Entscheidungsstichwort (Thema)
Windkraftanlage. Windfarm. Windenergie. Naturschutz. Landschaftspflege. Landschaftsbild. Verunstaltung. Eingriffsregelung. Abwägung. nachvollziehende. Fortsetzungsfeststellungsantrag. Streitwert. Baugenehmigung
Leitsatz (amtlich)
Die bauplanungsrechtlichen und die naturschutzrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen für Vorhaben im Außenbereich haben einen eigenständigen Charakter und sind unabhängig voneinander zu prüfen.
Im Falle eines privilegierten Außenbereichsvorhabens (§ 35 Abs. 1 BauGB) unterliegt die Frage, ob dem Vorhaben nach § 35 Abs. 1 BauGB öffentliche Gründe entgegenstehen, und die naturschutzrechtliche Entscheidung nach § 8 Abs. 3 BNatSchG in Verbindung mit den entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen, der vollen gerichtlichen Kontrolle.
Normenkette
BauGB: § 35 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3 S. 1 Nr. 5; BNatSchG: §§ 8, 8a Abs. 2 S. 2; NatSchG BW: §§ 10-11; BImSchG: § 13; 4. BImSchV; VwGO: § 113 Abs. 1 S. 4, Abs. 5; GKG § 13
Verfahrensgang
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 20. April 2000 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Revisionsverfahren sind nicht erstattungsfähig.
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet gewesen sei, einen Bauvorbescheid für vier Windkraftanlagen zu erteilen.
Unter Änderung eines früheren Antrages beantragte die Klägerin am 6. August 1997 einen Bauvorbescheid für die Errichtung von vier Windkraftanlagen der Leistungsklasse 600 kW mit 63 m Nabenhöhe und 44 m Rotordurchmesser im Gebiet der beigeladenen Stadt. Der Standort der geplanten Windkraftanlagen befindet sich im Außenbereich auf der Hochfläche der etwa 740 m über N.N. gelegenen Lützelalb. Das Grundstück wird landwirtschaftlich genutzt; es steht weder unter Landschafts- noch unter Naturschutz. Die Hochfläche bietet einen guten Fernblick und ist dementsprechend auch von weither wahrnehmbar.
Die beigeladene Stadt erteilte ihr Einvernehmen mit dem Vorhaben unter der Bedingung, dass die Anlagen von keinem Haus der Tallage des Stadtteils Weißenstein aus sichtbar seien und die Lärmbelästigung nicht mehr als 37 dB(A) betrage.
Auf Grund einer naturschutzrechtlichen Weisung des Regierungspräsidiums Stuttgart lehnte das Landratsamt Göppingen die Bauvoranfrage mit Bescheid vom 23. Juni 1998 ab. Das gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB privilegierte Vorhaben sei geeignet, das Landschaftsbild und den Erholungswert der Landschaft erheblich zu beeinträchtigen. Ihm ständen öffentliche Belange nach § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB entgegen; die natürliche Eigenart der Landschaft und ihr Erholungswert werde beeinträchtigt und das Landschaftsbild verunstaltet. Das Vorhaben könne auch nicht nach § 11 Abs. 3 Satz 1 NatSchG BW zugelassen werden, weil öffentliche Belange dies nicht erforderten.
Der nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Es hat den Bescheid vom 23. Juni 1998 und den Widerspruchsbescheid aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, über die Bauvoranfrage unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die ausdrückliche Einbeziehung der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege in § 35 Abs. 3 BauGB habe zur Folge, dass im Rahmen der nach § 35 Abs. 1 BauGB erforderlichen Abwägung ein Vorhaben nicht zugelassen werden könne, wenn es im Hinblick auf die Vorschriften des Naturschutzrechts unzulässig sei. Bei der Abwägung nach § 8 Abs. 3 BNatSchG/§ 11 Abs. 3 Satz 1 NatSchG BW habe der Beklagte die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu Unrecht als im Rang vorgehend eingestuft. Er habe ferner außer Acht gelassen, dass bei Standorten außerhalb von Schutzgebieten bei ästhetischen Beeinträchtigungen der Landschaft durch ein Vorhaben eine Verunstaltung eintreten müsse, um die Privilegierung einer Anlage nach § 35 Abs. 1 BauGB überwinden zu können; daran fehle es hier.
