Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Schengener Grenzkodex. Abschaffung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen des Schengen-Raums. Kontrollen innerhalb des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats. Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen. Identitätskontrollen in der Nähe einer Binnengrenze des Schengen-Raums. Kontrollmöglichkeit ohne Ansehung des Verhaltens der betroffenen Person oder des Vorliegens besonderer Umstände. Nationaler Rechtsrahmen zu Intensität, Häufigkeit und Selektivität der Kontrollen

 

Normenkette

EUV 2016/399 Art. 22-23

 

Beteiligte

Staatsanwaltschaft Offenburg

FU

 

Tenor

Art. 67 Abs. 2 AEUV sowie die Art. 22 und 23 der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Unionskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die den Polizeibehörden des betreffenden Mitgliedstaats die Befugnis einräumt, innerhalb eines Gebiets von 30 km ab der Landgrenze dieses Mitgliedstaats zu anderen Staaten des Schengen-Raums zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats oder zur Verhütung bestimmter Straftaten, die gegen die Sicherheit der Grenze gerichtet sind, die Identität jeder Person unabhängig von deren Verhalten und vom Vorliegen besonderer Umstände zu kontrollieren, wenn diese Befugnis offensichtlich durch hinreichend genaue und detaillierte Konkretisierungen und Einschränkungen zu Intensität, Häufigkeit und Selektivität der durchgeführten Kontrollen eingefasst ist, so dass gewährleistet ist, dass die praktische Ausübung dieser Befugnis nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben kann, was zu prüfen indes Sache des vorlegenden Gerichts ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Amtsgericht Kehl (Deutschland) mit Entscheidung vom 28. Juni 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Juli 2019, in dem Strafverfahren gegen

FU,

Beteiligte:

Staatsanwaltschaft Offenburg,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten I. Jarukaitis sowie der Richter E. Regan (Berichterstatter) und C. Lycourgos,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und D. Klebs als Bevollmächtigte,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und A. Pagáčová als Bevollmächtigte,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Wils und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 EUV, Art. 197 Abs. 1 AEUV, Art. 291 Abs. 1 AEUV, Art. 67 Abs. 2 AEUV sowie der Art. 22 und 23 der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Unionskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. 2016, L 77, S. 1; im Folgenden: Schengener Grenzkodex).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens, das von der Staatsanwaltschaft Offenburg (Deutschland) gegen FU, einen in Frankreich wohnhaften französischen Staatsbürger, wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eingeleitet wurde.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 1 „Gegenstand und Grundsätze”) des Schengener Grenzkodex bestimmt:

„Diese Verordnung sieht vor, dass keine Grenzkontrollen in Bezug auf Personen stattfinden, die die Binnengrenzen zwischen den Mitgliedstaaten der Union überschreiten.

…”

Rz. 4

Art. 2 Nrn. 10 bis 12 des Kodex lautet:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

10. ‚Grenzkontrollen’ die an einer Grenze nach Maßgabe und für die Zwecke dieser Verordnung unabhängig von jedem anderen Anlass ausschließlich aufgrund des beabsichtigten oder bereits erfolgten Grenzübertritts durchgeführten Maßnahmen, die aus Grenzübertrittskontrollen und Grenzüberwachung bestehen;

11. ‚Grenzübertrittskontrollen’ die Kontrollen, die an den Grenzübergangsstellen erfolgen, um festzustellen, ob die betreffenden Personen mit ihrem Fortbewegungsmittel und den von ihnen mitgeführten Sachen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen oder aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ausreisen dürfen;

12. ‚Grenzüberwachung’ die Überwachung der Grenzen zwischen den Grenzübergangsstellen und die Überwachung der Grenzübergangsstellen außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden, um zu vermeiden, dass Personen die Grenzübertrittskontrollen umgehen;

…”

Rz. 5

Art. 22 „Überschreiten der Binnengrenzen”) des Kodex bestim...

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