Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitszeit der Bundesbeamten im Beitrittsgebiet. zu hoch festgesetzte Wochenarbeitszeit. Freizeitausgleich. Mehrarbeitsvergütung. Schadensersatz in Geld wegen entgangener Freizeit bei Mehrarbeit ohne Freizeitausgleich
Leitsatz (amtlich)
Die im Beitrittsgebiet tätigen Bundesbeamten, die bis zum 31. Dezember 2000 Dienst mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden leisten mussten, haben keinen Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung oder auf Schadensersatz in Geld.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4; BRRG § 44; BBG § 72; BBesG § 1 Abs. 2 Nr. 5, § 2 Abs. 1, § 48 Abs. 1; AZV §§ 1, 7; BGB § 249 ff.
Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 15.03.2002; Aktenzeichen 5 A 239.01) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. März 2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger ist als Bundesbeamter im Beitrittsgebiet tätig. Er musste aufgrund einer unrichtigen Auslegung der Arbeitszeitvorschriften des Einigungsvertrages durch die Beklagte (vgl. Urteil vom 21. Dezember 2000 – BVerwG 2 C 42.99 – Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 37 S. 1 ff.) mehrere Jahre lang Dienst mit einer Wochenarbeitszeit von 40 statt 38,5 Stunden leisten. Seinen Antrag, ihm Mehrarbeitsvergütung zu gewähren, lehnte die Beklagte ab.
Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage, mit der der Kläger Zahlung des in § 4 der Mehrarbeitsvergütung vorgesehenen Geldbetrages für die 38,5 Wochenstunden übersteigende Arbeitszeit begehrt, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung, weil er keine Mehrarbeit geleistet habe. Der Dienstherr habe keine Mehrarbeit angeordnet, sondern 40 Dienststunden als regelmäßige Wochenarbeitszeit gefordert. Der zusätzliche Dienst könne auch nicht nachträglich als Mehrarbeit genehmigt werden, weil es an den gesetzlichen Merkmalen der Mehrarbeit fehle. Ein Schadensersatzanspruch entfalle, weil zusätzlich geleisteter Dienst als Beamter kein Schaden sei. Ein Folgenbeseitigungsanspruch sei nicht auf einen finanziellen Ausgleich gerichtet.
Mit der Sprungsrevision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. März 2002 aufzuheben und nach dem Klageantrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses teilt die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Zahlung eines Geldbetrages für seine die regelmäßige Arbeitszeit überschreitende Dienstleistung.
Der Klageanspruch kann – wovon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen ist – nicht als besoldungsrechtlicher Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung unmittelbar auf die gemäß § 48 Abs. 1 BBesG erlassene Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung an Beamte (MVergV) vom 13. März 1992 (BGBl I S. 529), neu bekannt gemacht in der Fassung vom 13. Dezember 1998 (BGBl I S. 3494), gestützt werden. § 3 dieser Verordnung, die einzige in Betracht kommende Anspruchsgrundlage, setzt nach seiner insoweit während des gesamten hier in Rede stehenden Zeitraumes unverändert geltenden Fassung voraus, dass der Beamte schriftlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit geleistet hat, die aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht durch Dienstbefreiung ausgeglichen werden kann. Bei dem Dienst, den der Kläger über 38,5 Stunden wöchentlich hinaus geleistet hat, handelt es sich nicht um Mehrarbeit im Rechtssinne. Es fehlt sowohl an der Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit durch den Dienstherrn als auch an den Voraussetzungen für die Heranziehung zu Mehrarbeit.
Anordnung und Genehmigung von Mehrarbeit sind Ermessensentscheidungen, die der Dienstherr unter Abwägung der im konkreten Zeitpunkt maßgebenden Umstände zu treffen hat. Der Dienstherr muss dabei prüfen, ob nach den dienstlichen Notwendigkeiten überhaupt eine Mehrarbeit erforderlich ist und welchem Beamten sie übertragen werden soll (vgl. Urteil vom 2. April 1981 – BVerwG 2 C 1.81 – Buchholz 237.7 § 78a LBG Nordrhein-Westfalen Nr. 2 S. 3). Eine derartige Entscheidung hat die Beklagte nach den tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil, an die der Senat gebunden ist (§ 137 Abs. 2, § 134 Abs. 4 VwGO), nicht getroffen. Durch die Aufstellung und Praktizierung des Dienstplans mit 40 Wochenstunden in der Dienststelle des Klägers hat die Beklagte keine Mehrarbeit im Umfang der die gesetzliche Wochenarbeitszeit übersteigenden Stunden angeordnet. Sie hat vielmehr die regelmäßige Arbeitszeit rechtswidrig zu hoch festgesetzt.
Der zusätzlich geleistete Dienst kann nicht nachträglich als Mehrarbeit genehmigt werden. Mehrarbeit darf nur angesetzt werden, wenn zwingende dienstliche Gründe dies erfordern und sich die Mehrarbeit auf Ausnahmefälle beschränkt (§ 72 Abs. 2 Satz 1 BBG, § 7 Abs. 2 AZV). Beide Voraussetzungen waren nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts “ersichtlich nicht” gegeben.
