Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Beschluss vom 18.10.2005; Aktenzeichen 19 A 1597/05)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

 

Tatbestand

I

Die 1970 geborene Klägerin, eine russische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Perm, verfolgt auch im Revisionsverfahren das Ziel, ihr eine Urkunde über den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach dem Gesetz zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 20. Dezember 1974 (BGBl I S. 3714) – RuStAÄndG 1974 – zu erteilen.

Nachdem der Bescheid vom 29. September 2003, der Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2004 und das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 9. März 2005 zu Ungunsten der Klägerin noch darauf abgestellt hatten, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der im Jahre 1943 erlassenen Volkslistenverordnung Ukraine (vgl. hierzu im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2006 – BVerwG 5 C 3.05 –) nicht vorgelegen hätten und demzufolge ein klägerischer Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit über die Großeltern (mütterlicherseits) und die 1949 geborene Mutter der Klägerin nicht erfolgt sei, wobei das Urteil des Verwaltungsgerichts im Schwerpunkt den Beleg einer (tatsächlichen) Aufnahme des Großvaters in die Volksliste vermisst, hat das Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 18. Oktober 2005 entscheidungstragend darauf abgestellt, dass die Klägerin – erstens – bis zum 31. Dezember 1977 eine Erklärung nicht abgegeben habe, welche die Voraussetzungen i.S.v. Art. 3 Abs. 6 i.V.m. Art. 6 RuStAÄndG 1974 erfüllt habe, und – zweitens – die sog. “Nacherklärungsfrist”, d.h. die Frist von sechs Monaten nach Fortfall des Hindernisses (Art. 3 Abs. 7 Satz 1 RuStAÄndG 1974), zu Beginn des Jahres 2002, dem Zeitpunkt der erstmaligen Erklärung, deutsche Staatsangehörige werden zu wollen, bereits abgelaufen gewesen sei.

Die Großeltern der Klägerin mütterlicherseits seien ursprünglich in der Ukraine siedelnde deutsche Volkszugehörige mit deutschen Geburtsnamen gewesen, und dementsprechend habe auch die 1949 geborene Mutter der Klägerin einen deutschen Geburtsnamen getragen; der 1913 in der Ukraine geborene und 1978 verstorbene Großvater der Klägerin sei 1941 als Person deutscher Nationalität aus der Ukraine in das Gebiet Perm deportiert worden. Der Mutter der Klägerin seien im Jahre 1991 ein Aufnahmebescheid erteilt, im Jahre 1992 (zugleich dem Jahr ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland) ein Vertriebenenausweis und im Jahre 2002 ein deutscher Staatsangehörigkeitsausweis ausgestellt worden.

Jedenfalls ab dem Zeitpunkt ihrer Volljährigkeit habe deshalb für die 1970 geborene Klägerin Anlass und Gelegenheit bestanden, sich Kenntnis über Möglichkeiten des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit zu verschaffen, weil sie aus einer “gemischt-nationalen” Familie stamme und ihr – nach eigenen sowie der Mutter Angaben – bewusst gewesen sei, Deutsche zu sein bzw. sich als solche zu fühlen, und sie sich dementsprechend auch nach Eintritt ihrer Volljährigkeit bemüht habe, dass von russischen Behörden im Pass eine deutsche Nationalität eingetragen werde.

Die Revision der Klägerin rügt eine Überspannung der die Klägerin treffenden Informationspflichten. Die Beklagte und die Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht verteidigen die angefochtene oberverwaltungsgerichtliche Entscheidung.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) dahin erkannt, dass die Klägerin ihr Erklärungsrecht nicht rechtzeitig i.S.v. Art. 3 Abs. 6 und 7 i.V.m. Art. 6 des Gesetzes zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 20. Dezember 1974 (BGBI I S. 3714) – RuStAÄndG 1974 – ausgeübt hat, weil sie nicht ohne ihr Verschulden außerstande gewesen ist, die Nacherklärungsfrist einzuhalten.

