Entscheidungsstichwort (Thema)
Bundesnachrichtendienst. archivwürdige Unterlagen. Bundesarchiv. Nutzung. Zugang. Sperrerklärung. Bundeskanzleramt. Schwärzung. Zwischenverfahren. Fachsenat. Hauptsachegericht. Geheimhaltungsgründe. Versagungsgründe. Wohl der Bundesrepublik Deutschland. schutzwürdige Belange Dritter. dem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig. Überzeugungsbildung. Beweisnotstand. Beweiswürdigung. präjudizielle Wirkung. Pressefreiheit. effektiver Rechtsschutz
Leitsatz (amtlich)
Wird mit einer Klage ein Anspruch auf Zugang zu behördlichen Unterlagen begehrt, deren Vorlage die Behörde nach der Entscheidung des Fachsenats im Zwischenverfahren gemäß § 99 Abs. 2 VwGO zu Recht verweigert, so hat das Gericht der Hauptsache dem Ergebnis des Zwischenverfahrens dadurch Rechnung zu tragen, dass es der Entscheidung des Fachsenats präjudizielle Wirkung beimisst.
Dies gilt jedenfalls dann, wenn die fachgesetzlichen Versagungsgründe, die dem in der Hauptsache verfolgten Anspruch entgegengehalten werden, mit den Geheimhaltungsgründen nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO sachlich übereinstimmen.
Normenkette
BArchG § 5 Abs. 1-2, 6 Nrn. 1-2, Abs. 8; IFG § 1 Abs. 1, § 3 Nr. 8; VwGO § 99 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, § 108 Abs. 1; GG Art. 5 Abs. 1, 3, Art. 19 Abs. 4
Tenor
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3.
Tatbestand
I
Der Kläger ist Journalist. Er beantragte Anfang Juli 2010 beim Bundesnachrichtendienst Zugang zu allen dort vorliegenden Unterlagen über Adolf Eichmann.
Über diesen Antrag entschied der Bundesnachrichtendienst nicht, sondern verwies auf das beim Bundesverwaltungsgericht anhängige Klageverfahren einer anderen Antragstellerin, das den Zugang zu denselben Unterlagen zum Gegenstand habe und dessen Ausgang abgewartet werden solle.
Der Kläger hat daraufhin Ende August 2010 – gestützt auf § 1 Abs. 1 IFG und § 5 BArchG – Untätigkeitsklage zum Verwaltungsgericht Berlin erhoben, das den Rechtsstreit mit Beschluss vom 15. September 2010 an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen hat.
Durch prozessleitende Verfügung vom 24. September 2010 forderte der Vorsitzende des erkennenden Senats die Beklagte auf, die Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes zu Adolf Eichmann im Original vorzulegen. Das Bundeskanzleramt gab mit Schreiben vom 16. Dezember 2010 eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ab, die die im Bundesnachrichtendienst zu Adolf Eichmann vorliegenden Aktenbestände mit den Signaturen 3 187, 100470, 100471, 121099 (Band 1 bis 6) und 121082 (Band 1 und 2) betraf. Entsprechend dieser Sperrerklärung wurden zahlreiche, nach Blattzahlen der jeweiligen Aufbewahrungseinheit bezeichnete Dokumente gar nicht oder teilweise geschwärzt vorgelegt.
Der Kläger beantragte daraufhin die Durchführung eines Zwischenverfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO. Nach Abgabe der Sache an den Fachsenat hob das Bundeskanzleramt die Sperrerklärung auf, soweit sie sich auf Abschriften der sog. „Sassen-Interviews” bezog (Signatur 121099, Blatt 067 bis Blatt 989).
Mit Beschluss vom 10. Januar 2012 (BVerwG 20 F 1.11) stellte der Fachsenat fest, dass die Verweigerung der vollständigen und ungeschwärzten Aktenvorlage durch das Bundeskanzleramt teilweise rechtwidrig ist. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt; wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Beschlusses verwiesen.
