Satz 1 StUG, der die Verwendung bestimmter personenbezogener Informationen zum Nachteil Betroffener und Dritter für unzulässig erklärt und damit die Absicht des Opferschutzes ebenfalls hervorhebt. Dem lässt sich nur durch die Anerkennung eines Unterlassungsanspruchs derjenigen Rechnung tragen, über die personenbezogene Informationen unerlaubterweise freigegeben werden sollen.
3. Die Bundesbeauftragte leitet ihre Befugnis zur Freigabe der noch streitigen Unterlagen aus § 32 Abs. 1 Nr. 3 1. Spiegelstrich StUG her, für die Verwendung durch Presse, Rundfunk und Film ergänzt durch § 34 StUG. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht erkannt, dass diese Bestimmungen die Freigabe nicht rechtfertigen. Sie sind zwar prinzipiell einschlägig, schließen aber für den hier zu beurteilenden Fall das Zurverfügungstellen dieser Unterlagen eindeutig aus.
a) § 32 Abs. 1 StUG regelt die Freigabe von Unterlagen für die Forschung zum Zwecke der politischen und historischen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes sowie für Zwecke der politischen Bildung. § 34 StUG erklärt diese Regelungen für die Verwendung von Unterlagen durch Medien für entsprechend anwendbar. Diese uneingeschränkte Bezugnahme bedeutet, dass auch den Medien Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes nur zu den in § 32 Abs. 1 StUG genannten Zwecken zur Verfügung gestellt werden dürfen. Auch sie müssen folglich in ihrem Antrag auf Freigabe bestimmter Unterlagen dartun und belegen, dass ihr Vorhaben die politische und historische Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes bezweckt.
Die Beklagte hat keinerlei Angaben darüber gemacht, welche Anträge auf Zurverfügungstellung der den Kläger betreffenden Unterlagen ihr vorliegen und wie diese begründet sind. Das Verwaltungsgericht hat dazu auch keine Feststellungen getroffen. Es erübrigt sich daher, hier Erörterungen darüber anzustellen, welche Prüfungspflichten der Beklagten hinsichtlich der Ernsthaftigkeit des angegebenen Vorhabens, der Eignung der herauszugebenden Informationen für die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes sowie hinsichtlich der Gewährleistung der Zweckbindung obliegen. Zugleich ist es ausgeschlossen, mit Hinweis auf die Zweckbindung die Befürchtung des Klägers zu zerstreuen, die Freigabeanträge für die seine Person betreffenden Unterlagen dienten weniger der Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit als der Durchleuchtung seiner eigenen Vergangenheit als Politiker und Mensch. Eine weitere Aufklärung ist zu diesem Punkt jedoch nicht angezeigt, da das Verwaltungsgericht die Freigabebefugnis der Beklagten zu Recht aus anderen Gründen verneint hat.
b) § 32 Abs. 1 StUG unterscheidet die Freigabe von Unterlagen, die keine personenbezogenen Informationen enthalten (Nr. 1), von Unterlagen, in denen die personenbezogenen Informationen anonymisiert sind (Nr. 2), von Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über bestimmte in drei Spiegelstrichen benannte Personengruppen (Nr. 3) sowie von Unterlagen mit anderen personenbezogenen Informationen (Nr. 4). Die Beteiligten sind darüber einig, dass hier nur eine Freigabe auf der Grundlage der Nr. 3 in Betracht kommt, weil nur Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über den Kläger im Streit sind und für eine Freigabe nach Nr. 4 jedenfalls die dafür ausdrücklich vorgeschriebene schriftliche Einwilligung der betreffenden Person, also des Klägers, fehlt. Hiervon ist auch das Verwaltungsgericht ohne nähere Erörterung ausgegangen. Der erkennende Senat sieht keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.