1. Das Begehren der Klägerin beurteilt sich nach Art. 3 RuStAÄndG 1974. Zwischen den Beteiligten steht nicht im Streit, dass eine Erklärung zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit jedenfalls nicht bis zum Ablauf von drei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 20. Dezember 1974 zum 1. Januar 1975 (Art. 6 RuStAÄndG 1974) abgegeben worden ist. Diese Fristbestimmung zur Ausübung des Erklärungsrechts i.S.v. Art. 3 Abs. 6 i.V.m. Art. 6 RuStAÄndG 1974 ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wobei für einen zu diesem Zeitpunkt noch nicht 18 Jahre alten Erwerbsberechtigten die Erklärung durch den nach Art. 3 Abs. 5 RuStAÄndG 1974 Erklärungsberechtigten abgegeben werden musste und die Erklärungsfrist mit Erreichen der Volljährigkeit durch den Erwerbsberechtigten nicht neu in Lauf gesetzt wird (Urteil vom 24. Oktober 1995 – BVerwG 1 C 29.94 – BVerwGE 99, 341; vgl. auch Urteil vom 25. Juni 1998 – BVerwG 1 C 6.96 – Buchholz 130.0 RuStAÄndG Nr. 2).

2. Streitentscheidend ist mithin, ob die Klägerin bis sechs Monate vor der Abgabe ihrer Erklärung aus dem Jahr 2002, die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben zu wollen, i.S.v. Art. 3 Abs. 7 Satz 1 und 2 RuStAÄndG 1974 ohne ihr Verschulden gehindert war, die Erklärung abzugeben. Dies ist nicht der Fall. Im Zeitpunkt der Abgabe der Erwerbserklärung war die geltend gemachte Unkenntnis über das Erklärungsrecht seit mehr als sechs Monaten nicht mehr unverschuldet.

2.1 Ein die Nacherklärungsfrist des Art. 3 Abs. 7 Satz 1 RuStAÄndG 1974 eröffnendes unverschuldetes Hindernis wird nicht bereits durch die Unkenntnis der Rechtslage begründet. Die Nacherklärungsfrist beginnt vielmehr zu laufen, wenn ein potentiell Erklärungsberechtigter hinreichend Anlass hat und es ihm rechtlich und tatsächlich möglich und zumutbar ist, sich (etwa durch Einholung einer Auskunft bei der deutschen Auslandsvertretung oder einer sonst rechtskundigen Stelle) Kenntnis vom Erklärungsrecht zu verschaffen. Anlass, sich über die deutsche Staatsangehörigkeit oder Möglichkeiten zu ihrem Erwerb Gedanken zu machen und soweit erforderlich Rechtsauskünfte einzuholen, besteht bereits dann, wenn der Erwerbsberechtigte aus einer gemischt-nationalen Ehe mit einem deutschen Elternteil stammt (Urteil vom 24. Oktober 1995 a.a.O. S. 343 f., S. 344, S. 345 ff. und S. 351; vgl. auch Urteil vom 25. Juni 1998 a.a.O. S. 14 f.); denn Voraussetzung für das Erwerbsrecht nach Art. 3 RuStAÄndG 1974 ist die Abstammung von einer Mutter, die im Zeitpunkt der Geburt des Kindes deutsche Staatsangehörige (oder Deutsche ohne deutsche Staatsangehörigkeit i.S.d. Art. 116 Abs. 1 GG) war.

