Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigentumsverzicht wegen Überschuldung des Grundstücks. nicht kostendeckende Mieten. Überschuldung bei Gründung der DDR. ursächlicher Zusammenhang zwischen Überschuldung und Kostenunterdeckung. Erschütterung der Vermutung. unlautere Machenschaften. Nötigung. behördliches Verlangen eines Gesamtverzichts. Überschuldung des bebauten Grundstücks als Voraussetzung für unlautere Machenschaften
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verknüpfung der Genehmigung des Verzichts auf das Eigentum an einem bebauten Grundstück mit dem Verzicht auf weitere Grundstücke durch DDR-Organe stellt nur dann eine Nötigung im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG dar, wenn für das bebaute Grundstück die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 1 Abs. 2 VermG vorliegen.
2. Die zu § 1 Abs. 2 VermG bestehende Ursächlichkeitsvermutung der Kostenunterdeckung für die Überschuldung ist in der Regel nicht erschüttert, wenn das Grundstück trotz einer Überschuldung, die bereits bei Gründung der DDR vorlag, lange Zeit in gebrauchsfähigem Zustand gehalten werden konnte.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 2-3
Verfahrensgang
VG Magdeburg (Entscheidung vom 15.08.2000; Aktenzeichen 5 A 489/99 MD) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 15. August 2000 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin wendet sich als Verfügungsberechtigte gegen die nach dem Vermögensgesetz erfolgte Restitution mehrerer Ackergrundstücke in einer Gesamtgröße von etwa 35 ha an die Beigeladenen. Eigentümer dieser in W. gelegenen Flächen war der von den Beigeladenen beerbte Landwirt S., dem zugleich die beiden in der Ortslage befindlichen bebauten Grundstücke … gehörten. Nachdem der Rat des Kreises den gesamten landwirtschaftlichen Grundbesitz in seine Verwaltung genommen hatte, da S. „seinen gesetzlichen Verpflichtungen nicht mehr ordnungsgemäß nachgekommen” sei, verpachtete dieser zum 1. Oktober 1953 den landwirtschaftlichen Betrieb an eine LPG. 1975 gab die LPG die Landwirtschaftsgebäude einschließlich der beiden Wohngebäude an S. zurück, der seit 1971 Altersrente bezog. 1985 wandte er sich an den Bürgermeister und bot an, sein Grundstück … (Wohnhaus, Stallungen etc.) der Gemeinde zu schenken, da er nicht in der Lage sei, notwendige Reparaturen an den Gebäuden zu finanzieren. Der Bürgermeister verlangte jedoch den Verzicht auf alle Grundstücke, anderenfalls werde der Verzicht nicht angenommen. S. erklärte den Verzicht auf den gesamten Grundbesitz, woraufhin das streitgegenständliche Ackerland 1987 in das Eigentum des Volkes umgeschrieben und unter Rechtsträgerschaft einer LPG gestellt wurde. Rechtsträger der beiden Wohngrundstücke … war der Rat der Gemeinde. S. verstarb im Jahre 1990.
Mit bestandskräftig gewordenem Teilbescheid vom 12. November 1996 sind die beiden Wohngrundstücke an die Beigeladenen in Erbengemeinschaft zurückübertragen worden. Mit weiterem Teilbescheid vom 2. Juli 1997 hat der Beklagte die streitbefangenen Ackerflächen ebenfalls an die Beigeladenen restituiert. Er und die Widerspruchsbehörde sind davon ausgegangen, dass der Schädigungstatbestand der unlauteren Machenschaften erfüllt sei. In rechtswidriger Weise sei ein Gesamtverzicht auf bebaute und unbebaute Grundstücke gefordert worden. S. habe sich daher in einer Zwangslage befunden, weil er im Falle der Nichterklärung des Gesamtverzichts das überschuldete Grundstück hätte behalten müssen.
