Entscheidungsstichwort (Thema)
Alter. Altersaufbau. Auswahlverfahren. Bedarf. Umwandlung. Zeitsoldat. Berufssoldat. Bewerberfeld. Dienstpostenausgestaltung. Einsatzfähigkeit. Gesetzesvorbehalt. Höchstaltersgrenze. Lebensalter. Militärmusikdienst. Organisationsgewalt. Stellenausbringung. Verteidigungsauftrag der Streitkräfte. Zugangsvoraussetzung
Leitsatz (amtlich)
1. Das Aufrufen einzelner Geburtsjahrgänge für die Besetzung von Berufssoldatenstellen mit Zeitsoldaten stellt keine Organisationsentscheidung dar, sondern unterfällt dem Anwendungsbereich des Art. 33 Abs. 2 GG.
2. Das Aufrufen einzelner Geburtsjahrgänge ist kein leistungsbezogenes Auswahlkriterium im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG für die Bewerberauswahl.
3. Es kann dahinstehen, ob der Verteidigungsauftrag (Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG) außerhalb des Militärmusikdienstes die Besetzung von Berufssoldatenstellen nach Geburtsjahrgängen grundsätzlich zu rechtfertigen vermag. Jedenfalls bedarf es hierzu einer Entscheidung des Gesetzgebers, die dem Gewicht des Art. 33 Abs. 2 GG angemessen Rechnung tragen muss.
Normenkette
GG Art. 33 Abs. 2, Art. 65 S. 2, Art. 87a Abs. 1 S. 1; VwGO § 11 Abs. 2; SG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 27 Abs. 1, §§ 39, 82 Abs. 1; SoldGG § 1 Abs. 1; SLV § 6 Abs. 2 S. 3, §§ 21, 34 Abs. 1 Nr. 1, § 37 Abs. 1 Nr. 1, § 44
Verfahrensgang
VG Schleswig-Holstein (Urteil vom 20.01.2011; Aktenzeichen 12 A 178/09) |
Tenor
Die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 20. Januar 2011 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird, dass die Nichtberücksichtigung des Antrags der Klägerin auf Umwandlung ihres Dienstverhältnisses als Soldatin auf Zeit in das einer Berufssoldatin im Auswahljahr 2009 rechtswidrig gewesen ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I
Rz. 1
Die 1973 geborene Klägerin begehrt die Berufung in das Dienstverhältnis einer Berufssoldatin. Sie stand vom 1. Oktober 1992 bis zum 30. September 2012 als Zeitsoldatin im Dienst der Beklagten und wurde zuletzt als Musikfeldwebel im Dienstgrad eines Hauptbootsmanns (Bes.-Gr. A 8+Z) mit dem Hauptinstrument Saxophon beim Marinemusikkorps Ostsee verwendet. Ihren Antrag auf Umwandlung des Dienstverhältnisses in das einer Berufssoldatin lehnte die Beklagte im Jahr 2001 ab, weil sie anderen Mitbewerbern den Vorrang gab. In den Jahren 2002 und 2003 wurde die Klägerin nicht mehr in das Auswahlverfahren einbezogen, weil ein Bedarf im Jahrgang und in der Verwendungsreihe der Klägerin nicht bestanden habe. Auch den für das Auswahljahr 2009 gestellten Umwandlungsantrag lehnte die Beklagte ab, weil der Geburtsjahrgang der Klägerin für den Militärmusikdienst nicht zur Bedarfsdeckung aufgerufen worden sei.
Rz. 2
Auf die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, über den Umwandlungsantrag für das Auswahljahr 2009 erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, der Bescheidungsanspruch bestehe ungeachtet der Ernennung der für das Jahr 2009 ausgewählten Bewerber fort, weil sich die Beklagte bereit erklärt habe, die Klägerin nachträglich zu berücksichtigen. Die Beklagte habe die Bewerbung für 2009 ermessensfehlerhaft abgelehnt. Die Beschränkung des Bewerberkreises auf vorgegebene Geburtsjahrgänge stelle eine mit Art. 33 Abs. 2 GG nicht zu vereinbarende Höchstaltersgrenze dar, weil es an einer normativen Regelung hierzu fehle.