a) Diese Pflicht (bzw. Obliegenheit) zur Nachforschung und ggf. vorsorglichen Erwerbserklärung ist nicht auf die Fälle beschränkt, in denen eine zum Zeitpunkt der Geburt eines Erwerbsberechtigten vorliegende deutsche Staatsangehörigkeit seiner Mutter in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unstrittig ist (so der dem Urteil vom 24. Oktober 1995 a.a.O. zu Grunde liegende Sachverhalt). Vielmehr muss auch in Fällen einer ungeklärten deutschen Staatsangehörigkeit der Mutter von dem Erklärungsberechtigten grundsätzlich erwartet werden, dass er innerhalb der einschlägigen Frist eine Erwerbserklärung “vorsorglich” abgibt, soll nicht der Verlust des Erwerbsrechts zu gewärtigen sein (Urteil vom 25. Juni 1998 a.a.O. S. 14 sowie Leitsatz 2). Allerdings ist eine vorsorgliche Erwerbserklärung nicht stets und unabhängig davon abzuverlangen, ob Kenntnis von Umständen vorliegt, welche Anhalt für eine mögliche deutsche Staatsangehörigkeit der Mutter geben können. Eine vorsorgliche Erwerbserklärung kann zur Wahrung der Frist des Art. 3 Abs. 7 Satz 1 RuStAÄndG 1974 vielmehr erst dann erwartet werden, wenn – in Fällen einer objektiven Ungewissheit der deutschen Staatsangehörigkeit oder deren Unkenntnis – diese Ungewissheit oder Unkenntnis nicht unverschuldet ist und der Erklärungsberechtigte über hinreichende Anhaltspunkte für eine mögliche deutsche Staatsangehörigkeit der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes verfügt. Hinreichend sind solche Anhaltspunkte – tatsächlicher wie rechtlicher Art –, die im Ergebnis auf eine deutsche Staatsangehörigkeit der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes hinführen können. Denn nur unter dieser Voraussetzung ist eine aus einer (möglichen) deutschen Staatsangehörigkeit der Mutter ableitbare deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes denkbar, und nur dann kann erwartet werden, dass sich ein Erklärungsberechtigter um die staatsangehörigkeitsrechtlichen Belange kümmert und entsprechende Erkundigungen sowohl zur weiteren Klärung der Möglichkeit, dass die Mutter die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, als auch zu einem Erklärungsrecht einzieht sowie ggf. vorsorglich Anträge anbringt.

b) Allein der Umstand, dass die Mutter der Klägerin deutsche Volkszugehörige war, bot allerdings noch keinen hinreichenden Anlass zu Erkundigungen nach einer möglichen deutschen Staatsangehörigkeit ihrer Mutter bzw. nach Möglichkeiten zu ihrem Erwerb und zum anderen für eine vorsorgliche Erwerbserklärung. Denn die deutsche Volkszugehörigkeit ist mit der deutschen Staatsangehörigkeit nicht identisch. Allein die Abstammung aus einem hinsichtlich der Volkszugehörigkeit gemischt-nationalen Elternhaus setzt bei objektiver Unkenntnis der (möglichen) deutschen Staatsangehörigkeit eines Vorfahrens entsprechende Nachforschungs- und Erkundigungspflichten für sich noch nicht in Lauf.

Die Klägerin leitet dementsprechend das von ihr beanspruchte Erklärungsrecht zutreffend nicht allein aus der Volkszugehörigkeit ihrer Mutter ab; vielmehr hat sie geltend gemacht, dass ihre Mutter deutsche Volkszugehörige gewesen sei, welche entweder selbst oder vermittelt über den deutschen Elternteil von den – auf das Jahr 1941 abstellenden – staatsangehörigkeitsrechtlichen Regelungen der Volkslistenverordnung Ukraine (1943) erfasst worden sei, weil sie selbst oder der jeweils maßgebliche Elternteil während der Kriegsjahre, insbesondere in den Jahren 1941 und gegebenenfalls auch danach, in der Ukraine als deutsche Volkszugehörige gelebt hätten. Wer indes geltend macht, seine Mutter sei bei seiner Geburt deutsche Staatsangehörige gewesen, und sich dafür auf § 1 Abs. 1 Buchst. f StAngRegG 1955 i.V.m. der “Verordnung über die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit an die in die Deutsche Volksliste der Ukraine eingetragenen Personen” vom 19. Mai 1943 beruft, hat jedenfalls ab dem Zeitpunkt Anhaltspunkte für eine mögliche deutsche Staatsangehörigkeit seiner Mutter, ab dem er seine Mutter für eine deutsche Volkszugehörige aus der Ukraine hielt und Umstände bekannt waren, dass dies zur deutschen Staatsangehörigkeit hätte führen können; denn dies war notwendige Voraussetzung für den behaupteten Erwerb auch der deutschen Staatsangehörigkeit.