Zwar sind dem Senat die zur Freigabe vorgesehenen Unterlagen nicht im Einzelnen bekannt. Fest steht aber, dass sämtliche Unterlagen vom Staatssicherheitsdienst gespeicherte Einzelangaben zur Person des Klägers enthalten. Dies genügt zur Bejahung des Merkmals der personenbezogenen Informationen.
Das Stasi-Unterlagen-Gesetz definiert den an vielen Stellen verwendeten Begriff der personenbezogenen Informationen nicht. Schon vom Wortsinn her liegt aber auf der Hand, dass es sich um Informationen handeln muss, die Aussagen über eine konkrete natürliche Person enthalten. Dies wird bestätigt durch die den Gesetzeszweck wiedergebenden und damit für die Auslegung der übrigen Vorschriften besonders wichtigen Bestimmungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StUG, wo auf den Einzelnen und die zu seiner Person vom Staatssicherheitsdienst gespeicherten Informationen abgestellt wird. Es steht außer Zweifel, dass die den Gesetzeszweck im Einzelnen umsetzenden Normen mit dem Begriff der personenbezogenen Informationen eben diese in § 1 Abs. 1 StUG genannten Informationen meinen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass zumindest das Merkmal „personenbezogen” im Kontext des Datenschutzes, dem auch die hier in Rede stehenden Vorschriften des Stasi-Unterlagen-Gesetzes dienen, einen bei Erlass dieses Gesetzes bereits feststehenden und allgemein bekannten Bedeutungsgehalt hatte. § 3 Abs. 1 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) definiert personenbezogene Daten als Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. Auch wenn das Stasi-Unterlagen-Gesetz von Informationen statt von Daten spricht, drängt sich die Einsicht auf, dass wegen des identischen Merkmals der Personenbezogenheit im Wesentlichen eine inhaltliche Übereinstimmung vorliegt.
Dem Begriff der personenbezogenen Informationen speziell im Rahmen des § 32 Abs. 1 Nr. 3 StUG – möglicherweise auch noch eingeschränkt auf den 1. Spiegelstrich – eine andere (engere) Bedeutung beizulegen, verbietet sich aus systematischen Gründen. Ein für die Regelungen des Gesetzes derart zentraler Begriff bedarf einer durchgehend einheitlichen Auslegung. Dies gilt umso mehr, als selbst die Nr. 3 des § 32 Abs. 1 StUG ganz heterogene Personengruppen (Opfer und Täter) nebeneinander stellt, wobei das verbindende (und vor die Klammer gezogene) Merkmal das Vorhandensein von Unterlagen mit personenbezogenen Informationen ist. Bei einer solchen Normgestaltung ist für begriffliche Differenzierungen im Blick auf eine einzige Personengruppe kein Raum.
c) Der 1. Spiegelstrich des § 32 Abs. 1 Nr. 3 StUG nennt als Personen, zu denen Unterlagen mit personenbezogenen Informationen zweckgebunden zur Verfügung zu stellen sind, Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen sowie Amtsträger in Ausübung ihres Amtes. Es steht außer Zweifel, dass der Kläger in mehrfacher Hinsicht zu diesem Personenkreis gehört. Er war und ist eine Person der Zeitgeschichte; er war als Parteivorsitzender Inhaber politischer Funktionen und er war in vielfacher Funktion Amtsträger und ist es als Bundestagsabgeordneter auch heute noch. All dies wird von niemandem in Frage gestellt.
