Entscheidungsstichwort (Thema)
Archivgut. Aktennutzungsanspruch. Schutzfrist. Bundesnachrichtendienst. Informationsfreiheit. Pressefreiheit. Wissenschaftsfreiheit
Leitsatz (amtlich)
1. Das Bundesarchivgesetz ermöglicht jedermann eine Benutzung von Unterlagen auch dann, wenn die aktenführende Stelle diese Unterlagen noch nicht dem Bundesarchiv als Archivgut angedient hat, sofern die Unterlagen älter als 30 Jahre sind. Eine Verkürzung dieser Frist ist nicht vorgesehen.
2. Das Grundrecht der Pressefreiheit verpflichtet die Behörden zwar grundsätzlich, Pressevertretern auf deren Fragen Auskunft zu geben. Dieser Informationsanspruch führt aber grundsätzlich nicht zu einem Recht auf Nutzung von Akten; sie müssen deshalb auch nicht zur Einsicht und zur Anfertigung von Kopien vorgelegt werden.
Normenkette
GG Art. 5; BArchG §§ 2, 5
Tenor
Die Klage wird abgewiesen
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens
Tatbestand
I
Rz. 1
Der Kläger ist Chefreporter bei der Tageszeitung BILD. Mit Schreiben vom 29. Januar 2012 beantragte er unter Verweis auf § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 8 BArchG sowie auf Art. 5 GG direkt Akteneinsicht und Kopie der beim Bundesnachrichtendienst (BND) befindlichen Unterlagen u.a. zu “Barschel, Uwe, geb. 13.05.1944 in Glienicke/Nordbahn, gestorben in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 1987 im Schweizer Hotel Beau Rivage – hier Erkenntnisse und Ermittlungen des BND zu den Todesumständen Barschels im Hotel Beau Rivage, sowie zu Gerüchten, Barschel habe mit einem östlichen Geheimdienst zusammengearbeitet bzw. sei von diesem erpresst worden”.
Rz. 2
Mit Bescheid vom 21. Dezember 2012 teilte der BND dem Kläger mit, dass es keine Möglichkeit gebe, ihm Akteneinsicht zu gewähren, da alle Unterlagen aus einer Zeit stammten, die noch nicht 30 Jahre oder mehr zurückliege (§ 5 Abs. 1 BArchG). Eine Abgabe an das Bundesarchiv, mit dem Ziel einer Schutzfristverkürzung, sei zurzeit ebenfalls nicht möglich, da die Akten im BND noch benötigt würden.
Rz. 3
Den dagegen vom Kläger am 27. Dezember 2012 eingelegten Widerspruch wies der BND mit Bescheid vom 26. März 2013 zurück. Die Anfrage sei unzulässig, soweit der Antrag auf Art. 5 Abs. 1 GG gestützt, und unbegründet, soweit er auf § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 8 BArchG gestützt werde. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts resultiere aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG kein Aktennutzungsrecht. Ein Aktennutzungsanspruch nach § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 8 BArchG hinsichtlich der beim BND zu den Todesumständen von Dr. Dr. Uwe Barschel vorhandenen Unterlagen bestehe nicht. Beim BND hätten keine solchen Unterlagen recherchiert werden können, die älter als 30 Jahre seien. Die recherchierbaren Unterlagen stammten aus den Jahren 1991 bis 1995. Die Schutzfrist von 30 Jahren nach § 5 Abs. 1 BArchG werde somit frühestens 2021 bzw. 2025 ablaufen. Der Verweis auf eine Schutzfristverkürzung nach § 5 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 6 BArchG führe ins Leere. Die Regelung in § 5 Abs. 5 Satz 1 und Satz 3 BArchG über die Abkürzung der Schutzfrist aus § 5 Abs. 1 Satz 1 BArchG gelte nicht für Unterlagen, die nicht beim Bundesarchiv, sondern bei der Behörde selbst lägen. Eine entsprechende Anwendung der Fristverkürzungsregelung sehe § 5 Abs. 8 Satz 1 BArchG nur für Unterlagen vor, die älter als 30 Jahre seien.