Auf die Berufung des beklagten Landes hat das Berufungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen (VGH Mannheim, Urteil vom 20. April 2000 – 8 S 318/00 – NVwZ 2000, 1063 – ZtBR 2001, 212). Die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine erneute Entscheidung über ihre Bauvoranfrage, weil deren Ablehnung rechtmäßig sei und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletze. Zwar sei der von der Klägerin geplante Windpark gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB im Außenbereich bevorrechtigt zulässig. Er könne aber gleichwohl nicht zugelassen werden, weil ihm die in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB aufgeführten Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege entgegenständen. Gemäß § 8 a Abs. 2 Satz 2 BNatSchG bleibe für Außenbereichsvorhaben die Geltung der Vorschriften über die Eingriffsregelung unberührt. Bei der hier nach § 8 Abs. 1 BNatSchG in Verbindung mit §§ 10, 11 NatSchG BW zu beurteilenden Eingriffslage bestimme sich die Maßgeblichkeit dieser Belange im Streitfall nach § 8 Abs. 3 BNatSchG in Verbindung mit § 11 Abs. 3 Satz 1 NatSchG BW. Nach den letztgenannten Vorschriften sei eine spezifisch naturschutzrechtliche Abwägung vorzunehmen, die nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle zugänglich sei. Die Abwägung des beklagten Landes sei nicht zu beanstanden. Da bereits die Anwendung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung zur bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit des Vorhabens führe, bedürfe es nicht der Feststellung, ob auch eine Verunstaltung des Landschaftsbildes vorliege.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, das Berufungsurteil sei nicht mit § 35 BauGB vereinbar. Die Klägerin hat zunächst ihr auf die Erteilung eines Bauvorbescheids für vier Windkraftanlagen gerichtetes Begehren weiterverfolgt. Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27. Juli 2001 (BGBl I, S. 1950) hat die Klägerin ihren Antrag umgestellt. Sie beantragt nunmehr, das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 20. April 2000 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 30. September 1999 mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass festgestellt wird, dass der Beklagte verpflichtet war, den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen.
Der Beklagte und die beigeladene Stadt treten der Revision entgegen. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren; er stimmt dem Berufungsurteil im Ergebnis zu.
Entscheidungsgründe
II.
A. Die Revision ist auch mit den im Revisionsverfahren gestellten Feststellungsantrag zulässig.
Der Übergang vom vorinstanzlichen Bescheidungsantrag zum Fortsetzungsfeststellungsantrag ist gemäß §§ 173 VwGO, 264 Nr. 3 ZPO in Verbindung mit § 113 Abs. 1 Satz 4, Abs. 5 VwGO zulässig. Eine Klageänderung im Sinne des § 142 VwGO liegt nicht vor. Ein erledigendes Ereignis besteht. Es liegt in der Änderung des Genehmigungsverfahrens und beruht auf dem Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27. Juli 2001 (BGBl I, S. 1950). Das beabsichtigte Vorhaben bedarf nunmehr einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, welche nach § 13 BImSchG die bauordnungsrechtliche Genehmigung und die Prüfung bauplanungsrechtlicher Zulässigkeit des Vorhabens einschließt. Das schließt den Erlass eines bauordnungsrechtlichen Vorbescheids aus. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit des beabsichtigten Vorhabens folgt aus § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit der Anlage Nr. 1.6 Spalte 2 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen – 4. BImSchV – vom 14. März 1997 (BGBl I, S. 504) in der Fassung des Art. 4 des vorgenannten Gesetzes vom 27. Juli 2001.
Für den Fortsetzungsfeststellungsantrag besteht auch ein Feststellungsinteresse. Die Klägerin beabsichtigt, nunmehr eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die vier Windkraftanlagen zu beantragen. Innerhalb dieses Genehmigungsverfahrens ist gemäß § 13 BImSchG auch die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens zu prüfen. Da sich insoweit die Rechtslage durch das Gesetz vom 27. Juli 2001 nicht geändert hat und auch sonst Änderungen der Sach- und Rechtslage nicht ersichtlich sind, wird es entscheidend auf dieselben planungs- und naturschutzrechtlichen Fragen ankommen, um die es schon im Verfahren wegen der Erteilung eines Bauvorbescheids ging. Eine für die Klägerin günstige Feststellung würde den Beklagten gemäß § 121 VwGO binden und dazu führen, dass der Klägerin – bei weiterhin unveränderter Sach- und Rechtslage – die immissionsschutzrechtliche Genehmigung aus Gründen des Bauplanungs- und Naturschutzrechts nicht verweigert werden könnte.
