Entscheidungsstichwort (Thema)
Schließung von Gastronomiebetrieben anlässlich der Corona-Pandemie
Leitsatz (amtlich)
§ 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG i. d. F. des Gesetzes vom 27. März 2020 war eine verfassungsgemäße Grundlage für die Schließung von Gastronomiebetrieben durch § 7 Abs. 1 Satz 1 der saarländischen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (VO-CP) vom 30. Oktober 2020.
Verfahrensgang
OVG des Saarlandes (Urteil vom 31.05.2022; Aktenzeichen 2 C 319/20) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 31. Mai 2022 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
Rz. 1
Die Antragstellerin, eine aus zwei natürlichen Personen bestehende Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, betreibt im Saarland ein spanisches Restaurant. Sie wendet sich gegen die in § 7 Abs. 1 Satz 1 der saarländischen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (VO-CP) vom 30. Oktober 2020 (Amtsbl. I S. 1049) angeordnete Schließung von Gastronomiebetrieben und begehrt nach dem Außer-Kraft-Treten der Regelung die Feststellung, dass sie unwirksam war.
Rz. 2
Die Verordnung war gestützt auf § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vom 20. Juli 2000, das zuletzt durch Gesetz vom 19. Juni 2020 geändert worden war. Sie trat am 2. November 2020 in Kraft und mit Ablauf des 15. November 2020 außer Kraft.
Rz. 3
§ 7 Abs. 1 VO-CP lautete wie folgt:
§ 7
Betriebsuntersagungen und -beschränkungen
sowie Schließung von Einrichtungen
Verboten ist der Betrieb eines Gaststättengewerbes nach dem Saarländischen Gaststättengesetz vom 13. April 2011 (Amtsbl. I S. 206), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 12. Juni 2012 (Amtsbl. I S. 156), und der Betrieb sonstiger Gastronomiebetriebe jeder Art. Ausgenommen sind die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen für den Verzehr außerhalb des Gastronomiebetriebs sowie der Betrieb von Kantinen.
Rz. 4
Mit ihrem am 2. November 2020 beim Oberverwaltungsgericht des Saarlandes eingegangenen Normenkontrollantrag wendet sich die Antragstellerin gegen § 7 Abs. 1 Satz 1 VO-CP.
Rz. 5
Mit Urteil vom 31. Mai 2022 hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, dass § 7 Abs. 1 Satz 1 VO-CP vom 30. Oktober 2020 unwirksam war. Zur Begründung wird ausgeführt: Der Normenkontrollantrag sei zulässig. Die Antragstellerin habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit der angegriffenen Regelung. Die Betriebsuntersagung habe einen erheblichen Eingriff in ihre durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit bewirkt; gerichtlicher Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren sei während der kurzen Laufzeit der Verordnung nicht zu erlangen gewesen. Der Normenkontrollantrag sei auch begründet. Die Verordnungsermächtigung in § 32 Satz 1 IfSG i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der bei Erlass der Verordnung geltenden Fassung habe nicht mehr den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Bestimmtheitsgebots genügt. Gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssten Gesetze, die zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigten, Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmen. Das Parlament solle sich seiner gesetzgeberischen Verantwortung nicht dadurch entäußern können, dass es einen Teil seiner Gesetzgebungsbefugnis auf die Exekutive übertrage, ohne die Grenzen dieser Kompetenzen bedacht und sie nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, dass die Bürger aus der gesetzlichen Ermächtigung erkennen könnten, was ihnen gegenüber zulässig sein solle und welchen möglichen Inhalt eine Verordnung haben könnte. Je schwerwiegender die grundrechtsrelevanten Auswirkungen für die Betroffenen seien, desto strengere Anforderungen gälten für die Bestimmtheit. Danach verstoße § 32 Satz 1 IfSG i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Eingriff in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG sei von erheblicher Intensität gewesen; die Berufsausübung der Antragstellerin sei im Wesentlichen untersagt worden. Ins Gewicht falle zudem, dass es sich bereits um den zweiten "Lockdown" gehandelt habe. Die Übergangszeit, in der aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls noch der Rückgriff auf die infektionsschutzrechtliche Generalklausel zulässig gewesen sei, sei im Oktober/November 2020 abgelaufen gewesen. Die sogenannte zweite Corona-Welle sei schon im Sommer 2020 vorhersehbar gewesen. Anders als im März des Jahres sei der Gesetzgeber im Herbst vom Anstieg der Corona-Infektionen nicht überrascht worden. Ihm wäre es möglich gewesen, jedenfalls bis zur parlamentarischen Sommerpause, spätestens aber unmittelbar danach die erforderliche parlamentsgesetzliche Grundlage für die pandemiebedingte Schließung von Gastronomiebetrieben zu erlassen. Äußerungen in der Rechtsprechung und der kritische Diskurs in der juristischen Fachwelt hätten ihn veranlassen müssen, den Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus die nötige parlamentarische Legitimation zu geben. Der Gesetzgeber habe aber erst Mitte November 2020 § 28a in das Infektionsschutzgesetz eingefügt. Es sei nicht anzunehmen, dass die Dauer des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens, regelungstechnische Schwierigkeiten oder politische Verständigungsbedarfe eine Übergangszeit von über einem halben Jahr erfordert hätten. Der parlamentarische Gesetzgeber habe mit den seit dem Beginn der Pandemie vorgenommenen Änderungen am Infektionsschutzgesetz seine Fähigkeit zu kurzfristigem Handeln bewiesen. Obwohl die Länder bereits Rechtsverordnungen mit Beschränkungen der hier in Rede stehenden Art und Eingriffsintensität erlassen hätten, habe er nichts an den materiellen Voraussetzungen von § 28 Abs. 1 IfSG geändert.
Rz. 6
Zur Begründung seiner Revision trägt der Antragsgegner vor: Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletze Bundesrecht. Es habe zu Unrecht die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags bejaht. Art. 19 Abs. 4 GG gebe keine Veranlassung, die Antragsbefugnis zu bejahen, obwohl die Rechtsverordnung bereits wieder außer Kraft getreten sei. Könnten alle, die Nachteile durch die erledigte Rechtsnorm erlitten hätten, deren Unwirksamkeit unabhängig davon geltend machen, ob damit ein konkreter Nutzen für sie verbunden sei, hätte das eine uferlose Inanspruchnahme nachträglichen Rechtsschutzes zur Folge. Voraussetzung für eine gerichtliche Überprüfung sei daher, dass die begehrte Feststellung die Position des Antragstellers verbessern könne. Das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit habe neben der erwerbswirtschaftlichen Seite auch einen Persönlichkeitsbezug. Bei einer inländischen juristischen Person des Privatrechts wie der Antragstellerin beschränke sich die Grundrechtsverwirklichung jedoch auf wirtschaftliche Erwerbszwecke. Diesem Interesse werde hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass sie durch die substanziierte Darlegung der Absicht, einen Entschädigungsanspruch geltend zu machen, die Überprüfung der außer Kraft getretenen Norm erreichen könne. Eine solche Absicht habe die Antragstellerin nicht dargelegt. Bundesrechtswidrig sei außerdem die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG hätten im maßgeblichen Zeitraum nicht mehr den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Bestimmtheitsgebots (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) genügt. Für die zu fordernde Regelungsdichte komme es auf die Intensität der Auswirkungen auf die Betroffenen und die Eigenart des zu regelnden Sachverhalts an. Der Infektionsschutz sei ein durch sich ständig wandelnde Umstände geprägter Bereich der Gefahrenabwehr. Dem Verordnungsgeber sei es schneller als dem Gesetzgeber möglich, ein Regelungsbedürfnis zu erkennen und die Regelungen auf dem neuesten Stand zu halten. Das habe den Gesetzgeber dazu bewogen, eine Generalklausel in das Infektionsschutzgesetz aufzunehmen. Entstünden neue, vom Gesetzgeber nicht bedachte Gefährdungslagen, die zudem - wie bei der Corona-Pandemie - mit erheblichen prognostischen Unsicherheiten behaftet seien, könne jedenfalls für eine Übergangszeit auf die Generalklausel zurückgegriffen werden. Dieser Übergangszeitraum sei hier nicht überschritten gewesen. Die pandemische Lage habe sich bei Erlass der Verordnung sehr dynamisch und unvorhersehbar entwickelt. Auch Ende Oktober 2020 hätten noch keine eindeutigen Erkenntnisse zu den Gefahren einer COVID-19-Erkrankung und deren Wahrscheinlichkeit sowie zu den konkreten Infektionswegen vorgelegen. Ebenso wenig sei hinreichend bekannt gewesen, ob eine flächendeckende Impfung und eine effiziente Behandlung Erkrankter zeitnah möglich sein würden. Standardmaßnahmen hätten sich noch nicht entwickelt. Dass die Regierungsfraktionen am 3. November 2020 den Entwurf des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite mit einem nicht abschließenden Katalog von Schutzmaßnahmen in den Bundestag eingebracht hätten, rechtfertige nicht die Annahme, die Generalklausel habe nicht mehr ausgereicht. Nach der Gesetzesbegründung habe es sich um eine klarstellende Erweiterung gehandelt. Das Bundesverfassungsgericht räume dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist ein, wenn durch die Feststellung der Nichtigkeit einer Norm eine Lage entstünde, die von einem verfassungsgemäßen Zustand noch weiter entfernt wäre als die bisherige Rechtslage. Dasselbe müsse gelten, wenn der Gesetzgeber bereits auf dem Weg zu einer Neuregelung sei. Das angegriffene Urteil stelle sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Das Verbot des Gastronomiebetriebs sei weder unverhältnismäßig noch werde das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Das Verbot beruhe auf der sachgerechten Erwägung, dass soziale Kontakte verringert werden müssten und das am gemeinwohlverträglichsten durch Beschränkungen in den Bereichen Freizeit, Sport und Unterhaltung erreicht werden könne. Daher könne sich die Antragstellerin auch nicht auf eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber Kantinen berufen, die von der Schließung ausgenommen seien.