Rz. 4
Zur Begründung seiner mit Schriftsatz an das Bundesverwaltungsgericht vom 26. April 2013 erhobenen Klage bringt der Kläger vor, er habe einen Anspruch auf Nutzung des beim Bundesnachrichtendienst befindlichen Archivguts. Zwar seien die Unterlagen zu Uwe Barschel aus den Jahren 1991 bis 1995 noch nicht 30 Jahre alt. Die Einhaltung der Schutzfrist von 30 Jahren solle jedoch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Informationsfreiheit und Persönlichkeitsschutz herstellen. Es gebe zahlreiche Bücher über “den Fall Barschel”, so zuletzt das Buch von Oberstaatsanwalt Wille “Ein Mord, der keiner sein durfte”. Gerade in diesem Buch werde angedeutet, dass Uwe Barschel Opfer eines bis heute von den Bundesbehörden vertuschten Mordes geworden sei. Der Persönlichkeitsschutz von Uwe Barschel trete eindeutig hinter den Informationsanspruch der Presse und der Öffentlichkeit zurück.
Rz. 5
Im Übrigen sei eine Schutzfristverkürzung nach § 5 Abs. 1, Abs. 5 i.V.m. Abs. 8 BArchG geboten. Das betreffende Auskunftsmaterial befinde sich noch bei dem Bundesnachrichtendienst als im Sinne von § 2 Abs. 1 BArchG bezeichnete Stelle. Gem. § 5 Abs. 8 finde Abs. 5 BArchG also Anwendung. Die gegenteilige Auffassung der Beklagten, dass § 5 Abs. 5 i.V.m. Abs. 8 BArchG nur anwendbar sei, wenn das Material schon länger als 30 Jahre bei der in § 2 Abs. 1 BArchG bezeichneten Stelle liege und immer noch der Verfügungsgewalt dieser Stelle unterfalle, sei nicht zutreffend. Der Öffentlichkeit solle durch § 5 Abs. 8 BArchG lediglich die Möglichkeit eingeräumt werden, gegen die in § 2 Abs. 1 BArchG bezeichnete Stelle ebenso einen Informationsanspruch geltend zu machen wie gegen das Bundesarchiv. Es solle insoweit keinen Unterschied machen, wo sich die Unterlagen befänden. Die Benutzung der Unterlagen könne nur aus solchen Gründen versagt werden, die bei gleicher Sachlage auch vom Bundesarchiv hätten herangezogen werden müssen. Im Umkehrschluss müsse die Schutzfristverkürzung also auch auf § 5 Abs. 8 BArchG anwendbar sein. Der Bundesnachrichtendienst entscheide als Verfügungsbefugter über die Verkürzung der Schutzfrist. Er habe sein Ermessen nicht ermessensfehlerfrei ausgeübt, weil er die Anforderungen aus dem Grundrecht der Pressefreiheit bei der Anwendung von § 5 BArchG verkannt habe. Die Presse habe eine Funktion als “watchdog”, die zu einer Verkürzung der Fristen nach dem Bundesarchivgesetz führe. Der Kläger wolle herausfinden, ob Uwe Barschel Opfer eines Mordes geworden sei. Daran bestehe ein herausragendes öffentliches Interesse.
Rz. 6
Der Kläger habe weiterhin einen Anspruch auf Akteneinsicht aus Art. 5 Abs. 3 GG. Dieser schütze die Forschungsfreiheit, die jeden begünstige, der eigenverantwortlich in wissenschaftlicher Weise tätig sei oder werden wolle. Dazu zähle auch die Recherchetätigkeit des Klägers. Der Anspruch des Klägers ergebe sich aber auch aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, denn die zur Einsichtnahme begehrten Unterlagen zählten zu den öffentlich zugänglichen Quellen im Sinne der Grundrechtsvorschrift. Dem Bundesnachrichtendienst stehe jedenfalls nicht das Bestimmungsrecht darüber zu, ob etwas allgemeinzugänglich sei oder nicht. Der Kläger habe nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ferner einen presserechtlichen Auskunftsanspruch unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.