B. Die Revision ist mit dem nunmehr gestellten Klageantrag auch begründet. Das Berufungsurteil verletzt revisibles Recht. Es verkennt das Verhältnis zwischen den planungsrechtlichen und den naturschutzrechtlichen Voraussetzungen für die Zulassung eines Außenbereichsvorhabens nach § 35 BauGB (1.). Ferner hält es zu Unrecht die planungsrechtliche Abwägungsentscheidung nach § 35 Abs. 1 und 3 BauGB und die naturschutzrechtliche Abwägungsentscheidung nach § 8 Abs. 3 BNatSchG, § 11 Abs. 3 Satz 1 NatSchG BW für nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar (2.). Eine abschließende Entscheidung erfordert eine erneute tatrichterliche Würdigung. Das macht eine Zurückverweisung an das Berufungsgericht erforderlich (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der vier Windkraftanlagen nach § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB richtet. Es handelt sich um Anlagen, die der Nutzung der Windenergie dienen und im Außenbereich bevorrechtigt zulässig sind.
Sie wären gleichwohl unzulässig, wenn ihnen öffentliche Belange entgegenstehen würden. Nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts ist dies der Fall. Es hat angenommen, dass den Windkraftanlagen der Klägerin die in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB aufgeführten Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege entgegenstehen. Zur Begründung hat das Berufungsgericht auf das Ergebnis der behördlichen Abwägung im Rahmen der – wegen des Eingriffscharakters des Vorhabens hier anzuwendenden – naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 NatSchG BW zurückgegriffen. Gemäß § 8 a Abs. 2 Satz 2 BNatSchG bleibe nämlich für Vorhaben im Außenbereich die Geltung der Vorschriften über die Eingriffsregelung unberührt. Um Widersprüchlichkeiten bei der Anwendung der §§ 8 Abs. 3 BNatSchG, 11 Abs. 3 Satz 1 NatSchG BW einerseits und § 35 Abs. 1 und 3 BauGB andererseits zu verhindern, müsse das Ergebnis der behördlichen Abwägung im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung auch für die nachvollziehende Abwägung bei der Subsumtion unter die Rechtsbegriffe des § 35 Abs. 1 und 3 BauGB verbindlich sein. Die ablehnende Entscheidung des beklagten Landes nach § 11 Abs. 3 Satz 1 NatSchG BW i.V.m. § 8 Abs. 3 BNatSchG halte der gerichtlichen Überprüfung stand.
Dem ist nicht zu folgen. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, das Ergebnis der naturschutzrechtlichen Abwägung könne für die Abwägung innerhalb des § 35 Abs. 1 BauGB übernommen werden, ist mit Bundesrecht nicht vereinbar. Sie verkennt den jeweils eigenständigen Charakter der bauplanungsrechtlichen und der naturschutzrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Außenbereichvorhabens.
Nach § 8 a Abs. 2 Satz 2 BNatSchG, der gemäß § 4 Satz 3 BNatSchG unmittelbar geltendes Bundesrecht ist, bleibt für Vorhaben im Außenbereich nach § 35 BauGB die Geltung der Vorschriften über die Eingriffsregelung unberührt. Das bedeutet, dass bei einem Vorhaben im Außenbereich sowohl eine bauplanungsrechtliche Prüfung am Maßstab des § 35 BauGB als auch eine naturschutzrechtliche Prüfung am Maßstab der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung zu erfolgen hat. Ob das Vorhaben planungsrechtlich zulässig ist, richtet sich nicht nach seiner naturschutzrechtlichen Zulässigkeit. Vielmehr stehen die Anforderungen des § 35 BauGB, auch soweit sie „naturschutzbezogen” im Sinne von Absatz 3 Nr. 5 sind, unabhängig neben den Anforderungen des Naturschutzrechts.
Das gilt auch für gemäß § 35 Abs. 1 BauGB privilegierte Vorhaben. Diese sind dem Außenbereich vom Gesetzgeber im Grundsatz „planähnlich” zugewiesen (BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 1967 – 4 C 86.66 – BVerwGE 28, 148 ≪151≫). Sie sind gleichwohl nicht zulässig, wenn ihnen die in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beispielhaft genannten öffentlichen Belange entgegenstehen. Ob dies der Fall ist, hat die Behörde innerhalb einer die gesetzliche Wertung für den konkreten Einzelfall nachvollziehenden Abwägung zu ermitteln. Ein Ermessensspielraum steht ihr dabei nicht zu. Diese „nachvollziehende” Abwägung ist gerichtlich uneingeschränkt überprüfbar (stRspr, vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2001 – 4 C 4.00 – DVBl 2001, 1855).