Rz. 7
Die Antragstellerin tritt der Revision entgegen und macht geltend: Das angegriffene Urteil stehe im Einklang mit Bundesrecht. Ihr Normenkontrollantrag sei zulässig. Soweit Art. 12 Abs. 1 GG die persönliche Selbstverwirklichung schütze, sei das auch für eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts von Relevanz. Ihr Normenkontrollantrag sei auch begründet, da keine dem Wesentlichkeitsgrundsatz genügende gesetzliche Verordnungsermächtigung bestanden habe. Betriebsschließungen seien ein besonders schwerwiegender Eingriff in die Berufsausübungs- und Gewerbefreiheit. Daher hätten die spezifischen tatbestandlichen Voraussetzungen, die maximal zulässige Dauer und der Berechnungsmodus für die zu gewährende staatliche Entschädigung bereits im Infektionsschutzgesetz möglichst genau geregelt werden müssen. Das sei zum Zeitpunkt des Verordnungserlasses aber nicht der Fall gewesen. § 31 IfSG sei zu entnehmen, dass eine Betriebsschließung gegenüber infektionsschutzrechtlichen "Nichtstörern" nicht durch Verordnung angeordnet werden dürfe. Ein übergangsweiser Rückgriff auf die infektionsschutzrechtliche Generalklausel habe allenfalls für die Anfangszeit der Pandemie im März/April 2020 in Betracht gezogen werden können. Bereits im Sommer 2020 sei absehbar gewesen, dass man im Herbst und Winter wieder mit dem Corona-Virus konfrontiert sein werde. Wegen der Dynamik des Infektionsgeschehens sei unklar gewesen, welche Maßnahmen dann erforderlich würden. Deshalb hätte sich der Bundesgesetzgeber frühzeitig veranlasst sehen müssen, die in Betracht kommenden Maßnahmen vorsorglich gesetzlich abzusichern. Die Erfahrungswerte mit diesen Schutzmaßnahmen hätten dazu genutzt werden können, Vorsorge für den Herbst zu treffen. Selbst wenn man entgegen dem Oberverwaltungsgericht keinen Verstoß gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz annähme, erwiese sich das angegriffene Urteil aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig. § 7 Abs. 1 Satz 1 VO-CP verstoße gegen Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 3 GG, den allgemeinen Gleichheitssatz und den Grundsatz der Folgerichtigkeit. Es handele sich um ein den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzendes faktisches Berufsverbot für Gastronomen. Zweifelhaft sei bereits die Eignung der Maßnahme, da die Bürger ihre sozialen Kontakte dann in ihre Privaträume verlagerten. Die Gastronomie sei auch nach der Einschätzung des Robert Koch-Instituts kein "Treiber" der Pandemie. Das Gastronomieverbot sei auch nicht erforderlich gewesen, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Schließlich sei die Regelung unangemessen. Die Schließung der Gastronomiebetriebe habe einen hohen gesamtwirtschaftlichen Schaden verursacht. Die Gastwirte hätten erhebliche Investitionen getätigt, um die bestehenden Hygienevorgaben zu erfüllen.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die Revision des Antragsgegners ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Allerdings geht die Rüge des Antragsgegners fehl, der Normenkontrollantrag sei bereits unzulässig (1.). Das Oberverwaltungsgericht hat auch zutreffend zugrundegelegt, dass die Schließung von Betrieben, die wie in § 7 Abs. 1 Satz 1 VO-CP unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht an jeden Betrieb im Geltungsbereich der Verordnung gerichtet ist, eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne der infektionsschutzrechtlichen Generalklausel sein kann. (2.). Nicht im Einklang mit Bundesrecht steht aber die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, bei Erlass der Verordnung am 30. Oktober 2020 habe die infektionsschutzrechtliche Generalklausel nicht mehr den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) an eine hinreichende Verordnungsermächtigung genügt. Ebenso wenig verstieß die infektionsschutzrechtliche Generalklausel in der maßgeblichen Zeit gegen den Parlamentsvorbehalt oder wegen der Nichtregelung von Entschädigungs- und Ausgleichszahlungen gegen Grundrechte der Inhaber von Gastronomiebetrieben (3.). Für eine abschließende Entscheidung über die Wirksamkeit der angegriffenen Regelung fehlen dem Senat die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen. Der festgestellte Bundesrechtsverstoß führt daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (4.).
Rz. 9
1. Das Oberverwaltungsgericht nimmt ohne Bundesrechtsverstoß an, dass die Antragstellerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit von § 7 Abs. 1 Satz 1 VO-CP hat, auch wenn diese Regelung mit Ablauf des 15. November 2020 außer Kraft getreten war.
Rz. 10
a) Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann den Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Zwar geht § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO vom Regelfall der noch geltenden Rechtsvorschrift aus (vgl. auch § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Ist die angegriffene Norm während der Anhängigkeit des Normenkontrollantrags außer Kraft getreten, bleibt er aber zulässig, wenn der Antragsteller weiterhin geltend machen kann, durch die zur Prüfung gestellte Norm oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt (worden) zu sein. Darüber hinaus muss er ein berechtigtes Interesse an der Feststellung haben, dass die Rechtsvorschrift unwirksam war (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - NVwZ 2023, 1000 Rn. 9 m. w. N.).
Rz. 11
b) Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Rz. 12
aa) Die Antragstellerin hat ihren Normenkontrollantrag am 2. November 2020 und damit während der Geltungsdauer der angegriffenen Verordnungsregelung anhängig gemacht (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 2022 - 3 BN 8.21 - juris Rn. 10, 12, 16 f.). Nach deren Außerkrafttreten mit Ablauf des 15. November 2020 kann sie weiterhin geltend machen, in ihren Rechten verletzt worden zu sein. Auf der Grundlage ihres Vortrags erscheint es möglich, dass sie durch § 7 Abs. 1 Satz 1 VO-CP, der den Betrieb eines Gaststättengewerbes nach dem Saarländischen Gaststättengesetz und den Betrieb sonstiger Gastronomiebetriebe jeder Art untersagte, jedenfalls in ihrem durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Recht der Berufsausübungsfreiheit verletzt wurde. Auf eine Verletzung ihrer Berufsausübungsfreiheit kann sich auch die Antragstellerin als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts berufen.