Bis zum Eintritt ihrer Volljährigkeit ist der Klägerin das Wissen ihrer bis dahin erklärungsberechtigten Mutter zuzurechnen. Danach hätte sie das Wissen um das Schicksal ihrer Vorfahren zum einen zu Erkundigungen nach einer möglichen deutschen Staatsangehörigkeit ihrer Mutter bzw. nach Möglichkeiten zu ihrem Erwerb und zum anderen zu einer vorsorglichen Erwerbserklärung veranlassen müssen. Nicht erforderlich ist eine Kenntnis von einer Eintragung in die Deutsche Volksliste. Zwar ist nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juli 2006 – BVerwG 5 C 3.05 – ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit infolge der Volkslistenverordnung Ukraine nur dann in Betracht zu ziehen, wenn eine Eintragung in die Deutsche Volksliste erfolgt war. Die mit Blick auf Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG 1974 maßgebliche Annahme einer möglichen deutschen Staatsangehörigkeit der Mutter wird indes nicht erst dann hervorgerufen, wenn im Einzelnen die Eintragungsvoraussetzungen bekannt waren oder ermittelt worden sind, sondern bereits dann, wenn in Laiensicht deren deutsche Volkszugehörigkeit und deren Zugehörigkeit zur Gruppe der in der Kriegszeit in der Ukraine ansässigen Bevölkerung bekannt war oder bekannt sein musste; dies gilt um so mehr, als bis zu dem genannten Urteil vom 27. Juli 2006 auch die Ansicht vertreten wurde, bereits die Zugehörigkeit zur deutschen Volksgruppe der Ukraine bewirke einen – vom konkreten Eintrag unabhängigen – Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Zumindest kam bei bestehender Volkszugehörigkeit eine Eintragung in die Volksliste Ukraine in Betracht, die nach der Volkslistenverordnung Ukraine (1943) Voraussetzung für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit war. Folglich besteht bei einer Abstammung von einer Mutter, die entweder selbst sich 1941 in der Ukraine als Volksdeutsche aufgehalten hat oder deren volksdeutscher Elternteil, der eine deutsche Staatsangehörigkeit erworben und der Mutter vermittelt haben könnte, sich zu dieser Zeit dort aufgehalten hat, Anlass, die deutsche Staatsangehörigkeit der Mutter zu klären und weiter zu klären, ob die deutsche Staatsangehörigkeit nach der Mutter bereits durch Geburt erworben wurde oder es Möglichkeiten für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach der Mutter gibt.

Die Erklärungen sind einem Erklärungsberechtigten ab dem Zeitpunkt abzuverlangen, ab dem Umstände bekannt waren, die einen an die deutsche Volkszugehörigkeit in der Ukraine anknüpfenden Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit der Mutter möglich erscheinen ließen.

c) Bei einer bis zur Erwerbserklärung andauernden objektiven Ungewissheit einer deutschen Staatsangehörigkeit der Mutter kann ein fortdauerndes unverschuldetes Hindernis i.S.v. Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG 1974 auch dann vorliegen, wenn die Nichtabgabe einer (vorsorglichen) Erklärung auf das Verhalten deutscher Stellen (im Inland wie im Ausland) zurückzuführen ist.

