Leitsatz (amtlich)
Die für private Zwecke erfolgte Entnahme für Dritte vereinnahmter Gelder aus der Kasse eines Standort-Freizeitbüros stellt nur dann eine Verletzung der Kameradschaftspflicht dar, wenn dadurch Rechte von Kameraden beeinträchtigt werden.
Normenkette
SG § 12 S. 2; WDO § 84 Abs. 1
Tatbestand
Der frühere Soldat im Range eines Hauptfeldwebels war Leiter des Freizeitbüros der P.…-Kaserne. Zur Begleichung privater Schulden entnahm er in drei Fällen aus der von ihm betreuten Kasse des Freizeitbüros insgesamt 2099,90 DM. Dieses Geld hatte er aus dem Verkauf bzw. der Vermietung von Fahrrädern eingenommen, die ihm mit Kenntnis der Standortverwaltung durch den Inhaber eines privaten Radsportfachgeschäftes für Zwecke des Freizeitbüros zur Verfügung gestellt worden waren.
Das Amtsgericht erließ gegen den früheren Soldaten einen Strafbefehl wegen Unterschlagung in drei Fällen. Die Truppendienstkammer fand den früheren Soldaten eines Dienstvergehens schuldig und setzte ihn in den Dienstgrad eines Oberfeldwebels herab. Auf die Berufung des früheren Soldaten hob der Senat das Kammerurteil auf und stellte das Verfahren unter Feststellung eines Dienstvergehens des früheren Soldaten ein.
Entscheidungsgründe
An die tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Strafbefehls des Amtsgericht ist der Senat nach § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO nicht gebunden. Ein Strafbefehl, gegen den nicht rechtzeitig Einspruch erhoben worden ist, steht zwar nach § 410 Abs. 3 StPO einem rechtskräftigem Urteil gleich. Dennoch vermag er nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats keine Bindungswirkung für das gerichtliche Disziplinarverfahren auszulösen, weil er – anders als ein aufgrund einer Hauptverhandlung ergangenes Strafurteil – keine richterlichen Feststellungen zur Tat- und Schuldfrage enthält. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Bestimmung des § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO bzw. des inhaltsgleichen § 77 Abs. 1 WDO a.F., sondern auch aus dem Zweck der gesetzlichen Regelung, wonach ersichtlich nur die in einer Hauptverhandlung nach den rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien und Prozessregeln des Strafverfahrensrechts gefundenen tatsächlichen Feststellungen mit der gesetzlichen Bindungswirkung ausgestattet sein können (vgl. zu § 77 WDO a.F.: Beschluss vom 1. Dezember 1987 – BVerwG 2 WD 66.87 – ≪BVerwGE 83, 373 [376] = NZWehrr 1988, 87≫ sowie Urteil vom 16. Juni 1992 – BVerwG 1 D 11.91 – ≪BVerwGE 93, 255 [259]≫). Hieran hält der Senat fest.
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Dadurch, dass der frühere Soldat in drei Fällen für die Inhaber des Radsportfachgeschäfts vereinnahmte Geldbeträge in Höhe von insgesamt 2099,90 DM der Kasse des Freizeitbüros für private Zwecke entnommen hat, hat er gegen seine dienstliche Pflicht verstoßen, dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordert (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). (wird ausgeführt)
Dagegen hat der frühere Soldat nicht gegen seine Pflicht nach § 12 Satz 2 SG verstoßen, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten und ihm in Not und Gefahr beizustehen. Zu den sonstigen Rechten, die zu achten sind, zählen nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auch die materiellen Rechte eines Kameraden wie Eigentum, Besitz sowie alle durch die Rechtsordnung geschützten Interessen, damit auch das Vermögen eines Kameraden (Urteile vom 2. Februar 1979 – BVerwG 2 WD 98.78 – ≪NZWehrr 1979, 228 [f.]≫, vom 31. Januar 1991 – BVerwG 2 WD 48.90 – ≪BVerwGE 93, 34≫, vom 3. September 1991 – BVerwG 2 WD 2.91 – ≪BVerwGE 93, 148 [f.]≫) bzw. einer Gemeinschaft von Kameraden (Urteile vom 28. September 1994 – BVerwG 2 WD 22.94 – ≪BVerwGE 103, 172 [f.] = NZWehrr 1995, 125≫ und vom 17. Mai 1995 – BVerwG 2 WD 5.95 – ≪BVerwGE 103, 233 [f.] = NZWehrr 1996, 165 [f.]≫). Der frühere Soldat hat jedoch weder Eigentums- noch Vermögensrechte seiner Kameraden beeinträchtigt.