Mit ihrer Klage hat sich die Klägerin in erster Linie darauf berufen, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 VermG nicht erfüllt seien, da die Überschuldung nicht auf nicht kostendeckende Mieten zurückzuführen sei, sondern auf schon vor der Gründung der DDR bestehende Altschulden. Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 15. August 2000 stattgegeben und das Vorliegen eines Schädigungstatbestandes verneint. § 1 Abs. 2 VermG sei nicht eröffnet, da es sich bei den Ackerflächen um unbebaute Grundstücke handele. Auch § 1 Abs. 3 VermG komme nicht zum Zuge. Zwar sei davon auszugehen, dass der Gesamtverzicht nur erklärt worden sei, nachdem der Bürgermeister in Aussicht gestellt habe, dass der ursprüngliche Verzicht auf das bebaute Grundstück … nicht genehmigt würde und S. mit dem Problem allein fertig werden müsse, wenn er nicht auf alles verzichte. Darin liege jedoch keine unlautere Machenschaft in Form einer Nötigung, Täuschung oder eines Machtmissbrauchs. Einen Anspruch auf Genehmigung des Verzichts habe S. nicht gehabt; denn es sei nicht ersichtlich, dass es nach den Maßstäben der DDR-Rechtsordnung rechtsfehlerhaft gewesen wäre, die Genehmigung eines Verzichts zu verweigern, wenn damit erhebliche Erhaltungskosten auf das Volkseigentum zugekommen wären. Zwar stelle das Behalten- und Erhaltenmüssen eines überschuldeten Grundstücks ein empfindliches Übel dar, aber kein solches, welches der Betroffene nach der Rechtsordnung der DDR nicht habe hinnehmen müssen. Die wirtschaftliche Notsituation des S. sei nicht diejenige gewesen, die § 1 Abs. 2 VermG meine, da das Grundstück … zwar zum Verzichtszeitpunkt überschuldet, diese Überschuldung aber nicht kausal auf die Niedrigmietenpolitik der DDR zurückzuführen gewesen sei.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügen die Beigeladenen die Verletzung von Bundesrecht.
Sie beantragen,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 15. August 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Beklagte tritt dem angefochtenen Urteil entgegen.
Die Klägerin verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet.
Das Verwaltungsgericht ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die Verknüpfung der Genehmigung des Verzichts auf das Eigentum an einem bebauten Grundstück mit einem Gesamtverzicht auf weitere Grundstücke nur dann als unlautere Machenschaft im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG zu bewerten ist, wenn für das bebaute Grundstück die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 1 Abs. 2 VermG vorliegen (1.). Soweit jedoch das Verwaltungsgericht die Ursächlichkeit der generell nicht kostendeckenden Mieten für die festgestellte Überschuldung allein mit der Erwägung verneint, die Überschuldung habe bereits bei Gründung der DDR bestanden, hat es die Kausalitätsbetrachtung zu eng vorgenommen (2.). Da die Sache jedoch spruchreif ist, konnte der Senat selbst durchentscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Die Klage ist unbegründet.
1. a) Nach § 1 Abs. 3 VermG ist eine vermögensrechtliche Schädigung u.a. dann gegeben, wenn Vermögenswerte durch Nötigung staatlicher Stellen erworben wurden. Diese Bestimmung betrifft solche Vorgänge, bei denen im Einzelfall in manipulativer, sittlich vorwerfbarer Weise unter Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR auf bestimmte Vermögenswerte zugegriffen wurde. Unter „Nötigung” im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG ist in Anlehnung an § 240 StGB die rechtswidrige Einflussnahme auf die Willensentschließungs- oder Willensbetätigungsfreiheit durch Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zu verstehen (stRspr, vgl. Urteil vom 29. Februar 1996 – BVerwG 7 C 59.94 – BVerwGE 100, 310, 312 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 68 S. 191 ≪193≫ m.w.N.). Eine Drohung ist das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, dessen Eintritt davon abhängen soll, dass der Bedrohte sich nicht dem Willen des Drohenden beugt. Das angedrohte Übel ist „empfindlich”, wenn der in Aussicht gestellte Nachteil bei objektiver Betrachtung geeignet ist, einen besonnenen Menschen zu dem damit erstrebten Verhalten zu bestimmen (Urteil vom 29. Februar 1996 – BVerwG 7 C 59.94 – a.a.O). Ob eine solche Zwangslage von Gewicht bestand, ist also nicht nach der individuellen Einschätzung der Situation durch den Betroffenen, sondern anhand eines objektivierten Maßstabs zu ermitteln. Im Rahmen von § 1 Abs. 3 VermG ist daher zu fragen, ob von einem vernünftigen Eigentümer in der konkreten Lage erwartet werden konnte, dem mit dem Verzichtsverlangen ausgeübten Druck zu widerstehen. Dementsprechend genügt die nur subjektiv gegründete Vorstellung, sich in einer Zwangslage zu befinden, nicht für die Annahme eines Nötigungstatbestandes (Urteil vom 19. Februar 1996 – BVerwG 7 C 59.94 – a.a.O. m.w.N.).