Bei einer – bezogen auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes – feststehenden und ohne weiteres (etwa aufgrund von Dokumenten) ermittelbaren deutschen Staatsangehörigkeit der Mutter kommt dies in Betracht, wenn eine deutsche Behörde eine falsche Auskunft erteilt (Urteile vom 24. Oktober 1995 a.a.O. S. 350 und vom 25. Juni 1998 a.a.O. S. 17) und dadurch den Rechtsirrtum hervorgerufen oder bestärkt hat, dass eine Möglichkeit eines Erklärungserwerbs nicht besteht. Ist bereits die (Möglichkeit einer) deutsche(n) Staatsangehörigkeit der Mutter objektiv ungewiss oder ohne dessen Verschulden dem Erklärungsberechtigten nicht bekannt, obwohl sie nach den ihm bekannten Tatsachen in Betracht kommt, kann dies die Beratungs- und Aufklärungspflichten von deutschen Behörden (dazu allgemein § 25 VwVfG) dahin erweitern, dass nicht nur eine objektiv fehlerhafte Auskunft über die Möglichkeit eines Staatsangehörigkeitserwerbs durch Erklärung ein bis zur Anfrage i.S.d. Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG 1974 unverschuldetes Hindernis begründen oder fortdauern lassen kann, sondern auch eine unklare, irreführende oder unvollständige Auskunft auf ein erkennbar auch staatsangehörigkeitsrechtliche Fragen erfassendes Auskunftsbegehren hin. Zeitlich sind dabei nur solche Auskünfte deutscher Behörden beachtlich, die noch innerhalb der Frist des Art. 3 Abs. 6 oder 7 RuStAÄndG 1974 erteilt bzw. unterlassen worden sind.

Sachlich wird eine umfassende Auskunftspflicht nicht erst durch ein gezieltes Auskunftsbegehren mit Bezug auf die Möglichkeiten des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit oder durch Verlautbarungen von Erklärungsberechtigten ausgelöst, die entweder bereits für sich gesehen als staatsangehörigkeitsrechtlich beachtliche Erklärungen zu verstehen waren (vgl. Urteil vom 25. Juni 1998 a.a.O. S. 15 f. und Beschluss vom 17. Juli 1998 – BVerwG 1 B 73.98 – Buchholz 130.0 RuStAÄndG Nr. 3 S. 19 f.) oder zumindest einen Willen erkennen ließen, staatsangehörigkeitsrechtlich erhebliche Schritte zu erwägen. Sie kann auch dadurch ausgelöst werden, dass eine Person die Einreise oder die Aufnahme in das Bundesgebiet nicht nur gezielt (zeitweilig) als Tourist oder (dauerhaft) im Wege des Übernahme- oder Aufnahmeverfahrens, sondern sie erkennbar eine umfassende Aufklärung über oder die Prüfung aller Möglichkeiten anstrebt, in die Bundesrepublik Deutschland einreisen und sich dort dauerhaft – sei es aufgrund eines zumindest verfestigungsoffenen Aufenthaltsstatus, sei es aufgrund deutscher Staatsangehörigkeit – aufhalten zu können.

Ein solches Begehren liegt allerdings nicht schon in der Stellung eines bloßen Übernahme- oder Aufnahmeantrages, und zwar auch dann nicht, wenn in diesem Antrag Tatsachen angegeben sind, aus denen sich nicht nur eine deutsche Volkszugehörigkeit, sondern objektiv die Möglichkeit einer bislang nicht erkannten deutschen Staatsangehörigkeit des Aufnahmebewerbers selbst oder eines Vorfahren bzw. Anhaltspunkte zu einer Prüfung ergeben, ob ein Staatsangehörigkeitserwerb durch Erklärung in Betracht kommt. Denn der isolierte Aufnahmeantrag, der mangels staatsangehörigkeitsrechtlichen Erklärungsgehalts weder ausdrücklich noch sinngemäß i.S.d. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 RuStAÄndG 1974 als an eine Einbürgerungsbehörde gerichtete Erwerbserklärung gewertet werden kann (s. BVerwG, Beschluss vom 17. Juli 1998 a.a.O.), knüpft an die deutsche Volkszugehörigkeit und eine hieran anknüpfende Einreisemöglichkeit an und ist in Zielrichtung und hierdurch bewirktem Prüfungs- und Aufklärungsumfang auf die vertriebenenrechtliche Dimension beschränkt. Allein die Stellung des Aussiedlungsantrags oder der Vortrag, deutscher Volkszugehöriger zu sein, löst mithin keine umfassende behördliche Belehrungspflicht über den Inhalt von Art. 3 RuStAÄndG 1974 aus.

