Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatzanspruch des Dienstherrn gegen einen Beamten wegen erhöhten Zinsaufwandes. Schätzung der Schadenshöhe. Zinsen als Schadensersatz. Zusammenhang zwischen Schadensereignis und Zinsaufwand

 

Leitsatz (amtlich)

Hat der Beamte dem Dienstherrn Gelder entzogen, so umfasst der zu ersetzende Schaden auch eine Vermögenseinbuße wegen Zinsverlustes.

Es bedarf nicht der Aufklärung des konkreten Zusammenhangs zwischen der Pflichtwidrigkeit und dem Zinsschaden.

 

Normenkette

BBG § 78; BGB § 249; ErstG §§ 1, 5; ZPO §§ 287, 291

 

Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Entscheidung vom 10.02.2000; Aktenzeichen 12 A 739/97)

VG Münster (Entscheidung vom 13.12.1996; Aktenzeichen 4 K 963/94)

 

Tenor

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Februar 2000 wird insoweit aufgehoben, als der Erstattungsbeschluss der Bundesbahndirektion Essen vom 17. September 1993 zu Nr. 1 wegen der Geltendmachung von Zinsen aufgehoben worden ist.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 13. Dezember 1996 wird auch in diesem Umfang zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens insgesamt und die des Revisionsverfahrens.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger war als Bundesbahnobersekretär Lagerverwalter bei einem Bundesbahnbetriebswerk. Im Jahre 1993 stellte die Deutsche Bundesbahn fest, dass der Kläger ihr zwischen Februar 1987 und Juni 1993 über eine Scheinfirma Kraftstoff und Heizöl in Rechnung gestellt hatte, die tatsächlich nicht geliefert worden waren. Wegen Betruges in 47 Fällen verurteilte ihn das Landgericht zu einer zwischenzeitlich verbüßten Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren.

Mit Erstattungsbeschluss vom 17. September 1993 gab die Bundesbahndirektion dem Kläger u.a. auf, einen Schaden in Höhe von 3 200 000 DM auszugleichen, und forderte zugleich 4 v.H. Zinsen auf diesen Betrag seit dem Tage der Zustellung des Beschlusses.

Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht überwiegend abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht den Erstattungsbeschluss zusätzlich insoweit aufgehoben, als Zinsen verlangt worden sind, und dazu im Wesentlichen ausgeführt:

Zwar könnten Zinsen grundsätzlich als Teil des Schadens geltend gemacht werden. Der Beklagte habe aber in dem angefochtenen Erstattungsbeschluss Zinsen nicht nach § 249 BGB als Teil des Schadens eingefordert, sondern einen Zinsanspruch gemäß § 246 BGB erhoben, und zwar nicht ab Entstehung des (sonstigen) Schadens, sondern erst vom Tage der Zustellung des Beschlusses an. Zinsen könnten zudem nur dann als Teil des Schadens zuerkannt werden, wenn nachgewiesen sei, dass zwischen den Aufwendungen des Dienstherrn für Kreditzinsen und der zum Schaden führenden Dienstpflichtverletzung des Beamten ein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Hierfür habe der Beklagte nichts dargetan. Auch auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 ErstG lasse sich die Zinsforderung nicht stützen. Einen allgemeinen Grundsatz des Verwaltungsrechts, dass eine öffentlich-rechtliche Geldschuld zu verzinsen sei, gebe es nicht.

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Beklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Februar 2000 insoweit aufzuheben, als der Erstattungsbeschluss vom 17. September 1993 zu Nr. 1 wegen der Zinsforderung aufgehoben worden ist, und auch in diesem Umfang die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 13. Dezember 1996 zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil in dem angefochtenem Umfang und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Die durch den Erstattungsbeschluss festgesetzte Zinsforderung in Höhe von 4 v.H. der Hauptforderung p.a. ist rechtmäßig.

Die Deutsche Bundesbahn war berechtigt, die Zinsforderung im Wege des Erstattungsbeschlusses geltend zu machen. Gemäß § 1 und § 5 des Gesetzes über das Verfahren für die Erstattung von Fehlbeständen an öffentlichem Vermögen (Erstattungsgesetz – ErstG) ist ein Erstattungsbeschluss zu erlassen u.a. gegen einen Beamten im Dienst des Bundes, der infolge einer vorsätzlichen Straftat für einen Vermögensschaden haftet; der Beschluss muss auch die zu erstattenden Zinsen enthalten (§ 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 ErstG).

Allerdings bestimmt das Erstattungsgesetz als Verfahrensgesetz nicht die materiellrechtlichen Voraussetzungen der Haupt- und der Zinsforderung (vgl. Urteil vom 20. April 1977 – BVerwG 6 C 14.75 – BVerwGE 52, 255 ≪256≫ m.w.N.). Vielmehr ist Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs § 78 BBG. Nach dieser Vorschrift hat der Beamte, der vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm obliegenden Pflichten verletzt, dem Dienstherrn den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