Rz. 3
Hiergegen richtet sich die Sprungrevision der Beklagten, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Rz. 4
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 20. Januar 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Rz. 5
Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,
die Sprungrevision mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass festgestellt wird, dass die Nichtberücksichtigung des Antrags der Klägerin auf Umwandlung ihres Dienstverhältnisses als Soldatin auf Zeit in das einer Berufssoldatin im Auswahljahr 2009 rechtswidrig gewesen ist.
Rz. 6
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich an dem Verfahren und unterstützt die Rechtsauffassung der Beklagten.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 7
Die zulässige Sprungrevision der Beklagten ist mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Rechtswidrigkeit der Nichtberücksichtigung der Klägerin im Auswahlverfahren 2009 festgestellt wird. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt zwar Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), stellt sich im Ergebnis aber aus anderen Gründen als richtig dar (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO), weil das von der Beklagten praktizierte System zur Beschränkung des Bewerberfelds für die Besetzung von Berufssoldatenstellen aus den Reihen der Zeitsoldaten gegen Art. 33 Abs. 2 GG verstößt.
Rz. 8
1. Der vom Verwaltungsgericht zuerkannte Anspruch auf erneute Entscheidung über die Bewerbung der Klägerin als Berufssoldatin im Jahr 2009 besteht nicht mehr. Er ist jedenfalls mit der Ernennung der ausgewählten Zeitsoldaten zu Berufssoldaten untergegangen, weil diese Ernennungen rechtsbeständig sind. Einstweiligen Rechtsschutz gegen die Auswahlentscheidung hat die Klägerin nicht in Anspruch genommen; Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin hieran wegen der Verletzung von Mitteilungs- oder Wartepflichten der Beklagten gehindert gewesen sein könnte, sind nicht ersichtlich (vgl. Urteil vom 4. November 2010 – BVerwG 2 C 16.09 – BVerwGE 138, 102 ≪110≫ = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 47, jeweils Rn. 29 ff.). Weitere Berufssoldatenstellen dürfen erst nach einem auf sie bezogenen Vergabeverfahren besetzt werden (Urteil vom 4. November 2010 – BVerwG 2 C 16.09 – BVerwGE 138, 102 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 47 ≪jeweils Rn. 40≫). Inzwischen steht die Klägerin auch nicht mehr in einem für die Umwandlung nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 SG erforderlichen Dienstverhältnis einer Soldatin auf Zeit.
Rz. 9
Diesen Änderungen hat die Klägerin Rechnung getragen, indem sie im Revisionsverfahren anstelle ihres Antrags auf Neubescheidung die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Nichtberücksichtigung im Auswahlverfahren 2009 beantragt hat. Dieser Feststellungsantrag ist als nachrangiges Begehren von dem weitergehenden Bescheidungsantrag umfasst. Er ist durch die Sprungrevision der Beklagten gegen die Verurteilung nach dem vorrangigen Bescheidungsantrag in der Revisionsinstanz angefallen (Urteil vom 28. April 2005 – BVerwG 2 C 1.04 – BVerwGE 123, 308 ≪312≫ = Buchholz 240 § 72a BBesG Nr. 1 S. 3 f.).