Rz. 7
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesnachrichtendienstes vom 21. Dezember 2012 sowie den Widerspruchsbescheid des Bundesnachrichtendienstes vom 26. März 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Nutzung des beim Bundesnachrichtendienst befindlichen Archivguts zu Uwe Barschel in Form von Einsicht und Herstellung von Kopien zu gewähren,
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten, den Antrag auf Nutzung des Archivguts zu Uwe Barschel in Form von Einsicht und Herstellung von Kopien nach der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden,
die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Rz. 8
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Rz. 9
Die Beklagte bestreitet den Anspruch des Klägers auf Aktennutzung nach § 5 Abs. 8 BArchG und wiederholt dazu die Gründe aus dem Widerspruchsbescheid. Der geltend gemachte Anspruch könne auch nicht aus Art. 5 GG abgeleitet werden. Aus der Freiheit von Forschung und Wissenschaft nach Art. 5 Abs. 3 GG lasse sich kein Anspruch auf staatliche Hilfestellungen für die Forschung ableiten. Auf die Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG könne der Kläger sich nicht stützen, weil sie nur den Zugang zu allgemein zugänglichen Quellen betreffe. Ein Leistungsrecht auf Eröffnung einer Informationsquelle bestehe danach nicht. Bei Akten, die sich noch im Besitz von Stellen im Sinne von § 2 Abs. 1 BArchG befänden und jünger als 30 Jahre seien, handele es sich nicht um “allgemein zugängliche Quellen”. Schließlich könne der Kläger keinen Anspruch auf Akteneinsicht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG herleiten. Die Voraussetzungen für einen verfassungsunmittelbaren Informationsanspruch der Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lägen nicht vor.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 10
1. Die auf Nutzung von Unterlagen gerichtete Klage ist zulässig. Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung des Rechtsstreits im ersten und letzten Rechtszug zuständig, weil Vorgänge im Geschäftsbereich des Bundesnachrichtendienstes zugrunde liegen (§ 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO). Das Aktennutzungsbegehren ist als Verpflichtungsklage statthaft (§ 42 Abs. 1 VwGO), denn bei der das Begehren ablehnenden Entscheidung zu dem archivrechtlichen Nutzungsanspruch handelt es sich um einen Verwaltungsakt (Urteil vom 27. Juni 2013 – BVerwG 7 A 15.10 – NVwZ 2013, 1285 Rn. 16; Manegold, Archivrecht, 2002, S. 356). Soweit der Anspruch auf Aktennutzung unmittelbar auf die verfassungsrechtliche Informations- (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), Presse- (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) gestützt wird, ist das Begehren als allgemeine Leistungsklage statthaft. Die jeweiligen Sachurteilsvoraussetzungen im Übrigen liegen vor. Das im Hinblick auf die erstrebte archivrechtliche Nutzung erforderliche Vorverfahren ist durchgeführt worden. Für die im Wege der Leistungsklage geltend gemachten Aktennutzungsansprüche ist ein Vorverfahren nicht erforderlich; ein Gewährungsantrag beim Bundesnachrichtendienst als zuständige Behörde ist vor Klageerhebung gestellt worden.
Rz. 11
2. Die Klage ist aber unbegründet. Der Anspruch auf Nutzung der Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes zu Uwe Barschel ist weder aus Archivrecht (a) noch aus den grundgesetzlich garantierten Rechten auf Freiheit der Information (b), auf Freiheit der Presse (c) oder auf Freiheit der Wissenschaft (d) herzuleiten.
Rz. 12
a) Zwar steht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 BArchG jedermann das Recht zu, Archivgut des Bundes nach näherer Maßgabe der Absätze 1 bis 7 des § 5 BArchG zu nutzen. § 5 Abs. 1 Satz 1 BArchG ist aber auf die hier in Rede stehenden Unterlagen weder unmittelbar (aa) noch entsprechend (bb) anwendbar.
Rz. 13
aa) Die Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes zu Uwe Barschel sind kein Archivgut im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 BArchG.
Rz. 14
Eine Legaldefinition des zentralen archivrechtlichen Begriffs des Archivguts enthält das Bundesarchivgesetz nicht; lediglich der allgemeine registraturrechtliche Begriff der Unterlage wird in § 2 Abs. 8 BArchG umschrieben. Der Begriff des Archivguts mag materiell verstanden werden können, wenn es lediglich auf die Archivwürdigkeit der zu archivierenden Unterlagen ankommen soll. Er hat demgegenüber einen (auch) formellen Gehalt, wenn zusätzlich auf die Übergabe der Unterlagen an bzw. deren Übernahme durch das Archiv abgestellt wird (vgl. Schoch/Kloepfer/Garstka, Archivgesetz ≪ArchG-ProfE≫, 2007, § 3 Rn. 9). Jedenfalls soweit es um den Anspruch auf Nutzung von Archivgut nach § 5 Abs. 1 BArchG geht, legt das Bundesarchivgesetz letzteres Begriffsverständnis – im Übrigen in Einklang mit der allgemein anerkannten Begriffsbildung im Archivrecht (siehe hierzu Manegold, Archivrecht, 2002, S. 167) – zugrunde (BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2013 – BVerwG 7 B 43.12 – NJW 2013, 2538). Unterlagen der in § 2 Abs. 1 BArchG genannten Stellen werden danach erst dann zum Archivgut im Sinne von § 5 Abs. 1 BArchG, wenn sie dem Bundesarchiv angeboten, von diesem übernommen und so in den Besitz des Bundesarchivs gelangt sind. Das Nutzungsbegehren des Klägers bezieht sich indes nur auf Unterlagen, die zwar archivfähig wären, aber sich noch in der Verfügungsgewalt des Bundesnachrichtendienstes befinden.