Die Inhaber des Radsportfachgeschäfts als Verkäufer und Geschäftsherren bedienten sich des früheren Soldaten, den sie zum Abschluss der Kaufverträge in ihrem Namen (§ 164 BGB) sowie deren Durchführung ermächtigt und mit dem sie zugleich ein auf rechtsgeschäftlicher Grundlage beruhendes Besitzmittlungsverhältnis i.S.v. § 868 BGB begründet hatten (vgl. Bassenge in: Palandt, BGB, 57. Aufl., § 868 RNr. 15 m.w.N.), sowohl zur Abgabe der rechtsgeschäftlichen Erklärung über die Einigung als auch zur Übereignung des Fahrrades und des Geldes. Bei Übergabe des Kaufpreises durch den Käufer an den früheren Soldaten erklärte dieser zumindest konkludent, das Geld für die Verkäufer entgegenzunehmen (vgl. Ruß in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl., § 242 RNr. 15 m.w.N.). Damit haben diese das Eigentum an dem jeweiligen Verkaufserlös mit der Übergabe des Kaufpreises durch den Käufer an den früheren Soldaten gemäß § 929 Satz 1 i.V.m. § 868 BGB erworben. Soweit Kameraden Fahrräder gekauft hatten, wurden ihnen diese zu Eigentum übergeben und ihnen die Zahlung des Kaufpreises unter Angabe der Kaufsache und des Datums quittiert. Damit hätten sie im Zweifelsfall nachweisen können, dass ihre Verpflichtung aus dem Kaufvertrag mit den Inhabern des Radsportfachgeschäftes durch Kaufpreiszahlung an den früheren Soldaten gemäß § 362 Abs. 1 BGB (vgl. Heinrichs in: Palandt, a.a.O., § 362 RNr. 3; Zeiss in: Soergel, BGB, 12. Aufl., § 362 RNr. 13) erloschen ist. Ihre Eigentumsrechte sind durch das Fehlverhalten des früheren Soldaten folglich nicht gefährdet oder gestört worden.
Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass der frühere Soldat nach seinen Angaben die vereinnahmten Verkaufserlöse mit dem in der Kasse des Freizeitbüros befindlichen Geld, darunter die als Nutzungsentgelt an die Inhaber des Radsportfachgeschäfts ebenfalls abzuführenden Mieterlöse, vermischt hat und damit gegebenenfalls gemäß § 948 Abs. 1, § 947 Abs. 1 BGB entsprechende Miteigentumsanteile der ursprünglichen Geldeigentümer am Kasseninhalt entstanden waren. Denn nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Anschuldigungsschrift wird dem früheren Soldaten lediglich zur Last gelegt, die im Einzelnen genau bezeichneten Verkaufserlöse an sich genommen zu haben. Ob es sich dabei um Gelder handelte, an denen dem Freizeitbüro zumindest ein Miteigentumsanteil zustand, kann daher vorliegend ebenso offen bleiben wie die Fragen, ob diese nach der “Richtlinie für die Einrichtung und den Betrieb von Freizeitbüros” vom 3. Januar 1994 (VMBl. S. 82) in der Fassung vom 13. September 2000 (VMBl. S. 290) eingerichtete Betreuungseinrichtung als Gemeinschaftseinrichtung von Soldaten im Sinne der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 28. September 1994 – BVerwG 2 WD 22.94 – ≪BVerwGE 103, 172 [f.] = NZWehrr 1995, 125≫ und vom 17. Mai 1995 – BVerwG 2 WD 5.95 – ≪a.a.O.≫) zu qualifizieren ist, ob sich überhaupt Gelder des Freizeitbüros in der Kasse befanden und wie sich die Eigentumsverhältnisse an den Einnahmen aus der Vermietung der Fahrräder gestalteten.
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Fundstellen
ZBR 2002, 323 |
NZWehrr 2003, 37 |