Entscheidungsstichwort (Thema)
Deutschkenntnisse, ausreichende. Einbürgerung, Zusicherung auf –. Schriftsprache, Kenntnisse. Sprache, ausreichende Kenntnisse der deutschen –. Zusicherung der Einbürgerung
Leitsatz (amtlich)
- Für eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG “ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache” i.S.d. § 11 StAG erfordern neben mündlichen grundsätzlich auch gewisse schriftliche Kenntnisse der deutschen Sprache.
- Der Einbürgerungsbewerber muss sich nicht eigenhändig schriftlich ausdrücken können.
- Ein Einbürgerungsbewerber, der selbst nicht deutsch schreiben kann, muss deutschsprachige Texte des täglichen Lebens lesen und diktieren sowie das von Dritten mit technischen Hilfsmitteln Geschriebene auf seine Richtigkeit überprüfen und so die schriftliche Äußerung als seine “tragen” können.
Normenkette
StAG §§ 10-11; AuslG (F. 1999) §§ 85-86
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 12.01.2005; Aktenzeichen 13 S 2549/03) |
VG Stuttgart (Urteil vom 22.07.2003; Aktenzeichen 7 K 10/03) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 12. Januar 2005 wird aufgehoben, soweit der Berufung der Beklagten stattgegeben worden ist. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. Juli 2003 wird auch insoweit zurückgewiesen.
Die Anschlussrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt eine Zusicherung zur Einbürgerung. Im Streit stehen die Anforderungen, die an “ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache” i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zu stellen sind.
Der am 1. Mai 1963 in der Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und Vater einer im Jahre 1992 in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Tochter, für die ihm nach der Ehescheidung die elterliche Sorge übertragen worden war. Der Kläger lebt seit 1978 in S…. Seit dem Jahre 1986 ist er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung. Der Kläger ist im Bundesgebiet seit längerem als selbständiger Gastwirt und Hotelbesitzer tätig. Der Kläger beantragte am 23. November 1999 für sich und seine Tochter die Einbürgerung. Am 23. November 2000 überprüfte die Beklagte die Deutschkenntnisse des Klägers und befand sie als nicht ausreichend. Bei einer Sprachprüfung vor der Volkshochschule am 27. April 2001 erreichte der Kläger nach dem dort zugrunde gelegten Berechnungsmodell ein Ergebnis von 55 v.H. Bei einer weiteren Sprachprüfung am 21. September 2001 erzielte der Kläger 70 Punkte, wobei 71 Punkte ausreichend gewesen wären; der Testteil “Schriftlicher Ausdruck” wurde mit 0 Punkten bewertet. Das Angebot zur Teilnahme an einer weiteren Sprachprüfung nahm der Kläger mit der Begründung nicht wahr, er habe durch die praktische Anwendung seine ausreichenden Deutschkenntnisse hinreichend dadurch nachgewiesen, dass er seit langem in Deutschland lebe, erfolgreich sein Geschäft betreibe und als allein erziehender Vater seine schulpflichtige Tochter begleite; auch helfe er oft Landsleuten, die bereits eingebürgert worden seien, und übernehme für diese die Dolmetscherrolle.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 15. Mai 2002 die Einbürgerung des Klägers mit der Begründung ab, dass er nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfüge. Auf die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 28. November 2002) erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen. Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Beklagte unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide verpflichtet, über den Einbürgerungsantrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden; die weitergehende Klage auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung wurde abgewiesen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger erfülle zwar mit Ausnahme der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit alle die Voraussetzungen, die in dem hier anzuwendenden § 10 Abs. 1 StAG für den Anspruch auf Einbürgerung geregelt seien. Dem grundsätzlich gegebenen Einbürgerungsanspruch des Klägers stehe als Ausschlussgrund entgegen, dass er nicht i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG über “ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache” verfüge. Ob