Rz. 13
Gemäß Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind. Zwar ist eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts keine juristische Person, doch hat sie eine festgefügte Struktur und ist auf Dauer angelegt (vgl. zu diesen Anforderungen BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 - BVerfGE 122, 342 ≪355≫). Es ist anerkannt, dass sie Rechtsfähigkeit besitzt, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2001 - II ZR 331/00 - BGHZ 146, 341 m. w. N.). Insoweit kann sie auch Grundrechtsträgerin sein. Das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG ist auch seinem Wesen nach auf die Antragstellerin als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts anwendbar. Es kann nicht nur individuell, sondern auch kooperativ ausgeübt werden (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 - BVerfGE 122, 342 ≪355≫; zur wesensmäßigen Anwendbarkeit des Art. 14 Abs. 1 GG auf die Gesellschaft bürgerlichen Rechts vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. September 2002 - 1 BvR 1103/02 - NJW 2002, 3533 m. w. N.).
Rz. 14
In Betracht kommen könnte darüber hinaus ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG, auch in Gestalt des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht bisher offen gelassen, ob diese einfachrechtlich anerkannte Position vom Schutzumfang des Art. 14 GG erfasst wird (vgl. zu den coronabedingten Gastronomieschließungen durch die "Bundesnotbremse": BVerfG, Kammerbeschluss vom 23. März 2022 - 1 BvR 1295/21 - NJW 2022, 1672 Rn. 16 m. w. N.). Diese Frage bedarf auch hier für die Beurteilung der Zulässigkeit des Normenkontrollantrags der Antragstellerin keiner Entscheidung, da sie jedenfalls in ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG berührt sein kann.
Rz. 15
bb) Die Antragstellerin hat trotz des Außerkrafttretens der Regelung ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass das Gastronomieverbot unwirksam war.
Rz. 16
Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Die Gerichte sind verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewährleisten und den Zugang zu den eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es grundsätzlich vereinbar, die Rechtsschutzgewährung von einem fortbestehenden Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen und bei Erledigung des Verfahrensgegenstandes einen Fortfall des Rechtsschutzinteresses anzunehmen. Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels kann ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung aber fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden kann (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 ≪85 f.≫ m. w. N.; Kammerbeschlüsse vom 11. April 2018 - 2 BvR 2601/17 - juris Rn. 32 ff. und vom 26. Januar 2021 - 2 BvR 676/20 - juris Rn. 30 f.; BVerwG, Urteile vom 12. November 2020 - 2 C 5.19 - BVerwGE 170, 319 Rn. 15 und vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - NVwZ 2023, 1000 Rn. 13 m. w. N.).
Rz. 17
Danach besteht ein schützenswertes Interesse der Antragstellerin an der nachträglichen verwaltungsgerichtlichen Klärung der Wirksamkeit von § 7 Abs. 1 Satz 1 VO-CP. Die zur Prüfung gestellte Norm hatte eine kurze Geltungsdauer (2. November 2020 bis 15. November 2020), innerhalb derer gerichtlicher Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden konnte. Die Antragstellerin macht Beeinträchtigungen ihres Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG geltend, die ein Gewicht haben, das die nachträgliche Klärung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verordnungsregelung rechtfertigt (vgl. zur Untersagung von Gastronomiebetrieben: BVerfG, Kammerbeschluss vom 11. November 2020 - 1 BvR 2530/20 - juris Rn. 11: "ein zwar zeitlich befristeter, aber dennoch schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht... aus Art. 12 Abs. 1 GG"). Auch wenn die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen für den Verzehr außerhalb des Gastronomiebetriebs von dem Verbot ausgenommen waren, wurde die Berufsausübung der Antragstellerin doch im Wesentlichen untersagt. Dass das Gewicht des Eingriffs durch staatliche Hilfsprogramme zur finanziellen Kompensation seiner Folgen gemindert wurde, kann die nachträgliche Prüfung der Rechtmäßigkeit der Vorschriften ebenfalls nicht erübrigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2022 - 3 CN 6.22 - Rn. 16).
Rz. 18
Dass die Antragstellerin ihr Restaurant als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts betreibt, steht der Anerkennung eines schützenswerten Interesses an der nachträglichen Klärung der Wirksamkeit der angegriffenen Vorschrift nicht entgegen. Der vom Antragsgegner vorgetragene Einwand, bei juristischen Personen fehle der Persönlichkeitsbezug ("Selbstverwirklichung durch die Ausübung eines Berufs"), der dem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG bei natürlichen Personen neben der erwerbswirtschaftlichen Seite innewohne, erweist sich in zweierlei Hinsicht als nicht tragfähig: Zum einen handelt es sich bei einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts nicht um eine juristische Person. Danach unterliegt es keinen Bedenken, für die Beurteilung des Feststellungsinteresses auf die Gesellschafter der Antragstellerin abzustellen, bei denen der vom Antragsgegner geforderte Persönlichkeitsbezug unzweifelhaft vorliegt. Darüber hinaus ist nicht zu erkennen, warum eine gewichtige Beeinträchtigung der erwerbswirtschaftlichen Seite der Berufsausübungsfreiheit nicht auch für sich genommen ein fortbestehendes Feststellungsinteresse begründen können soll. Das Feststellungsinteresse wegen eines gewichtigen Grundrechtseingriffs und das Feststellungsinteresse wegen einer präjudiziellen Wirkung für eine beabsichtigte Schadensersatz- oder Entschädigungsklage stehen unabhängig nebeneinander (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2023 - 3 CN 6.22 - Rn. 16).
Rz. 19
2. § 32 Satz 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Corona-Steuerhilfsgesetz) vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1385) ermächtigt die Landesregierungen, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen (u. a.) nach § 28 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen.
Rz. 20
Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der bei Erlass und während der Geltung der Verordnung zuletzt durch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) geänderten Fassung dieser Vorschrift trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG kann die zuständige Behörde unter den Voraussetzungen von Satz 1 Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) werden insoweit eingeschränkt (§ 28 Abs. 1 Satz 4, § 32 Satz 3 IfSG).
Rz. 21
Die Schließung von Gastronomiebetrieben, die dazu dienen sollte, die Verbreitung der COVID-19-Krankheit und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, konnte, wie der Senat in seinem Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - bereits entschieden hat, unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht in den Betrieben eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne von § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sein.
Rz. 22
a) Keiner Entscheidung bedarf, ob für die Bewertung der Wirksamkeit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage allein der Zeitpunkt des Verordnungserlasses maßgeblich ist (so in Bezug auf das nachträgliche Fortfallen oder eine nachträgliche Änderung der Ermächtigungsgrundlage: BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 1988 - 1 BvR 482/84 und 1166/85 - BVerfGE 78, 179 ≪198≫; BVerwG, Urteile vom 12. Dezember 1979 - 8 C 2.79 - BVerwGE 59, 195 ≪197≫ und vom 23. April 1997 - 11 C 4.96 - BVerwGE 104, 331 ≪333≫; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. November 2021 - 11 S 103/21 - juris Rn. 26 f.) oder deren gesamte Geltungsdauer in die Betrachtung einzubeziehen ist (so in Bezug auf die Eignung der Maßnahme: BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 186; in Bezug auf die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage: OVG Lüneburg, Urteil vom 25. November 2021 - 13 KN 62/20 - juris Rn. 65 und 73; VGH Mannheim, Urteil vom 2. Juni 2022 - 1 S 1067/20 - juris Rn. 81 und 105; OVG Bremen, Urteil vom 23. März 2022 - 1 D 349/20 - juris Rn. 48). Während der zweiwöchigen Geltungsdauer von § 7 Abs. 1 Satz 1 VO-CP (2. November bis zum Ablauf des 15. November 2020) waren keine maßgeblichen Änderungen der Sach- und Rechtslage zu verzeichnen. Zwar wurde am 3. November 2020 der Entwurf eines Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BT-Drs. 19/23944) in den Bundestag eingebracht; doch ist die dort enthaltene, die bisherige Generalklausel ergänzende Ermächtigungsgrundlage des § 28a IfSG erst am 19. November 2020 in Kraft getreten.