Rz. 10
2. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Beschränkung des Bewerberkreises für die Umwandlung von Zeit- und Berufssoldatenstellen auf vorgegebene Geburtsjahrgänge sei eine mit Art. 33 Abs. 2 GG nicht zu vereinbarende Höchstaltersgrenze. Damit ist zwar der zutreffende rechtliche Maßstab benannt; das Vorgehen der Beklagten stellt aber keine Höchstaltersgrenze dar. Das verfassungsunmittelbar garantierte Zugangsrecht des Art. 33 Abs. 2 GG gilt auch für Ämter in der Bundeswehr (vgl. auch Beschluss vom 20. September 2011 – BVerwG 1 WB 48.10 – BVerwGE 140, 342 ≪349≫ = Buchholz 449.2 § 20 SLV 2002 Nr. 1, jeweils Rn. 33). Mit der ausdrücklichen Wiederholung der Auswahlgrundsätze in § 3 Abs. 1 SG hat dies auch der Gesetzgeber des Soldatengesetzes bekräftigt (vgl. Eichen, in: Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 2. Aufl. 2010, § 3 Rn. 1). Die mit dem Amt im statusrechtlichen Sinne verliehene Rechtsposition (vgl. Summer, Das Amt im statusrechtlichen Sinne, in: Beiträge zum Beamtenrecht, 2007, S. 45 ≪50≫) wird jedenfalls durch statusverändernde Ernennungsakte berührt. Hierzu gehört neben der Begründung eines Dienstverhältnisses und der Verleihung eines höheren Dienstgrades auch die Umwandlung des Dienstverhältnisses eines Soldaten auf Zeit in das eines Berufssoldaten. Es wird ein eigenständiges (vgl. § 1 Abs. 2 SG) Dienstverhältnis begründet, das jedenfalls hinsichtlich der Beendigung auch von unterschiedlichen Rechtsnormen bestimmt wird. Demgemäß sieht § 4 Abs. 1 Nr. 2 SG für die Umwandlung ein Ernennungserfordernis vor. Der Bewerber kann verlangen, dass seine Bewerbung nur aus Gründen abgelehnt wird, die durch Art. 33 Abs. 2 GG gedeckt sind (Urteil vom 17. August 2005 – BVerwG 2 C 37.04 – BVerwGE 124, 99 ≪102≫ = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 32 Rn. 18).
Rz. 11
Das Lebensalter kann nur dann ein leistungsbezogenes Kriterium im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG und § 3 Abs. 1 SG darstellen, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, dass Bewerber bei Überschreitung eines bestimmten Lebensalters typischerweise den Anforderungen des Amtes oder einer Laufbahn nicht mehr genügen. Auch in diesen Fällen muss die Altersgrenze normativ festgelegt werden (Urteile vom 19. Februar 2009 – BVerwG 2 C 18.07 – BVerwGE 133, 143 ≪145≫ = Buchholz 237.7 § 15 NWLBG Nr. 6 ≪jeweils Rn. 9≫, vom 24. September 2009 – BVerwG 2 C 31.08 – Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 44 Rn. 21 f. und vom 23. Februar 2012 – BVerwG 2 C 76.10 – BVerwGE 142, 59 Rn. 15 = NVwZ 2012, 880). Dementsprechend sieht auch das Soldatengesetz für die Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit eine Höchstaltersgrenze von 40 Jahren vor (§ 40 Abs. 1 Nr. 1 SG).
Rz. 12
Der jahrgangsbezogene Aufruf von Umwandlungsstellen zur Berufung in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten stellt keine derartige Höchstaltersgrenze dar (ebenso Beschluss vom 26. Juni 2012 – BVerwG 1 WB 34.11 – juris Rn. 23).
Rz. 13
Nach § 39 des Soldatengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. Mai 2005 (BGBl I S. 1482, im maßgeblichen Zeitpunkt der Auswahlentscheidung zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Februar 2009, BGBl I S. 462) können Unteroffiziere mit der Beförderung zum Feldwebel und höhere Dienstgrade in das Dienstverhältnis eines Soldaten berufen werden, wenn die allgemeinen Berufungsvoraussetzungen aus § 37 SG erfüllt und keine Hinderungsgründe im Sinne des § 38 SG gegeben sind. § 21 SLV sieht als einschränkende Voraussetzung einer Umwandlung weiterhin vor, dass der Soldat das 24. Lebensjahr vollendet haben muss.
Rz. 14
Die weiteren Einzelheiten für die Umwandlung und das Verfahren hat das Bundesministerium der Verteidigung in der Richtlinie für die Umwandlung des Dienstverhältnisses von Feldwebeln im Dienstverhältnis einer Soldatin auf Zeit oder eines Soldaten auf Zeit in das Dienstverhältnis einer Berufssoldatin oder eines Berufssoldaten vom 19. Dezember 2008 (PSZ I 1 ≪30≫ – Az 16-02-09/7) geregelt. Danach ist Grundlage des Auswahlverfahrens der Bedarf in den einzelnen Ausbildungs- und Verwendungsreihen/Werdegängen (Nr. 1.1 der Umwandlungsrichtlinie). Nach Nr. 1.4 der Umwandlungsrichtlinie legt der zuständige Führungsstab im Bundesministerium der Verteidigung auf Grundlage der strukturellen Vorgaben und der haushälterischen Möglichkeiten die Ergänzungsquoten an Berufsunteroffizieren für das jeweilige Übernahmejahr bezogen auf den Geburtsjahrgang und differenziert nach Ausbildungs- und Verwendungsreihen/Werdegängen fest. Der danach für eine Bewerbung in Betracht kommende Personenkreis wird von der Stammdienststelle der Bundeswehr in einer “Aktuellen Anweisung und Information zur Personalführung (AAIP SDBw)” bekannt gegeben (Nr. 2.2 der Umwandlungsrichtlinie).