dieser Ausschlussgrund vorliege, habe das Gericht nach der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung geltenden Sach- und Rechtslage in eigener Verantwortung zu entscheiden; der Einbürgerungsbehörde stehe kein Beurteilungsspielraum zu. Für die Anforderungen, die an die “ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache” zu stellen seien, sei jedenfalls seit In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes zum 1. Januar 2005 davon auszugehen, dass eine Einbürgerung nicht nur (ausreichende) mündliche, sondern auch im schriftlichen Bereich ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache voraussetze und dies auch ein Mindestmaß an Schreibfähigkeit erfordere. Es könne offen bleiben, inwieweit bereits auf der Grundlage der bis zum 31. Dezember 2004 gültigen Rechtslage schriftliche deutsche Sprachkenntnisse zu fordern gewesen seien. Die zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen und anzuwendenden Zuwanderungsvorschriften hätten zur vorher noch strittigen Frage mündlicher oder (auch) schriftlicher sprachlicher Fähigkeiten von Einbürgerungsbewerbern neue Akzente gesetzt. Es seien die bis dahin geltenden ausländerrechtlichen Regelungen zur (erleichterten) Einbürgerung unmittelbar in das Staatsangehörigkeitsgesetz übernommen worden und zugleich neue ausländerrechtliche Vorschriften in Kraft getreten, die dazu dienen sollten, die Integration von rechtmäßig auf Dauer im Bundesgebiet lebenden Ausländern in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in Deutschland künftig verstärkt zu fördern und zu stützen. Insbesondere seien Integrationskurse vorgesehen, welche die Ausländer (u.a.) an die Sprache in Deutschland heranführen sollten (§ 43 AufenthG). Nach der in Ausfüllung der hinreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage erlassenen Integrationskursverordnung sei das Kursziel, ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache i.S.v. § 43 Abs. 3 AufenthG und § 9 Abs. 1 Satz 1 Bundesvertriebenengesetz zu vermitteln, erreicht, “wenn sich ein Kursteilnehmer im täglichen Leben in seiner Umgebung selbständig sprachlich zurechtfindet und entsprechend seinem Alter und Bildungsstand ein Gespräch führen und sich schriftlich ausdrücken kann”. Ungeachtet dessen, dass die Regelung der Integrationskursverordnung nicht die Einbürgerung betreffe, sondern im systematischen Zusammenhang zum Aufenthaltsrecht stehe, spreche alles dafür, jedenfalls nach In-Kraft-Treten der neuen zuwanderungsrechtlichen Regelungen bei Einbürgerungsbewerbern im Zusammenhang mit der Prüfung der von ihnen zu verlangenden deutschen Sprachkenntnisse nicht unter dem Niveau zu bleiben, das die Integrationskursverordnung für sonstige Ausländergruppen vorsehe. Bei der Überprüfung der konkreten Sprachkenntnisse des Klägers habe sich zwar zur Überzeugung des Senats ergeben, dass der Kläger im mündlichen Bereich zu ausreichender Kommunikation in deutscher Sprache fähig sei. In Bezug auf seine Schreibfähigkeit habe sich jedoch ergeben, dass der Kläger zwar einfache Informationen wie seine Anschrift und seine Telefonnummer relativ fehlerfrei und verständlich schriftlich wiedergeben könne, er aber nicht (ohne fremde Hilfe) ausreichend in der Lage sei, auch einfache Sachverhalte in eigenen Worten schriftlich wiederzugeben bzw. auf schriftlich gestellte Fragen im erforderlichen Umfang verständlich schriftlich zu antworten.
Dem Kläger stehe allerdings ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung zu. Denn es seien die Voraussetzungen einer sog. Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG (n.F.) gegeben, und es fehle bisher an einer nach dieser Vorschrift erforderlichen (fehlerfreien) Ermessensausübung. Der Kläger erfülle tatbestandlich die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 StAG (n.F.). Soweit die Beklagte und der ergangene Widerspruchsbescheid insoweit unter Bezugnahme auf die hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften geltend machten, die Sprachkenntnisse des Klägers reichten auch für eine Ermessenseinbürgerung nicht aus, werde dies der Problematik des zu entscheidenden Einzelfalles nicht gerecht, sodass die Beklagte zu einer erneuten Sachentscheidung zu verpflichten sei.
Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung weiter und macht der Sache nach eine Verletzung des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG geltend. Gegenüber der von der Beklagten eingelegten Anschlussrevision verteidigt der Kläger das angefochtene Berufungsurteil.
Die Beklagte verteidigt in Bezug auf die Revision des Klägers das angefochtene Berufungsurteil. Mit ihrer Anschlussrevision richtet sie sich gegen die Verpflichtung zur Neubescheidung des Klägers in Bezug auf eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG und rügt eine Verletzung des § 8 StAG.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO), soweit es aufgrund zu hoher Anforderungen dem Kläger ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache abgesprochen und deswegen der Berufung der Beklagten stattgeben hat. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Zusicherung zu, im Falle der Aufgabe seiner bisherigen Staatsangehörigkeit eingebürgert zu werden (§ 10 Abs. 1 StAG). Der Anspruch ist nicht nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ausgeschlossen. Denn der Kläger verfügt über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache.
1. Der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch auf Zusicherung der Einbürgerung ist nach den §§ 10, 11 StAG in der ab dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung des Art. 5 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) zu beurteilen. Wird mit der Verpflichtungsklage der Erlass eines Verwaltungsakts begehrt, darf die Behörde zu dessen Erlass nur verpflichtet werden, wenn sie dazu nach der geltenden Rechtslage verpflichtet bzw. befugt ist; ändern sich die maßgeblichen Rechtsvorschriften, ist die neue Rechtslage vorbehaltlich abweichender Übergangsregelungen auch dann zu berücksichtigen, wenn sie dem Kläger nachteilig ist (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1996 – BVerwG 1 B 82.95 – InfAuslR 1996, 399 m.w.N.; zur Einbürgerung s.a. BayVGH, Urteil vom 17. Februar 2005 – 5 BV 04.1225 – NVwZ-RR 2005, 856; Urteil vom 14. April 2005 – 5 BV 03.3089 –). Die im Zeitpunkt der Antragstellung und der Entscheidung des Verwaltungsgerichts für die Beurteilung des streitgegenständlichen Einbürgerungsanspruchs maßgeblichen Regelungen der §§ 85 ff. AuslG sind zum 1. Januar 2005 in dem hier entscheidungserheblichen Kern dem Wortlaut nach unverändert in das Staatsangehörigkeitsgesetz eingegliedert worden (§§ 10 ff. StAG) und der Beurteilung des Begehrens des Klägers zu Grunde zu legen. Eine entgegenstehende Übergangsvorschrift, welche insoweit die Fortgeltung des bisherigen Rechts für anhängige Einbürgerungsanträge anordnete, enthält das Zuwanderungsgesetz nicht; da der Kläger seine Einbürgerung erst am 23. November 1999 beantragt hatte, unterfällt er auch nicht der Übergangsregelung des § 40c StAG (s. Art. 5 Nr. 18 Zuwanderungsgesetz). § 104 Abs. 2 AufenthG ist eine Übergangsregelung allein zu § 9 Abs. 2 AufenthG und auf § 11 StAG weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit stehen, erfüllt der Kläger mit Ausnahme der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG) alle Tatbestandsvoraussetzungen für einen Anspruch auf Einbürgerung, die in § 10 Abs. 1 StAG genannt sind, und liegen Anhaltspunkte für sicherheitsrelevante Aktivitäten i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 2 oder 3 StAG bei dem Kläger nicht vor.
2. Zwischen den Beteiligten steht allein im Streit, ob dem Anspruch des Klägers auf Zusicherung der Einbürgerung der Anspruchsausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegensteht, da er “nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt”. Dies ist nicht der Fall.
