Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Beschluss vom 23.10.2000; Aktenzeichen 22 B 96.4040) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Oktober 2000 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die zwangsweise Belastung ihres Grundeigentums mit einem Leitungsrecht zugunsten der Beigeladenen.
Die Beigeladene ist ein Unternehmen, das den Bau und Betrieb von Mineralöl-Transportleitungen zum Gegenstand hat und sich in der Hand der Tschechischen Republik befindet. Diese beschloss im Jahr 1990, sich durch eine Anbindung an das westeuropäische Versorgungsnetz aus ihrer einseitigen Abhängigkeit von Mineralöllieferungen aus den GUS-Staaten zu lösen. Als günstigste Lösung favorisierte sie einen Anschluss an die von Triest nach Ingolstadt führende Transalpine Oelleitung (TAL) mittels einer Stichleitung, der Mitteleuropäischen Rohölleitung (MERO), zwischen Vohburg an der Donau und dem nördlich von Prag gelegenen Tanklager Nelahozeves, die bis Waidhaus über bayerisches Staatsgebiet verlaufen sollte. Als Ergebnis eines Raumordnungsverfahrens billigte die Regierung der Oberpfalz am 30. Dezember 1992 die Trassenvariante C 4 (Vohburg-Münchsmünster-Neustadt a.d.D.-Falkenstein-Roding-Rötz-Winklarn-Oberviechtach-Eslarn-Waidhaus/Landesgrenze). Mit Bescheid vom 30. November 1994 erteilte das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit der Beigeladenen die gewerberechtliche Erlaubnis und wasserrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb der Ölleitung. Bestandteil des Bescheides ist u.a. ein landschaftspflegerischer Begleitplan mit einem Trassenkorridor.
Die Leitung wurde nach Durchführung eines Verfahrens zur vorzeitigen Besitzeinweisung im Jahr 1995 gebaut und im März 1996 in Dienst gestellt. Sie verläuft u.a. durch das der Klägerin gehörende, landwirtschaftlich genutzte Grundstück Flur-Nr. 324 in der Gemarkung A.… Nachdem Bemühungen der Beigeladenen um einen freihändigen Erwerb eines Leitungsrechts gescheitert waren, belastete das Landratsamt Cham mit Enteignungsbeschluss vom 1. April 1996 das Grundeigentum der Klägerin mit einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit des Inhalts, dass die Beigeladene berechtigt ist, in einem Grundstücksstreifen von 10 m Breite eine Rohölfernleitung einschließlich Zubehör zu verlegen, zu betreiben und das Grundstück zum Zwecke des Baus, des Betriebes und der Unterhaltung der Anlage jederzeit zu benutzen.
Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen, der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung der Berufungsentscheidung ist im Wesentlichen ausgeführt: Rechtsgrundlage des Enteignungsbeschlusses sei Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Vohburg an der Donau und Waidhaus – MERO-Gesetz – vom 28. April 1994 (BayGVBl S. 294). Dieses Gesetz unterliege keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die darin getroffene Entscheidung, Enteignungen für eine Rohölleitung zwischen Vohburg an der Donau und Waidhaus im Grundsatz zuzulassen, sei mit Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar. Da das Gesetz nur den Anschlusspunkt an die TAL in Vohburg und den Übergabepunkt in Waidhaus benenne und der Festlegung eines Trassenkorridors in der gewerberechtlichen Erlaubnis und wasserrechtlichen Genehmigung keine enteignungsrechtliche Vorwirkung zukomme, würden die weiteren, für die konkrete Betroffenheit einzelner Grundstückseigentümer entscheidenden Voraussetzungen erst im Enteignungsverfahren bestimmt. Es obliege der Enteignungsbehörde, die Einzelheiten der Trassenführung und mögliche Varianten sowie alle für und gegen das Vorhaben in seiner konkreten Gestalt sprechenden Belange abzuwägen und zu prüfen, ob das Vorhaben eine Enteignung rechtfertige. Dieser Verpflichtung sei das Landratsamt nachgekommen.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision macht die Klägerin – wie schon in den Vorinstanzen – die Verfassungswidrigkeit des MERO-Gesetzes geltend. Der Beklagte und die Beigeladene treten der Revision entgegen und beantragen deren Zurückweisung.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Beschluss verletzt Bundesrecht nicht. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass das MERO-Gesetz als Rechtsgrundlage für den Enteignungsbeschluss mit Art. 14 GG vereinbar ist. Seine Rechtsauffassung, die Klägerin werde durch den konkreten Zugriff auf ihr Grundeigentum nicht in ihren Rechten verletzt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Bei der zwangsweisen Belastung des Eigentums an einem Grundstück mit einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit handelt es sich um eine Enteignung (BVerfG, Urteil vom 10. März 1981 – 1 BvR 92, 96/71 – BVerfGE 56, 249 ≪260≫). Sie ist nach Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig und bedarf gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG einer gesetzlichen Grundlage. Das Wohl der Allgemeinheit ist durch eine Abwägung nach Verhältnismäßigkeitskriterien zwischen dem öffentlichen Interesse an der Enteignung und dem Interesse des Eigentümers an der Erhaltung seiner Eigentumssubstanz zu bestimmen. Ein öffentliches Interesse an der Enteignung besteht seinerseits nur, wenn es die gegen das Enteignungsvorhaben sprechenden öffentlichen Interessen überwiegt. Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber, die eine Enteignung legitimierenden Gemeinwohlaufgaben selbst festzulegen (BVerfG, Urteil vom 10. März 1981, a.a.O. S. 261). Seine Wertungen und Erwägungen hat das Gericht zu respektieren, es sei denn, sie sind eindeutig widerlegbar oder offensichtlich fehlsam oder widersprechen der Wertordnung des Grundgesetzes (BVerfG, Urteil vom 18. Dezember 1968 – 1 BvR 638, 673/64 und 200, 238, 249/65 – BVerfGE 24, 367 ≪406≫).
a) Nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 des MERO-Gesetzes kann zur Errichtung und zum Betrieb der Rohrleitungsanlage enteignet werden. In seinem Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 5 legt das Gesetz fest, dass die Errichtung und der Betrieb einer Rohrleitungsanlage zur Beförderung von Rohöl zwischen der Stadt Vohburg an der Donau und dem Markt Waidhaus insbesondere deshalb dem Wohl der Allgemeinheit dient, weil mit der Verwirklichung des Vorhabens die in Art. 18 des Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen und Slowakischen Republik vom 27. Februar 1992 (BGBl II S. 462) getroffenen Vereinbarungen erfüllt werden. Nach Absatz 1 der genannten Vertragsbestimmung streben die Vertragsparteien eine Erweiterung der gegenseitigen Transportverbindungen im Luft-, Eisenbahn-, See-, Binnenschifffahrts- und Straßenverkehr sowie der Rohrleitungsverbindungen unter Nutzung modernster Technologien an. Diese völkervertraglich vereinbarte und mit dem MERO-Gesetz umgesetzte Unterstützung der Tschechischen Republik bei der Verlegung der MERO reicht entgegen der Auffassung der Revision aus, um die Einräumung einer Enteignungsbefugnis zu rechtfertigen. Inwieweit hierfür die anderen in Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes angeführten Gründe tragfähig wären, kann offen bleiben.
Der notwendige Gemeinwohlbezug lässt sich allerdings nicht schon mit der Erwägung begründen, das durchzuleitende Rohöl trage zur Deckung des Primärenergiebedarfs der Tschechischen Republik bei. Zwar ist die Sicherstellung der Energieversorgung eines Staates eine öffentliche Aufgabe von größter Bedeutung, weil die Energieversorgung als Bestandteil der Daseinsvorsorge eine Leistung ist, derer der Einzelne zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz unumgänglich bedarf (BVerfG, Beschluss vom 20. März 1984 – 1 BvL 28/82 – BVerfGE 66, 248 ≪258≫). Der Senat folgt den Verfahrensbeteiligten jedoch darin, dass die Bewohner der Tschechischen Republik nicht zu den Destinatären des Gemeinwohls im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG zählen. Da der Geltungsbereich des Grundgesetzes auf das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt ist und die Staatsgewalt, die stets am Wohl aller Bürger ausgerichtet zu sein hat (BVerfG, Urteil vom 2. März 1977 – 2 BvE 1/76 – BVerfGE 44, 125 ≪141 f.≫), auf der Souveränität der Gewaltunterworfenen aufbaut (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG), erscheint die Annahme gerechtfertigt, dass die im Rahmen des Grundgesetzes in Frage kommenden öffentlichen Interessen in erster Linie solche der Bevölkerung der im hiesigen Staatsverband lebenden Menschen sind (Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, § 79 IV 4e, S. 357; Link, VVDStRL 48, 7 ≪22≫). Auf Besonderheiten, die sich in Bezug auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergeben könnten, kommt es vorliegend nicht an.