Rz. 23
b) Dass § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG auch zum Erlass von Maßnahmen wie der Untersagung von Gastronomiebetrieben ermächtigt, die - wie hier - unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht an jeden Betrieb im Geltungsbereich der Verordnung gerichtet sind, hat der Senat mit Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - bereits entschieden (NVwZ 2023, 1000 Rn. 21 ff.). Aus § 31 IfSG ergibt sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin nichts anderes.
Rz. 24
Gemäß § 31 Satz 1 IfSG kann die zuständige Behörde Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern die Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten ganz oder teilweise untersagen. Satz 1 gilt auch für sonstige Personen, die Krankheitserreger so in oder an sich tragen, dass im Einzelfall die Gefahr einer Weiterverbreitung besteht (Satz 2). Diese Regelung trägt nicht die Annahme der Antragstellerin, hieraus folge nach dem allgemeinen Grundsatz des Vorrangs der spezielleren Regelung, dass § 28 Abs. 1 IfSG nicht zu Betriebsschließungen gegenüber "Nichtstörern" ermächtige (eine solche "Sperrwirkung" von § 31 IfSG ebenfalls verneinend: OVG Bremen, Beschluss vom 9. April 2020 - 1 B 97/20 - juris Rn. 44; OVG Münster, Beschluss vom 14. April 2020 - 13 B 440/20.NE - juris Rn. 89 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. April 2020 - 11 S 25/20 - juris Rn. 10). Die Antragstellerin verfehlt mit ihrem Verständnis der Normsystematik den Wortlaut von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG und die dort enthaltene Bezugnahme auf die in den §§ 29 bis 31 IfSG geregelten Maßnahmen gegenüber Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern. Diese Bezugnahme ("insbesondere") legt sich schon der Formulierung nach keine abschließende Wirkung bei. Auch der Vergleich der Regelungsinhalte zeigt, dass § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG und § 31 IfSG nicht in dem von der Antragstellerin unterstellten Verhältnis von genereller und spezieller Regelung stehen. Zwar dienen beide Regelungen der Verhinderung der Verbreitung von übertragbaren Krankheiten, jedoch mit einer sich ergänzenden komplementären Zielrichtung. Mit den Tätigkeitsverboten, zu denen § 31 IfSG gegenüber den dort genannten Personen ermächtigt, sollen Gesundheitsgefahren durch übertragbare Krankheiten abgewehrt werden, die gerade von diesem Personenkreis (Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider) ausgehen. Über diesen Regelungsansatz hinausgehend ermöglicht die infektionsschutzrechtliche Generalklausel in § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG, zur Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit die Zahl der Örtlichkeiten zu reduzieren, an denen Personen typischerweise in einen engeren, auch physisch-sozialen Kontakt treten. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass es entsprechend dem Übertragungsweg des jeweiligen Krankheitserregers gerade an solchen Orten zu einer Weitergabe des Erregers - hier des SARS-CoV-2-Virus - kommen kann. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG liegt somit ein weiter reichender Regelungsansatz als der des § 31 IfSG zugrunde.
Rz. 25
3. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, § 7 Abs. 1 Satz 1 VO-CP habe zum Zeitpunkt des Erlasses der Regelung nicht auf § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG gestützt werden können, verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Rz. 26
Die infektionsschutzrechtliche Generalklausel des § 32 Satz 1 IfSG i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der oben dargestellten Auslegung war beim Erlass von § 7 Abs. 1 Satz 1 VO-CP und während der Geltungsdauer der Regelung eine verfassungsgemäße Grundlage für die Schließung von Gastronomiebetrieben. Die Generalklausel genügte in der maßgeblichen Zeit (c) sowohl den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) (a) als auch denen des Parlamentsvorbehalts als einer Ausformung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips (b). Entschädigungs- und Ausgleichszahlungen an die von Schließungen betroffenen Inhaber von Gastronomiebetrieben musste das Infektionsschutzgesetz nicht regeln (d).
Rz. 27
a) Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG können durch Gesetz (u. a.) die Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Nach Satz 2 müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden.
Rz. 28
Das Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG soll gewährleisten, dass der parlamentarische Gesetzgeber durch die Ermächtigung selbst entscheidet, welche Fragen durch die Rechtsverordnung geregelt werden können oder sollen. Dazu muss er die Grenzen der Ermächtigung festlegen und angeben, welchem Ziel sie dienen soll. Er muss der ermächtigten Stelle darüber hinaus ein "Programm" an die Hand geben, das mit der Ermächtigung verwirklicht werden soll. Bereits aufgrund der Ermächtigung soll vorhersehbar sein, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt allerdings nicht, dass die Ermächtigung in ihrem Wortlaut so genau wie nur irgend möglich gefasst ist. Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung müssen auch nicht ausdrücklich im Gesetzestext bestimmt sein; sie müssen jedoch durch Auslegung des ermächtigenden Gesetzes zu ermitteln sein. Das Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit gesetzlicher Ermächtigungen verwehrt es dem Gesetzgeber daher nicht, in der Ermächtigungsnorm Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden. Es genügt, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe allgemeiner Auslegungsregeln erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes (stRspr, vgl. BVerfG, Urteil vom 19. September 2018 - 2 BvF 1/15 u. a. - BVerfGE 150, 1 Rn. 201 ff.; Kammerbeschluss vom 28. April 2009 - 1 BvR 224/07 - BVerfGK 15, 377 = juris Rn. 14, jeweils m. w. N.).
Rz. 29
Der Grad der im konkreten Fall erforderlichen Bestimmtheit hängt zum einen von den Besonderheiten des jeweiligen Regelungsgegenstandes ab, insbesondere davon, in welchem Umfang er einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist. Bei vielgestaltigen, komplexen Lebenssachverhalten oder absehbaren Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse sind geringere Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen als bei einfach gelagerten und klar vorhersehbaren Lebenssachverhalten (stRspr, vgl. BVerfG, Urteil vom 19. September 2018 - 2 BvF 1/15 u. a. - BVerfGE 150, 1 Rn. 204 m. w. N.). Maßgebend ist zudem, wie intensiv die Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen sind. Insoweit berühren sich das Bestimmtheitsgebot und der Verfassungsgrundsatz des Vorbehalts des Gesetzes, der fordert, dass der Gesetzgeber die entscheidenden Grundlagen des zu regelnden Rechtsbereichs, die den Freiheits- und Gleichheitsbereich wesentlich betreffen, selbst festlegt. Greift die Regelung erheblich in die Rechtsstellung des Betroffenen ein, müssen höhere Anforderungen an die Bestimmtheit der Ermächtigung gestellt werden, als wenn es sich um einen Regelungsbereich handelt, der die Grundrechtsausübung weniger tangiert (stRspr, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18. Juli 2005 - 2 BvF 2/01 - BVerfGE 113, 167 = juris Rn. 276 und vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 - BVerfGE 161, 299 Rn. 126, jeweils m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - NVwZ 2023, 1000 Rn. 36 f.).
Rz. 30
Bei einem neuartigen Virus wie dem Coronavirus SARS-CoV-2 ist der Grad der erforderlichen Bestimmtheit einer gesetzlichen Verordnungsermächtigung auch vom erreichten Stand der Kodifikationsreife abhängig (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - NVwZ 2023, 1000 Rn. 41 f.).
Rz. 31
b) Das Demokratie- (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) und das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gebieten, dass der parlamentarische Gesetzgeber in allen grundlegenden Bereichen die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft und nicht anderen Normgebern oder der Exekutive überlässt. Darunter fällt insbesondere die Regelung der Fragen, die wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte sind (stRspr, vgl. u. a. BVerfG, Urteile vom 19. September 2018 - 2 BvF 1/15 u. a. - BVerfGE 150, 1 Rn. 190 ff. und vom 22. Februar 2023 - 2 BvE 3/19 - NJW 2023, 831 Rn. 182 f., jeweils m. w. N.). Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass Entscheidungen von besonderer Tragweite aus einem Verfahren hervorgehen, das sich durch Transparenz auszeichnet, die Beteiligung der parlamentarischen Opposition gewährleistet und auch den Betroffenen und der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten (vgl. u. a. BVerfG, Urteile vom 19. September 2018 - 2 BvF 1/15 u. a. - BVerfGE 150, 1 Rn. 192 und vom 22. Februar 2023 - 2 BvE 3/19 - NJW 2023, 831 Rn. 182, jeweils m. w. N.).