b) In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass mit der behördlichen Erklärung, den Eigentumsverzicht auf ein Grundstück, hinsichtlich dessen die Tatbestandsvoraussetzungen von § 1 Abs. 2 VermG vorlagen, ohne Einbeziehung weiterer Grundstücke nicht genehmigen zu wollen, dem Alteigentümer ein empfindliches Übel angedroht wurde. Er befand sich nämlich in einer ökonomischen Zwangslage, die der Gesetzgeber, wie die in § 1 Abs. 2 VermG getroffene Regelung zeigt, als so erheblich ansieht, dass er den dadurch herbeigeführten Eigentumsverzicht rückgängig gemacht haben will. Die Aussicht, ohne umfassenden Verzicht auch das verschuldete Grundstück behalten zu müssen, war ein Nachteil, der bei objektiver Betrachtung regelmäßig geeignet gewesen ist, jeden besonnenen Eigentümer zu dem erstrebten Verhalten des Gesamtverzichts zu bestimmen (Urteile vom 23. Januar 1997 – BVerwG 7 C 2.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 101 S. 306 ≪307 f.≫, vom 28. April 1998 – BVerwG 7 C 4.97 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 151 S. 459 ≪462 f.≫ und vom 24. August 1999 – BVerwG 8 C 24.98 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 305 S. 9 ≪11≫).
c) Das für den Tatbestand der Nötigung erforderliche Element der Rechtswidrigkeit des behördlichen Verlangens (stRspr, vgl. Beschluss vom 6. Juni 2000 – BVerwG 8 B 98.00 – Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 14 S. 44) liegt darin begründet, dass das Verlangen nach einem umfassenden Verzicht weder von der Rechts- oder Verwaltungspraxis der DDR noch im Hinblick auf die besonderen Umstände des vorliegenden Falls gerechtfertigt war (Urteil vom 23. Januar 1997 – BVerwG 7 C 2.96 – a.a.O. S. 308).
Nach § 310 Abs. 1 ZGB konnte das Eigentum an einem Grundstück dadurch aufgegeben werden, dass der Eigentümer den Verzicht gegenüber dem zuständigen staatlichen Organ in beglaubigter Form zu Protokoll erklärte und die Verzichtserklärung staatlich genehmigt wurde. Nach § 2 Abs. 1 Buchst. b der Grundstücksverkehrsverordnung vom 15. Dezember 1977 (GBl der DDR I S. 73) war der Verzicht auf das Eigentum an einem Grundstück genehmigungspflichtig; diese Genehmigung konnte nach § 3 Abs. 3 dieser Verordnung von Auflagen abhängig gemacht werden. Den hierzu ergangenen Hinweisen und Erläuterungen des Ministeriums der Finanzen vom 8. Mai 1978 zur Durchführung von § 310 ZGB (Schriftenreihe des BARoV Heft 1 Dokument 26) ist nicht zu entnehmen, dass die Genehmigung eines Verzichts vom Verzicht auf weitere Grundstücke abhängig gemacht werden konnte. Unter III, 1 der Hinweise findet sich lediglich die Vorgabe, dass der Verzicht bei Grundstücken, die bis zu ihrem Wert oder darüber hinaus mit volkseigenen Forderungen belastet waren, grundsätzlich zu genehmigen war, weil das Grundstück ökonomisch bereits ganz oder teilweise dem Volkseigentum zustand. Volkseigene Forderungen, die von den Kreditinstituten für den Staatshaushalt treuhänderisch verwaltet wurden und die durch den Grundstückswert gedeckt waren, mussten ausgebucht werden; den Kreditinstituten war eine entsprechende Ausbuchungsbestätigung zu erteilen. Die den Wert des Grundstücks übersteigenden volkseigenen Forderungen waren jedoch nach den Hinweisen nicht zu erlassen, sondern weiter geltend zu machen, wenn der Grundstückseigentümer über andere noch nicht bis zum Wert belastete private Grundstücke verfügte, für die er keinen Verzicht erklärt hatte. Die Restforderung war nach den Hinweisen durch die Eintragung einer Hypothek an den weiteren Grundstücken zu sichern. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich keine Befugnis, einen Gesamtverzicht zu verlangen. Auch sonst wird nicht ersichtlich, dass die nach dem Recht der DDR gegebene Möglichkeit der Versagung der Genehmigung einen Ansatzpunkt zu einem erweiterten Zugriff auf privates Eigentum und damit einen rechtfertigenden Grund ergibt, eine umfassende Verzichtserklärung zu fordern.