4.a) Gleichwohl verneint das Verwaltungsgericht zu Recht eine Veröffentlichungsbefugnis der Beklagten, weil die genannte Vorschrift die Weitergabe personenbezogener Informationen in Bezug auf den genannten Personenkreis nur zulässt, soweit sie nicht Betroffene oder Dritte sind. Wer Betroffener ist, wird in § 6 Abs. 3 StUG ausdrücklich definiert. Danach sind Betroffene Personen, zu denen der Staatssicherheitsdienst aufgrund zielgerichteter Informationserhebung oder Ausspähung einschließlich heimlicher Informationserhebung Informationen gesammelt hat. Dies gilt grundsätzlich nicht für Mitarbeiter und Begünstigte des Staatssicherheitsdienstes. Dazu stellt das Verwaltungsgericht fest, dass der Kläger systematisch Objekt zielgerichteter Informationserhebung oder Ausspähung gewesen ist und dass die zur Weitergabe vorgesehenen Unterlagen im Wesentlichen aus diesen Aktivitäten der Stasi resultieren, so dass der Kläger nach der Definition des § 6 Abs. 3 Satz 1 StUG Betroffener ist. Für etwa nicht in diese Kategorie fallende Unterlagen stuft das Verwaltungsgericht den Kläger als Dritten im Sinne des § 6 Abs. 7 StUG ein. Auch die Revision bezweifelt nicht, dass der Kläger dem Wortlaut nach unter die Definition des Betroffenen und hinsichtlich der restlichen Unterlagen unter die des Dritten fällt. Gleichwohl meint sie, die Ausschlussregelung des § 32 Abs. 1 Nr. 3 1. Spiegelstrich StUG für Personen, die Betroffene oder Dritte sind, könne keine Anwendung finden. Dem kann nicht gefolgt werden.
Die Auffassung der Beklagten ist schon vom Wortlaut der Norm her nicht nachvollziehbar. In der Auslegung der Beklagten müsste die Vorschrift lauten: Freizugeben sind Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger in Ausübung ihres Amtes, selbst wenn sie Betroffene oder Dritte sind. Dies ist das genaue Gegenteil des Gesetzeswortlauts.
Die Behauptung der Beklagten, der entsprechende Wille des Gesetzgebers ergebe sich aus dem Gesetzgebungsverfahren, ist unzutreffend; das Gegenteil ist der Fall. Es ist falsch, dass die Einschränkung zugunsten Betroffener und Dritter erst einen Tag vor dem endgültigen Gesetzesbeschluss durch einen Änderungsantrag (BTDrucks 12/1563) eingefügt worden sei, der eine ganz andere Zielrichtung verfolgt habe. Richtig ist, dass die entsprechende Regelung bereits in der Beschlussempfehlung des zuständigen Innenausschusses – wenn auch in einer satzbaumäßig etwas abgewandelten Konstellation – enthalten war (BTDrucks 12/1540 S. 35 § 26). Im einschlägigen Ausschussbericht heißt es dazu ausdrücklich, die Änderung diene dem verstärkten Schutz des Persönlichkeitsrechts der Person, über die in den Unterlagen Informationen enthalten seien (a.a.O. S. 62). Darüber hinaus hat der Ausschuss sogar in der der Beschlussempfehlung vorangestellten allgemeinen Beschreibung des Gesetzentwurfs festgehalten, die gesetzliche Regelung enthalte als Schwerpunkt die Öffnung der Unterlagen für die wissenschaftliche Forschung und politische Bildung mit Ausnahme der Daten Betroffener und Dritter (a.a.O. S. 2). Dies fällt umso mehr ins Gewicht, als der mitberatende Rechtsausschuss eine einschränkungslose Verwendung von Informationen über Personen der Zeitgeschichte außer über deren Privatsphäre zum Zwecke der Aufarbeitung und Forschung vorgeschlagen hatte (a.a.O. S. 52). Ein Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/Die Grünen, der ebenfalls auf die generelle Freigabe von „Informationen über Personen der Zeitgeschichte, außer über deren Privatsphäre” zielte (BTDrucks 12/1554 S. 2), wurde vom Plenum des Bundestages abgelehnt (Verhandlungen des DBT, 12 WP, 57. Sitzung S. 4724). Es kann hiernach nicht der geringste Zweifel bestehen, dass der Gesetzgeber die in § 32 Abs. 1 Nr. 3 1. Spiegelstrich StUG benannten Personen ganz bewusst von der Weitergabe ihrer personenbezogenen Daten freigestellt hat, wenn sie Betroffene oder Dritte waren.
