Leitsatz (amtlich)
§ 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB verlangt vollständige Angaben dazu, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind. Wenn die Gemeinde auf konkrete Titel von Gutachten oder Stellungnahmen zurückgreift, kommt es auf inhaltliche, nicht auf formale Vollständigkeit an.
Der Ausschluss der nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO in einem allgemeinen Wohngebiet zulässigen Nutzungsarten verstößt nicht stets gegen § 1 Abs. 5 BauNVO.
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 18.01.2019; Aktenzeichen 7 D 49/17.NE) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Januar 2019 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
Rz. 1
Der Antragsteller wendet sich als Plannachbar gegen einen Bebauungsplan.
Rz. 2
Der Bebauungsplan "Nr. 62430/03 Werthmannstraße in Köln-Lindenthal" überplant einen bislang weitgehend unbebauten, etwa 9 ha großen Bereich im Westen des Kölner Stadtgebiets. Er setzt mehrere allgemeine Wohngebiete sowie Gemeinbedarfsflächen mit der Zweckbestimmung Schule und Kindertagesstätte fest. In den allgemeinen Wohngebieten werden die gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO allgemein zulässigen, der Versorgung des Gebiets dienenden Läden, Schank- und Speisewirtschaften sowie nicht störende Handwerksbetriebe ausgeschlossen. Das im Miteigentum des Antragstellers stehende Wohngrundstück liegt an einer Straße, über die eine im Plangebiet vorgesehene Tiefgarage erschlossen werden soll.
Rz. 3
Am 18. Februar 2015 machte die Antragsgegnerin die öffentliche Auslegung des Planentwurfs in ihrem Amtsblatt bekannt. Zur Bezeichnung der verfügbaren umweltbezogenen Informationen führte sie die Titel einer Verkehrsuntersuchung, eines hydrogeologischen Gutachtens, eines landschaftspflegerischen Fachbeitrags "mit Eingriff/Ausgleich", einer Artenschutzprüfung Stufe I und einer Artenschutzprüfung Stufe II zu den Artengruppen Fledermäuse und Vögel, einer gutachterlichen Stellungnahme zur Geräuschsituation im Plangebiet zu den Lärmarten Straßenverkehrslärm, Schienenverkehrslärm, Gewerbelärm, einer Konzeptplanung zur abwassertechnischen Erschließung sowie einer Bodenuntersuchung in Form von vier Rammkernsondierungen auf. Außerdem benannte sie die Themen, mit denen sich der Umweltbericht befasst.
Rz. 4
Den am 17. November 2016 als Satzung beschlossenen Bebauungsplan machte die Antragsgegnerin am 7. Juni 2017 bekannt. Zur Realisierung im Einzelnen benannter Maßnahmen schloss sie mit der Beigeladenen einen städtebaulichen Vertrag.
Rz. 5
Das Oberverwaltungsgericht hat die Unwirksamkeit des Bebauungsplans festgestellt. Der Plan sei unter Verstoß gegen § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB zustande gekommen. Es fehle an der erforderlichen schlagwortartigen Kennzeichnung der in den verfügbaren Stellungnahmen und Unterlagen behandelten Umweltthemen. Zudem enthalte die Bekanntmachung nur teilweise Angaben über die "Art" der Dokumente, nämlich die Bezeichnungen als Gutachten, Untersuchungen, Prüfung etc. sowie Umweltbericht. Ausweislich der Akten gebe es noch andere Arten von Umweltinformationen wie etwa Behörden- und Ämterstellungnahmen.
Rz. 6
Mit ihrer Revision erstrebt die Antragsgegnerin die Ablehnung des Normenkontrollantrags. Sie hält die Anforderungen des Oberverwaltungsgerichts an die Bekanntmachung der Auslegung des Planentwurfs für überzogen.
Rz. 7
Der Antragsteller verteidigt das angegriffene Urteil.
Rz. 8
Die Beigeladene unterstützt die Rechtsauffassung der Antragsgegnerin.
Entscheidungsgründe
Rz. 9
Die Revision hat mit dem Ergebnis der Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO) Erfolg. Das angegriffene Urteil verstößt gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die tatrichterlichen Feststellungen lassen eine Entscheidung in der Sache nicht zu (§ 144 Abs. 4 und Abs. 3 Nr. 1 VwGO).
Rz. 10
A. § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB verlangt, die Entwürfe der Bauleitpläne mit der Begründung und den nach Einschätzung der Gemeinde wesentlichen, bereits vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen öffentlich auszulegen. Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB sind Angaben dazu, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind, mindestens eine Woche vorher ortsüblich bekannt zu machen.