2.1 Mit der Voraussetzung “ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache” bezeichnet § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG das für die Anspruchseinbürgerung erforderliche Sprachniveau durch einen auslegungsbedürftigen und auslegungsfähigen unbestimmten Rechtsbegriff. Für die Auslegung dieses Ausschlussgrundes kommt es entscheidend auf eine Abgrenzung der “ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache” gegenüber einem geringeren Sprachniveau an. Der vorliegende Fall gibt dabei keinen Anlass zu näheren Ausführungen zur Frage, welche Anforderungen an die Kenntnisse der deutschen Sprache hinsichtlich der Fähigkeit zu mündlicher Kommunikation zu stellen sind; zu beurteilen ist allein, ob bzw. in welchem Umfang “ausreichende Sprachkenntnisse” auch Kenntnisse der deutschen Schriftsprache, mithin die Fähigkeit voraussetzen, einen Text in deutscher Sprache zu lesen und zu schreiben.
Der Wortlaut erlaubt allerdings noch keinen sicheren Aufschluss, ob die für die Einbürgerung nach § 10 StAG zu verlangenden Sprachkenntnisse auch Kenntnisse und Fähigkeiten der deutschen Schriftsprache umfassen. Der Begriff der Sprache als Mittel der Kommunikation kann gegebenenfalls lediglich die gesprochene bzw. gehörte Sprache und nicht auch die Schriftsprache bezeichnen; dass das Staatsangehörigkeitsgesetz – anders als z.B. § 6 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes für die Spätaussiedlereigenschaft – nicht die Fähigkeit zu einem einfachen Gespräch auf Deutsch genügen lässt, weist allerdings darauf, dass der Gesetzgeber neben mündlichen grundsätzlich auch gewisse schriftliche Kenntnisse der deutschen Sprache als erforderlich sieht. Auch die Entstehungsgeschichte erlaubt keinen klaren Rückschluss. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG übernimmt insoweit wortgleich § 86 Nr. 1 AuslG in der Fassung, die diese Regelung zum 1. Januar 2000 durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts (vom 15. Juli 1999, BGBl I S. 1618) erhalten hatte. Bereits zu § 86 Nr. 1 AuslG war umstritten, ob bzw. in welchem Umfang “ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache” auch Kenntnisse der deutschen Schriftsprache umfassten (s. etwa VG Stuttgart, Urteil vom 9. Oktober 2002 – 7 K 2494/01 – InfAuslR 2003, 164; HessVGH, Urteil vom 19. August 2002 – 12 UE 1473/02 – NVwZ 2003, 762, aufgehoben durch BVerwG, Urteil vom 20. April 2004 – BVerwG 1 C 16.03 – BVerwGE 120, 305; s.a. GK-StAR, § 11 StAG Rn. 23 ff.; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl., § 11 StAG Rn. 3, 5, § 8 StAG Rn. 54a ff.; Renner, ZAR 2002, 339; Meireis, StAZ 2003, 1; Göbel-Zimmermann, ZAR 2003, 65 ≪72 f.≫). Die Begründung der Bundesregierung zu dem Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes, durch dessen Art. 5 Nr. 8 die Vorschriften des Siebten Abschnitts des bisherigen Ausländergesetzes über einen Einbürgerungsanspruch für Ausländer mit längerem Aufenthalt im Bundesgebiet in das Staatsangehörigkeitsgesetz eingegliedert wurden, verhält sich nicht zur Frage der nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zu stellenden Sprachanforderungen (BTDrucks 15/420 S. 116) und weist für § 11 StAG lediglich redaktionelle Änderungen aus; die weiteren Änderungen des § 11 StAG im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens haben nicht die in Nr. 1 übernommene Regelung betroffen.