Nachdem die Beklagte im Anschluss an das Zwischenverfahren die Akten ohne die beanstandeten Schwärzungen vorgelegt hat, haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache teilweise für erledigt erklärt. Hinsichtlich eines Teils der vorgelegten Unterlagen hat der Kläger den Rechtsstreit auch wegen mangelnder Lesbarkeit zunächst fortgeführt. Nach Zusicherung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, die technischen Möglichkeiten zur Verbesserung der Lesbarkeit nochmals zu überprüfen, haben die Beteiligten insoweit übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben. Im Übrigen hält der Kläger an seiner Klage fest. Er rügt Verstöße gegen Art. 5 Abs. 1 und 3, Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6, 8 und 10 EMRK. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus:
Der erkennende Senat sei nicht an die Entscheidung des Fachsenats gebunden, weil diese unter offensichtlicher Verkennung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe ergangen sei. Zudem stimmten die Geheimhaltungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO und die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 2, Abs. 6 Nr. 1 und 2 BArchG nicht vollständig überein, so dass dem Senat ein Rest an Überprüfungsmöglichkeit verbleibe.
Die vom Fachsenat gebilligten Schwärzungen würden nicht durch Geheimhaltungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gerechtfertigt. Auch die von der Beklagten geltend gemachten fachgesetzlichen Versagungsgründe nach dem Bundesarchivgesetz lägen daher nicht vor. Der Versagungsgrund des § 5 Abs. 6 Nr. 1 BArchG sei schon nicht plausibel dargelegt worden. Die Ausführungen des Fachsenats zu möglichen Nachteilen für das Wohl des Bundes überzeugten nicht. Seine Begründung erschöpfe sich darin, die Leerformeln der Sperrerklärung zu wiederholen. Dies verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG.
Der Versagungsgrund des § 5 Abs. 6 Nr. 2 BArchG greife bei den geschwärzten Namen nicht ein, weil es sich durchweg um Personen der Zeitgeschichte handele. Entgegen der Auffassung des Fachsenats habe das Bundeskanzleramt sein Ermessen beim Schutz personenbezogener Daten Dritter in der Sperrerklärung nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Forschung und Geschichtsschreibung seien in Deutschland nicht möglich, wenn das Zugangsrecht nach dem Bundesarchivgesetz auf diese Weise missverstanden werde. Bei einer ordnungsgemäßen Abwägung hätten die Namen wegen des Vorrangs des journalistischen Offenbarungsinteresses offengelegt werden müssen.
Wie sich der Fachsenat davon habe überzeugen können, dass die persönlichen Daten von Personen der Zeitgeschichte aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes, auch von Angehörigen oder Nachkommen der Person selbst, zu Recht nicht offengelegt worden seien, könne nicht nachvollzogen werden. Soweit der Fachsenat auf die angeblichen „Mutmaßungen”, in die der Kläger mangels Kenntnis des Akteninhalts habe eintreten müssen, nicht näher eingegangen sei, leide der Beschluss an einem Begründungsausfall.
Der Kläger beantragt zuletzt,
die Beklagte zu verpflichten, ihm uneingeschränkten Zugang zu gewähren zu den
vollständig geschwärzten Aktenteilen:
Signatur 100470, Bl. 80; 284-285; 293
Signatur 121099, Bl. |
1757; 1759-1761; 1763-1766; 1805; 1807; 1811; 1819-1820; 1848-1849; 1893; 1900-1902; 1909-1912; 2065; 2207; 2254; 2301-2304 |
Signatur 121082, Bl. 255-263; 266-274
teilweise geschwärzten Aktenteilen:
Signatur 100470, Bl. |
1-4; Karteikarte „Memo-D-2037-G/4373-Nr. 9400-Jan.1952” nebst Rückseite; 8-11; 16; 36; 40; 47; 63-64; 66-68; 71-75; 77; 79; 83; 96; 98-99; 102; 104; 111; 115; 120-121; 123; 126; 127-128; 148; 151; 175; 177; 179; 181; 244-246; 257; 259; 264-265; 270-271; 276; 283; 286; 288; 290; 292; 294; 295; 297-299; 310; 312; 318; 322-323; 360-361; 364-365; 369-370; 373-374; 401; 408; 420-421; 423; 432; 434-435; 437-440; 442-443 |
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Signatur 100471, Bl. |