Rz. 15
In das Auswahlverfahren einbezogen werden damit nur Bewerber, die einem Geburtsjahrgang und einer Ausbildungs- und Verwendungsreihe angehören, die in der AAIP SDBw für das jeweilige Auswahljahr zur Antragstellung aufgerufen sind (Nr. 3.1 der Umwandlungsrichtlinie). Andere Antragsteller erhalten eine sofortige Ablehnung aufgrund fehlenden Bedarfs (vgl. Nr. 8.2 Satz 2 der Umwandlungsrichtlinie). Hiervon ausgenommen sind sog. “Erstbewerber”, die sich wegen fehlender Teilnahmevoraussetzungen noch nie bewerben konnten, denen in einem gesonderten Verfahren eine einmalige Auswahlmöglichkeit gegeben wird (vgl. Nr. 8.1 der Umwandlungsrichtlinie).
Rz. 16
Für das Auswahljahr 2009 ist in der AAIP SDBw im Militärmusikdienst nur in den Geburtsjahrgängen 1979 bis 1981 ein Bedarf aufgerufen worden. Für die Geburtsjahrgänge 1972 bis 1977 ebenso wie für die Jahrgänge 1982 bis 1985 dagegen ist keine Umwandlungsstelle ausgewiesen. Die 1973 geborene Klägerin ist daher nicht in das Auswahlverfahren einbezogen worden.
Rz. 17
Dies macht deutlich, dass die Beklagte die Übernahme in das Berufssoldatenverhältnis nicht von der Unterschreitung einer Altersgrenze, sondern vom Geburtsjahr der Bewerber abhängig macht. Da sie die Jahrgänge nicht fortschreitend nach dem Lebensalter, sondern “bedarfsorientiert” aufruft, gibt sie nicht vor, dass ab einem gewissen Alter die Ernennung zum Berufssoldaten nicht mehr möglich ist. Im Falle des streitgegenständlichen Auswahljahres 2009 etwa ist im Militärmusikdienst zwar ein Bedarf für die Jahrgänge 1979 bis 1981 ausgewiesen, die jüngeren Geburtsjahrgänge 1982 bis 1985 dagegen sind von der Bewerbung ausgeschlossen worden.
Rz. 18
Darüber hinaus knüpft die Verfahrensweise auch nicht an Eignungsgesichtspunkte an, die mit dem fortschreitenden Alter typischerweise verbunden sind. Die Eignung wird nicht in Frage gestellt und durch die parallele Ernennung älterer Bewerber in anderen Verwendungsreihen bekräftigt. Auch in der Verwendungsreihe selbst kann es – bei entsprechendem Bedarf – in nachfolgenden Auswahljahren wieder zum Aufruf älterer Bewerber kommen, so dass ersichtlich nicht die Eignung älterer Bewerber in Frage gestellt oder als Auswahlkriterium herangezogen wird.
Rz. 19
3. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung ergibt sich die Befugnis zur jahrgangsbezogenen Beschränkung des Bewerberfeldes für die zur Besetzung anstehenden Berufssoldatenstellen auch nicht aus ihrer Organisationsgewalt: Diese Praxis betrifft nicht die Bereitstellung der Stellen, d. h. die Feststellung des Personalbedarfs, sondern deren Besetzung im Wege der Bewerberauswahl. Daher muss sie sich an Art. 33 Abs. 2 GG messen lassen. Die durch die Praxis der Beklagten bewirkte Einschränkung des Bewerberfeldes kann nicht unter Berufung auf das in Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG enthaltene Gebot der Aufstellung funktionstüchtiger Streitkräfte gerechtfertigt werden. Das Interesse an einem ausgewogenen Altersaufbau stellt kein unmittelbar leistungsbezogenes Auswahlkriterium nach Art. 33 Abs. 2 GG dar. Es hat jedenfalls für den Militärmusikdienst auch keinen verfassungsrechtlichen Stellenwert, der eine Einschränkung der in Art. 33 Abs. 2 GG verankerten Auswahlgrundsätze rechtfertigen könnte. Die Beklagte hätte die Klägerin daher in das Auswahlverfahren einbeziehen müssen.