d) In den Gesamtverzichtsfällen setzt eine unlautere Machenschaft in Gestalt einer Nötigung hinsichtlich der weiteren Grundstücke voraus, dass bezüglich des bebauten Grundstücks die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 1 Abs. 2 VermG vorlagen, weil – wie dargelegt – das empfindliche Übel, mit dem gedroht wurde, darin bestand, dass der Eigentümer das überschuldete Grundstück behalten musste. Zwar ist davon auszugehen, dass es durchaus ökonomische Zwangssituationen gab, in denen ein vernünftiger Eigentümer unter den in der DDR geltenden Bedingungen bestrebt sein musste, auf das Grundstück zu verzichten, obwohl dadurch der Tatbestand von § 1 Abs. 2 VermG nicht erfüllt wurde, z.B. immer dann, wenn die Überschuldung nicht kausal auf die Niedrigmietenpolitik der DDR zurückzuführen war. Dies mag im strafrechtlichen Sinne als Nötigung anzusehen sein. Eine solche allein auf die strafrechtliche Dogmatik abhebende Betrachtungsweise würde aber die gesetzliche Wertung von § 1 Abs. 2 VermG unterlaufen, wonach (nur) die tatbestandsmäßige Überschuldung infolge nicht kostendeckender Mieten ein restitutionswürdiges Unrecht darstellt und nicht schon jeder unter den planwirtschaftlichen Verhältnissen gegebene ökonomische Zwang. Die gesetzgeberische Wertung in § 1 Abs. 2 VermG muss auf die Voraussetzungen für die Annahme einer Nötigung hinsichtlich der weiteren Grundstücke durchschlagen. Anderenfalls würden in derartigen Fällen die weiteren Grundstücke gemäß § 1 Abs. 3 VermG zurückübertragen, während hinsichtlich des überschuldeten Grundstücks keine Restitution stattfinden müsste, obwohl dieses der eigentliche Hebel für die Nötigung des Alteigentümers war.
e) Eine unlautere Machenschaft in Gestalt einer Nötigung gemäß § 1 Abs. 3 VermG erfordert deshalb in den Fällen, in denen die DDR-Behörden die Genehmigung des Verzichts auf das Eigentum an einem bebauten Grundstück mit dem Verzicht auf weitere Grundstücke verknüpft haben, das Vorliegen von vier Voraussetzungen:
Erstens müssen für das bebaute Grundstück oder Gebäude in der Zeit vor dem Eigentumsverlust nicht kostendeckende Mieten erzielt worden sein. Zweitens muss die Kostenunterdeckung zu einer bereits eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden Überschuldung geführt haben. Drittens müssen staatliche Stellen erklärt haben, den Eigentumsverzicht auf das bebaute Grundstück ohne Einbeziehung der weiteren Grundstücke nicht genehmigen zu wollen. Viertens muss die Nötigung wesentliche Ursache für den Eigentumsverlust gewesen sein.
2. a) Zur ersten Voraussetzung hat das Verwaltungsgericht zwar keine Feststellungen getroffen. Doch kann bei der Vermietung zu Wohnzwecken im Regelfall vermutet werden, dass die Überschuldung auf nicht kostendeckenden Mieten beruht hatte (stRspr, vgl. Urteil vom 2. Februar 2000 – BVerwG 8 C 25.99 – Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 7 S. 14 ≪17≫ m.w.N.). Das Wohnhaus … umfasste vier Wohneinheiten; es wurde überwiegend vermietet, so dass davon ausgegangen werden kann, dass in der Zeit vor dem Verzicht nicht kostendeckende Mieten erzielt worden sind.
b) Die zweite Voraussetzung verlangt die Feststellung sowohl der Überschuldung als auch der Ursächlichkeit der Kostenunterdeckung für die Überschuldung.
Die Prüfung der Schuldensituation des Grundstücks erfolgt anhand einer Gegenüberstellung des Zeitwerts der Immobilie mit den dieser zuzuordnenden Verbindlichkeiten (Urteil vom 2. Februar 2000 – BVerwG 8 C 25.99 – a.a.O. S. 19). Für die Bestimmung des Grundstückswertes ist grundsätzlich die konkrete Beleihungsgrenze maßgeblich, wobei vereinfachend auf den Einheitswert zurückgegriffen werden kann, bis zu dessen Höhe üblicherweise höchstens Kredite bewilligt wurden (Urteil vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – BVerwGE 108, 281 ≪284≫ = Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 1 S. 1 ≪4≫). Der Einheitswert des bebauten Grundstücks … betrug nach Aktenlage 20 452 Mark. Davon sind das Verwaltungsgericht und die Beteiligten ausgegangen. Demgegenüber valutierten die für dieses und die landwirtschaftlich genutzten Grundstücke eingetragenen Hypotheken mit einem Betrag von 47 150,07 Mark zuzüglich weiterer „Treuhandforderungen” in Höhe von 22 232,33 Mark. Die Belastungen sind in den Vergleich voll einzustellen, weil die Immobilie die Bezahlung dieser Schulden sichern sollte. Das Grundstück … war zum Zeitpunkt des Eigentumsverzichts überschuldet. Ferner standen finanzielle Belastungen für Instandsetzungsmaßnahmen bevor, deretwegen S. auf das Eigentum verzichtete.