Demgegenüber gebietet die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung zunächst, vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu vermeiden und unvermeidbare Beeinträchtigungen nach Möglichkeit auszugleichen (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG). Schon dies macht die Eigenständigkeit der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung deutlich. Erst wenn – wie im vorliegenden Fall – ein Eingriff in Natur und Landschaft unvermeidbar und nicht ausgleichbar ist, muss gemäß § 8 Abs. 3 BNatSchG bzw. nach den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften ebenfalls eine Abwägung vorgenommen werden. Ob das Ergebnis dieser Abwägung grundsätzlich mit dem Ergebnis der Abwägung nach § 35 Abs. 1 BauGB identisch ist (so Louis, UPR 1995, 290 ≪295≫ und Kom. zum BNatSchG, 2. Aufl. 2000, § 8 Rn. 75), kann offen bleiben. Die Frage wäre zumindest dann zu verneinen, wenn man mit der vorherrschenden Auffassung (vgl. z.B. Louis, BNatSchG, § 8 Rn. 217; Kolodziejcok/Recken, BNatSchG, § 8 Rn. 35 und 92) annehmen wollte, dass die Länder gemäß § 8 Abs. 9 BNatSchG über die rahmenrechtlichen Mindestanforderungen des § 8 Abs. 3 BNatSchG hinaus die Untersagung von Eingriffen erleichtern können und dies in einem Bundesland auch geschehen ist. Denn die Auslegung der bundesrechtlichen Norm des § 35 Abs. 1 BauGB kann nicht von der möglicherweise unterschiedlichen Umsetzung des naturschutzrechtlichen Rahmenrechts durch die Länder abhängen. Aber auch wenn die naturschutzrechtliche Abwägung regelmäßig zu demselben Ergebnis wie die planungsrechtliche Abwägung gemäß § 35 Abs. 1 BauGB kommen sollte, so sind die planungsrechtliche und die naturschutzrechtliche Prüfung doch zu trennen und jeweils unabhängig voneinander durchzuführen. Vom Zweck des Naturschutzrechts her, Natur und Landschaft zu schützen, ist es denkbar, dass ein im Außenbereich privilegiertes Vorhaben zwar die Hürde des § 35 Abs. 1 BauGB nimmt und gleichwohl an der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung scheitert oder zumindest nur mit Auflagen genehmigungsfähig ist (vgl. Gaentzsch, NuR 1986, 89 ≪94≫; Gassner, BNatSchG, 1996, § 8 a Rn. 48).
2. Dem Berufungsgericht ist infolge der mangelnden Trennung zwischen planungsrechtlicher und naturschutzrechtlicher Prüfung ein weiterer Bundesrechtsverstoß unterlaufen. Zu Unrecht hält es nämlich die planungsrechtliche Abwägungsentscheidung nach § 35 Abs. 1 BauGB und die naturschutzrechtliche Abwägungsentscheidung nach § 8 Abs. 3 BNatSchG, § 11 Abs. 3 Satz 1 NatSchG BW für nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Beide Entscheidungen unterliegen vielmehr der vollen gerichtlichen Kontrolle.