Rz. 32
Aus der Einstufung eines Regelungsgegenstandes als "wesentlich" ergeben sich auch Anforderungen an die Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung. Das Bestimmtheitsgebot soll sicherstellen, dass Regierung und Verwaltung im Gesetz steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden und die Gerichte eine wirksame Rechtskontrolle durchführen können. Des Weiteren sollen die betroffenen Grundrechtsträger sich auf mögliche belastende Maßnahmen einstellen können (stRspr, vgl. BVerfG, Urteil vom 19. September 2018 - 2 BvF 1/15 u. a. - BVerfGE 150, 1 Rn. 196 m. w. N.). Für eine Delegation an den Verordnungsgeber sind die damit verbundenen Bestimmtheitsanforderungen in Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich normiert. Aus dem Parlamentsvorbehalt ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. September 2018 - 2 BvF 1/15 u. a. - a. a. O. Rn. 190, 198 ff. m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - NVwZ 2023, 1000 Rn. 46).
Rz. 33
c) Ob und unter welchen Voraussetzungen die landesweite Schließung von Gastronomiebetrieben zur Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit wie COVID-19 angeordnet werden kann, ist eine wesentliche Frage im vorgenannten Sinne, die der parlamentarische Gesetzgeber selbst regeln muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - NVwZ 2023, 1000 Rn. 41 und 46).
Rz. 34
Das hat er durch die infektionsschutzrechtliche Generalklausel in § 32 Satz 1 i. V. m § 28 Abs. 1 IfSG in einer Weise getan, die auch beim Erlass der saarländischen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 30. Oktober 2020 und während der Geltungsdauer von § 7 Abs. 1 Satz 1 VO-CP vom 2. bis zum Ablauf des 15. November 2020 den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) und des Parlamentsvorbehalts entsprach (ebenso zu vergleichbarem Landesverordnungsrecht: VerfGH Thüringen, Vorlagebeschluss vom 19. Mai 2021 - 110/20 - juris Rn. 52 ff. für den dort entscheidungserheblichen Zeitraum bis zum 31. Oktober 2020; OVG Bremen, Urteil vom 23. März 2022 - 1 D 349/20 - juris Rn. 39 ff. für die Zeit bis Mitte November 2020; OVG Bautzen, Urteil vom 30. Juni 2022 - 3 C 54/20 - juris Rn. 27 f. für die Zeit bis Mitte November 2020; OVG Lüneburg, Urteil vom 25. November 2021 - 13 KN 389/20 - juris Rn. 37 für die Zeit bis zum 1. November 2020; a. A. LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. März 2021 - LVG 25/20 - juris Rn. 65; VGH Mannheim, Urteil vom 2. Juni 2022 - 1 S 1067/20 - juris Rn. 106, 138: Übergangszeitraum im Herbst 2020 abgelaufen).
Rz. 35
aa) Im Infektionsschutzrecht ist eine Generalklausel wie die des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sachgerecht. Sie trägt den Besonderheiten dieses Regelungsbereichs Rechnung. Der Gesetzgeber kann nicht vorhersehen, welche übertragbaren Krankheiten neu auftreten und welche Schutzmaßnahmen zu ihrer Bekämpfung erforderlich sein werden. Die Generalklausel gewährleistet, dass die zuständigen Behörden - und damit vermittelt durch § 32 Satz 1 IfSG der Verordnungsgeber - auch auf Infektionsgeschehen schnell und angemessen reagieren können, die durch das Auftreten neuartiger Krankheitserreger ausgelöst werden, für deren Bekämpfung die ausdrücklich normierten Schutzmaßnahmen nicht ausreichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - NVwZ 2023, 1000 Rn. 39 m. w. N.).
Rz. 36
Bei der Prüfung, inwieweit es möglich und erforderlich war, dem Verordnungsgeber Voraussetzungen und Grenzen von grundrechtsbeschränkenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vorzugeben, sind die Spielräume zu berücksichtigen, die dem Gesetzgeber in Bezug auf ein legislatorisches Tätigwerden zustehen. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass dem Gesetzgeber bei Gesetzen, mit denen er von ihm angenommenen Gefahrenlagen für die Allgemeinheit oder für Rechtsgüter Einzelner begegnen will, sowohl hinsichtlich seiner Einschätzung zum Vorliegen einer solchen Gefahrenlage als auch hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Grundlagen, aus denen er diese Gefahrenlage abgeleitet hat oder ableiten durfte, ein Spielraum zusteht, der verfassungsgerichtlich lediglich in begrenztem Umfang überprüft werden kann (so im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 170 f. m. w. N. "Bundesnotbremse I"). Einen solchen Spielraum hat der parlamentarische Gesetzgeber auch hinsichtlich der Frage, zu welchem Zeitpunkt er von einer hinreichend verlässlichen und damit tragfähigen tatsächlichen Grundlage für weitergehende gesetzliche Vorgaben ausgehen kann. Diese Spielräume sind auch von den Verwaltungsgerichten zu beachten, wenn sie zu prüfen haben, ob der Gesetzgeber mit Blick auf den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) und den Parlamentsvorbehalt zu über eine bestehende Generalklausel hinausgehenden detaillierteren Vorgaben an den Verordnungsgeber verpflichtet gewesen wäre.
Rz. 37
Das Bestehen einer solchen Pflicht kann in Bezug auf einzelne Teilaspekte, die Gegenstand der gesetzgeberischen Ausgestaltung einer Verordnungsermächtigung sein können, unterschiedlich zu beurteilen sein. Ob und welche (Teil-)Kodifikationen dann geboten sind, hängt aber auch von dem vom Gesetzgeber verfolgten legislatorischen Gesamtkonzept ab.
Rz. 38
Der Verordnungsgeber kann seine Regelungen erst dann nicht mehr auf eine bestehende gesetzliche Generalklausel stützen, wenn der Gesetzgeber mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) und des Parlamentsvorbehalts zum Erlass ergänzender gesetzlicher Regelungen verpflichtet war. Allein der Umstand, dass dem Gesetzgeber eine Konkretisierung möglich gewesen wäre, genügt hierfür nicht.
Rz. 39
bb) Ausgehend davon reichte in der hier maßgeblichen Zeit (Ende Oktober bis Mitte November 2020) die infektionsschutzrechtliche Generalklausel als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die in § 7 Abs. 1 Satz 1 VO-CP angeordnete Schließung von Gastronomiebetrieben aus.
Rz. 40
(1) Das Oberverwaltungsgericht hat seine gegenteilige Annahme darauf gestützt, dass die sogenannte zweite für den Herbst zu erwartende Corona-Welle bereits im Sommer 2020 absehbar gewesen sei; anders als noch im März 2020 sei der Gesetzgeber vom Anstieg der Corona-Infektionen im Herbst nicht "überrascht" worden (UA S. 17). Ihm wäre es deshalb möglich gewesen, die erforderliche parlamentsgesetzliche Grundlage für die pandemiebedingten Betriebsschließungen jedenfalls bis zur parlamentarischen Sommerpause oder spätestens unmittelbar danach zu erlassen. Dazu hätten ihn die Rechtsprechung verschiedener mit pandemiebedingten Regelungen befasster Gerichte und der kritische Diskurs in der juristischen Fachwelt veranlassen müssen (UA S. 18).
Rz. 41
Diese Auffassung nimmt die tatsächlichen Umstände, die für den Gesetzgeber die Pflicht zur Konkretisierung der infektionsschutzrechtlichen Verordnungsermächtigung in Bezug auf COVID-19 begründen können, nur unvollständig in den Blick (1.1). Darüber hinaus verkennt das Oberverwaltungsgericht die Beurteilungsspielräume, die dem Gesetzgeber - wie gezeigt - für sein Tätigwerden in inhaltlicher und zeitlicher Hinsicht zustehen (1.2). Schließlich lässt das Oberverwaltungsgericht unbeachtet, dass ein erheblicher Teil der von der Antragstellerin als regelungsbedürftig angesehenen Fragen bereits auf der Grundlage der infektionsschutzrechtlichen Generalklausel mit der erforderlichen Klarheit und Bestimmtheit beantwortet war (1.3).