Die Vergütungsregelung des § 3 MVergV ist eine eng begrenzte Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Beamte bei zwingenden dienstlichen Erfordernissen ohne Entschädigung auch über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun hat (§ 72 Abs. 2 Satz 1 BBG, § 44 BRRG). Außerhalb der gesetzlich bestimmten Grenzen dieser Ausnahme verbleibt es bei dem Grundsatz (vgl. Urteil vom 21. Februar 1991 – BVerwG 2 C 48.88 – BVerwGE 88, 60 ≪62≫). Die strikte Gesetzesbindung der Besoldung (§ 2 Abs. 1 BBesG) schließt weitergehende Ansprüche auf Vergütungen (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 BBesG) aus.
Der Dienstherr darf allerdings nicht auf Dauer einen Teil seines Personalbedarfs durch Heranziehung der Beamten zur Dienstleistung über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus decken. Mehrarbeit muss sich – wie gesetzlich ausdrücklich geboten – auf Ausnahmefälle beschränken und bei erheblicher zusätzlicher Belastung grundsätzlich durch Freizeit ausgeglichen werden. Gegen eine rechtswidrige übermäßige zeitliche Beanspruchung kann der Beamte sich jedoch durch Rechtsbehelfe – einschließlich der Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes – mit dem Ziel alsbaldiger Unterlassung zur Wehr setzen (vgl. Urteil vom 21. Februar 1991, a.a.O. S. 62 f.). Außer dem unmittelbaren Rechtsschutz steht ihm ein Anspruch auf Vergütung oder Entschädigung auch bei rechtswidriger längerer Heranziehung zum Dienst über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus nicht zu.
Für einen Schadensersatzanspruch fehlt es jedenfalls an einem in Geld zu ersetzenden Schaden. Zusätzlicher Dienst eines Beamten ist kein Schaden im Sinne des allgemeinen Schadensersatzrechts. Für beamtenrechtliche Schadensersatzansprüche ist der Schadensbegriff maßgebend, der den §§ 249 ff. BGB zugrunde liegt (stRspr; vgl. u.a. Urteile vom 21. Februar 1991 – BVerwG 2 C 48.88 – BVerwGE 88, 60 ≪63≫ m.w.N. und vom 10. Februar 2000 – BVerwG 2 A 4.99 – Buchholz 236.1 § 24 SG Nr. 18 S. 10). Danach ist mangels besonderer Vorschriften Geldersatz nur bei einem Vermögensschaden, nicht bei einem immateriellen Schaden zu leisten. Der Aufwand von Zeit und Arbeitskraft zur Leistung des zusätzlichen Dienstes und der damit verbundene Verlust von Freizeit als solcher sind kein durch Geld zu ersetzender materieller Schaden (vgl. Urteile vom 21. Februar 1991, a.a.O., sowie vom 5. November 1998 – BVerwG 2 A 2.98 – Buchholz 240 § 48 BBesG Nr. 7 S. 4; ebenso BGH, Urteile vom 29. April 1977 – V ZR 236/74 – BGHZ 69, 34 ≪36≫ und vom 22. November 1988 – VI ZR 126/88 – BGHZ 106, 28 ≪31 f.≫).
Ein Folgenbeseitigungsanspruch kann nicht auf Schadensersatz oder Entschädigung in Geld für rechtswidriges Verwaltungshandeln, sondern allein auf die Wiederherstellung des durch einen rechtswidrigen hoheitlichen Eingriff veränderten rechtmäßigen Zustandes gerichtet sein, der im Zeitpunkt des Eingriffs bestand (stRspr; vgl. Urteil vom 21. September 2000 – BVerwG 2 C 5.99 – Buchholz 237.1 Art. 86 BayLBG Nr. 10 S. 19 m. zahlr. w. N.).
Dass in Fällen wie dem vorliegenden kein Ausgleich in Geld zu gewähren ist, verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht. Der Gesetzgeber war weder durch den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) noch durch das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gehalten, über den unmittelbaren Rechtsschutz gegen eine rechtswidrige Heranziehung zur Dienstleistung über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus Schadens- oder sonstige Ausgleichsansprüche in Geld zu gewähren. Der Gesetzgeber hat die Vergütung von Mehrarbeit im Beamtenrecht ausdrücklich nur als sachlich und zeitlich begrenzte Ausnahme vorgesehen. Im Übrigen verbleibt es bei den Grundsätzen des Beamtenrechts, wonach der Beamte dem Dienstherrn seine volle Arbeitskraft, wenn auch nach Maßgabe des Arbeitszeitrechts, zur Verfügung stellt, als Gegenleistung dafür Anspruch auf amtsangemessene Alimentation in Gestalt der Dienstbezüge hat und Mehrarbeit, soweit überhaupt, allein durch Freizeit ausgeglichen wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Silberkuhl, Prof. Dawin, Dr. Kugele, Groepper, Dr. Bayer
Fundstellen
Haufe-Index 966801 |
ZBR 2003, 385 |
ZTR 2003, 640 |
LKV 2003, 561 |
ZfPR 2004, 115 |
BayVBl. 2004, 217 |