Leitsatz (amtlich)
Eine Verpflichtung, die umlagepflichtigen Gemeinden vor der Entscheidung über die Höhe des Kreisumlagesatzes förmlich anzuhören, lässt sich dem Grundgesetz auch dann nicht entnehmen, wenn die Kommunalaufsichtsbehörde den Umlagesatz im Wege der Ersatzvornahme festlegt.
Verfahrensgang
Thüringer OVG (Urteil vom 26.06.2018; Aktenzeichen 3 KO 192/17) |
VG Weimar (Urteil vom 06.12.2012; Aktenzeichen 3 K 520/12 We) |
Tenor
Das Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2018 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
Rz. 1
Die klagende Gemeinde wendet sich gegen den Kreisumlagebescheid des beklagten Landkreises für das Jahr 2010.
Rz. 2
Nachdem es dem Kreistag des Beklagten nicht gelungen war, für das Jahr 2010 eine Haushaltssatzung zu erlassen, beschloss der beigeladene Freistaat im Wege der Ersatzvornahme eine solche Satzung, die rückwirkend zum 1. Januar 2010 in Kraft trat. § 4 der Satzung enthielt die Festlegung eines Umlagesolls in Höhe von 30 918 300 € und eines Umlagesatzes von 42,309 %.
Rz. 3
Auf der Grundlage dieser Satzung setzte der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. Juni 2010 eine Kreisumlage für das Jahr 2010 in Höhe von 5 347 230,20 € fest. Widerspruch und Klage - diese lediglich gerichtet gegen einen Teil des festgesetzten Betrages in Höhe von 250 000 € - blieben erfolglos. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und den Bescheid im angefochtenen Umfang aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Bescheid finde seine Rechtsgrundlage in §§ 28, 29 Abs. 1 Satz 1 des Thüringer Finanzausgleichsgesetzes (ThürFAG) i.V.m. § 4 der Haushaltssatzung. Die zuletzt genannte Vorschrift sei verfassungswidrig und nichtig. Aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Festsetzung der Kreisumlage ergebe sich, dass die konkrete Bedarfssituation der kreisangehörigen Gemeinden ermittelt werden müsse. Daran fehle es hier, weil weder der Beklagte noch der Beigeladene vor Erlass der Haushaltssatzung Stellungnahmen der kreisangehörigen Gemeinden eingeholt hätten.
Rz. 4
Zur Begründung seiner vom Senat wegen nachträglicher Divergenz zugelassenen Revision trägt der Beklagte vor: Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lasse sich dem Grundgesetz keine Verpflichtung entnehmen, die umlagepflichtigen Gemeinden vor der Entscheidung über die Höhe des Kreisumlagesatzes förmlich anzuhören. Zu Unrecht habe es das Berufungsgericht unterlassen, die aus Art. 28 Abs. 2 GG folgenden materiellen Voraussetzungen für die Erhebung der Umlage zu prüfen.
Rz. 5
Der Beigeladene hat sich dieser Begründung angeschlossen.
Rz. 6
Der Beklagte und der Beigeladene beantragen sinngemäß,
das Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2018 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 6. Dezember 2012 zurückzuweisen.
Rz. 7
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Rz. 8
Das angefochtene Urteil sei jedenfalls im Ergebnis richtig. Aus seinen Feststellungen ergebe sich unter anderem, dass die festgesetzte Kreisumlage zu einer Unterschreitung der verfassungsrechtlich gebotenen finanziellen Mindestausstattung der Klägerin führe.
Rz. 9
Der Beteiligte hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Rz. 10
Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Rz. 11
Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberverwaltungsgericht.
Rz. 12
Das Berufungsurteil verstößt gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat zu Unrecht angenommen, Landkreise seien vor der Festlegung des Kreisumlagesatzes zu einer förmlichen Anhörung der kreisangehörigen Gemeinden verpflichtet (1.). Das Urteil beruht auf diesem Bundesrechtsverstoß (2.) und erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (3.). Mangels ausreichender Feststellungen muss die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen werden (4.).
Rz. 13
1. Das Oberverwaltungsgericht hat im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass das Selbstverwaltungsrecht der Klägerin verletzt wird, wenn der Landkreis bei der Erhebung einer Kreisumlage seine eigenen finanziellen Belange gegenüber den finanziellen Belangen der kreisangehörigen Gemeinden einseitig und rücksichtslos bevorzugt. Dies steht mit dem Grundsatz des Gleichrangs der finanziellen Interessen der kommunalen Gebietskörperschaften nicht im Einklang. Dieser verpflichtet den Landkreis, bei der Erhebung einer Kreisumlage nicht nur seinen eigenen Finanzbedarf, sondern auch denjenigen der umlagepflichtigen Gemeinden zu ermitteln und seine Entscheidungen in geeigneter Form offenzulegen, um eine - gegebenenfalls gerichtliche - Überprüfung zu ermöglichen (BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2019 - 10 C 6.18 - Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 198 Rn. 13). Wird die Umlage nicht vom Landkreis selbst, sondern von der Kommunalaufsichtsbehörde festgesetzt, hat sie die Einhaltung dieser Pflichten zu gewährleisten (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2015 - 10 C 13.14 - BVerwGE 152, 188 Rn. 42).