Eine an Sinn und Zweck des Ausschlussgrundes orientierte Auslegung ergibt, dass nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG gewisse Kenntnisse der deutschen Schriftsprache erforderlich sind. Die Regelung ist bezogen auf den in § 10 StAG geregelten Einbürgerungsanspruch und soll sicherstellen, dass Personen, die sich auf diesen Einbürgerungsanspruch berufen, auch sprachlich hinreichend in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet allgemein und in ihre Lebens-, Berufs- und Wohnumgebung integriert sind. Ausreichende Möglichkeiten sprachlich vermittelter Kommunikation auf der Grundlage der deutschen Sprache sind typischerweise Voraussetzung für die Integration in die grundlegenden Bereiche der Bildung, der Beschäftigung und der Teilhabe am politischen Leben und damit für die soziale, politische und gesellschaftliche Integration; ohne die Fähigkeit, hiesige Medien zu verstehen und mit der deutschen Bevölkerung zu kommunizieren, ist eine Integration wie auch die Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess nicht möglich (s. BTDrucks 14/533 S. 18). Wegen der Bedeutung, welche im Arbeits- und Berufsleben, aber auch bei der Kommunikation mit der gesellschaftlichen Umwelt einschließlich der Kontakte mit Behörden und Institutionen der schriftlichen Kommunikation zukommt, erfordert dies auch gewisse Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache. Keine andere Beurteilung rechtfertigt der Umstand, dass in der Bundesrepublik Deutschland als deutsche Staatsangehörige geborene und aufgewachsene Personen leben, arbeiten und am gesellschaftlichen sowie sozialen Leben teilnehmen, die des Lesens oder Schreibens nicht (hinreichend) kundig sind; nach den Angaben des Bundesverbands Alphabetisierung e.V. können über vier Millionen Menschen in Deutschland nicht richtig lesen und schreiben. Ungeachtet der Personen, die (absolute und funktionale) Analphabeten sind, ist eine hinreichende Schriftsprachenbeherrschung jedoch gleichwohl der gesellschaftliche Regelfall und bildet Analphabetismus ein Integrationshindernis; der Gesetzgeber, dem für die Ausgestaltung der Einbürgerungsanspruchsvoraussetzungen ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen ist, kann für die typisierende Festlegung der an einen Einbürgerungsbewerber zu stellenden Sprachanforderungen diesen gesellschaftlichen Regelfall zu Grunde legen. Die nach dem Integrationszweck zu fordernden Kenntnisse der deutschen Schriftsprache müssen den Einbürgerungsbewerber in die Lage versetzen, im familiär-persönlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Umfeld sowie im Umgang mit Behörden und Ämtern in deutscher Sprache schriftlich zu verkehren. Dies setzt – jedenfalls bei geschäftsfähigen Einbürgerungsbewerbern – die Fähigkeit voraus, selbständig in deutscher Sprache verfasste Schreiben, Formulare und sonstige Schriftstücke zu lesen und – nach Maßgabe von Alter und Bildungsstand – den sachlichen Gehalt zumindest von Texten einfacheren Inhalts aufgrund der Lektüre auch so zu erfassen, dass hierauf zielgerichtet und verständig reagiert werden kann. Hinsichtlich der Fähigkeit, sich in deutscher Schriftsprache auszudrücken, kann nicht verlangt werden, dass der Einbürgerungsbewerber einen Diktattext in deutscher Sprache selbst und eigenhändig im Wesentlichen fehlerfrei schreiben kann. Allerdings muss es dem Einbürgerungsbewerber möglich sein, sich eigenverantwortlich und eigenverantwortet im familiär-persönlichen, beruflichen und geschäftlichen Umfeld sowie im Umgang mit Behörden und Ämtern aktiv schriftlich in deutscher Sprache zu verständigen. Bei schriftlicher Kommunikation, bei der nach dem heutigen Stand der Technik zumindest im beruflichgeschäftlichen Umfeld sowie im Umgang mit Behörden und Ämtern für die Texterstellung Hilfsmittel (Computer; Schreibmaschine; Diktiergerät) genutzt werden, ist es regelmäßig weder erkennbar noch entscheidend, ob ein Text eigenhändig geschrieben ist; entscheidend ist die durch die Schriftform sichergestellte Authentifizierung und Identifikationsfunktion, die durch eine Unterschrift bzw. eine elektronische Signatur gewährleistet wird, sowie der hierdurch dokumentierte Umstand, dass sich der Unterzeichnende den Inhalt des Textes zu Eigen macht. Hierfür muss der Einbürgerungsbewerber sich nicht selbst schriftlich ausdrücken können, wenn und solange er in eigener Verantwortung eine schriftliche Kommunikation sicherzustellen vermag, ohne diese vollständig und ohne eigene Kontrollmöglichkeit auf Dritte zu übertragen. Kann der Einbürgerungsbewerber nicht selbst ausreichend deutsch schreiben, ist es erforderlich, aber auch ausreichend, wenn er deutschsprachige Texte des täglichen Lebens lesen und diktieren sowie das von Dritten oder mit technischen Hilfsmitteln (z.B. unter Nutzung elektronisch verfügbarer Mustertexte oder von Spracherkennungsprogrammen) Geschriebene auf seine Richtigkeit überprüfen kann und somit die schriftliche Äußerung als seine “trägt”.