Rz. 42
(1.1) Wann und inwieweit Kodifikationsreife im Sinne einer Pflicht des Gesetzgebers zum Tätigwerden besteht, hängt wesentlich von den tatsächlichen Umständen des Pandemiegeschehens ab. Bei der Bewertung ist im Infektionsschutzrecht als einer speziellen Ausprägung des Gefahrenabwehrrechts - wie der Senat bereits in seinen Urteilen vom 22. November 2022 hervorgehoben hat - eine ex-ante-Betrachtung maßgeblich; es ist auf den Erkenntnisstand des Gesetz- und des Verordnungsgebers zum Zeitpunkt des Erlasses und während der Zeit der Geltung der angegriffenen Maßnahmen abzustellen (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - NVwZ 2023, 1000 Rn. 34, 64 und - 3 CN 2.21 - NVwZ 2023, 1011 Rn. 17).
Rz. 43
Ausgehend davon setzt Kodifikationsreife im Sinne der Rechtsprechung des Senats voraus, dass sich in der maßgeblichen Zeit auch die tatsächlichen Grundlagen für eine Entscheidung des Gesetzgebers soweit geklärt hatten, dass ihm eine fundierte Entscheidung über die Ergänzung oder Modifizierung der bestehenden infektionsschutzrechtlichen Generalklausel möglich war. Der Senat hat dazu im Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - ausgeführt, dass dann, wenn sich der Erkenntnisstand in Bezug auf einen neuen Krankheitserreger verbessert, sich geeignete Parameter herausgebildet hätten, um die Gefahrenlage zu beschreiben und zu bewerten, und ausreichende Erkenntnisse über die Wirksamkeit möglicher Schutzmaßnahmen vorlägen, der Gesetzgeber gehalten sein könne, für die jeweilige übertragbare Krankheit zu konkretisieren, unter welchen Voraussetzungen welche Schutzmaßnahmen ergriffen werden können (NVwZ 2023, 1000 Rn. 41).
Rz. 44
Dass der Gesetzgeber mit einer "zweiten Corona-Welle" im Herbst 2020 rechnen musste, genügte nicht, um die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Kodifizierungspflicht für den parlamentarischen Gesetzgeber auszulösen. Mit Blick auf die in Betracht zu ziehenden und gegebenenfalls zu regelnden Schutzmaßnahmen waren darüber hinaus hinreichend belastbare Erkenntnisse dazu erforderlich, welche Eigenschaften das Virus bei dieser "zweiten Welle" haben werde. Je höher die Ansteckungsgefahr und je gravierender mögliche Infektionsverläufe bei dem für den Herbst zu erwartenden Infektionsgeschehen sein würden, desto eingriffsintensiver durften auch mögliche Grundrechtsbeschränkungen sein, zu denen der Gesetzgeber ermächtigen durfte. Weitere Faktoren für die Regelung eines Katalogs möglicher Maßnahmen waren die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Krankheitsfall sowie - mit Blick auf das Ziel, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - NVwZ 2023, 1000 Rn. 50 f.) - die für eine Behandlung in den Kliniken, bei schweren Verläufen namentlich in Intensivstationen, an Personal und sächlicher Ausstattung zur Verfügung stehenden Kapazitäten. Darüber hinaus war von Bedeutung, ob und in welchem Umfang die Bevölkerung durch Impfung gegen eine COVID-19-Infektion geschützt werden konnte. Außerdem setzte die Pflicht zur Regelung eines Maßnahmenkatalogs durch den Gesetzgeber nicht nur eine Analyse des zu erwartenden Infektionsgeschehens, sondern auch voraus, dass die Wirksamkeit der in Betracht kommenden Schutzmaßnahmen für sich genommen und zum anderen im Vergleich mit möglichen Alternativmaßnahmen eingeschätzt werden konnte; das war für seine Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Schutzmaßnahme wegen der mit ihr verbundenen Freiheitsbeschränkungen von Bedeutung.
Rz. 45
(1.2) Darüber hinaus lässt die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts den Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum außer Acht, der dem Gesetzgeber nicht nur mit Blick auf den Inhalt der von ihm getroffenen Regelung, sondern auch hinsichtlich des Zeitpunkts für eine Ergänzung der bestehenden infektionsschutzrechtlichen Generalklausel in Bezug auf COVID-19 zustand. Das angegriffene Urteil lässt nicht erkennen, dass das Oberverwaltungsgericht das Bestehen solcher Spielräume in Rechnung gestellt hat (UA S. 17 ff.). Auch insoweit verfehlt es den rechtlichen Maßstab, der bei der Prüfung zugrunde zu legen war, ob dem Verordnungsgeber mit der infektionsschutzrechtlichen Generalklausel im maßgeblichen Zeitraum noch eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage zur Verfügung stand.
Rz. 46
(1.3) Schließlich lässt das Oberverwaltungsgericht unberücksichtigt, dass etliche der mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG und den Parlamentsvorbehalt bedeutsamen Fragen in der maßgeblichen Zeit bereits im Rahmen der bestehenden Generalklausel geklärt waren und dass der Gesetzgeber die Festlegung konkreter Eingriffsschwellen für die Schließung von Gastronomiebetrieben weder im Sommer 2020 noch bis zum Ablauf des hier maßgebenden Zeitraums am 15. November 2020 als kodifikationsreif ansehen musste.
Rz. 47
Zutreffend ist, dass bereits im Frühjahr 2020 während der sogenannten ersten Welle der Corona-Pandemie in nahezu allen Bundesländern auch die Schließung von Gastronomiebetrieben im Verordnungswege angeordnet worden war. Die dabei gewonnenen Erfahrungen hätten dem parlamentarischen Gesetzgeber Anlass geben können, nun auch ausdrücklich zu regeln, dass die landesweite Schließung von Gastronomiebetrieben zur Verhinderung der weiteren Verbreitung von COVID-19 unabhängig von einem konkreten Infektionsgeschehen in den von der Schließung betroffenen Gastronomiebetrieben zulässig sein solle. Dass der Gesetzgeber eine solche Konkretisierung der Verordnungsermächtigung mit Blick auf die infektionsschutzrechtliche Generalklausel und ihre bisherige Anwendung in der Corona-Pandemie noch nicht vorgenommen hatte, hielt sich indes für den hier zu betrachtenden Zeitraum innerhalb seines Beurteilungsspielraums.
Rz. 48
(1.3.1) Dass auf der Grundlage der bestehenden Generalklausel auch die Schließung von Gastronomiebetrieben angeordnet werden konnte, zeigt bereits deren Entstehungsgeschichte (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - NVwZ 2023, 1000 Rn. 23 ff.). Damit hätte sich aus einer darüber hinausgehenden Regelung dieser Frage durch den parlamentarischen Gesetzgeber kein mit Blick auf den Bestimmtheitsgrundsatz und den Parlamentsvorbehalt bedeutsamer "Zugewinn" für den Verordnungsgeber und für die durch die Schließung in ihren Grundrechten betroffenen Betreiber von Gastronomiebetrieben ergeben.