Rz. 20
a) Die einer Stellenbesetzung vorgelagerten Fragen, ob und ggf. wie viele Stellen (Ämter) mit welcher Wertigkeit geschaffen werden, unterfällt der Organisationsgewalt des Dienstherrn (Urteile vom 28. Oktober 2004 – BVerwG 2 C 23.03 – BVerwGE 122, 147 ≪153≫ = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 30 S. 30 f., vom 16. Oktober 2008 – BVerwG 2 A 9.07 – BVerwGE 132, 110 = Buchholz 11 Art. 87a GG Nr. 6 ≪jeweils Rn. 54≫ und vom 30. Juni 2011 – BVerwG 2 C 19.10 – BVerwGE 140, 83 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 49 ≪jeweils Rn. 27 f.≫). Die Ausübung der Organisationsgewalt, vor allem die Feststellung des Stellen- bzw. Amtsbedarfs, wird nicht durch subjektive Rechtspositionen von Soldaten oder Beamten eingeschränkt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Oktober 2007 – 2 BvR 2457/04 – BVerfGK 12, 265 ≪270≫; BVerwG, Urteil vom 25. April 1996 – BVerwG 2 C 21.95 – BVerwGE 101, 112 ≪114≫).
Rz. 21
Dagegen gilt für die Besetzung der zur Verfügung stehenden Stellen, d. h. für die Deckung des festgestellten Personalbedarfs, Art. 33 Abs. 2 GG, wenn die ausgewählten Bewerber ein neues, insbesondere ein höherwertiges oder ein anderes Amt erhalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 1989 – 1 BvR 32/87 – BVerfGE 80, 257 ≪263≫; BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2004 a. a. O. S. 153 bzw. S. 30 f.). Der Aufruf von Geburtsjahrgängen ist der Stellenbesetzung zuzuordnen. Die verfügbaren Berufssoldatenstellen sollen nur an Zeitsoldaten mit einem bestimmten Lebensalter vergeben werden. Die Einschränkung ist daher am Maßstab des Art. 33 Abs. 2 GG zu messen.
Rz. 22
b) Gemäß Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Danach sind öffentliche Ämter nach Maßgabe des Leistungsgrundsatzes zu besetzen. Die Geltung dieses Grundsatzes wird durch Art. 33 Abs. 2 GG unbeschränkt und vorbehaltlos gewährleistet. Die Vorschrift dient zum einen dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung der Stellen des öffentlichen Dienstes; dessen fachliches Niveau und rechtliche Integrität sollen gerade durch die ungeschmälerte Anwendung des Leistungsgrundsatzes gewährleistet werden. Zum anderen trägt Art. 33 Abs. 2 GG dem berechtigten Interesse der Beamten an einem angemessenen beruflichen Fortkommen dadurch Rechnung, dass er grundrechtsgleiche Rechte auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl begründet (BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. September 2002 – 2 BvR 857/02 – NVwZ 2003, 200 ≪201≫; Urteile vom 25. August 1988 – BVerwG 2 C 51.86 – BVerwGE 80, 123 ≪124≫, vom 28. Oktober 2004 a. a. O. S. 149, vom 17. August 2005 – BVerwG 2 C 37.04 – BVerwGE 124, 99 ≪102≫ = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 32 Rn. 18).
Rz. 23
Belange, die nicht im Leistungsgrundsatz verankert sind, können bei der Bewerberauswahl zur Besetzung öffentlicher Ämter nur Berücksichtigung finden, wenn ihnen außerhalb von Art. 33 Abs. 2 GG ebenfalls Verfassungsrang eingeräumt ist. Die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes ist durch die Ämtervergabe nach dem Leistungsgrundsatz sicherzustellen. Soweit es nicht um die Abwendung einer unmittelbar drohenden Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung, sondern nur um Fragen des optimierenden Ausgleichs mit anderen verfassungsgeschützten Interessen geht, bedarf es zudem einer gesetzlichen Grundlage. Diese muss ihrerseits dem Zweck des Art. 33 Abs. 2 GG Rechnung tragen, d. h. ernsthaften Gefährdungen der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes vorbeugen (vgl. u. a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. April 1996 – 2 BvR 169/93 – NVwZ 1997, 54 S. 55; Urteile vom 28. Oktober 2004 a. a. O. S. 149 f. bzw. S. 16 f. und vom 17. August 2005 a. a. O. S. 102 bzw. Rn. 19).