Rz. 11
1. Das Oberverwaltungsgericht hat eine Verletzung dieser Pflicht angenommen, weil es an einer schlagwortartigen Kennzeichnung der behandelten Umweltthemen fehle und diese inhaltlich nicht hinreichend charakterisiert seien. Dies verstößt gegen § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB.
Rz. 12
Die Bekanntmachung nach § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB soll eine Anstoßwirkung entfalten und interessierte Bürger dazu ermuntern, sich über die gemeindlichen Planungsabsichten zu informieren und gegebenenfalls mit Anregungen und Bedenken zur Planung beizutragen. Die Pflicht zur Angabe, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind, zielt darauf, eine breitere Öffentlichkeit für Entscheidungsverfahren im Umweltbereich zu interessieren und ihre Beteiligungsbereitschaft zu fördern, um hierdurch Vollzugsdefiziten zu Lasten der Umwelt entgegenzuwirken. Die Informationen müssen eine erste inhaltliche Einschätzung ermöglichen, welche Umweltbelange in den vorliegenden Stellungnahmen und sonstigen Unterlagen behandelt werden. Dieses Ziel gebietet es, als strukturierendes Merkmal den Inhalt der Informationen zu wählen. Mit der Pflicht, Angaben zu Arten von Informationen zu machen, verlangt § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB daher, die Information entsprechend ihrem Inhalt nach Gattungen oder Typen zusammenzufassen und die so gebildeten Themenblöcke schlagwortartig zu charakterisieren (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Juli 2013 - 4 CN 3.12 - BVerwGE 147, 206 Rn. 19 f., vom 29. September 2015 - 4 CN 1.15 - Buchholz 406.11 § 3 BauGB Nr. 18 Rn. 9 und vom 6. Juni 2019 - 4 CN 7.18 - BVerwGE 165, 387 Rn. 13).
Rz. 13
Bei der Bildung der Schlagwörter kann die Gemeinde einen formalen Ausgangspunkt wählen und im Grundsatz von der Bezeichnung ausgehen, die der Ersteller einer Information selbst für zutreffend gehalten hat: Sie darf daher einen oder mehrere sinntragende Begriffe aus dem Titel der jeweiligen Information aufgreifen und ist nicht grundsätzlich verpflichtet, vermeintlich bessere oder treffendere Schlagwörter zu vergeben. Denn inhaltlich hinreichend verständliche Titel einzelner Stellungnahmen können die geforderte Anstoßwirkung entfalten, vorausgesetzt, der jeweilige Titel führt nicht offensichtlich und eindeutig in die Irre (BVerwG, Urteil vom 6. Juni 2019 - 4 CN 7.18 - BVerwGE 165, 387 Rn. 15).
Rz. 14
Die Bekanntmachung vom 18. Februar 2015 genügt diesen Anforderungen. Sie führt eine überschaubare Zahl von Untersuchungen, Gutachten und weiteren Unterlagen mit ihren jeweiligen Titeln auf. Die Titel der Unterlagen sind verständlich und geben Aufschluss über die behandelten Themen. Wird der Inhalt der verfügbaren Arten von Umweltinformationen bereits durch die Aufzählung der Titel strukturiert und erschlossen, bedarf es darüber hinaus keiner Bildung von Themenblöcken oder einer zusätzlichen schlagwortartigen Charakterisierung.
Rz. 15
Soweit das Oberverwaltungsgericht die Titel für nicht hinreichend verständlich beziehungsweise irreführend hält, überspannt es die Anforderungen, die § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB an die Bekanntmachung der Auslegung des Planentwurfs stellt. So lässt sich der Bezeichnung "Hydrogeologie" entnehmen, dass die Auswirkungen der Planung auf den Wasserhaushalt im Boden untersucht worden sind. Damit ist das behandelte Umweltthema hinreichend genau bezeichnet und der Anstoß zur weiteren Beschäftigung mit der Planung bewirkt. Angaben dazu, ob es im Einzelnen um die Versickerungsfähigkeit der Böden oder eine mögliche Änderung von Grundwasserstand und -fließrichtung geht, sind nicht gefordert. Entsprechendes gilt für die Frage, ob die Rammkernsondierungen die Versickerungsfähigkeit oder die Standsicherheit der Böden betrafen. Anzugeben sind lediglich die Arten der verfügbaren Umweltinformationen, nicht die Informationen selbst.