Rz. 49
Die infektionsschutzrechtliche Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ist die Nachfolgeregelung der vorherigen Generalklausel in § 34 Abs. 1 Satz 1 BSeuchG 1979, die durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes vom 18. Dezember 1979 (BGBl. I S. 2248) in das Bundesseuchengesetz eingefügt worden war. Über diese Generalklausel wollte der Gesetzgeber, wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, eine sinnvolle und wirksame Bekämpfung übertragbarer Krankheiten sicherstellen. Die bisherigen enumerativen Regelungen erschienen ihm dafür zu eng, da die Fülle der Maßnahmen, die bei Ausbruch einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen könnten, nicht im Vorhinein absehbar sei. Die generelle Ermächtigung auch für Maßnahmen gegenüber "Nichtstörern" sollte gewährleisten, dass die zuständigen Behörden "für alle Fälle gewappnet" seien (Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, BT-Drs. 8/2468 S. 27 zu Nummer 29 und 30). § 43 BSeuchG sollte entfallen, weil die dort genannten Schutzmaßnahmen künftig auch auf die Generalklausel des § 34 Abs. 1 Satz 1 gestützt werden könnten (BT-Drs. 8/2468 S. 27 f. und S. 29 zu Nummer 35). Nach dem durch die damals aufgenommene Generalklausel abgelösten § 43 BSeuchG konnte die zuständige Behörde beim Auftreten einer meldepflichtigen übertragbaren Krankheit (§ 3 Abs. 1 und 2 BSeuchG) in epidemischer Form Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen, insbesondere Veranstaltungen in Theatern, Filmtheatern, Versammlungsräumen, Vergnügungs- oder Gaststätten und ähnlichen Einrichtungen, sowie die Abhaltung von Märkten, Messen, Tagungen, Volksfesten und Sportveranstaltungen beschränken oder verbieten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit erforderlich war. Mit der Generalklausel wollte der Gesetzgeber das bisherige Instrumentarium nicht verkürzen, sondern im Gegenteil erweitern.
Rz. 50
Danach konnte es für die Betroffenen auch unter der "neuen" infektionsschutzrechtlichen Generalklausel des § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG nicht überraschend sein, dass es im Pandemiefall zu Gastronomieschließungen kommen konnte. Das findet in der Folgezeit seine Bestätigung darin, dass die Schließung von Gastronomiebetrieben jeweils auch zu den Schutzmaßnahmen gehörte, die der Gesetzgeber sowohl im nicht abschließenden Katalog des § 28a IfSG i. d. F. des Gesetzes vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397 ≪dort Nr. 13≫) als auch in der "Bundesnotbremse" (§ 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 IfSG i. d. F. des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 ≪BGBl. I S. 802≫) gesetzlich verankert hat.
Rz. 51
(1.3.2) Ebenso wenig musste der parlamentarische Gesetzgeber im Sommer oder Herbst 2020 eine ergänzende Regelung dazu treffen, dass Gastronomiebetriebe auch unabhängig von einem im betroffenen Betrieb konkret festgestellten Infektionsgeschehen geschlossen werden durften, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern oder jedenfalls zu verlangsamen. Wie der Senat bereits entschieden und mit dem vorliegenden Urteil bestätigt hat, ergibt die Auslegung der infektionsschutzrechtlichen Generalklausel in § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG, dass die Schließung von Einrichtungen und Betrieben auch unabhängig von einem auf den jeweiligen Betrieb bezogenen Krankheits- oder Ansteckungsverdacht eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG sein kann (BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 - NVwZ 2023, 1000 Rn. 21 ff.).
Rz. 52
(1.3.3) Dass der Verordnungsgeber zur Verhinderung der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus und der Krankheit COVID-19 eine landesweite Schließung von Gastronomiebetrieben nur dann anordnen darf, wenn diese Maßnahme den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügt, war ebenfalls bereits der infektionsschutzrechtlichen Generalklausel zu entnehmen (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG "... trifft... die notwendigen Schutzmaßnahmen..., soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist;...").
Rz. 53
Die Beschränkung der Regelungsbefugnis des Verordnungsgebers durch die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ergibt sich im Übrigen auch unabhängig von dieser Bestimmung bereits unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG. Von einer Ersetzung dieser durch langjährige Rechtsprechung ausgeformten Anforderungen durch andere abstrakte Rechtsbegriffe wäre kaum ein relevanter Zugewinn an Rechtssicherheit zu erwarten gewesen, sondern eher Unsicherheit darüber, ob und inwieweit der Gesetzgeber von diesen Maßstäben abweichen wolle.
Rz. 54
(1.3.4) Ein Feld für zusätzliche gesetzgeberische Vorgaben zur Zulässigkeit der Schließung von Gastronomiebetrieben wäre die Festlegung konkreter Eingriffsschwellen gewesen.
Rz. 55
Unter Berücksichtigung des dem parlamentarischen Gesetzgeber auch insoweit zuzuerkennenden Spielraums ist jedoch für den hier maßgeblichen Zeitraum von Ende Oktober bis Mitte November 2020 nicht zu beanstanden, dass er die Erfahrungen mit dem Erreger SARS-CoV-2 und der Entwicklung des Pandemiegeschehens noch nicht für ausreichend hielt, um hinreichend konkret jedenfalls für eine gewisse Dauer zu regeln, unter welchen Voraussetzungen Gastronomiebetriebe zur Bekämpfung von COVID-19 geschlossen werden dürfen.
Rz. 56
Im maßgeblichen Zeitraum wurden, wie insbesondere die auf den Konferenzen der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder gefassten Beschlüsse zeigen, Schutzmaßnahmen auf der Grundlage von regional bezogenen Sieben-Tage-Inzidenzen erlassen, die auf die Zahl der Neuinfektionen je 100 000 Einwohner abstellten. Diese Zahlen wurden vom Robert Koch-Institut tagesaktuell ermittelt und veröffentlicht. Das Anknüpfen von Maßnahmen an diesen Maßstab, den der Bundesgesetzgeber dann auch seinen gesetzlichen Regelungen in § 28a und § 28b IfSG zugrunde gelegt hat, hat das Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet. Nach der auf tragfähigen Erkenntnissen beruhenden Einschätzung des Gesetzgebers handele es sich um den frühesten Indikator für ein zunehmendes Infektionsgeschehen. Zudem gestatte die Inzidenz, die mit einem gewissen Zeitversatz eintretende Belastung des Gesundheitssystems und die Anzahl der zu erwartenden Todesfälle unter Berücksichtigung der jeweils vorherrschenden Virusvariante frühzeitig abzuschätzen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 199). Aussagekräftige Erfahrungen mit der "zweiten Corona-Welle" und ihren Auswirkungen unter anderem auf das Gesundheitssystem konnte der Gesetzgeber aber erst ab Oktober 2020 gewinnen, als die Zahl der Neuinfektionen stark anstieg (vgl. dazu etwa den Täglichen Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 [COVID-19] vom 28. Oktober 2020). Danach ist es nicht zu beanstanden, dass er im hier maßgeblichen Zeitraum noch davon abgesehen hatte, solche Schwellenwerte festzulegen.
Rz. 57
Am 3. November 2020 hatten die Regierungsfraktionen den Entwurf eines Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BT-Drs. 19/23944) in den Bundestag eingebracht, der in dem neu einzufügenden § 28a IfSG einen nicht abschließenden Katalog von Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 und dabei in dessen Absatz 1 Nummer 13 auch die Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von gastronomischen Einrichtungen vorsah. In Absatz 2 des Entwurfs wurde die Anordnung von Schutzmaßnahmen an bestimmten Schwellenwerten ausgerichtet, ohne dass aber die einzelnen im Katalog aufgeführten Schutzmaßnahmen den in Absatz 2 vorgesehenen Kategorien genau zugeordnet worden wären. Im parlamentarischen Verfahren - die erste Lesung fand am 6. November 2020 statt (BT-PlProt 19/190 S. 23951 ff.) - war in dem hier maßgeblichen Zeitraum die Diskussion über den genauen Inhalt des Maßnahmenkatalogs und die Höhe möglicher Schwellenwerte noch nicht abgeschlossen. Der Gesetzentwurf wurde auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit vom 16. November 2020 (BT-Drs. 19/24334) am 18. November 2020 in geänderter Fassung angenommen (vgl. BT-PlProt 19/191 S. 24045 ≪24096≫). Das Gesetz ist am 19. November 2020 in Kraft getreten (BGBl. I S. 2397).
Rz. 58
Unter den gegebenen Umständen und angesichts der nach wie vor bestehenden Unsicherheiten namentlich hinsichtlich der für das Gesundheitssystem zu erwartenden Belastungen durch die neue "Corona-Welle" war es vom Spielraum des Gesetzgebers gedeckt und daher nicht zu beanstanden, dass er in dem für den Erlass der angegriffenen Regelung maßgeblichen Zeitraum die Lage zunächst noch beobachtet und konkrete Schwellenwerte für die Schließung von Gastronomiebetrieben noch nicht festgelegt hat.
