Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Vergabe öffentlicher Dienstleistungs-, Liefer- und Bauaufträge. Ablauf des Verfahrens. Auswahl der Teilnehmer und Auftragsvergabe. Wirtschaftsteilnehmer, der die Kapazitäten eines anderen Unternehmens in Anspruch nimmt, um die Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers zu erfüllen. Verpflichtung dieses Wirtschaftsteilnehmers zur Vorlage der Unterlagen über die Befähigung eines Unterauftragnehmers erst nach der Auftragsvergabe. Unvereinbarkeit
Normenkette
Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 99; Richtlinie 2014/24/EU Art. 63
Beteiligte
Ambisig – Ambiente e Sistemas de Informação Geográfica SA |
ANO – Sistemas de Informática e Serviços Lda |
Link Consulting – Tecnologias de Informação SA |
Tenor
Art. 63 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG in Verbindung mit Art. 59 und dem 84. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24/EU
ist dahin auszulegen, dass
er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der ein Wirtschaftsteilnehmer, der für die Ausführung eines öffentlichen Auftrags die Kapazitäten eines anderen Unternehmens in Anspruch nehmen möchte, die Unterlagen über die Befähigung dieses Unternehmens und dessen verpflichtende Zusage erst nach der Auftragsvergabe einreichen muss.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht, Portugal) mit Entscheidung vom 23. Juni 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Juli 2022, in dem Verfahren
Ambisig – Ambiente e Sistemas de Informação Geográfica SA
gegen
Fundação do Desporto,
ANO – Sistemas de Informática e Serviços Lda,
Link Consulting – Tecnologias de Informação SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Safjan sowie der Richter N. Piçarra und M. Gavalec (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 63 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Ambisig – Ambiente e Sistemas de Informação Geográfica SA (im Folgenden: Ambisig) und der Fundação do Desporto wegen deren Entscheidung, Ambisig von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren auszuschließen und den betreffenden Auftrag an die Link Consulting – Tecnologias de Informação SA (im Folgenden: Link) zu vergeben.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Im 84. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 heißt es:
„Nach Auffassung vieler Wirtschaftsteilnehmer – und nicht zuletzt der [kleinen und mittleren Unternehmen] – ist eines der Haupthindernisse für ihre Beteiligung an öffentlichen Vergabeverfahren der Verwaltungsaufwand im Zusammenhang mit der Beibringung einer Vielzahl von Bescheinigungen oder anderen Dokumenten, die die Ausschluss- und Eignungskriterien betreffen. Eine Beschränkung der entsprechenden Anforderungen, beispielsweise durch die Verwendung einer Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung, die aus einer aktualisierten Eigenerklärung besteht, könnte eine erhebliche Vereinfachung zum Nutzen sowohl der öffentlichen Auftraggeber als auch der Wirtschaftsteilnehmer bedeuten.
Der Bieter, dem der Zuschlag erteilt werden soll, sollte jedoch die relevanten Nachweise vorlegen müssen; öffentliche Auftraggeber sollten keine Verträge mit Bietern schließen, die dazu nicht in der Lage sind. Öffentliche Auftraggeber sollten auch berechtigt sein, jederzeit sämtliche oder einen Teil der unterstützenden Unterlagen zu verlangen, wenn dies ihrer Ansicht nach zur angemessenen Durchführung des Verfahrens erforderlich ist. Insbesondere könnte dies der Fall sein bei zweistufigen Verfahren – nichtoffenen Verfahren, Verhandlungsverfahren, wettbewerblichen Dialogen und Innovationspartnerschaften –, bei denen die öffentlichen Auftraggeber von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Anzahl der zur Einreichung eines Angebots aufgeforderten Bewerber zu begrenzen. Zu verlangen, dass unterstützende Unterlagen zum Zeitpunkt der Auswahl der einzuladenden Bewerber vorgelegt werden, ließe sich damit begründen, zu vermeiden, dass öffentliche Auftraggeber Bewerber einladen, die sich später in der Vergabestufe als unfähig erweisen, die zusätzlichen Unterlagen einzureichen, und damit geeigneten Bewerbern die Möglichkeit der Teilnahme nehmen.
Es sollte ausdrücklich angegeben werden, dass die Einheitliche Europäische Eigenerklärung auch die relevanten Informationen hinsichtli...