Für ihre abweichende Auslegung führt die Beklagte zum einen an, anderenfalls mache die Benennung herausgehobener Personengruppen in der genannten Vorschrift keinen Sinn. Ob dies tatsächlich zutrifft, hat das Verwaltungsgericht offen gelassen und bedarf auch hier keiner weiteren Klärung. Selbst wenn dies der Fall wäre, die ausdrückliche Benennung bestimmter Personengruppen in § 32 Abs. 1 Nr. 3 1. Spiegelstrich StUG also im praktischen Ergebnis ohne Relevanz sein sollte, rechtfertigt dies nicht, eine Vorschrift im offensichtlichen Widerspruch zu ihrem eindeutigen Wortlaut und zum eindeutigen Willen des historischen Gesetzgebers auszulegen.
Schließlich macht die Beklagte geltend, ohne die von ihr vertretene Auslegung lasse sich der in § 1 Abs. 1 Nr. 3 StUG niedergelegte Gesetzeszweck nicht verwirklichen, die historische, politische und juristische Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes zu gewährleisten und zu fördern. Auch dies überzeugt nicht. Die Unterlagen mit personenbezogenen Daten über die in § 32 Abs. 1 Nr. 3 1. Spiegelstrich StUG genannten Personen stellen nur einen Ausschnitt aus dem Katalog der insgesamt in § 32 Abs. 1 StUG aufgeführten und für eine Freigabe zur Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit in Betracht kommenden Unterlagen dar. Es ist nicht zu erwarten und auch von der Beklagten nicht dargetan, dass gerade mit der Freigabe der personenbezogenen Informationen über die im 1. Spiegelstrich der Nr. 3 genannten Personengruppen der Aufarbeitungszweck des Stasi-Unterlagen-Gesetzes insgesamt steht oder fällt. Dies gilt umso mehr, als selbst nach dem jetzigen Standpunkt der Bundesbeauftragten wesentliche Teile dieser Informationen in Anwendung der am Ende des § 32 Abs. 1 Nr. 3 StUG stehenden Abwägungsklausel in jedem Fall von einer Freigabe auszunehmen wären. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass § 1 Abs. 1 StUG mehrere nicht ohne weiteres kongruente Gesetzeszwecke nebeneinander aufzählt. Entscheidet sich der Gesetzgeber dafür, in einem bestimmten Regelungsbereich einem dieser Gesetzeszwecke eindeutig den Vorrang einzuräumen, so ist dies von den Gerichten zu respektieren.
b) Fehl geht auch der Versuch, den Status des Klägers als Betroffener deshalb zu verneinen, weil sich die Ausspähungsmaßnahmen des Staatssicherheitsdienstes im Wesentlichen gegen ihn als Verfassungsorgan, beispielsweise als Bundeskanzler, gerichtet hätten; das Handeln der Inhaber solcher Ämter ist nach dieser Auffassung Handeln der Körperschaft und rechtlich nicht solches der jeweiligen Amtsinhaber (vgl. Arndt NJW 2001, 2948, 2949); gleiches gelte für die Ausspähung in der Funktion als Parteivorsitzender (vgl. Arndt a.a.O. S. 2950). Damit werden zu Unrecht Zurechnungskategorien, die in gänzlich anderen Zusammenhängen wie etwa dem der Staatshaftung (Art. 34 GG) entwickelt worden sind, in den Bereich des Opferschutzes übertragen. Dabei fehlt hinsichtlich der Tätigkeit des Parteivorsitzenden ohnehin jeder Anknüpfungspunkt, denn eine generelle Zuordnung seines Handelns zu der von ihm vertretenen Institution findet rechtlich auch im Übrigen nicht statt. Selbst ein Amtsträger in Ausübung seines Amtes kann aber gegenüber rechtswidrigen Ausspähungsmaßnahmen und der Preisgabe der dadurch gewonnenen Informationen nicht ausschließlich als Teil der Institution ohne eigene persönliche Betroffenheit angesehen werden. Derartige – richtige und erst recht manipulierte – Informationen können für einen Politiker in einem demokratischen Staat existenzvernichtende Folgen mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die Privatsphäre haben. Schon das verbietet im Bereich des vom Gesetz erstrebten Opferschutzes eine ausschließliche Zuordnung der über einen Amtsträger gesammelten Informationen zu dem Amt ohne Rücksicht auf die das Amt wahrnehmende Person. Es kommt hinzu, dass bei herausgehobenen Amtsträgern die amtliche und die parteipolitische Funktion in engster Verbindung zueinander stehen, so dass eine trennscharfe Unterscheidung, in welcher Funktion etwa eine abgehörte Äußerung getan worden ist, häufig kaum möglich ist.