Dass in dem angefochtenen Erstattungsbeschluss als Grundlage der Forderung § 823 und § 246 BGB genannt sind, ist unschädlich (vgl. Urteil vom 16. Juli 1998 – BVerwG 2 C 12.98 – Buchholz 232 § 78 BBG Nr. 42 S. 3). Allein die unzutreffende Begründung des Verwaltungsakts rechtfertigt nicht dessen Aufhebung (vgl. § 46 VwVfG). Da die Geltendmachung von Schadensersatz gemäß § 78 BBG weder dem Grunde noch der Höhe nach eine Ermessensausübung voraussetzt, konnte ein Rechtsanwendungsfehler auch dann nicht eintreten, wenn die Bundesbahndirektion § 246 BGB als selbständige Anspruchsgrundlage betrachtet sowie die Voraussetzungen des § 823 BGB als gegeben erachtet und deshalb Schadensersatz gefordert haben sollte. Schließlich war wegen der unzutreffenden Bezeichnung der normativen Grundlage die Rechtsverteidigung des Klägers nicht wesentlich erschwert, weil der Inhalt des Erstattungsbeschlusses ohne weiteres erkennen ließ, dass die Zinsen ebenfalls als Schadensersatz gefordert wurden.

Der vom Kläger nach § 78 BBG geschuldete Schadensersatz umfasst auch Zinsen auf das entzogene und deshalb zu ersetzende Kapital. Der Schaden im Sinne des § 78 BBG besteht in dem Unterschied zwischen der Vermögenslage, wie sie sich infolge der schuldhaften Dienstpflichtverletzung ergeben hat, und derjenigen Vermögenslage, die bestanden hätte, wenn die Dienstpflichtverletzung unterblieben wäre. Auch im öffentlichen Dienstrecht ist der dem § 249 BGB zugrunde liegende Schadensbegriff maßgebend (vgl. u.a. Urteil vom 10. Februar 2000 – BVerwG 2 A 4.99 – Buchholz 236.1 § 24 SG Nr. 18 S. 10 m.w.N.).

Der durch die Betrugshandlungen des Klägers eingetretene Schaden umfasst auch solche Vermögenseinbußen, die sich daraus ergeben, dass eine zinswirksame Verwendung des entzogenen Kapitals verhindert wurde. Hinsichtlich des Vermögensdefizits kommt es nicht darauf an, ob der Dienstherr zum Ersatz der entzogenen Geldbeträge Kredite aufgenommen und diese zur Rückführung bestehender Verbindlichkeiten genutzt oder seinerseits als Darlehen vergeben hat. Diese Dispositionen hätten die Vermögenssituation des Dienstherrn verbessert, weil er Zinsausgaben erspart oder Zinseinnahmen erzielt hätte. Dieser Verlust ist durch die Entziehung des Kapitals adäquat kausal verursacht und auf der Grundlage des normativen Schadensbegriffs vom Schädiger auszugleichen.

Des konkreten Nachweises, dass der Pflichtverstoß des Beamten ursächlich für eine bestimmte Kapitalmaßnahme des Dienstherrn war, bedarf es nicht. Es reicht aus, dass die Deutsche Bundesbahn in dem betreffenden Zeitraum Bankkredite benötigt hat (stRspr, vgl. bereits Urteil vom 8. Mai 1969 – BVerwG 2 C 86.67 – Buchholz 232 § 30 BBG Nr. 4 S. 9 sowie Urteil vom 16. Dezember 1988 – BVerwG 6 C 35.86 – Buchholz 236.1 § 24 SG Nr. 13 S. 9; BGH, Urteile vom 17. April 1978 – II ZR 77.77 – LM § 288 BGB Nr. 7 = MDR 1978, 818 und vom 18. Oktober 1988 – VI ZR 223/87 – NJW-RR 1989, 670).

Dass dies in den Jahren seit 1987 in erheblichem Umfang der Fall war, ergibt sich aus den Jahresabschlüssen, die gemäß § 32 Abs. 7 Bundesbahngesetz (BbG) vom 13. Dezember 1951 (BGBl I S. 955) mit späteren Änderungen und aufgehoben durch Art. 8 § 1 Nr. 2 ENeuOG vom 27. Dezember 1993 (BGBl I S. 2378) zu veröffentlichen waren, deshalb allgemeinkundig sind und, da sie nicht des Beweises bedürfen (§ 291 ZPO), auch vom Revisionsgericht verwertet werden können (vgl. u.a. Urteil vom 31. Januar 1992 – BVerwG 8 C 78.89 – Buchholz 401.71 AFWoG Nr. 8 S. 80 m.w.N.).

Die Höhe des zusätzlich eingetretenen Schadens, für den der Beklagte Zinszahlungen verlangt, darf nach § 173 VwGO in Verbindung mit § 287 ZPO geschätzt werden (vgl. dazu Urteil vom 16. Juli 1998 a.a.O. S. 4). Der erkennende Senat ist zu dieser Schätzung befugt, weil ausgeschlossen ist, dass der Folgeschaden geringer ist als die vom Beklagten geforderten 4 v.H. auf den Betrag von 3 200 000 DM. Dieser Zinssatz liegt unterhalb des Mindestsatzes, den der Bund für die verschiedenen Formen der Geldbeschaffung seit dem Jahre 1987 zu entrichten hatte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Silberkuhl, Dawin, Dr. Kugele, Groepper, Dr. Bayer

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 19.07.2001 durch Schütz Justizsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

BVerwGE, 15

ZBR 2002, 315

ZTR 2001, 580

DÖD 2001, 306

DÖV 2001, 1045

RiA 2003, 144

VR 2002, 287

DVBl. 2002, 200

IÖD 2002, 26

NPA 2002, 0

GK 2002, 380

NWVBl. 2002, 30

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