Das Berufungsgericht hat im Rahmen seiner bauplanungsrechtlichen Überprüfung erörtert, ob die Windkraftanlagen mit der Eingriffsregelung der §§ 10 und 11 NatSchG BW vereinbar seien. Es führt aus, die Errichtung des streitigen Windparks mit vier Windkraftanlagen auf einer Hochfläche im Außenbereich stelle einen Eingriff in Natur und Landschaft im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 2 NatSchG BW dar, der weder vermeidbar (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 NatSchG BW) noch ausgleichbar (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 NatSchG BW) sei. Die Revision nimmt dies – zu Recht – hin. Das Berufungsgericht billigt ferner die Rechtsauffassung des Beklagten, dass dieser Eingriff auch nicht nach § 11 Abs. 3 Satz 1 NatSchG BW zugelassen werden könne. Nach dieser Vorschrift kann ein unvermeidbarer und nicht ausgleichbarer Eingriff zugelassen werden, wenn überwiegende öffentliche Belange, insbesondere Zielsetzungen der Raumordnung und Landesplanung, dies erfordern. Das Berufungsgericht versteht diese Bestimmung unter Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden Senats vom 27. September 1990 – BVerwG 4 C 44.87 – BVerwGE 85, 348 (362) dahin, dass die Behörde hierbei eine Abwägungsentscheidung zu treffen habe, die nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle zugänglich sei. Derselbe Kontrollmaßstab müsse im Ergebnis auch für die – sonst an sich uneingeschränkt überprüfbare – „nachvollziehende” Abwägung gemäß § 35 BauGB gelten, weil nur auf diese Weise die gebotene Harmonisierung bei der Auslegung und Anwendung der beiden Abwägungsklauseln erreicht werde. Ausgehend von diesem Prüfungsmaßstab seien Abwägungsfehler nicht ersichtlich.
Auch diese Rechtsansicht verkennt das Verhältnis zwischen planungsrechtlichen und naturschutzrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen in § 35 BauGB. Die darin liegende Rechtsverletzung betrifft nicht nur die bundesrechtliche Vorschrift des § 35 BauGB, sondern auch die landesrechtliche und damit grundsätzlich irrevisible Eingriffsregelung der §§ 10 und 11 NatSchG BW. Gleichwohl ist insoweit ebenfalls ein Bundesrechtsverstoß gegeben. Denn bei der Auslegung der genannten Vorschriften war das Berufungsgericht an die rahmenrechtliche Vorschrift des § 8 Abs. 3 BNatSchG gebunden (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 1990 – BVerwG 4 C 44.87 – a.a.O., S. 356; Urteil vom 31. August 2000 – BVerwG 4 CN 6.99 – Buchholz 406.12 § 17 BauNVO Nr. 9 = NVwZ 2001, 560). Mit dieser Bestimmung ist die Auslegung durch das Berufungsgericht nicht vereinbar.
Bereits dem grundlegenden Ansatz des Berufungsgerichts, den Maßstab für die gerichtliche Überprüfung der planungsrechtlichen Abwägungsentscheidung nach § 35 Abs. 1 BauGB nach dem Maßstab für die gerichtliche Kontrolle der naturschutzrechtlichen Abwägungsentscheidung zu bestimmen, kann nicht gefolgt werden. Das Verhältnis zwischen den beiden Regelungen ist vielmehr umgekehrt. Die bauplanungsrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen mit ihrer „nachvollziehenden” und uneingeschränkt gerichtlich überprüfbaren Abwägung geben den Rahmen vor, der für die Rechtsnatur und die daraus folgende gerichtliche Überprüfbarkeit der naturschutzrechtlichen Abwägungsentscheidung maßgebend ist. Das ergibt sich aus dem insoweit akzessorischen Charakter der Eingriffsregelung. Ist die in Rede stehende Zulassungsentscheidung nach dem jeweiligen Fachgesetz eine gesetzlich gebundene Entscheidung, bei der der Behörde keine vom Gericht zu respektierenden Abwägungs- oder Ermessensspielräume eingeräumt sind, so vermag der Umstand, dass durch die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung eine weitere Zulassungsvoraussetzung hinzutritt, den Rechtscharakter dieser Entscheidung nicht zu verändern. Auch der mit der Eingriffsregelung verfolgte Zweck, die in § 8 Abs. 1 BNatSchG genannten Beeinträchtigungen nur unter zusätzlichen, im Fachrecht nicht enthaltenen Voraussetzungen zu ermöglichen, erfordert eine derartige Modifizierung der zugrunde liegenden Zulassungsentscheidung nicht. Die von § 8 Abs. 3 BNatSchG vorgeschriebene Abwägung vollzieht sich deshalb in den Fällen einer gesetzlich gebundenen Zulassungsentscheidung wie bei § 35 BauGB ebenfalls in gesetzlicher Bindung und ist deshalb von den Gerichten uneingeschränkt zu überprüfen (in diesem Sinne auch Gassner, BNatSchG, 1996, § 8 Rn. 15).