Rz. 24
Danach gibt Art. 33 Abs. 2 GG die entscheidenden Beurteilungsgesichtspunkte für die Bewerberauswahl zur Besetzung von öffentlichen Ämtern abschließend vor. Die von Art. 33 Abs. 2 GG erfassten Auswahlentscheidungen können grundsätzlich nur auf Gesichtspunkte gestützt werden, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber betreffen. Anderen Gesichtspunkten darf nur Bedeutung beigemessen werden, wenn sich aus dem Vergleich anhand von unmittelbar leistungsbezogenen Gesichtspunkten kein Vorsprung von Bewerbern ergibt. Dienst- und Lebensalter gehören nicht zu den unmittelbar leistungsbezogenen Auswahlkriterien im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG (Urteile vom 28. Oktober 2004 a. a. O. S. 151 bzw. S. 17 f. und vom 30. Juni 2011 – BVerwG 2 C 19.10 – BVerwGE 140, 83 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 49 ≪jeweils Rn. 14 f.≫).
Rz. 25
Da die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen nach der Vorgabe des Art. 33 Abs. 2 GG durch die strikte Beachtung des Leistungsgrundsatzes bei der Deckung des Personalbedarfs sicherzustellen ist, können andere, nicht durch Art. 33 Abs. 2 GG gedeckte Belange dessen Einschränkung im Interesse der Funktionsfähigkeit nur rechtfertigen, wenn ansonsten “schwerwiegende Defizite” bei der Erfüllung der staatlichen Aufgaben zu erwarten sind (BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. April 1996 a. a. O.; BVerwG, Urteile vom 28. Oktober 2004 a. a. O. S. 149 f. bzw. S. 16 f. und vom 25. November 2004 – BVerwG 2 C 17.03 – BVerwGE 122, 237 ≪242 f.≫ = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 31 S. 25). Das vorausschauende Anliegen, künftige Engpässe oder Einarbeitungsschwierigkeiten zu vermeiden, reicht dagegen nicht aus, um ein Zurücktreten der in Art. 33 Abs. 2 GG verbindlich angeordneten Auswahlmaßstäbe begründen zu können. Das Interesse des Dienstherrn an der Schaffung oder Aufrechterhaltung ausgewogener Altersstrukturen besitzt kein ausreichendes verfassungsrechtliches Gewicht, um eine Einschränkung des in Art. 33 Abs. 2 GG gewährleisteten Zugangsrechts zu rechtfertigen (Urteil vom 28. Oktober 2004 a. a. O. S. 153 bzw. S. 19).
Rz. 26
c) Entgegen der Ansicht der Beklagten führt auch der verfassungsrechtlich verankerte Verteidigungsauftrag der Bundeswehr (Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG) zu keiner anderen Beurteilung. Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG enthält eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung für eine wirksame militärische Landesverteidigung (BVerfG, Urteil vom 24. April 1985 – 2 BvF 2/83 u. a. – BVerfGE 69, 1 ≪21≫). Dieser Verfassungsauftrag umfasst auch das Gebot, das innere Gefüge der aufzustellenden Streitkräfte so zu gestalten, dass sie ihren militärischen Aufgaben gewachsen sind (BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 1970 – 2 BvR 531/68 – BVerfGE 28, 36 ≪47≫; vgl. hierzu auch BVerwG, Beschluss vom 19. Juli 1995 – BVerwG 1 WB 120.94 – Buchholz 236.1 § 3 SG Nr. 4 = NVwZ 1996, 474).