444; 446-447; 449; 451; 453; 458; 459-461; 463; 467-468; 031-037; 481; 483-484; 486; 497-502; 504-506; 508; 576-577; 582; 192 |
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Signatur 121099, Bl. |
1658; 1662; 1672-1673; 1690; 1692-1694; 1698; 1710; 1712; 1715; 1717; 1726; 1730- 1734; 1737; 1744; 1745-1748; 1751; 1756; 1758; 1762; 1767-1768; 1772; 1774-1776; 1779; 1784; 1788; 1791-1792; 1794; 1796; 1798; 1800-1801; 1804; 1806; 1808-1810; 1812-1813; 1815-1818; 1821-1829; 1831- 1835; 1837-1839; 1844; 1846-1847; 1850- 1852; 1855-1856; 1860-1866; 1868-1870; 1872-1879; 1882; 1884; 1887-1892; 1898- 1899; 1903-1908; 1914-1916; 1941-1942; 1944-1945; 1959; 1964-1970; 1980; 1992; 1999; 2005-2011; 2013-2015; 2017-2018; 2020; 2064; 2066; 2069-2070; 2073-2078; 2098-2099; 2101; 2107-2121; 2129-2130; 2132; 2136-2137; 2139-2149; 2158-2161; 2165-2176; 2178-2185; 2187-2188; 2190- 2192; 2197-2199; 2208-2212; 2216-2218; 2222-2225; 2228-2230; 2235-2236; 2238; 2240; 2246; 2248-2253; 2264; 2293-2297; 2312; 2314; 2326-2329; 2398-2401; 2416- 2421 |
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Signatur 121082, Bl. |
180; 207; 209; 212; 215; 253-254; 264-265 |
Signatur 3 187, Bl. |
001-002; 005; 007; 013-018. |
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Kläger könne nicht verlangen, dass ihm die noch streitgegenständlichen Unterlagen ungeschwärzt zugänglich gemacht werden. Da eine Vorlage dieser Unterlagen nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht in Betracht komme, sei der Zugang auch nach § 5 Abs. 2 und Abs. 6 Nr. 1 und 2 BArchG ausgeschlossen. Die Behauptung des Klägers, die vom Fachsenat anerkannten Schwärzungen seien zu einem Gutteil nicht begründet, treffe nicht zu. Die Anforderungen, die § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „Nachteil für das Wohl des Bundes” aufstelle, seien strenger als diejenigen, die § 5 Abs. 6 Nr. 1 BArchG für eine Nutzungsversagung fordere. Jedenfalls sei von einem Gleichklang der Geheimhaltungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO und der Versagungsgründe nach § 5 Abs. 2, Abs. 6 Nr. 1 und 2 BArchG auszugehen.
Entscheidungsgründe
II
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren nach § 161 Abs. 2 VwGO einzustellen.
Im Übrigen ist die Verpflichtungsklage unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass ihm die noch streitgegenständlichen Unterlagen, deren vollständige oder teilweise Schwärzung der Fachsenat mit Beschluss vom 10. Januar 2012 als rechtmäßig erachtet hat, in ungeschwärzter Form zugänglich gemacht werden. Hinsichtlich der vom Klageantrag zu 2 erfassten Blätter 115 der Signatur 100470, 192 (andere Paginierung) der Signatur 100471 sowie 1745 und 1999 der Signatur 121099 hat die Beklagte dem Begehren des Klägers bereits entsprochen (1). Für die verbleibenden Unterlagen lässt sich ein Anspruch auf ungeschwärzte Vorlage nicht aus § 1 Abs. 1 IFG herleiten (2).
Einem Anspruch aus § 5 Abs. 8 i.V.m. Abs. 1 BArchG stehen fachgesetzliche Versagungsgründe entgegen (3). Aus Art. 5 Abs. 1 und 3, Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6, 8 und 10 EMRK folgt nichts anderes (4).
1. Das Blatt 115 der Signatur 100470 und die Blätter 1745 und 1999 der Signatur 121099 waren nicht von der Sperrerklärung umfasst. Diese Blätter hat die Beklagte dem Kläger durch Vorlage lesbarer Ausdrucke vom Mikrofiche bzw. digitalisierten Mikrofilm zugänglich gemacht. Die auf Blatt 115 der Signatur 100470 und Blatt 1999 der Signatur 121099 vorhandenen schwarzen Balken finden sich – wie die Beklagte auf entsprechende Nachfrage hin mit Schriftsätzen vom 18. März 2013 und 10. Juni 2013 erklärt hat – auch auf den dort vorhandenen „Original-Ausdrucken”. Sie sind also offenbar älteren Datums und nicht anlässlich des Einsichtsverlangens des Klägers angebracht worden. Dasselbe gilt ausweislich des mit Schriftsatz vom 10. Juni 2013 vorgelegten „Original-Ausdrucks” auch für Blatt 192 (andere Paginierung) der Signatur 100471.