Rz. 14
Nicht mit Bundesrecht vereinbar ist hingegen die weitere Annahme des Oberverwaltungsgerichts, Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 3 GG sei die Art und Weise zu entnehmen, in der die Landkreise oder deren Aufsichtsbehörden den Finanzbedarf der kreisangehörigen Gemeinden zu ermitteln haben. Die Verpflichtung des Landkreises zur Ermittlung und Offenlegung des finanziellen Bedarfs seiner kreisangehörigen Gemeinden folgt aus der Institutsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung, die der gesetzlichen Ausgestaltung bedarf (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2013 - 8 C 1.12 - BVerwGE 145, 378 Rn. 13). Es obliegt daher dem jeweiligen Landesgesetzgeber, das Verfahren der Erhebung von Kreisumlagen zu regeln. Soweit derartige Regelungen fehlen, sind die Landkreise zur Gestaltung ihrer Verfahrensweise befugt und tragen die Verantwortung dafür, hierbei ein Verfahren zu beobachten, welches sicherstellt, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen gewahrt werden (BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2019 - 10 C 6.18 - Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 198 Rn. 14). Aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG folgt kein verfassungsunmittelbares Recht einer Gemeinde, im Verfahren zur Festsetzung des Kreisumlagesatzes durch den Landkreis förmlich angehört zu werden (BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2019 a.a.O. Rn. 15 ff.).
Rz. 15
Diese verfassungsrechtlichen Aussagen gelten in gleicher Weise für Festsetzungen durch den Landkreis wie für Festsetzungen im Wege der Ersatzvornahme durch die Kommunalaufsichtsbehörde. Auch bei solchen Festsetzungen ist aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 3 GG daher kein Anspruch der Gemeinde auf Anhörung abzuleiten.
Rz. 16
2. Das Berufungsurteil beruht auf dem festgestellten Bundesrechtsverstoß. Es leitet die vermeintliche Verpflichtung der Landkreise, vor der Festlegung des Umlagesatzes Stellungnahmen der kreisangehörigen Gemeinden einzuholen, und eine entsprechende Verpflichtung der Kommunalaufsichtsbehörde bei Festsetzungen im Wege der Ersatzvornahme aus Art. 28 Abs. 2 GG und nicht auch selbständig tragend aus Art. 91 und 93 der Verfassung des Freistaates Thüringen ab (vgl. bereits BVerwG, Beschluss vom 11. September 2019 - 8 B 52.19 - juris Rn. 4 ff.).
Rz. 17
3. Das Berufungsurteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat insbesondere nicht festgestellt, die angegriffene Erhebung der Kreisumlage habe dazu geführt, dass die finanzielle Mindestausstattung der Klägerin unterschritten wäre oder dass der Landkreis seine eigenen finanziellen Belange gegenüber den Belangen der Klägerin einseitig und rücksichtslos bevorzugt hätte. Vielmehr hat das Oberverwaltungsgericht die Frage der Rechtmäßigkeit der Höhe des Kreisumlagesatzes ausdrücklich offengelassen, obgleich die Einhaltung der rechtlichen Grenzen für die Festsetzung von Kreisumlagesätzen der gerichtlichen Überprüfung uneingeschränkt zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2019 - 10 C 6.18 - Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 198 Rn. 17).
Rz. 18
4. Eine abschließende Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt. Hierzu bedarf es einer Prüfung des angefochtenen Kreisumlagebescheides an den dargestellten, aus Art. 28 Abs. 2 GG folgenden materiellen Maßstäben. Hierbei wird zu berücksichtigen sein, dass der Beigeladene geltend gemacht hat, er habe die Finanzsituation der kreisangehörigen Gemeinden bei der Festsetzung des Umlagesatzes hinreichend berücksichtigt. Zudem wird das Oberverwaltungsgericht auf das Vorbringen der Klägerin einzugehen haben, der Erlass der Haushaltssatzung im Wege der Ersatzvornahme verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und führe zur Nichtigkeit des angefochtenen Bescheids, weil die Bemühungen des Landkreises um den Erlass einer rechtmäßigen Haushaltssatzung unterlaufen worden seien.
Fundstellen
Haufe-Index 13935343 |
ZKF 2020, 188 |
Gemeindehaushalt 2021, 68 |
JZ 2020, 530 |
LKV 2020, 457 |
VR 2020, 396 |
GK/Bay 2020, 539 |
GK 2020, 309 |