Trotz des primären Nutzens der MERO für die Tschechische Republik ist die Erfüllung des Art. 18 Abs. 1 des Freundschaftsvertrages jedoch am Wohl der bundesdeutschen Allgemeinheit orientiert. Dabei kann offen bleiben, ob das deshalb der Fall ist, weil der Ausbau des grenzüberschreitenden Rohrleitungssystems auf Gegenseitigkeit angelegt ist und damit gerechnet werden darf, dass die Tschechische Republik die ihr zuteil gewordene Unterstützung bei der Sicherung ihrer Energieversorgung im Bedarfsfall mit einer reziproken Begünstigung der bundesdeutschen Bevölkerung honoriert. Entscheidend ist jedenfalls, dass der Freundschaftsvertrag um der guten Nachbarschaft mit der Tschechischen Republik willen geschlossen worden ist, an deren Entwicklung die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bevölkerung ein gesteigertes außen- und europapolitisches Interesse haben. Der Vertrag soll nämlich zur Bewältigung der durch Gewaltherrschaft, Krieg und Vertreibung belasteten Vergangenheit zwischen beiden Staaten beitragen, den Frieden in Europa festigen und der Tschechischen Republik den Weg in ein durch ein gemeinsames Erbe und gemeinsame Werte vereintes Europa ebnen (Präambel, Art. 10 Abs. 2). Dass das von der Bundesrepublik Deutschland praktizierte Bekenntnis zu guter Nachbarschaft mit anderen Staaten dem Wohl der eigenen Bevölkerung dienen kann, hat auch das Bundesverfassungsgericht bewogen, das gesetzgeberische Motiv, die Beziehungen zu einem Nachbarstaat nicht zu gefährden und auf internationale Interessen Rücksicht zu nehmen, als legitimen Zweck einer ebenfalls am Gemeinwohl zu orientierenden Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG anzuerkennen (Beschluss vom 12. März 1986 – 1 BvL 81/79 – BVerfGE 72, 66 ≪79≫).
Der Klägerin ist zuzugeben, dass eine Enteignung nicht für jedes beliebige Vorhaben verfügt werden darf, an dessen Verwirklichung im Bundesgebiet ein ausländischer Rechtsträger ein Interesse hat und dem die Bundesrepublik Deutschland um des Aufbaus oder der Aufrechterhaltung guter nachbarschaftlicher Beziehungen willen zuzustimmen bereit ist (so auch Schönfeld, BayVBl 1996, 440 ≪441≫). Wo die Grenzen des Zulässigen liegen, bedarf vorliegend keiner grundsätzlichen Klärung. Insbesondere braucht nicht entschieden zu werden, ob das Prinzip der guten Nachbarschaft eine Enteignung für ein Vorhaben mit Auslandsbezug nur zu rechtfertigen vermag, wenn das Vorhaben zugleich das Wohl der ausländischen Allgemeinheit zum Ziel hat. Denn diese Voraussetzung ist vorliegend wegen der existenziellen Bedeutung einer gesicherten staatlichen Energieversorgung erfüllt. Des Weiteren kann dahinstehen, ob das Prinzip der guten Nachbarschaft in einem zwischenstaatlichen Vertrag konkretisiert sein muss. Ein solcher Vertrag liegt hier vor. Sein Art. 18 Abs. 1 steht im Einklang mit den Artikeln 124 und 125 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (BGBl 1994 II S. 1799), in dem das Bedürfnis von Binnenstaaten, d.h. von Staaten ohne Meeresküste, an der Nutzung von Rohr- und Gasleitungen in Transitstaaten als legitimer Anlass für völkervertragliche Vereinbarungen anerkannt worden ist.
b) Das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an gutnachbarschaftlichen Beziehungen mit der Tschechischen Republik und deren Streben nach einer gesicherten Versorgung mit Rohöl zur Deckung des Primärenergiebedarfs sind öffentliche Interessen, die hinreichend gewichtig sind, um für die Rohrleitungsanlage zu streiten. Öffentliche Interessen, die sich gegen das Vorhaben anführen ließen, sind nicht erkennbar. Namentlich musste dem MERO-Gesetz keine bilanzierende und abwägende Gesamtschau der von der Trassierung berührten Belange, z.B. des Natur- und Landschaftsschutzes, vorausgehen. Das Berufungsgericht hat das Gesetz so ausgelegt, dass es nur den Anfangs- und Endpunkt der Ölleitung, nicht jedoch einen Trassenkorridor festlegt. Hieran ist der Senat nach § 173 VwGO i.V.m. den §§ 560, 545 ZPO gebunden, weil es sich bei dem MERO-Gesetz um Landesrecht handelt.