2. Der Kläger kann einen Anspruch auf ungeschwärzte Vorlage der sonst noch streitgegenständlichen Unterlagen nicht aus § 1 Abs. 1 IFG herleiten. Nach der in § 3 Nr. 8 IFG geregelten Bereichsausnahme besteht gegenüber den Nachrichtendiensten kein Anspruch auf Informationszugang. Die Einschränkung in § 3 Nr. 8 Halbs. 2 IFG („soweit sie Aufgaben im Sinne des § 10 Abs. 3 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes wahrnehmen”) gilt nur für die sonstigen Stellen (Rossi, IFG, 2006, § 3 Rn. 62; Schoch, IFG, 2009, § 3 Rn. 199).
3. Einen Anspruch in entsprechender Anwendung von § 5 Abs. 1 BArchG auf Zugang zu archivwürdigen Unterlagen, die noch nicht an das Bundesarchiv abgegeben worden sind, kann der Kläger gemäß § 5 Abs. 8 i.V.m. § 2 Abs. 1 BArchG auch gegen den Bundesnachrichtendienst richten. Diesem Anspruch stehen aber Ausschlussgründe nach § 5 Abs. 2 und Abs. 6 Nr. 1 und 2 BArchG entgegen.
Ob die von der Beklagten (noch) geltend gemachten Ausschlussgründe der Gefährdung des Wohls der Bundesrepublik Deutschland (§ 5 Abs. 6 Nr. 1 BArchG), entgegenstehender schutzwürdiger Belange Dritter (§ 5 Abs. 6 Nr. 2 BArchG) sowie auf natürliche Personen bezogenen Archivguts (§ 5 Abs. 2 BArchG) vorliegen, kann nur anhand des konkreten Inhalts der ungeschwärzten Akten verifiziert werden (vgl. Beschlüsse vom 10. Januar 2012 – BVerwG 20 F 1.11 – AfP 2012, 298 = juris Rn. 9 und vom 19. April 2010 – BVerwG 20 F 13.09 – BVerwGE 136, 345 f. = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 58 Rn. 4 f.). Namentlich können aus den ungeschwärzten Passagen der Unterlagen keine tragfähigen Rückschlüsse darauf gezogen werden, ob hinsichtlich der geschwärzten Passagen die archivgesetzlichen Versagungsgründe vorliegen oder nicht.
Die Möglichkeit, das Vorliegen der Ausschlussgründe durch Einsicht in die ungeschwärzten Originalakten selbst zu überprüfen, ist dem erkennenden Senat hier allerdings versagt, weil der Fachsenat mit Beschluss vom 10. Januar 2012 festgestellt hat, dass die Weigerung, die noch streitgegenständlichen Unterlagen ohne Schwärzungen vorzulegen, rechtmäßig ist. Ob Akten oder Unterlagen vorgelegt und verwertet werden dürfen, entscheidet ausschließlich und abschließend der Fachsenat nach § 189 VwGO (Beschluss vom 15. August 2003 – BVerwG 20 F 3.03 – BVerwGE 118, 352 ≪356≫ = juris Rn. 10). Die Zwischenentscheidung ist im weiteren Verfahren zur Hauptsache wie ein rechtskräftiges Zwischenurteil zugrunde zu legen (Beschluss vom 24. November 2003 – BVerwG 20 F 13.03 – BVerwGE 119, 229 ≪230 f.≫ = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 36 S. 27 = juris Rn. 4; BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 – 1 BvR 385/90 – BVerfGE 101, 106 ≪120≫ = juris Rn. 55 f.). Dem Gericht im Hauptsacheverfahren ist eine eigenständige – ggf. abweichende – Bewertung der öffentlichen Geheimschutzbelange und deren Abwägung mit dem Rechtsschutzinteresse des Betroffenen verwehrt (Urteil vom 27. September 2006 – BVerwG 3 C 34.05 – BVerwGE 126, 365 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 43 Rn. 29).