Aus dem eben Gesagten folgt, dass sich das Berufungsgericht für seine Ansicht nicht auf das Urteil des erkennenden Senats vom 27. September 1990 – BVerwG 4 C 44.87 – a.a.O., S. 362 berufen kann. Denn diese Entscheidung ist zur naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung im Rahmen eines Verfahrens wegen einer (wasserrechtlichen) Planfeststellung ergangen. Auch der Beschluss des Senats vom 22. Mai 1995 – BVerwG 4 B 30.95 – (Buchholz 406.401 § 8 BNatSchG Nr. 16 = NVwZ – RR 1997, 217) betraf ein Vorhaben der Fachplanung. Kennzeichnend für die planerische Abwägung ist die Ergebnisoffenheit; bei ihr besteht ein planerischer Gestaltungsraum. Aus der Möglichkeit, mehrere rechtlich zulässige Entscheidungen zu treffen, folgt die Annahme eines nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbaren Abwägungsspielraums. In seinem Urteil vom 27. September 1990 (a.a.O.) hat der Senat die behördliche Befugnis zu einer derartigen „echten” Abwägung auch auf die spezifisch naturschutzrechtliche Abwägung auf der Grundlage einer fachplanerischen Entscheidung erstreckt. Ob daran innerhalb der Fachplanung festzuhalten ist kann hier offen bleiben.
3. Das Berufungsurteil beruht auf der fehlerhaften Anwendung von § 35 Abs. 1 BauGB bei der Abwägung im Hinblick auf die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege und auf der unzureichenden Prüfung der Eingriffsregelung. Zwar führt das Berufungsgericht zusätzlich aus, die Behörde habe auch angenommen, dass das privilegierte Vorhaben das Landschaftsbild verunstalte; diese Annahme habe der Augenschein des Berufungsgerichts nachhaltig bestätigt. In Übereinstimmung mit den Verfahrensbeteiligten versteht der Senat diese Ausführungen im Berufungsurteil jedoch nicht in dem Sinne, dass die streitigen Windkraftanlagen auch wegen einer Verunstaltung des Landschaftsbildes planungsrechtlich unzulässig seien. In dem Urteil heißt es nämlich ausdrücklich, es bedürfe nicht der Feststellung, ob über eine erhebliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes hinaus auch eine Verunstaltung vorliege, weil bereits die Anwendung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung zur bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit des Vorhabens führe. Mit dem Satz, der Augenschein des Senats habe die Annahme der Behörde, dass das Vorhaben das Landschaftsbild verunstalte, bestätigt, dürfte nur gemeint sein, dass nach Ansicht des Berufungsgerichts die Behörde bei ihrer Abwägung von zutreffenden tatsächlichen Grundlagen ausgegangen sei. Dass das Berufungsgericht eine eigene „nachvollziehende” Abwägung der gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB im Außenbereich privilegiert zulässigen Windkraftanlagen der Klägerin und des hier konkret betroffenen Landschaftsbildes vorgenommen hat, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen.
4. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Ob die geplanten Windkraftanlagen gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB im Zeitpunkt des „erledigenden Ereignisses” zulässig waren, kann das Revisionsgericht auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil nicht abschließend beurteilen. Vielmehr bedarf es der tatrichterlichen Würdigung, ob öffentliche Belange der Zulassung dieses grundsätzlich dem Außenbereich zugewiesenen Vorhabens entgegenstanden, weil Belange des Naturschutzes oder der Landschaftspflege in einem nicht hinnehmbaren Umfang berührt werden oder weil die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes den Grad der Verunstaltung erreicht. Dasselbe gilt für die Beurteilung nach der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung. Auch hier bedarf es einer eigenen umfassenden Abwägung durch das Tatsachengericht, die das Revisionsgericht nicht vornehmen kann.
5. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Es besteht kein Anlass, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Revisionsverfahren für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Unterschriften
Paetow, Berkemann, Lemmel, Rojahn, Gatz
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 13.12.2001 durch Kurowski Justizangestellte als Urkundesbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 706590 |
BauR 2002, 751 |
NVwZ 2002, 1112 |
IBR 2002, 217 |
AgrarR 2002, 398 |
DÖV 2002, 574 |
GewArch 2002, 251 |
NuR 2002, 360 |
VR 2002, 359 |
ZUR 2002, 284 |
ZfBR 2002, 360 |
BRS 2002, 426 |
BayVBl. 2002, 739 |
DVBl. 2002, 706 |
UPR 2002, 194 |
BRS-ID 2002, 10 |
FSt 2002, 664 |
SächsVBl. 2002, 111 |