Rz. 27
Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die wirksame Erfüllung des Verteidigungsauftrags außerhalb des Militärmusikdienstes nicht bereits hinreichend durch Höchstaltersgrenzen gewährleistet wird, sondern darüber hinaus jahrgangsbezogen ausgewogene Altersstrukturen erfordert. In jedem Fall wäre es zunächst Sache des Normgebers, etwaige aus dem Verteidigungsauftrag folgende Besonderheiten für die Personalauswahl zu konkretisieren, wobei er die verfassungsrechtliche Grundentscheidung des Art. 33 Abs. 2 GG in den Blick zu nehmen hat. Entgegen der Ansicht der Beklagten stellen die von ihr angeführten, bereits bestehenden Vorschriften (§ 44 SLV, § 1 Abs. 1 SoldGG und § 3 Abs. 1 SG) keine hinreichende normative Grundlage im vorstehenden Sinne dar. Sie verfolgen ersichtlich nicht den Zweck, den unbeschränkt und vorbehaltlos gewährleisteten Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG zu relativieren. Sie sind von vornherein nicht darauf gerichtet, einen Ausgleich dieses Verfassungsgrundsatzes mit einem gegenläufigen verfassungsrechtlichen Belang herzustellen (Urteil vom 23. Februar 2012 – BVerwG 2 C 76.10 – BVerwGE 142, 59 LS 2 und Rn. 15 ff.).
Rz. 28
Darüber hinaus ist der Militärmusikdienst nicht dazu bestimmt, dem in Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG verfassungsrechtlich vorgegebenen Verteidigungsauftrag der Streitkräfte zu dienen. Mag in früheren Zeiten der Militärmusikdienst als Erkennungszeichen einzelner Verbände und zur psychologischen Unterstützung der Soldaten auf dem Schlachtfeld eine unmittelbar militärische Aufgabe zugekommen sein, ist ihr Einsatz heute auf Friedenszeiten bezogen und beschränkt sich auf repräsentative und protokollarische Auftritte (vgl. Nr. 1.4.2 der vom Generalinspekteur der Bundeswehr erlassenen “Teilkonzeption Militärmusik der Bundeswehr vom 18. Dezember 2007” sowie Nr. 101 der vom Bundesministerium der Verteidigung erlassenen Zentralen Dienstvorschrift “Der Militärmusikdienst in der Bundeswehr” – ZDv 78/1 –; hierzu auch Urteil vom 28. August 1996 – BVerwG 6 C 2.95 – Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 19 = NVwZ-RR 1997, 364).
Rz. 29
Dies gilt auch angesichts des Umstands, dass Militärmusiker im Verteidigungsfall als Sanitäter eingesetzt werden sollen (Nr. 104 ZDv 78/1). Auch der Sanitätsdienst nimmt eine Sonderstellung unter den Bundeswehrlaufbahnen ein, die als “waffenloser Dienst” gekennzeichnet wird (Urteile vom 28. August 1996 – BVerwG 6 C 2.95 – Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 19 = NVwZ-RR 1997, 364 und vom 22. Februar 2012 – BVerwG 6 C 11.11 – BVerwGE 142, 48 Rn. 30; hierzu auch BVerfG, Urteil vom 24. April 1985 – 2 BvF 2/83 u. a. – BVerfGE 69, 1 ≪56≫). Die Soldaten werden zwar zur Selbstverteidigung mit Handfeuerwaffen, nicht aber für Kriegseinsätze an schweren Waffen ausgebildet (vgl. Nr. 301 ZDv 78/1). Folgerichtig war traditionell für Frauen auch nur der Zugang zu den Laufbahnen des Sanitäts- und Militärmusikdienstes eröffnet worden (vgl. hierzu auch EuGH, Urteil vom 11. Januar 2000 – C-285/98 – Slg. 2000 I-69).
Rz. 30
Die sanitätsdienstliche Ausbildung soll die Angehörigen des Militärmusikdienstes nur in die Lage versetzen, “bestimmte Funktionen im Rahmen der sanitätsdienstlichen Unterstützung wahrnehmen zu können”; die Ausbildung darf aber nicht zu einer Einschränkung der militärmusikalischen Auftragserfüllung führen (Nr. 3 und 4 der “Weisung sanitätsdienstliche Ausbildung und Einsatz der Soldatinnen und Soldaten des Militärmusikdienstes der Bundeswehr vom 13. August 2012”). Angesichts der geringen Zahl von gegenwärtig 820 im Militärmusikdienst verwendeten Soldaten ist auch nicht ersichtlich, dass diesen ernstliche Bedeutung für die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Streitkräfte beikommen könnte.
