Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Anwendungsbereich. Anerkennung einer Privatscheidung, die von einer geistlichen Stelle in einem Drittstaat ausgesprochen wurde. Offensichtliche Unzuständigkeit des Gerichtshofs

 

Normenkette

Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 53 Abs. 2; Verordnung (EU) Nr. 1259/2010

 

Beteiligte

Sahyouni

Soha Sahyouni

Raja Mamisch

 

Tenor

Der Gerichtshof der Europäischen Union ist für die Beantwortung der vom Oberlandesgericht München (Deutschland) mit Entscheidung vom 2. Juni 2015 vorgelegten Fragen offensichtlich unzuständig.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht München (Deutschland) mit Entscheidung vom 2. Juni 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Juni 2015, in dem Verfahren

Soha Sahyouni

gegen

Raja Mamisch

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Arabadjiev, J.-C. Bonichot, C. G. Fernlund und S. Rodin,

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Mentgen als Bevollmächtigte,
  • der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet, L. Van den Broeck und S. Vanrie als Bevollmächtigte,
  • der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und F.-X. Bréchot als Bevollmächtigte,
  • der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Fehér, G. Koós und M. Bóra als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin als Bevollmächtigten,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 53 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts (ABl. 2010, L 343, S. 10).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens auf Anerkennung einer durch eine geistliche Stelle in einem Drittstaat getroffenen Entscheidung in Ehesachen, an dem Frau Soha Sahyouni und Herr Raja Mamisch beteiligt sind.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Nach Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1259/2010 gilt sie „für die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes in Fällen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen”.

Rz. 4

Art. 8 der Verordnung Nr. 1259/2010 sieht vor:

„Mangels einer Rechtswahl … unterliegen die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes:

  1. dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, oder anderenfalls
  2. dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern dieser nicht vor mehr als einem Jahr vor Anrufung des Gerichts endete und einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder anderenfalls
  3. dem Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts besitzen, oder anderenfalls
  4. dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts.”

Rz. 5

Nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. 2003, L 338, S. 1) gilt diese Verordnung, ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit, für die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und die Ungültigerklärung einer Ehe.

Rz. 6

In Art. 2 der Verordnung Nr. 2201/2003 heißt es:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

4. ‚Entscheidung' jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung über die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung einer Ehe sowie jede Entscheidung über die elterliche Verantwortung, ohne Rücksicht auf die Bezeichnung der jeweiligen Entscheidung, wie Urteil oder Beschluss;

…”

Rz. 7

Nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.

Deutsches Recht

Rz. 8

Das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit enthält folgende Vorschriften:

„§ 107 Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Ehesachen

(1) Entscheidungen, durch die im Ausland eine Ehe für nichtig erklärt … worden ist, werden nur anerkannt, wenn die Landesjustizverwaltung festgestellt hat, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen. Hat ein Geri...

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