Rz. 16
Der Titel der gutachterlichen Stellungnahme zur Geräuschsituation "im Gebiet des Bebauungsplans" greift zwar insofern zu kurz, als nicht deutlich wird, dass das Gutachten jedenfalls im Hinblick auf den Tiefgaragenbau auch Lärmbelastungen außerhalb des Plangebiets in den Blick nimmt. Dass diese sprachliche Ungenauigkeit in die Irre führt und die Anstoßwirkung deshalb nicht erreicht werden konnte, ist aber nicht ersichtlich.
Rz. 17
2. Das Oberverwaltungsgericht hat § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB außerdem die Verpflichtung entnommen, die äußere Gestalt der verfügbaren Informationen (Gutachten, Untersuchung, Prüfung usw.) und die Urheberschaft (Stellungnahme von Behörden, Trägern öffentlicher Belange usw.) anzugeben. Auch dies verstößt gegen Bundesrecht.
Rz. 18
Wie dargelegt verlangt der Begriff der "Arten" umweltbezogener Informationen, die Informationen nach ihrem Inhalt zu strukturieren. Darin erschöpft sich das Tatbestandsmerkmal. Die Angabe, umweltbezogene Informationen lägen als Sachverständigengutachten oder Stellungnahmen Privater vor, ist nicht gefordert (BVerwG, Urteil vom 6. Juni 2019 - 4 CN 7.18 - BVerwGE 165, 387 Rn. 20 m.w.N.). Ebenso wenig verlangt § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB die Bekanntmachung des Autors oder Urhebers einer Umweltinformation. Die Art einer Information ist nicht ihr Urheber (BVerwG ebd. Rn. 22).
Rz. 19
B. Die Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Rz. 20
1. Ein sonstiger Verstoß gegen § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB lässt sich nicht feststellen.
Rz. 21
a) Dass die Auslegungsbekanntmachung keinen Hinweis auf Stellungnahmen von Behörden und Fachämtern der Antragsgegnerin enthält, obwohl sich darin nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Informationen zu unterschiedlichen Umweltthemen finden, begründet für sich genommen noch keinen Verstoß gegen § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB. Ein solcher Verstoß läge nur vor, wenn diese Informationen von den in der öffentlichen Bekanntmachung genannten Titeln nicht erfasst würden, wenn die Angaben zu den verfügbaren Arten umweltbezogener Informationen also inhaltlich unvollständig wären.
Rz. 22
§ 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB verlangt eine vollständige Information. Es ist der Gemeinde nicht erlaubt, die bekannt zu machenden Informationen auszuwählen und zwischen für wesentlich und unwesentlich gehaltenen Informationen zu unterscheiden (BVerwG, Urteile vom 18. Juli 2013 - 4 CN 3.12 - BVerwGE 147, 206 Rn. 18 und vom 11. September 2014 - 4 CN 1.14 - Buchholz 406.11 § 3 BauGB Nr. 16 Rn. 11). In der öffentlichen Bekanntmachung der Auslegung des Planentwurfs muss sich daher jede verfügbare Umweltinformation thematisch wiederfinden.
Rz. 23
Sofern eine bestimmte Art von Information bereits durch die Angabe eines aussagekräftigen Titels nach ihrem Inhalt strukturiert ist, ist die Anstoßwirkung insoweit erfüllt. Die Gemeinde muss daher nicht jede weitere Stellungnahme oder sonstige Umweltinformation aufführen, die dasselbe Thema behandelt. Maßgeblich ist die inhaltliche, nicht die formale Vollständigkeit (vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 10. März 2020 - 8 A 11546/19 - ZfBR 2020, 677 = juris Rn. 41).
Rz. 24
Das Oberverwaltungsgericht hat den Inhalt der nicht erwähnten Stellungnahmen nicht festgestellt. Der Senat kann daher nicht entscheiden, ob die verfügbaren Arten umweltbezogener Informationen durch die Bekanntmachung vollständig erfasst sind und ob eine mögliche Verletzung des § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b BauGB unbeachtlich wäre.