Ist hingegen unabhängig von einem Übernahme- oder Aufnahmeantrag oder über diesen hinaus erkennbar zum Ausdruck gebracht worden, auch unabhängig von einem an die deutsche Volkszugehörigkeit anknüpfenden vertriebenenrechtlichen Grunde Deutscher werden zu wollen, sind jedenfalls bei einem Volkstumshintergrund, der Bezug zu den kriegsbedingten Umständen in der Ukraine aufweist, die mit einem solchen Begehren befassten deutschen Behörden aufgrund solchen Vorbringens gehalten, diejenigen tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen, die zur Erreichung eines deutlich erkennbaren Ziels, “Deutscher” werden zu wollen, tauglich waren. In diesen Fällen hat die Behörde die Möglichkeiten in den Blick zu nehmen, die sich aus § 1 Abs. 1 Buchst. f des StAngRegG (1955) i.V.m. der Volkslistenverordnung Ukraine (1943) ergeben haben konnten, und im Rahmen ihrer Auskunfts- und Beratungspflicht auf die Möglichkeiten und Ungewissheiten dieser Regelung aufmerksam zu machen, um es dem Betreffenden zu überlassen, welchen Gebrauch er hiervon machen wolle.

2.2 Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, welche den Senat binden (§ 137 Abs. 2 VwGO), kann ohne weitere Sachaufklärung festgestellt werden, dass die Klägerin in dem Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung, deutsche Staatsangehörige werden zu wollen, also im Jahre 2002, seit mehr als sechs Monaten nicht mehr ohne ihr Verschulden gehindert war, eine Erklärung abzugeben.

a) Die Klägerin hatte aufgrund der von dem Berufungsgericht getroffenen Feststellungen zu ihrem familiären Hintergrund und den hierzu in den Jahren 1990 bis 1992 zur Stützung des mütterlichen sowie des eigenen Aufnahmebegehrens gemachten Angaben zur deutschen Volkszugehörigkeit spätestens zu diesem Zeitpunkt Anlass und Gelegenheit, sich um ihr staatsangehörigkeitsrechtliches Schicksal zu kümmern. Diese Abstammung hätte nämlich Grundlage einer aus einer – infolge der Volkslistenverordnung Ukraine denkbaren – durch die Großeltern (mütterlicherseits) vermittelten deutschen Staatsangehörigkeit der Mutter ableitbaren eigenen deutschen Staatsangehörigkeit werden können. Zumindest zu diesem Zeitpunkt bestand auch kein i.S.d. Art. 3 Abs. 7 Satz 2 RuStAÄndG 1974 beachtliches Hindernis mehr; für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits bedarf es keiner Prüfung, ob Hindernisse, die den Lauf der Nacherklärungsfrist gehindert haben, bereits zuvor weggefallen waren.

b) Es ist weder tatsachengerichtlich festgestellt noch belegbar im behördlichen oder tatsachengerichtlichen Verfahren von der Klägerin vorgetragen noch ansonsten ersichtlich, dass die Klägerin bereits vor dem Jahre 2002 staatsangehörigkeitsrechtlich beachtliche Erklärungen abgegeben hätte bzw. entweder bei einer Vorsprache in einer deutschen Auslandsvertretung in der ehemaligen Sowjetunion/Russland oder in einer im Inland tätigen Behörde vor Abgabe ihrer Erwerbserklärung (bewusst) unzutreffend beraten worden wäre:

aa) Selbst wenn die Ausführungen im Schriftsatz vom 29. August 2006 (welcher insoweit im Revisionsbegründungsschriftsatz vom 17. Mai 2006 keine Entsprechung hat), wonach die Klägerin sich bereits im Aufnahmeverfahren “auf alle rechtlichen Gesichtspunkte, die zur Aufnahme als Deutscher führen,” bezogen habe, als zulässige Verfahrensrüge (i.S.v. § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO) verstanden werden könnte, fände eine darin enthaltene Behauptung, sich schon vor dem Jahr 2002 wirksam um eine deutsche Staatsangehörigkeit beworben zu haben, im Akteninhalt keine Entsprechung. Entsprechenden Behauptungen ist die Beklagte ausweislich von Vermerken nachgegangen und hat festgehalten, dass sämtlichen angelegten Akten keine Erklärung zu entnehmen sei, welche als auf den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit gerichtetes Begehren zu deuten sein könnte; auch das das Aufnahme- bzw. Übernahmebegehren der Klägerin tatsachengerichtlich abschließende Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 11. August 1997 enthält insoweit keinerlei Anhaltspunkte. Ein staatsangehörigkeitsrechtlich beachtliches Begehren wäre auch schwerlich mit der früher durchgängig vorgebrachten Behauptung zu vereinbaren, dass die Klägerin davon habe ausgehen müssen, unter keinen Umständen deutsche Staatsangehörige gewesen sein bzw. werden zu können.

Daher ist davon auszugehen, dass die Klägerin mit ihren vor dem Jahre 2002 angebrachten Anträgen nur vertriebenenrechtliche Anträge gestellt und nicht zugleich die deutsche Staatsangehörigkeit erstrebt hat, wie das Oberverwaltungsgericht in den Gründen des Beschlusses vom 1. September 2005 (über die Ablehnung von Prozesskostenhilfe) dargelegt hat.

bb) Entsprechendes gilt im Hinblick auf das Revisionsvorbringen, die Klägerin sei durch deutsche Behörden unzutreffend bzw. unzureichend beraten worden.

Unter der nach den vorstehenden Darlegungen hier vorliegenden Voraussetzung, dass es aufgrund des bei ihr vorhandenen Wissens um die deutsche Volkszugehörigkeit der Mutter sowie die Herkunft der Familie aus der Gruppe der 1941 in der Ukraine siedelnden Volksdeutschen seit dem Beginn der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts Sache der Klägerin war, staatsangehörigkeitsrechtliche Schritte zu unternehmen, wäre eine unzureichende Beratung durch deutsche Behörden von vornherein nur unter dem Gesichtspunkt in Betracht zu ziehen, dass eine deutsche Stelle die Klägerin von der Beschreitung eines aus damaliger Sicht erfolgversprechenden Weges zur Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit abgehalten hätte.

Zu einem solchen Fehlverhalten ist es nach den getroffenen tatsachengerichtlichen Feststellungen nicht gekommen, und selbst wenn die Darlegungen im Revisionsbegründungsschriftsatz vom 17. Mai 2006 als zulässige Rüge i.S.v. § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO verstanden werden könnten, wäre diese unbegründet. Nach den Gründen des Beschlusses vom 18. Oktober 2005 hat das Oberverwaltungsgericht den entsprechenden Beweisantrag der Klägerin bereits als unsubstantiiert beurteilt. Im Übrigen widerspreche die Behauptung fehlerhafter Auskünfte durch zuständige deutsche Behörden früherem Vorbringen, wonach in der Bundesrepublik tätige Behörden die Klägerin und ihre Mutter (lediglich) nicht über die Inanspruchnahme von staatsangehörigkeitsrechtlichen Möglichkeiten informiert hätten, während die Erteilung einer fehlerhaften Auskunft erstmals mit Schriftsatz vom 23. September 2005 geltend gemacht worden sei. Dem setzt die Revision lediglich eine ihrerseits unsubstantiierte Wiederholung ihrer früheren Behauptungen entgegen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Franke, Dr. Brunn, Prof. Dr. Berlit

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1692710

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