Rz. 59
Dementsprechend geht der Einwand der Antragstellerin fehl, gerade die bestehenden Unsicherheiten hätten den parlamentarischen Gesetzgeber dazu veranlassen müssen, schon im Sommer 2020 bestimmte Maßnahmen, namentlich die Schließung von Gastronomiebetrieben, in einen Katalog der dem Verordnungsgeber eröffneten Schutzmaßnahmen aufzunehmen.
Rz. 60
d) Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, § 7 Abs. 1 Satz 1 VO-CP habe nicht auf die infektionsschutzrechtliche Generalklausel gestützt werden können, ist auch nicht deshalb im Ergebnis zutreffend, weil der parlamentarische Gesetzgeber zum Zeitpunkt des Erlasses und während der Geltungsdauer der Vorschrift keine gesetzlichen Regelungen zu Entschädigungs- und Ausgleichszahlungen an die Gastronomiebetreiber im Infektionsschutzgesetz getroffen hatte.
Rz. 61
Dass das Infektionsschutzgesetz solche Regelungen nicht enthielt, war keine planwidrige Regelungslücke. Vielmehr entsprach es, wie sich bei der Erarbeitung und Verabschiedung des Dritten und des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite bestätigte, gerade dem gesetzgeberischen Willen, über die bisher geregelten Ansprüche hinaus keine weiteren gesetzlichen Entschädigungsansprüche zugunsten der von Betriebsschließungen Betroffenen vorzusehen, insbesondere auch nicht im Infektionsschutzgesetz. Auch in Ansehung der in § 28a Abs. 1 IfSG aufgeführten Schutzmaßnahmen, die nun ausdrücklich auch Gastronomie- (Nr. 13) und sonstige Betriebsschließungen (Nr. 11, 12 und 14) umfassen, und mit Blick auf die im Rahmen der sog. "Bundesnotbremse" in § 28b Abs. 1 IfSG bei der Überschreitung von bestimmten Schwellenwerten zwingend vorgesehenen Schließung von Gastronomie- (Nr. 7) und sonstigen Betrieben (Nr. 3 und 4) hat es der Gesetzgeber bei den bisherigen - punktuellen - Entschädigungsregelungen, u. a. denen in § 56 Abs. 1 und § 65 Abs. 1 IfSG, belassen, die für die Antragstellerin indes nicht einschlägig sind (vgl. dazu BGH, Urteil vom 17. März 2022 - III ZR 79/21 - BGHZ 233, 107 Rn. 40 ff.; bestätigt durch Urteil vom 11. Mai 2023 - III ZR 41/22 - NVwZ 2023, 1188 Rn. 28).
Rz. 62
Zu der von der Antragstellerin vermissten Entschädigungsregelung war der Gesetzgeber verfassungsrechtlich auch nicht verpflichtet.
Rz. 63
Eine solche Pflicht folgt zum einen nicht aus Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG, wonach eine Enteignung nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen darf, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Zu einer Enteignung im Sinne dieser Regelung haben die in Rede stehenden Gastronomieschließungen nicht geführt. Eine Enteignung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver, durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteter Rechtspositionen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gerichtet. Unverzichtbares Merkmal der zwingend entschädigungspflichtigen Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG in der Abgrenzung zur grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmenden Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ist das Kriterium der vollständigen oder teilweisen Entziehung von Eigentumspositionen und der dadurch bewirkte Rechts- und Vermögensverlust. Nutzungs- und Verfügungsbeschränkungen können daher keine Enteignung sein, selbst wenn sie die Nutzung des Eigentums nahezu oder völlig entwerten (vgl. BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016 - 1 BvR 2821/11 u. a. - BVerfGE 143, 246 Rn. 245 ≪Atomausstieg≫).
Rz. 64
Ebenso wenig handelte es sich bei der von der Antragstellerin angegriffenen vorübergehenden Schließung von Gastronomiebetrieben zum Zwecke der Pandemiebekämpfung um eine - ausnahmsweise - ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums. Es ist - wie gezeigt - bereits zweifelhaft, ob und inwieweit die von § 7 Abs. 1 Satz 1 VO-CP erfassten Betreiber von Gastronomiebetrieben verfassungsrechtlich gesehen auch in ihrem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentum betroffen wurden; in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass der Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs jedenfalls nicht weitergeht als der Schutz, den seine wirtschaftliche Grundlage genießt (vgl. BVerfG, Urteile vom 6. Dezember 2016 - 1 BvR 2821/11 u. a. - BVerfGE 143, 246 Rn. 240 und Beschluss vom 30. Juni 2020 - 1 BvR 1679/17 u. a. - BVerfGE 155, 238 Rn. 86, jeweils m. w. N.).
Rz. 65
Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber unter dem Gesichtspunkt der ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung ausnahmsweise verpflichtet gewesen wäre, Ausgleichsregelungen vorzusehen, um eine unzumutbare Belastung zu verhindern. Der Bundesgerichtshof hat in Bezug auf die infektionsschutzrechtlichen Betriebsuntersagungen aus dem ersten "Lockdown" im Frühjahr 2020 entschieden, dass der Gesetzgeber nicht verpflichtet gewesen sei, Ausgleichsansprüche zu regeln (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2022 - III ZR 79/21 - BGHZ 233, 107 Rn. 62; bestätigt durch Urteil vom 11. Mai 2023 - III ZR 41/22 - NVwZ 2023, 1188 Rn. 50 ff., ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 2. Juni 2022 - 1 S 926/20 - juris Rn. 264 ff.). Die Antragstellerin hat - zumal mit Blick auf die zugunsten der Betriebsinhaber aufgelegten staatlichen Hilfsprogramme - nicht aufgezeigt, weshalb für den hier maßgeblichen Zeitraum von zwei Wochen im November 2020 etwa anderes gelten sollte.
Rz. 66
Auch im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgebots begegnet das Fehlen einer gesetzlichen Regelung zu Ausgleichs- und Entschädigungszahlungen für auf § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG gestützte Betriebsschließungen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Unabhängig davon, ob durch die vorübergehende Schließung der Gastronomiebetriebe deren Betreiber nicht nur in ihrer Berufsausübungsfreiheit, sondern auch in ihrem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentum betroffen waren, kann aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz keine Verpflichtung des Gesetzgebers hergeleitet werden, zugleich mit den von ihm ermöglichten Grundrechtseingriffen gesetzlich auch Entschädigungsansprüche der Betroffenen zu regeln. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Nichtannahmebeschluss zur "Bundesnotbremse" im Zusammenhang mit der Bejahung der Angemessenheit von Betriebsschließungen nach § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 IfSG i. d. F. des Gesetzes vom 22. April 2021 auch staatliche Hilfsprogramme eingriffsmindernd berücksichtigt, die nicht mit einem gesetzlich geregelten Anspruch der Betroffenen verknüpft waren (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 23. März 2022 - 1 BvR 1295/21 - NJW 2022, 1672 Rn. 28, 34; ebenso BGH, Urteil vom 11. Mai 2023 - III ZR 41/22 - NVwZ 2023, 1188 Rn. 42). Für den hier maßgeblichen Zeitraum war auf der Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 28. Oktober 2020 in Bezug auf die beabsichtigten vorübergehenden Betriebsschließungen angekündigt worden, dass der Bund eine außerordentliche Wirtschaftshilfe gewähren werde, um die betroffenen Betriebe für finanzielle Ausfälle zu entschädigen; der Erstattungsbetrag belaufe sich für Unternehmen bis 50 Mitarbeiter auf 75 % des entsprechenden Umsatzes des Vorjahresmonats.
Rz. 67
4. Eine abschließende Bewertung der materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeit der angegriffenen Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 VO-CP ist dem Senat verwehrt; er kann damit auch nicht entscheiden, ob sich das angegriffene Urteil aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen, die es dem Senat ermöglichen, die Frage zu beantworten, ob § 7 Abs. 1 Satz 1 VO-CP mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG, etwa in Bezug auf die für Kantinen bestehende Ausnahme, vereinbar war. Die Sache wird daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 15972076 |
BVerwGE 2024, 298 |
JZ 2023, 302 |
JZ 2023, 643 |
LKV 2023, 3 |
LKV 2023, 4 |