5. Hiernach verbietet das Stasi-Unterlagen-Gesetz der Bundesbeauftragten die angekündigte Freigabe der Stasi-Unterlagen mit personenbezogenen Daten des Klägers. Es bedarf daher keiner abschließenden Klärung der von den Beteiligten im Prozess kontrovers erörterten Frage, ob die von der Beklagten vertretene Auslegung dieses Gesetzes mit dem Grundgesetz, insbesondere mit dem durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art. 1 GG gewährleisteten Recht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar wäre. Der Senat beschränkt sich daher – auch im Hinblick auf die von der Bundesbeauftragten öffentlich erhobene Forderung, im Falle ihres Unterliegens das Stasi-Unterlagen-Gesetz entsprechend ihren Vorstellungen zu ändern – auf folgende Hinweise: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG in der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung umfasst die Befugnis jedes Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. März 1988 – 1 BvL 49.86 – BVerfGE 78, 77, 84). Zwar muss der Einzelne Einschränkungen dieses Rechts im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen. Solche Beschränkungen bedürfen aber nach Art. 2 Abs. 1 GG einer gesetzlichen Grundlage und müssen dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit genügen. Dieses verlangt, dass eine Grundrechtsbeschränkung von hinreichenden Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt wird, das gewählte Mittel zur Erreichung des Zwecks geeignet und erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist (vgl. BVerfGE a.a.O. S. 85). Inwieweit sich in diesem Rahmen die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum eingeschränkten Persönlichkeitsschutz von Personen der Zeitgeschichte und von Amtsträgern in Ausübung ihres Amtes auf den hier in Rede stehenden Regelungskomplex übertragen lassen, bedarf zumindest sorgfältiger Prüfung. Die genannte Rechtsprechung betrifft das Spannungsverhältnis zwischen dem Persönlichkeitsschutz des Einzelnen und dem Recht der Presse, sich Informationen über die Allgemeinheit interessierende Tatsachen zu beschaffen und diese an die Allgemeinheit weiterzugeben. Hier geht es dagegen um die Frage, ob der Staat rechtsstaatswidrig erworbene Informationen, auf die er allein Zugriff hat, ohne Zustimmung des Betroffenen an Dritte weitergeben darf. Es kommt hinzu, dass das Stasi-Unterlagen-Gesetz zumindest bislang kaum ein funktionsfähiges Instrumentarium erkennen lässt, mit dem die strikte Zweckbindung zur Verfügung gestellter personenbezogener Daten für die Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit gewährleistet werden könnte. Vor allem bei der Überlassung solcher Informationen an die Medien ist kaum zu verhindern, dass sich deren Interesse weniger auf die ausspähende Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes als auf die durch diese Ausspähung gewonnenen Erkenntnisse richtet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel, Dr. Brunn
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 08.03.2002 durch Dallügge Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BVerwGE, 104 |
NVwZ 2002, 448 |
VIZ 2002, 336 |
AfP 2002, 263 |
DÖV 2002, 739 |
JZ 2002, 994 |
LKV 2002, 371 |
NJ 2002, 382 |
VR 2003, 176 |
DVBl. 2002, 782 |
NPA 2003, 0 |