Rz. 15
bb) Zwar kann nach § 5 Abs. 8 BArchG in entsprechender Anwendung der Absätze 1 bis 7 des § 5 BArchG ein Anspruch auf Nutzung von Unterlagen bestehen, die sich noch in der Verfügungsgewalt einer Stelle im Sinne des § 2 Abs. 1 BArchG befinden.
Rz. 16
§ 5 Abs. 8 BArchG setzt hierfür aber voraus, dass diese Unterlagen älter als 30 Jahre sind. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Das wäre nur dann der Fall, wenn die Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes zu Uwe Barschel aus dem Jahre 1983 oder früher stammten. Wie die Beklagte glaubhaft angibt und der Kläger selbst nicht bestreitet, sind die Unterlagen jüngeren Datums.
Rz. 17
Die Frist von 30 Jahren in § 5 Abs. 8 BArchG kann nicht verkürzt werden. Die Vorschriften insbesondere der Absätze 2 und 5 des § 5 BArchG sind nach dem eindeutigen, weder auslegungsfähigen noch auslegungsbedürftigen Wortlaut des § 5 Abs. 8 Satz 1 BArchG auf die dort normierte Frist nicht anwendbar. Ihre Anwendbarkeit hängt vielmehr umgekehrt vom Ablauf dieser Frist ab. Die Absätze 1 bis 7 des § 5 BArchG sind mit allen ihren Regelungen erst anwendbar, wenn die Unterlagen in der Verfügungsgewalt der Stelle im Sinne des § 2 Abs. 1 BArchG älter als 30 Jahre sind. Erst nach Ablauf von 30 Jahren werden Unterlagen, über die noch die Stelle im Sinne des § 2 Abs. 1 BArchG verfügt, dem Archivgut gleichgestellt und entstehen archivrechtliche Nutzungsansprüche für diese Unterlagen. Soweit zu diesem Zeitpunkt noch Schutzfristen im Sinne der § 5 Abs. 1 bis 5 BArchG bestehen, kommt die Verkürzung (oder Verlängerung) dieser Fristen in Betracht. Die entsprechende Anwendung nach § 5 Abs. 8 Satz 1 BArchG bezieht sich mithin auf die Schutzfristen nach den Absätzen 1 bis 7 und auf deren Verkürzung oder Verlängerung, nicht hingegen auf die Frist in § 5 Abs. 8 Satz 1 BArchG.
Rz. 18
Das Bundesarchivgesetz enthält keine Frist, nach deren Ablauf die in § 2 Abs. 1 genannten Stellen verpflichtet wären, ihre Akten dem Bundesarchiv als Archivgut anzudienen, mit der weiteren Folge, dass ihre Benutzung dann jedermann offenstünde. Damit sollte den vielfältigen und unterschiedlichen Belangen der aktenführenden und potentiell ablieferungspflichtigen Stellen an einer weiteren eigenen Nutzung der Akten Rechnung getragen werden. Diese Interessen und Belange hat der Gesetzgeber mit der Frist von 30 Jahren zwar begrenzt, indem vom Ablauf dieser Frist an auch die aktenführende Stelle archivrechtlichen Ansprüchen ausgesetzt ist; dadurch wird zugleich darauf hingewirkt, dass sie für sie entbehrliche Akten auch tatsächlich dem Bundesarchiv andient. Bis zum Ablauf dieser Frist hat der Gesetzgeber aber die eigenen Nutzungsinteressen der aktenführenden Stelle in einer pauschalierenden Weise berücksichtigt wissen wollen und deshalb bewusst von der Möglichkeit abgesehen, eine Verkürzung der Frist für die Anwendbarkeit archivrechtlicher Benutzungsregelungen nach Maßgabe einer auf den Einzelfall bezogenen Interessenabwägung zuzulassen.