Rz. 25
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin wäre ein fehlender Hinweis auf in Stellungnahmen ihrer Fachämter enthaltene Umweltinformationen nicht mangels Rüge unbeachtlich geworden. Nach § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB wird eine nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BauGB beachtliche Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften unbeachtlich, wenn der Mangel nicht innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung der Satzung schriftlich gegenüber der Gemeinde unter Darlegung des die Verletzung begründenden Sachverhalts geltend gemacht worden ist. Dabei verlangt § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB Substantiierung und Konkretisierung. Der Gemeinde soll durch die Darlegung die Prüfung ermöglicht werden, ob Anlass besteht, in eine Fehlerbehebung einzutreten ("Anstoßfunktion" der Rüge). Das schließt eine nur pauschale Rüge aus. Die Feststellung, ob eine Rüge im konkreten Fall den genannten Anforderungen genügt, obliegt den Tatsachengerichten (BVerwG, Urteil vom 27. August 2020 - 4 CN 4.19 - BauR 2021, 47 = juris Rn. 29). Der Antragsteller hat zwar nur den fehlenden Hinweis auf Stellungnahmen von Trägern öffentlicher Belange gerügt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Stellungnahmen der Fachämter aber als hiervon umfasst angesehen, weil die Antragsgegnerin diese in den Aufstellungsvorgängen selbst als Stellungnahmen von Behörden und sonstiger Träger öffentlicher Belange beschrieben habe. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 26
b) Ein Verstoß gegen § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB liegt auch nicht deshalb vor, weil die Anstoßwirkung mangels hinreichend genauer Bezeichnung des Plangebiets verfehlt worden wäre. Die Bekanntmachung entfaltet Anstoßwirkung, wenn sie geeignet ist, dem an der beabsichtigten Bauleitplanung interessierten Bürger sein Interesse an Information und Beteiligung durch Abgabe einer Stellungnahme bewusst zu machen und dadurch eine gemeindliche Öffentlichkeit herzustellen. Hierzu muss die Bekanntmachung erkennen lassen, welches Planungsvorhaben die Gemeinde betreiben will (BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1984 - 4 C 22.80 - BVerwGE 69, 344 ≪345 f.≫). Diesem Erfordernis ist genügt, wenn der Bürger in die Lage versetzt wird, das Vorhaben einem bestimmten Raum zuzuordnen (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - 4 C 15.01 - NVwZ 2003, 733 = juris Rn. 14 ≪insoweit in BVerwGE 117, 287 nicht abgedruckt≫). Das ist hier der Fall. Die Bekanntmachung der Antragsgegnerin vom 18. Februar 2015 gibt den Arbeitstitel des Bebauungsplans "Werthmannstraße in Köln-Lindenthal" und zusätzlich die das Plangebiet begrenzenden Straßen beziehungsweise Wohnbaugrundstücke mit Straßennamen und Hausnummer an.
Rz. 27
2. Die tatrichterlichen Feststellungen lassen nicht den Schluss zu, dass der Bebauungsplan gegen § 1 Abs. 5 BauNVO verstößt.
Rz. 28
Nach § 1 Abs. 5 BauNVO kann im Bebauungsplan festgesetzt werden, dass bestimmte Arten von Nutzungen, die nach den §§ 2 bis 9 sowie 13 und 13a BauNVO allgemein zulässig sind, nicht zulässig sind, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt.
Rz. 29
Durch das Erfordernis der Wahrung der Zweckbestimmung soll sichergestellt werden, dass die Systematik, die den §§ 2 ff. BauNVO im Interesse geordneter städtebaulicher Verhältnisse zugrunde liegt, auch im Falle der Modifikation des jeweiligen Zulässigkeitsregimes unangetastet bleibt. Festsetzungen nach § 1 Abs. 5 BauNVO dürfen nicht dazu führen, dass entgegen § 1 Abs. 3 Satz 1 BauNVO ein Baugebiet geschaffen wird, das einen anderen als den normativ vorgegebenen Charakter aufweist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. November 2004 - 4 BN 39.04 - Buchholz 406.12 § 8 BauNVO Nr. 20 = juris Rn. 22 m.w.N.), oder dass die Wirkungen eines anderen als des festgesetzten Baugebiets hergestellt werden (BVerwG, Urteil vom 7. September 2017 - 4 C 8.16 - BVerwGE 159, 322 Rn. 8 ff. und Beschluss vom 8. Februar 1999 - 4 BN 1.99 - Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 26 = juris Rn. 13).
Rz. 30
a) Der Umstand, dass sämtliche in einer Nummer zusammengefassten allgemein zulässigen Nutzungen (hier nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO) ausgeschlossen worden sind, begründet für sich genommen keinen Verstoß gegen § 1 Abs. 5 BauNVO. Die Zusammenfassung einzelner Nutzungen in einer Nummer hat, wenn sie auch unter dem Gesichtspunkt der Ähnlichkeit zustande gekommen sein mag, nur redaktionelle Bedeutung (BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 1987 - 4 N 4.86 - BVerwGE 77, 308 ≪316≫). Daher kann auch bei gänzlichem Ausschluss der unter einer Nummer aufgeführten Nutzungen die allgemeine Zweckbestimmung eines Baugebiets gewahrt bleiben (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2020, § 1 BauNVO Rn. 65; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 8. November 2004 - 4 BN 39.04 - Buchholz 406.12 § 8 BauNVO Nr. 20 = juris Rn. 22 ff.). Sofern der nicht entscheidungstragende Hinweis in dem Beschluss vom 22. Mai 1987 (- 4 N 4.86 - BVerwGE 77, 308 ≪317≫) anders verstanden werden kann, hält der Senat hieran nicht fest.