Es besteht eine Vermutung dafür, dass eine festgestellte Überschuldungslage auf nicht kostendeckenden Mieten beruht. Das gilt grundsätzlich auch für aus der Zeit vor der DDR stammende Altbelastungen, gleichgültig welchem Zweck sie dienten. Das Verwaltungsgericht hat die fehlende Kausalität der Niedrigmietenpolitik der DDR für die Überschuldung allein damit begründet, dass die Verbindlichkeiten den Einheitswert des Grundstücks … bereits bei Gründung der DDR überstiegen hatten. Diese Feststellung reicht indes nicht aus.
Die Kausalitätsvermutung kann zwar vielfältig erschüttert sein, etwa wenn der Eigentumsverlust so frühzeitig erfolgt war, dass die Niedrigmietenpolitik der DDR darauf keinen erheblichen Einfluss mehr nehmen konnte, oder wenn die zu DDR-Zeiten aufgenommenen Fremdbelastungen nicht objektbezogen waren. Aber Zweifel daran, dass der Ursachenbeitrag der nicht kostendeckenden Mieten für die beim Verzicht nicht abgebaute Überschuldung wesentlich war, sind dann nicht berechtigt, wenn das Grundstück lange Zeit in gebrauchsfähigem Zustand gehalten wurde (vgl. Urteile vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – a.a.O. S. 287 f. bzw. 6 f. und vom 2. Februar 2000 – BVerwG 8 C 25.99 – a.a.O. S. 20). Geschützt werden soll der Eigentümer, dem ein Festhalten am Eigentum nicht länger wirtschaftlich sinnvoll erscheinen musste, weil ihn die Niedrigmieten in eine konkrete ökonomische Zwangslage gebracht hatten. Das spezielle Teilungsunrecht wird hier besonders daran deutlich, dass S. seit dem Jahre 1937 einem Entschuldungsprogramm mit fester Entschuldungsrente unterlegen hatte, die er – nach dem Schuldenstand im Zeitpunkt des Verzichts zu schließen – nicht fortlaufend aufbringen konnte. Trotzdem hatte er seit Rückgabe der Gebäude am 1. Juli 1975 durch die LPG bis zu seinem am 16. Juni 1987 zu Protokoll gegebenen endgültigen Verzicht noch 12 Jahre lang Wohnungen vermieten können. Deren Zustand mag zwar „schlecht” gewesen sein, während die Nebengebäude abrissreif waren. Der moderate Umfang der unmittelbar nach dem Verzicht durchgeführten Reparaturen, wie er sich aus den beigezogenen Verwaltungsakten ergibt (zwei Blendrahmenfenster für 176,98 M sowie eine Reparatur der Wohnraumdecke und einer Freitreppe für 9 543,22 M), zeigt aber, dass S. über einen langen Zeitraum hinweg das Mietobjekt erhalten konnte. Da von nicht kostendeckenden Mieten auszugehen ist, muss S. zwangsläufig zur Bewahrung des Wohnbestandes erhebliche sonstige private Mittel investiert haben. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass S. im Jahre 1969 ein Flurstück für 14 441 M veräußert und zur Begleichung von Schulden verwendet hatte. Aus all dem folgt, dass hier trotz erheblicher Altlasten die allgemeine Vermutung der Ursächlichkeit der generell nicht kostendeckenden Mieten für die festgestellte Überschuldung greift.
c) Die als dritte Voraussetzung erforderliche behördliche Erklärung, den Eigentumsverzicht auf ein bebautes Grundstück nur zu genehmigen, wenn auf das Eigentum an weiteren Grundstücken verzichtet werde, hat das Verwaltungsgericht ausdrücklich festgestellt (UA S. 6 ff.), ohne dass dies durch zulässige und begründete Verfahrensrügen angegriffen worden ist (§ 137 Abs. 2 VwGO).
d) Der Senat hegt schließlich nach Lage der Akten keinen Zweifel, dass das behördliche Verlangen nach Gesamtverzicht – viertens – ursächlich für den Eigentumsverlust gewesen war.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller ist infolge Urlaubs verhindert, seine Unterschrift beizufügen. Sailer, Sailer, Krauß, Golze, Postier
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 24.10.2001 durch Sieber Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
VIZ 2002, 354 |
NJ 2002, 159 |