Rz. 19
b) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Nutzung der streitgegenständlichen Unterlagen aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
Rz. 20
Die in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. GG verbürgte Informationsfreiheit ist schon deswegen nicht betroffen, weil die Behördenakten, in die der Kläger Einsicht nehmen will, keine “allgemein zugänglichen Quellen” im Sinne dieser Vorschrift sind. Eine Informationsquelle ist in der Regel dann allgemein zugänglich, wenn sie technisch geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit, d.h. einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen (BVerfGE 27, 71 ≪83≫), mit anderen Worten wenn sie öffentlich im Sinne der hergebrachten juristischen Terminologie ist (Grabenwerter, in: Maunz/Dürig, Rn. 90 zu Art. 5 Abs. 1 und 2 GG; BVerfG, Urteil vom 30. Januar 1986 – 1 BvR 1352/85 – juris). Die Informationsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. GG, die den Zugang zu aus allgemein zugänglichen Quellen stammenden Informationen schützt, gibt keinen verfassungsunmittelbaren Zugang zu amtlichen Informationen. Vielmehr kann der Staat im Rahmen seiner Aufgaben und Befugnisse Art und Umfang, in dem er Informationsquellen allgemein zugänglich macht, festlegen (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Januar 2001 – 1 BvR 2623/95 u.a. – BVerfGE 103, 44 ≪60 f.≫). Einen Anspruch darauf, amtliche Informationen allgemein zugänglich zu machen, verleiht Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG dabei nicht.
Rz. 21
c) Der Kläger hat ferner nicht als Pressevertreter einen Anspruch aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auf Akteneinsicht.
Rz. 22
Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet. Diese Gewährleistung umfasst nicht nur ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe, sondern garantiert darüber hinaus in ihrem objektiv-rechtlichen Gehalt die institutionelle Eigenständigkeit der Presse (BVerfG, Urteil vom 5. August 1966 – 1 BvR 586/62 u.a. – BVerfGE 20, 162 ≪175 f.≫; BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1984 – BVerwG 7 C 139.81 – BVerwGE 70, 310 ≪311≫ = Buchholz 422.1 Presserecht Nr. 3 S. 7). Der Gesetzgeber ist hieraus in der Pflicht, die Rechtsordnung in einer Weise zu gestalten, die der besonderen verfassungsrechtlichen Bedeutung der Presse gerecht wird und ihr eine funktionsgemäße Betätigung ermöglicht. Hierzu zählt auch die Schaffung von behördlichen Auskunftspflichten (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. August 1966 a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1984 a.a.O. S. 314 bzw. S. 10), die es der Presse erleichtern oder in Einzelfällen sogar überhaupt erst ermöglichen, ihre Kontroll- und Vermittlungsfunktionen zu erfüllen, die in der repräsentativen Demokratie unerlässlich sind. Beim Erlass entsprechender Auskunftsregeln steht dem Gesetzgeber – wie in anderen Fällen der Umsetzung objektiv-rechtlicher Grundrechtsgehalte – ein weiter Ausgestaltungsspielraum zu. Er kann die aus seiner Sicht der Auskunftserteilung entgegenstehenden privaten und öffentlichen Interessen berücksichtigen und gegenüber dem Auskunftsinteresse der Presse bzw. der Öffentlichkeit in Abwägung bringen (vgl. Urteil vom 13. Dezember 1984 a.a.O. S. 315 bzw. S. 10). Im Hinblick auf die Gewichtung und Austarierung dieser Interessen unterliegt er deutlich schwächeren verfassungsrechtlichen Direktiven als beim Erlass von Regelungen, mit denen Eingriffe in den abwehrrechtlichen Gewährleistungsgehalt von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verbunden sind. So ist er im Grundsatz etwa nicht gehindert, bei Vorliegen plausibler Gründe auch solchen Vertraulichkeitsinteressen im Einzelfall Vorrang einzuräumen, die bei abstrakter Betrachtung nicht das verfassungsrechtliche Gewicht aufbringen, das der Pressefreiheit zukommt; ebenso wenig ist er grundsätzlich gehindert, auf der Grundlage typisierender bzw. pauschalierender Interessensgewichtungen und -abwägungen bestimmte behördliche Funktionsbereiche von der Pflicht zur Auskunftserteilung ganz auszunehmen. Entscheidend ist, dass die Auskunftsregelungen insgesamt hinreichend effektiv sind, d.h. der Presse im praktischen Gesamtergebnis eine funktionsgemäße Betätigung sichern (Urteil vom 20. Februar 2013 – BVerwG 6 A 2.12 – NVwZ 2013, 1006 Rn. 27).