Weitergehende Anforderungen an das staatsangehörigkeitsrechtlich durch § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG für die Anspruchseinbürgerung vorausgesetzte Sprachniveau folgen nicht aus dem Umstand, dass der Rechtsbegriff “ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache” bereits in § 24 Abs. 1 Nr. 4, § 27 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 24 Abs. 1 Nr. 4 AuslG genutzt worden war, dass seit dem In-Kraft-Treten des Aufenthaltsgesetzes zum 1. Januar 2005 “ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache” u.a. Voraussetzung für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG), das eigenständige, unbefristete Aufenthaltsrecht noch minderjähriger Kinder (§ 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG) und die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für einen ehemaligen Deutschen, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat (§ 38 Abs. 2 AufenthG) sind oder daraus, dass der nach § 43 AufenthG zu schaffende Integrationskurs zur Heranführung u.a. an die Sprache in Deutschland auch einen Basis- und einen Aufbausprachkurs “zur Erlangung ausreichender Sprachkenntnisse” umfasst (§ 43 Abs. 3 Satz 1 AufenthG), wobei der Anspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs nicht besteht, wenn der Ausländer bereits über “ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache” verfügt (§ 44 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG), und gemäß § 3 Abs. 2 der Verordnung über die Durchführung von Integrationskursen für Ausländer und Spätaussiedler (Integrationskursverordnung – IntV) (vom 13. Dezember 2004) das Kursziel, ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache nach § 43 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes und § 9 Abs. 1 Satz 1 des Bundesvertriebenengesetzes zu erwerben, erreicht ist, wenn sich ein Kursteilnehmer im täglichen Leben in seiner Umgebung selbständig sprachlich zurechtfinden und entsprechend seinem Alter und Bildungsstand ein Gespräch führen und sich schriftlich ausdrücken kann, wobei § 17 Abs. 1 IntV für den am Ende des Integrationskurses durchzuführenden Abschlusstest zum Nachweis der Kenntnisse nach § 3 Abs. 2 IntV auf die Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch (B 1) verweist. Der Senat kann offen lassen, ob der Begriff der “ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache” in § 11 StAG denselben Bedeutungsinhalt hat wie im Aufenthaltsrecht im Allgemeinen oder in der Regelung zur Niederlassungserlaubnis (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG) im Besonderen oder er etwa wegen des unterschiedlichen Regelungskontextes einschließlich der Regelungen zur Frage, unter welchen Voraussetzungen es “ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache” übergangsweise (§ 104 Abs. 2 AufenthG) oder dauerhaft (§ 9 Abs. 2 Satz 3 bis 5 AufenthG) nicht bedarf oder von ihnen abgesehen werden kann, sowie des Umstandes, dass nach § 10 StAG der erfolgreiche Abschluss eines Integrationskurses lediglich die erforderliche Inlandsaufenthaltsdauer verkürzt, nicht aber Einbürgerungsanspruchsvoraussetzung ist, staatsangehörigkeitsrechtlich eigenständig auszulegen ist. Der Senat hat auch nicht zu entscheiden, ob im Aufenthaltsrecht der unbestimmte Gesetzesbegriff der “ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache” durchweg durch § 3 Abs. 2 IntV auszufüllen ist, ob diese Bestimmung in der von dem Berufungsgericht gefundenen Auslegung die Grenzen der dem Verordnungsgeber erteilten Ermächtigung wahrt oder ob sie – ggf. i.V.m. der in § 17 IntV in Bezug genommenen “Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch (B 1)” – dahin auszulegen ist, dass die Fähigkeit vorausgesetzt wird, sich eigenhändig schriftlich auszudrücken. Denn die Fähigkeit, sich schriftlich auszudrücken (§ 3 Abs. 2 IntV), und der gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 IntV durch die Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch (B 1) geführte Nachweis der Kenntnisse nach § 3 Abs. 2 IntV bezeichnen, unter welchen Voraussetzungen ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache (positiv) vorliegen und hinreichend nachgewiesen sind. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts legen diese Regelungen nicht fest, dass die Fähigkeit, sich eigenhändig schriftlich auszudrücken, oder gar damit die Fähigkeit, einen fremden Text nach Diktat zu schreiben oder fremde Gedanken schriftlich in deutscher Sprache wiederzugeben, nicht nur hinreichende, sondern notwendige Voraussetzung ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache bildeten. Für die Festlegung eines zu beachtenden Mindestniveaus fehlen hinreichende Anhaltspunkte.