Das öffentliche Interesse an der Verlegung und dem Betrieb der MERO ist gewichtiger als das entgegenstehende Interesse Betroffener an der Integrität ihres Grundeigentums. Dies gilt umso mehr, als der Verwaltung mit der in Art. 2 Abs. 1 Satz 2 MERO-Gesetz enthaltenen Ermächtigung, die Enteignung im Wege der Belastung des Eigentums mit einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit auszusprechen, ein rechtliches Instrument zur Verfügung gestellt worden ist, dessen Anwendung den Eigentümer so weit wie möglich schont.
c) Der Freundschaftsvertrag vom 27. Februar 1992 und seine Umsetzung durch das MERO-Gesetz sind darauf angelegt, das gutnachbarschaftliche Verhältnis zur Tschechischen Republik und deren Sicherheit bei der Versorgung mit Primärenergieträgern zu fördern. Das mit den Maßnahmen ermöglichte Vorhaben dient daher dem Wohl sowohl der bundesdeutschen als auch der tschechischen Allgemeinheit. Das genügt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 1977 – 1 BvR 514/68, 323/69 – NJW 1977, 2349 ≪2350≫; Urteil vom 10. März 1981, a.a.O. S. 264; Beschluss vom 18. November 1998 – 1 BvR 21/97 – NVwZ 1999, 522 nur LS ≪juris≫; Beschluss vom 18. Februar 1999 – 1 BvR 1367/88, 146/91 und 147/91 – NJW 1999, 2659; BVerwG, Urteil vom 14. Mai 1992 – BVerwG 4 C 9/89 – NVwZ 1993, 477 ≪478≫). Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG verlangt nicht, dass das Vorhaben auch vom Wohl der Allgemeinheit gefordert sein muss (a.A. Sondervotum des Richters Böhmer, BVerfGE 56, 266 ≪279≫). Die Revision kann daher schon aus Rechtsgründen nicht mit ihrem Einwand durchdringen, eine Rohölversorgung der Tschechischen Republik über die Bundesrepublik Deutschland sei nicht notwendig, weil die Gefahr für die Tschechische Republik, durch ein Ölembargo oder eine Liefersperre von der Versorgung aus dem Osten abgeschnitten zu werden, wegen der wirtschaftlichen Verflechtungen mit den GUS-Staaten zunehmend geringer geworden sei. Der Einwand dürfte aber auch vom Tatsächlichen her fehlgehen. Dem MERO-Gesetz liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Länder ohne eigene Rohstoffquellen bei der Einfuhr von Primärenergieträgern stets auf die Unterstützung von Nachbarstaaten angewiesen sind (BayLTDrucks 12/13627 zu Art. 1). Der Gesetzgeber ist mithin von der Erforderlichkeit der Leitung ausgegangen. Diese Einschätzung ist nicht fehlerhaft. Bei der Frage des Bedarfs für die MERO stand dem Gesetzgeber ein Prognosespielraum zu, den er nicht verlassen hat. Die Tschechische Republik hatte sich für die MERO entschieden, weil sachverständige Prognosen ergeben hatten, dass bis 1995 ein solcher Rückgang der russischen Erdölversorgung zu erwarten sei, dass die geförderten Mengen kaum noch zur Deckung des Eigenbedarfs der GUS-Staaten ausreichen würden, es wegen des schlechten technischen Zustandes und des überholten Standards der Leitungsverbindung mit Russland immer wieder zu Verzögerungen und Unterbrechung der Mineralölversorgung der CSFR gekommen war und die russischen Lieferungen in erster Linie aus schweren, schwefelhaltigen Ölsorten bestanden und nicht die Vielfalt der in der westlichen Welt zur Verfügung stehenden Ölsorten boten. Diese Beweggründe waren seinerzeit schlüssig und werden nicht dadurch entwertet, dass sich die Verhältnisse nachträglich in der von der Revision behaupteten Richtung entwickelt haben sollen.
d) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Zulässigkeit der Enteignung zu Gunsten eines privatrechtlich organisierten Unternehmens davon abhängig, dass dem Unternehmen die Erfüllung der dem Gemeinwohl dienenden Aufgabe durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zugewiesen und zudem gesetzlich sichergestellt ist, dass es zum Nutzen der Allgemeinheit geführt wird (Beschluss vom 20. März 1984, a.a.O.; Urteil vom 24. März 1987 – 1 BvR 1046/85 – BVerfGE 74, 264 ff.). Die Vorinstanz sieht die Sicherung der fortdauernden Gemeinnützigkeit in der Rückenteignungsklausel des Art. 4 MERO-Gesetz. Dem ist schon deshalb nicht zu folgen, weil die Vorschrift nur den Fall betrifft, dass der Betrieb der MERO eingestellt wird. Das Gemeinwohl kann aber auch dadurch beeinträchtigt werden, dass das durchgeleitete Rohöl für Zwecke eingesetzt wird, die dem Geist der guten Nachbarschaft und den Interessen der tschechischen Bevölkerung widersprechen. Diesen Fall erfasst die Klausel nicht.
