Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Korruptionsbekämpfung. Schutz der finanziellen Interessen der Union. SFI-Übereinkommen. Entscheidung 2006/928/EG. Strafverfahren. Urteile der Curtea Constituţională (Verfassungsgerichtshof, Rumänien) über die Besetzung von Spruchkörpern im Bereich der schweren Korruption. Verpflichtung der nationalen Richter, den Entscheidungen der Curtea Constituţională (Verfassungsgerichtshof) volle Wirksamkeit zu verschaffen. Disziplinarische Verantwortlichkeit der Richter im Fall der Nichtbeachtung dieser Entscheidungen. Befugnis, Entscheidungen der Curtea Constituţională (Verfassungsgerichtshof), die nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sind, unangewendet zu lassen. Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts

 

Normenkette

Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 99; EUV Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47; AEUV Art. 325 Abs. 1

 

Beteiligte

FX u.a

FX

CS

ND

BR

DT

EU

FV

GW

CD

CLD

GLO

ŞDC

PVV

 

Tenor

1. Art. 325 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 2 des am 26. Juli 1995 in Brüssel unterzeichneten Übereinkommens aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften sowie die Entscheidung 2006/928/EG der Kommission vom 13. Dezember 2006 zur Einrichtung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung

sind dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen Regelung oder Praxis, wonach Urteile im Bereich der Korruption und des Mehrwertsteuerbetrugs, die in erster Instanz nicht von in diesem Bereich spezialisierten Spruchkörpern bzw. in der Berufungsinstanz nicht von Spruchkörpern erlassen wurden, deren Mitglieder sämtlich durch Losentscheid bestimmt wurden, absolut nichtig sind, so dass die betreffenden Korruptions- und Mehrwertsteuerbetrugsfälle, gegebenenfalls infolge eines außerordentlichen Rechtsbehelfs gegen rechtskräftige Urteile, in erster und/oder zweiter Instanz erneut geprüft werden müssen, entgegenstehen, wenn die Anwendung dieser nationalen Regelung oder Praxis geeignet ist, eine systemische Gefahr der Straflosigkeit von schweren Betrugsdelikten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union oder von Korruptionsdelikten im Allgemeinen zu begründen. Die Verpflichtung, sicherzustellen, dass solche Straftaten Gegenstand wirksamer und abschreckender Strafen sind, entbindet das vorlegende Gericht nicht von der Prüfung der notwendigen Beachtung der in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Grundrechte. Die sich aus diesem Art. 47 Abs. 2 Satz 1 ergebenden Erfordernisse stehen der Nichtanwendung einer solchen nationalen Regelung oder Praxis nicht entgegen, wenn diese geeignet ist, eine solche systemische Gefahr der Straflosigkeit zu begründen.

2. Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Entscheidung 2006/928

sind dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen Regelung oder Praxis, wonach die Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts für die ordentlichen Gerichte bindend sind, nicht entgegenstehen, sofern das nationale Recht die Unabhängigkeit dieses Verfassungsgerichts insbesondere gegenüber der Legislative und der Exekutive, wie sie diese Bestimmungen verlangen, gewährleistet. Allerdings sind diese Bestimmungen des EU-Vertrags und die genannte Entscheidung dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach jegliche Nichtbeachtung der Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts durch die nationalen Richter ordentlicher Gerichte deren disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit auslösen kann.

3. Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, wonach die ordentlichen Gerichte an Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts gebunden sind und – aus diesem Grund und da sie widrigenfalls ein Disziplinarvergehen begehen würden – die Rechtsprechung aus diesen Entscheidungen nicht aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen dürfen, obwohl sie im Licht eines Urteils des Gerichtshofs der Auffassung sind, dass diese Rechtsprechung gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV oder die Entscheidung 2006/928 verstößt.

 

Tatbestand

In den verbundenen Rechtssachen

betreffend drei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie (Oberster Kassations- und Gerichtshof, Rumänien) mit Entscheidungen vom 19. November 2019 (C-859/19), vom 6. November 2019 (C-926/19) und vom 16. Dezember 2019 (C-929/19), beim Gerichtshof eingegangen am 26. November 2019 (C-859/19) und am 18. Dezember 2019 (C-926/19 und C-929/19), in den Strafverfahren gegen

FX,

CS,

ND (C-859/19),

BR,

CS,

DT,

EU,

FV,

GW (C-926/19),

CD,

CLD,

GLO,

ŞDC,

PVV (C-929/19),

Beteiligte:

Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie – Direcţia Naţională Anticorupţie (...

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