2.2 Nach diesen Grundsätzen steht § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG dem Begehren des Klägers auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung nicht entgegen. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts tragen die Bewertung, dass der Kläger seinem mündlichen Ausdrucksvermögen und seinen sonstigen Fähigkeiten nach jedenfalls in der Lage ist, Dritten eigene Gedanken in deutscher Sprache zu diktieren, und dass er des Lesens auch hinreichend kundig ist, um das so Geschriebene auf seine Richtigkeit zu prüfen und sich als eigene schriftliche Äußerung zu Eigen zu machen. Die von dem Berufungsgericht bezeichneten gewissen Einschränkungen in Bezug auf die im Übrigen anzunehmende Fähigkeit des Klägers, einen deutschsprachigen Text des alltäglichen Lebens zu lesen, zu verstehen und die wesentlichen Inhalte mündlich wiederzugeben, erreichen nicht das Gewicht, dass es diesbezüglich weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf.
3. Die Anschlussrevision der Beklagten, die sich gegen ihre Verpflichtung richtet, über den Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung nach § 8 StAG neu zu entscheiden, kann nach Vorstehendem keinen Erfolg haben, weil der Kläger der Sache nach bereits mit seinem weitergehenden Begehren durchdringt, die Beklagte nach § 10 StAG zur Erteilung der Einbürgerungszusicherung zu verpflichten. Für den einheitlich auf (Zusicherung der) Einbürgerung gerichteten Anspruch eines Einbürgerungsbewerbers ist es grundsätzlich unerheblich, ob er auf die Anspruchsnorm des § 10 StAG gestützt wird oder die Einbürgerung nach § 8 StAG im Ermessen der zuständigen Behörde steht; eine auf § 8 StAG gestützte Einbürgerung(szusicherung) ist insbesondere kein aliud zu einer Einbürgerung(szusicherung) nach § 10 StAG. Kehrseite des Grundsatzes, dass ein Einbürgerungs(zusicherungs)begehren grundsätzlich hinsichtlich aller in Betracht kommender Einbürgerungsgrundlagen zu prüfen ist (s.a. BVerwG, Urteil vom 17. März 2004 – BVerwG 1 C 5.03 – NVwZ 2004, 997; Urteil vom 20. April 2004 – BVerwG 1 C 16.03 – BVerwGE 120, 305), ist, dass bei einer weitergehenden Verpflichtung zur Erteilung der Einbürgerung(szusicherung) für eine selbständige Überprüfung, ob aufgrund einer anderen Norm ein Anspruch lediglich auf Neubescheidung besteht, oder gar für eine Aufhebung eines entsprechenden Entscheidungsausspruchs kein Raum ist.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen
Haufe-Index 1489939 |
BVerwGE 2006, 268 |
ZAP 2006, 497 |
DÖV 2006, 879 |
InfAuslR 2006, 283 |
JZ 2007, 198 |
ZAR 2006, 283 |
AuAS 2006, 52 |
BayVBl. 2006, 672 |
DVBl. 2006, 919 |
GV/RP 2006, 677 |
KomVerw 2006, 270 |
FuHe 2006, 732 |
FuNds 2006, 746 |