Rz. 31
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der grundsätzlichen Eingliederung des Militärmusikdienstes in die Bundeswehr. Zwar besteht nach § 6 Abs. 2 Satz 3 SLV bis zur Vollendung des 50. Lebensjahres die Möglichkeit der Versetzung in den Truppendienst, so dass der Militärmusikdienst in gewissem Umfang auch als Reserve künftiger Truppeneinsätze begriffen werden kann. Schon im Hinblick auf die Aus- und Vorbildung im Militärmusikdienst kann insoweit aber nicht von einer allseitigen Einsatz- und Verwendbarkeit der Laufbahnangehörigen ausgegangen werden. Dies gilt auch im Hinblick auf die Zweitverwendung bei der Sanitätstruppe.
Rz. 32
Berufssoldatenstellen im Bereich des Militärmusikdienstes sind ausschließlich nach unmittelbar leistungsbezogenen Kriterien im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG zu vergeben. Hierzu gehört das Interesse an ausgewogenen Altersstrukturen nicht. Die Struktur des militärmusikalischen Fachdienstes und seine Einbindung in den militärischen Bereich orientieren sich vornehmlich an den musikfachlichen Ansprüchen sowie den Erfordernissen des Musikeinsatzes (Nr. 2.2 der Teilkonzeption Militärmusik der Bundeswehr; vgl. zu den musikbezogenen Einstellungsvoraussetzungen auch § 34 Abs. 1 Nr. 1 SLV: bestandene Aufnahmeprüfung an einer Hochschule für Musik für Anwärter und § 37 Abs. 1 Nr. 1 SLV: Kapellmeisterexamen für die Offizierslaufbahn). Dementsprechend ist die Altersgrenze für höhere Dienstgrade in dieser Laufbahn auch auf 65 Jahre angehoben worden (vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 1 SG). Die besonderen Bedürfnisse der Fachlaufbahn sind damit auch im bestehenden Altersregelungssystem der maßgebliche Anknüpfungspunkt (vgl. BTDrucks 16/7076, S. 174).
Rz. 33
d) Die Klägerin, die die gesetzlichen Voraussetzungen für die Berufung in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten aus §§ 37 ff. SG erfüllt, hätte daher nicht bereits mit Blick auf die fehlende Zugehörigkeit zu einem im Jahr 2009 aufgerufenen Jahrgang vom Auswahlverfahren ausgeschlossen werden dürfen.
Rz. 34
4. Anlass für die von der Beklagten im Hinblick auf die Rechtsprechung des 1. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts zu Verwendungsentscheidungen angesprochene Vorlage an den Großen Senat nach § 11 Abs. 2 VwGO besteht nicht, weil der 1. Wehrdienstsenat nicht über Rechtsfragen der Begründung oder Umwandlung von Soldatendienstverhältnissen befindet. Rechtsstreitigkeiten, die die Rechtsstellung des Soldaten und damit sein Amt im statusrechtlichen Sinne betreffen, sind gemäß § 82 Abs. 1 Alt. 1 SG den allgemeinen Verwaltungsgerichten zugewiesen (ebenso Beschluss vom 27. September 2012 – BVerwG 1 WB 28.12 – juris Rn. 16). Die enumerative Ausnahmezuständigkeit der Truppendienstgerichte nach § 82 Abs. 1 Alt. 2 SG i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO dagegen umfasst nur den “inneren militärischen Dienstbereich”, der durch das besondere militärische Über- und Unterordnungsverhältnis dem Vorgesetzten gegenüber geprägt ist (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BTDrucks 2/2359, S. 14; ebenso Beschluss vom 26. Oktober 2012 – BVerwG 1 WDS-VR 6.12 u. a. – juris Rn. 26 und 31).
Rz. 35
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Domgörgen, Dr. Heitz, Thomsen, Dr. Hartung, Dr. Kenntner
Fundstellen
Haufe-Index 3598147 |
BVerwGE 2013, 237 |
DÖV 2013, 571 |
JZ 2013, 288 |
PersR 2013, 234 |
DVBl. 2013, 793 |
NZWehrr 2013, 213 |
NZWehrr 2014, 122 |