Werden vom Gericht der Hauptsache für entscheidungserheblich gehaltene Unterlagen von der Behörde nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO aus Gründen der Geheimhaltungsbedürftigkeit nicht vorgelegt und unterbleibt die Vorlage auch als Ergebnis des gerichtlichen Zwischenverfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO, ist die Möglichkeit, die Überzeugung nach § 108 Abs. 1 VwGO aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu gewinnen, daher aus gesetzlichen Gründen eingeschränkt. Dies darf grundsätzlich weder der Behörde im Sinne einer Beweisvereitelung zum Nachteil gereichen, weil die dadurch entstandene Beweislage durch § 99 VwGO ausdrücklich gedeckt ist, noch wird umgekehrt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung durch eine gesetzliche Beweisregel zugunsten des Beklagten eingeschränkt (Urteil vom 21. Mai 2008 – BVerwG 6 C 13.07 – BVerwGE 131, 171 = Buchholz 402.7 BVerfSchG Nr. 11 Rn. 29). Vielmehr ist im Einzelfall angemessen zu würdigen, dass bestimmte Umstände nicht aufklärbar bleiben.
Beruht die im Hauptsacheverfahren zu treffende Sachentscheidung nicht allein auf der geheim gehaltenen Tatsachengrundlage, kann die Aufklärungslücke dadurch überbrückt werden, dass die übrigen Erkenntnisse verwertet werden und die nicht aufklärbare Tatsache nur mit minderem Beweiswert berücksichtigt wird. Diese Möglichkeit entfällt hier, denn Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens ist gerade die Vorlage von (ungeschwärzten) Unterlagen, die die Beklagte nach dem Ergebnis des Zwischenverfahrens zu Recht verweigert. Weil die Beklagte für das Vorliegen der geltend gemachten fachgesetzlichen Versagungsgründe des § 5 Abs. 2 und Abs. 6 Nr. 1 und 2 BArchG nach dem sog. Günstigkeitsprinzip die Beweislast trägt, befindet sie sich aufgrund der für sie positiven Entscheidung im Zwischenverfahren in einem unverschuldeten sachtypischen Beweisnotstand. Könnte die Beklagte ihr Vorbringen zu den Versagungsgründen nach § 5 Abs. 2 und Abs. 6 Nr. 1 und 2 BArchG nur durch Vorlage der streitgegenständlichen Unterlagen in ungeschwärzter Fassung beweisen, hätte dies zur Folge, dass der Geheimnisschutz ihr nur um den Preis des Prozessverlustes gewährt würde (Mayen, NVwZ 2003, 537, 538). Dann machte es aber keinen Sinn, dass sie zuvor im Zwischenverfahren den Schutz ihrer Geheimnisse durchgesetzt hat. Diese Rechtsfolge würde dem Anliegen des § 99 VwGO nicht gerecht.
Dem durch die Sperrerklärung verursachten Beweisnotstand der Beklagten ist in dieser Fallgestaltung im Rahmen der Beweiswürdigung dergestalt Rechnung zu tragen, dass der Entscheidung des Fachsenats im Zwischenverfahren präjudizielle Wirkung beigemessen wird. Die Beklagte beruft sich im Hauptsacheverfahren auf archivgesetzliche Versagungsgründe, die sich von den Gründen, die eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen können, in der Sache nicht unterscheiden. Der absolute Geheimhaltungsgrund des § 5 Abs. 6 Nr. 1 BArchG setzt voraus, dass Grund zu der Annahme besteht, dass das Wohl der Bundesrepublik Deutschland gefährdet würde. Dieser Geheimhaltungsgrund greift nicht weiter als das Nachteilbereiten für das Wohl des Bundes im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO. Auch der von § 5 Abs. 2 BArchG bezweckte Schutz persönlicher Daten sowie der Versagungsgrund des § 5 Abs. 6 Nr. 2 BArchG zugunsten schutzwürdiger Belange Dritter folgen keinen anderen materiellen Maßstäben als denjenigen, die für einen Schutz persönlicher Daten und der Belange Dritter als Geheimhaltungsgrund „ihrem Wesen nach” gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO von Bedeutung sind. Damit stimmt das Prüfprogramm für die prozessuale Entscheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO hier mit den fachgesetzlichen Vorgaben des Bundesarchivgesetzes faktisch überein (vgl. Beschlüsse vom 19. April 2010 a.a.O. Rn. 24 und vom 21. Februar 2008 – BVerwG 20 F 2.07 – BVerwGE 130, 236 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 46 Rn. 19). Der Fachsenat ist in seiner – in den von § 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO gesteckten Grenzen – ausführlich begründeten Entscheidung vom 10. Januar 2012 in Kenntnis des Inhalts der Unterlagen zu der Einschätzung gelangt, dass die mit der Sperrerklärung geltend gemachten Geheimhaltungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO hinsichtlich der noch streitgegenständlichen Schwärzungen vorliegen. Dies rechtfertigt angesichts des Gleichklangs der jeweils geltend gemachten Geheimhaltungsgründe den Schluss, dass damit auch die Versagungsgründe des § 5 Abs. 2 und Abs. 6 Nr. 1 und 2 BArchG vorliegen. Entscheidet der Fachsenat in solchen Fällen gleichgelagerter Geheimhaltungsgründe zugunsten des Geheimnisschutzes, bleibt mithin auch die Klage auf Akteneinsicht erfolglos (VGH Mannheim, Urteil vom 24. November 2006 – 1 S 2321/05 – VBlBW 2007, 340 ≪342≫ = juris Rn. 45).