Rz. 31
b) Der Ausschluss sämtlicher Nutzungen nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO in einem allgemeinen Wohngebiet führt nicht dazu, dass die allgemeine Zweckbestimmung dieses Baugebiets nicht mehr gewahrt werden kann.
Rz. 32
Das allgemeine Wohngebiet dient nach § 4 Abs. 1 BauNVO vorwiegend dem Wohnen. Näheres ergibt sich aus § 4 Abs. 2 BauNVO. Zulässig sind nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO Wohngebäude, die, wie sich aus dem Zusammenhang mit § 4 Abs. 1 BauNVO ergibt, im Gebiet zahlenmäßig überwiegen und den Wohncharakter des Gebiets auch unter Berücksichtigung der anderen zulässigen Anlagen erkennbar prägen müssen. Außerdem sind nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO die der Versorgung des Gebiets dienenden Läden, Schank- und Speisewirtschaften sowie nicht störenden Handwerksbetriebe und nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke zulässig. Die Nutzungen nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BauNVO sind der Wohnnutzung zugeordnet, damit im Wohngebiet selbst eine Versorgungsinfrastruktur bereitgestellt werden kann, mit der sich die Grundbedürfnisse der Bevölkerung befriedigen lassen (BVerwG, Urteile vom 7. September 2017 - 4 C 8.16 - BVerwGE 159, 322 Rn. 7 m.w.N. und vom 20. März 2019 - 4 C 5.18 - Buchholz § 4 BauNVO Nr. 21 Rn. 17).
Rz. 33
Diese Zweckbestimmung geht durch den Ausschluss der nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauGB allgemein zulässigen Nutzungen nicht verloren. Der Baunutzungsverordnung lässt sich kein Vorrang der Nutzungsarten nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 gegenüber denjenigen nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 entnehmen. § 4 Abs. 1 BauNVO verlangt lediglich, dass das Gebiet vorwiegend dem Wohnen dient, gibt aber nicht vor, welche Nutzungen das Wohnen ergänzen müssen. Mit den Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke verbleiben in substantiellem Umfang dem Wohnen zugeordnete Nutzungen, die eine eigene Versorgungsinfrastruktur bilden können und jedenfalls auch der Befriedigung der Grundbedürfnisse von Gebietsbewohnern dienen. Zugleich handelt es sich um Anlagen, die in einem reinen Wohngebiet gemäß § 3 Abs. 2 BauNVO nicht allgemein zulässig wären. Auch ein Gebiet, in dem die Wohnnutzung nur durch Anlagen nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO ergänzt wird, kann daher im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BauNVO "vorwiegend dem Wohnen" dienen (ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. Dezember 2009 - OVG 2 A 23.08 - juris Rn. 40; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2020, § 4 BauNVO Rn. 25; zurückhaltender ders., in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 4. Aufl. 2019, § 4 Rn. 10a).
Rz. 34
Die tatrichterlichen Feststellungen erlauben keine Entscheidung darüber, ob für den Ausschluss der allgemein zulässigen Nutzungen nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO städtebauliche Gründe vorlagen (vgl. hierzu BVerwG, Beschlüsse vom 22. Mai 1987 - 4 N 4.86 - BVerwGE 77, 308 ≪311 f.≫, vom 3. Mai 1993 - 4 NB 13.93 - Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 16 = juris Rn. 6 und vom 6. August 2013 - 4 BN 8.13 - ZfBR 2013, 781 Rn. 6) und ob der Bebauungsplan im Übrigen rechtmäßig ist. Das gilt auch für die Frage, ob ein "Etikettenschwindel" vorliegt und der Bebauungsplan deshalb gegen § 1 Abs. 3 BauGB verstößt. Daher verweist der Senat die Sache nach § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück.
Fundstellen
Haufe-Index 14406599 |
BauR 2021, 913 |
DÖV 2021, 600 |
JZ 2021, 309 |
NuR 2021, 470 |
VR 2021, 252 |
ZfBR 2021, 441 |
UPR 2021, 223 |
BBB 2021, 52 |
FSt 2021, 656 |
FuB 2021, 142 |
NWVBl. 2021, 287 |