Rz. 23
Bleibt der zuständige Gesetzgeber untätig, muss unmittelbar auf das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als Rechtsgrundlage für pressespezifische Auskunftspflichten zurückgegriffen werden. Ohne einen solchen Rückgriff, der – was nach der Verfassungsordnung die Ausnahme bleibt – den objektivrechtlichen Gewährleistungsgehalt des Grundrechts in einen subjektiv-rechtlichen Anspruch umschlägt, liefe die Pressefreiheit in ihrem objektiv-rechtlichen Gewährleistungsgehalt leer. Die Anwendung des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs muss jedoch in einer Weise vorgenommen werden, die nicht die Ausgestaltungsprärogative des Gesetzgebers unterläuft, indem sie auf Grundlage von Interessensgewichtungen und -abwägungen erfolgt, die nach der Verfassungsordnung nur der Gesetzgeber vorzunehmen befugt ist. Die Position von Behörden oder Gerichten, die über die Berechtigung eines geltend gemachten verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs zu entscheiden haben, ist schon im Ansatz nicht vergleichbar mit der Position des Gesetzgebers, der in Umsetzung des Gestaltungsauftrags aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gesetzliche Regelungen zu treffen hat. Dies zwingt dazu, den verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch auf das Niveau eines “Minimalstandards” zu begrenzen, den auch der Gesetzgeber nicht unterschreiten dürfte. Danach endet das verfassungsunmittelbare Auskunftsrecht von Pressevertretern dort, wo berechtigte schutzwürdige Interessen Privater oder öffentlicher Stellen an der Vertraulichkeit von Informationen entgegenstehen. Sind solche schutzwürdigen Interessen nicht erkennbar, wäre auch eine gesetzliche Bestimmung, welche der Presse die Auskunft verwehrte, mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und den hierin angelegten Ausgestaltungsdirektiven nicht vereinbar. Berechtigte schutzwürdige Interessen der hier in Rede stehenden Art sind beispielhaft in den Landespressegesetzen aufgeführt, deren insoweit einschlägige Bestimmungen (vgl. etwa § 4 Abs. 2 BlnPrG) im hier interessierenden Zusammenhang freilich nicht als abschließend verstanden werden dürfen (BVerwG a.a.O. Rn. 29).
Rz. 24
Der im vorstehend beschriebenen Umfang durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Informationszugang umfasst grundsätzlich nicht eine Aktennutzung durch Einsichtnahme in Behördenakten oder einer Kopie von Behördenakten.
Rz. 25
d) Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Aktennutzung aus dem Grundrecht auf Freiheit von Wissenschaft und Forschung aus Art. 5 Abs. 3 GG.
Rz. 26
Die Weigerung, dem Kläger Einsicht in die begehrten Archivunterlagen zu gewähren, beruht nicht auf einer Verkennung der in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG grundrechtlich gewährleisteten Wissenschaftsfreiheit. Dem Kläger geht es hier weder um die Abwehr eines Eingriffs in dieses Freiheitsrecht noch um die Teilhabe am staatlichen Wissenschaftsbetrieb. Er begehrt vielmehr zu einem Forschungsvorhaben, dessen Gegenstand eine staatliche Einrichtung ist, die Hilfestellung eben dieser Einrichtung. Als Forschungsobjekt spielt der Staat aber keine Sonderrolle wie im Wissenschaftsbetrieb; er ist einer unter vielen anderen möglichen Forschungsgegenständen. Aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG lässt sich daher kein Anspruch des Klägers auf Unterstützung seiner Forschung durch Gewährung von Akteneinsicht ableiten (BVerfG, Urteil vom 30. Januar 1986 – 1 BvR 1352/85 – juris).
Rz. 27
3. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen, weil er unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO). Einer Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO über den Antrag, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, bedarf es nicht. Sie ist von Bedeutung nur für die Kostenerstattung und daher entbehrlich, wenn der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen und deshalb keinen Kostenerstattungsanspruch hat.
Unterschriften
Neumann, Dr. Graulich, Dr. Möller, Hahn, Prof. Dr. Hecker
Fundstellen
CR 2014, 286 |
DÖV 2014, 450 |
VR 2014, 179 |
ZUM-RD 2014, 301 |
BayVBl. 2014, 3 |
DVBl. 2014, 3 |
DVBl. 2014, 587 |
K&R 2014, 292 |
NPA 2014 |
ZD 2014, 430 |
JM 2014, 252 |