Mit seiner Rüge, dem Beschluss des Fachsenats dürfe jedenfalls vorliegend keine Präjudizwirkung beigemessen werden, weil der Fachsenat die verfassungsrechtlichen Maßstäbe und Begründungsanforderungen verkannt habe, dringt der Kläger nicht durch. Es kann dahinstehen, welche Folgerungen sich in solchen Fällen für das Hauptsacheverfahren ergeben könnten, weil es dafür vorliegend an jeglichen Anhaltspunkten fehlt. Abgesehen davon kann, wenn in einem Zwischenverfahren über eine für das weitere Verfahren wesentliche Rechtsfrage eine abschließende Entscheidung getroffen wird, die im Hauptsacheverfahren keiner Überprüfung mehr unterliegt, die Zwischenentscheidung jedenfalls mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden (BVerfG, Beschlüsse vom 27. Oktober 1999 a.a.O. S. 120 = juris Rn. 54 ff. und vom 14. März 2006 – 1 BvR 2087/03 u.a. – BVerfGE 115, 205 ≪227≫ = juris Rn. 71 f.).
4. Aus Art. 5 Abs. 1 und 3 GG (a), Art. 19 Abs. 4 GG (b) und Art. 6, 8 und 10 EMRK (c) folgt nichts anderes.
a) Die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgte Pressefreiheit gewährleistet zwar nicht nur die Freiheit der Verbreitung von Nachrichten und Meinungen, sondern schützt auch den gesamten Bereich publizistischer Vorbereitungstätigkeit, zu der insbesondere die Beschaffung von Informationen gehört (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. August 2000 – 1 BvR 1307/91 – NJW 2001, 503 ≪504≫ = juris Rn. 13). Ein genereller Vorrang des journalistischen Offenbarungsinteresses vor anderen, bei abstrakter Betrachtung verfassungsrechtlich möglicherweise weniger gewichtigen Interessen lässt sich aus der Pressefreiheit aber nicht herleiten. Der Gesetzgeber ist durch die Pressefreiheit nicht gehindert, Vertraulichkeitsinteressen im Einzelfall den Vorrang einzuräumen. Entscheidend ist, dass die Auskunfts-/Zugangsregelungen insgesamt hinreichend effektiv sind, d.h. der Presse im praktischen Gesamtergebnis eine funktionsgemäße Betätigung sichern (Urteil vom 20. Februar 2013 – BVerwG 6 A 2.12 – juris Rn. 27 f.). Das ist hier der Fall. Die Zugangsregelungen und Begrenzungsvorschriften des Archivgesetzes werden den Funktionsbedürfnissen der Presse hinreichend gerecht. Dies gilt umso mehr, als beim Zugang zu Archivunterlagen – anders als bei sonstigen Auskunftsverlangen gegenüber Behörden – in der Regel nicht die Aktualität der in den Unterlagen verkörperten Informationen im Vordergrund steht und zudem die in § 5 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 BArchG vorgesehenen Ausnahmen von den Schutzfristen sowie die in § 5 Abs. 5 BArchG geregelten Möglichkeiten zur Verkürzung der Schutzfristen genügend Spielraum lassen, um der Bedeutung der Pressefreiheit Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. August 2000 a.a.O. S. 504 = juris Rn. 17). Entsprechendes gilt für die Erfordernisse der Wissenschaftsfreiheit.
b) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet dem Betroffenen effektiven Rechtsschutz. Dem dient auch die generelle Verpflichtung zur Vorlage der Akten, mit der eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts ermöglicht werden soll (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 a.a.O. S. 124 = juris Rn. 70). Art. 19 Abs. 4 GG schließt allerdings, obwohl er vorbehaltlos formuliert ist, Einschränkungen nicht von vornherein aus. Es ist anerkannt, dass Ansprüche auf Aktenvorlage, die sich dem Grunde nach aus Art. 19 Abs. 4 GG ergeben, eingeschränkt werden können, wenn das Bekanntwerden der Akten dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder die Vorgänge dem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig sind. Die Ansprüche aus Art. 19 Abs. 4 GG dürfen dann unter Wahrung derjenigen Anforderungen eingeschränkt werden, die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 a.a.O. S. 124 f. = juris Rn. 72 ff.).
§ 99 VwGO stellt eine verfassungsrechtlich einwandfreie Gesetzesgrundlage für die Einschränkung von Verfahrensansprüchen auf Aktenvorlage, Auskunft etc. dar. Namentlich lässt sich verfassungsrechtlich nicht beanstanden, dass nach § 99 Abs. 2 VwGO die erforderliche Abwägung zwischen dem Rechtsschutzinteresse des Betroffenen und dem öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung im Prozess auf der einen und den öffentlichen Geheimschutzbelangen auf der anderen Seite nicht im Hauptsacheverfahren selbst, sondern abschließend in einem gesonderten Zwischenverfahren erfolgt (Urteil vom 27. September 2006 a.a.O. Rn. 29).
Die im Zwischenverfahren vorgesehene Prüfung „in camera” schränkt zwar das rechtliche Gehör des Betroffenen ein, das in engem Zusammenhang mit der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG steht. Eine Abwägung zwischen verschiedenen Interessen und eine darauf beruhende Einschränkung des rechtlichen Gehörs wird durch Art. 103 Abs. 1 GG aber nicht ausgeschlossen. Das rechtliche Gehör kann eingeschränkt werden, wenn dies durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. Dazu gehört auch das legitime Anliegen des Gemeinwohls, Vorgänge, die dem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig sind oder deren Bekanntwerden dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde, geheim zu halten (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 a.a.O. S. 127 ff. = juris Rn. 87, 91).
c) Für eine Verletzung der von Art. 6, 8 und 10 EMRK geschützten Rechte ist ebenfalls nichts ersichtlich. Es kann dahinstehen, ob Art. 6 EMRK vorliegend überhaupt Anwendung findet. Angesichts der verfassungsrechtlich unbedenklichen Ausgestaltung des Zwischenverfahrens in § 99 Abs. 2 VwGO ist jedenfalls nicht erkennbar, inwieweit der Kläger in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt sein soll. Selbst wenn man aus Art. 8 EMRK ein Recht auf Zugang zu Archivunterlagen ableiten wollte und davon ausgeht, dass Art. 10 EMRK – ebenso wie Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG – den gesamten Prozess der journalistischen Recherche schützt, kann der Kläger daraus keinen uneingeschränkten Zugangsanspruch herleiten. Vielmehr sind auch im Anwendungsbereich dieser Vorschriften die Grenzen zu beachten, die zum Schutz wesentlicher Interessen des Staates oder der Rechte und Freiheiten anderer gesetzt sind (vgl. Art. 8 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 2 EMRK; auch Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 10 Rn. 18 und 34).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1, § 161 Abs. 2 VwGO. Der Kläger hat 2/3 der Kosten zu tragen, weil sein Einsichtsbegehren im Ergebnis überwiegend keinen Erfolg hatte. Dabei hat der Senat u.a. berücksichtigt, dass
– einerseits – die Beklagte die Sperrerklärung, soweit sie die Signatur 121099, Blatt 067 bis 989, betraf, im Zwischenverfahren aufgehoben hat, und
– andererseits – eine Reihe der ursprünglich vom Klageantrag erfassten Unterlagen (teilweise mit Einschränkungen) lesbar sind.
Unterschriften
Dr. Nolte, Krauß, Schipper, Brandt, RiBVerwG Külpmann ist wegen Urlaubs verhindert zu unterschreiben. Dr. Nolte
Fundstellen
AfP 2013, 452 |
DÖV 2014, 130 |
LKV 2013, 4 |
ZUM-RD 2014, 52 |
DVBl. 2013, 4 |