Der Senat lässt offen, ob eine Sicherung der Gemeinwohlbindung überhaupt zu verlangen ist, wenn – wie hier – hinter dem von der Enteignung begünstigten Privatunternehmen ein fremder Staat steht. Jedenfalls besteht im vorliegenden Fall kein Anlass zu der Annahme, die Tschechische Republik werde das mit der MERO transportierte Erdöl anders als gemeinwohldienlich nutzen. Denn sie hat sich im Freundschaftsvertrag vom 27. Februar 1992 dazu bekannt, eine umfassende friedliche und partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik Deutschland und die Schaffung eines Europas anzustreben, in dem die Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie die Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit geachtet werden und in dem die Grenzen ihren trennenden Charakter durch gegenseitiges Verständnis verlieren und auch durch den Abbau wirtschaftlicher und sozialer Unterschiede überwunden werden.
f) Das MERO-Gesetz steht auch im Übrigen mit der Verfassung im Einklang.
aa) Das Gesetz ist formell verfassungsmäßig. Die Gesetzgebungskompetenz des bayerischen Gesetzgebers ergibt sich aus Art. 72 Abs. 1 i.V.m. Art. 74 Nr. 11 (Recht der Energiewirtschaft) und Nr. 14 GG (Recht der Enteignung auf den Sachgebieten der Artikel 73 und 74). Der bayerische Gesetzgeber hat mit Art. 1 Abs. 2 Nr. 5 MERO-Gesetz keine auswärtige Angelegenheit wahrgenommen, für die der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz hat, sondern eine völkervertragliche Regelung landesrechtlich konkretisiert, die der Bund in Ausübung seiner Kompetenz (vgl. Art. 32 Abs. 1 GG) getroffen hat.
bb) Das MERO-Gesetz ist auch nicht deshalb (materiell) verfassungswidrig, weil es die Enteignung für zulässig erklärt, ohne dem enteignenden Zugriff auf das Privateigentum generell ein fachplanerisches Planfeststellungsverfahren mit enteignender Vorwirkung vorangestellt zu haben. Dem Gesetzgeber steht es ungeachtet der verfahrensrechtlichen Garantiefunktion des Eigentumsgrundrechts und des Gemeinwohlerfordernisses jeder Enteignung frei, zur planerischen Bewältigung komplexer raumgreifender und konfliktträchtiger Infrastrukturvorhaben “Systeme vorausliegender Planungsstufen und mehrstufiger Entscheidungsverfahren” einzuführen und die Beteiligungs- und Klagerechte betroffener Dritter (insbesondere der Grundeigentümer) auf die letzte zur außenverbindlichen Entscheidung führende Verfahrensstufe zu begrenzen, soweit von den vorausliegenden Ebenen keine irreversiblen nachteiligen Rechtswirkungen ausgehen (BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2002 – BVerwG 4 C 9.00 – ≪juris≫ zur Veröffentlichung vorgesehen). So liegt es hier, weil weder der Entscheidung der Raumordnungsbehörde vom 30. Dezember 1992 zur Zulässigkeit der Trassenvariante C 4 noch dem landespflegerischen Begleitplan im Bescheid vom 30. November 1994, in dem ein Trassenkorridor festgeschrieben worden ist, eine enteignungsrechtliche Vorwirkung zukommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. September 1988 – BVerwG 4 B 37.88 – BVerwGE 80, 201 ≪207≫).
2. Das Berufungsgericht hat daher zu Recht angenommen, dass die Enteignungsbehörde Einzelheiten der Trassenführung und mögliche Varianten sowie alle für und gegen das Vorhaben in seiner konkreten Gestalt sprechenden Belange abzuwägen hat. Sein Befund, die Abwägung sei fehlerfrei, ist das Ergebnis einer tatrichterlichen Würdigung, an die der Senat gebunden ist (§ 137 Abs. 2 VwGO). Nur wenn sie gegen revisible Rechtssätze, allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstieße, wäre sie revisionsgerichtlich zu beanstanden (BVerwG, Urteil vom 8. Mai 1984 – BVerwG 9 C 141.83 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 147). Einen solchen Verstoß macht die Revision aber nicht geltend.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Paetow, Lemmel, Rojahn, Gatz, Jannasch
Fundstellen