Entscheidungsstichwort (Thema)

Freier Kapitalverkehr. Vorlage zur Vorabentscheidung. Freier Dienstleistungsverkehr. Nationale Maßnahme, nach der ein Kreditinstitut Geschäftsbeziehungen mit Ausländern beenden muss bzw. nicht mehr begründen darf. Beschränkung. Rechtfertigung. Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung. Verhältnismäßigkeit

 

Normenkette

AEUV Art. 56, 63, 65 Abs. 1 Buchst. b; Richtlinie (EU) 2015/849

 

Beteiligte

PrivatBank u.a.

AS „PrivatBank“

A

B

Unimain Holdings LTD

Finanšu un kapitāla tirgus komisija

 

Tenor

1.Darlehen und Finanzkredite sowie Kontokorrent- und Termingeschäfte mit Finanzinstitutionen, insbesondere Kreditinstituten, sind als Kapitalverkehr im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV anzusehen.

2.Art. 56 Abs. 1 und Art. 63 Abs. 1 AEUV sind dahin auszulegen, dass eine Verwaltungsmaßnahme der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats, nach der ein Kreditinstitut mit natürlichen oder juristischen Personen, die keine Verbindung zu dem Mitgliedstaat, in dem es ansässig ist, haben und deren monatliches Habenumsatzvolumen einen bestimmten Betrag übersteigt, keine Geschäftsbeziehungen begründen darf und entsprechende nach dem Erlass der Verwaltungsmaßnahme begründete Geschäftsbeziehungen beenden muss, eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne der erstgenannten Bestimmung sowie eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne der zweitgenannten Bestimmung darstellt.

3.Art. 56 Abs. 1 und Art. 63 Abs. 1 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Verwaltungsmaßnahme der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats, nach der ein Kreditinstitut mit natürlichen Personen, die keine Verbindung zu dem Mitgliedstaat, in dem es ansässig ist, haben und deren monatliches Habenumsatzvolumen 15 000 Euro übersteigt, oder juristischen Personen, deren wirtschaftliche Tätigkeit keine Verbindung zu diesem Mitgliedstaat aufweist und deren monatliches Habenumsatzvolumen 50 000 Euro übersteigt, keine Geschäftsbeziehungen begründen darf und entsprechende nach dem Erlass der Verwaltungsmaßnahme begründete Geschäftsbeziehungen beenden muss, nicht entgegenstehen, sofern diese Verwaltungsmaßnahme erstens gerechtfertigt ist – und zwar durch das Ziel der Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung oder wegen Unerlässlichkeit zur Verhinderung von Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der Aufsicht über Finanzinstitute oder aber aus Gründen der öffentlichen Ordnung nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV –, zweitens zur Erreichung dieser Ziele geeignet ist, drittens nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist, und viertens die gemäß den Art. 56 und 63 AEUV geschützten Rechte und Interessen des betroffenen Kreditinstituts und seiner Kunden nicht übermäßig beeinträchtigt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-78/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Administratīvā apgabaltiesa (Regionalverwaltungsgericht, Lettland) mit Entscheidung vom 11. Januar 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Februar 2021, in dem Verfahren

AS „PrivatBank“,

A,

B,

Unimain Holdings LTD

gegen

Finanšu un kapitāla tirgus komisija

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Ersten Kammer, der Richter P. G. Xuereb und A. Kumin (Berichterstatter) sowie der Richterin I. Ziemele,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: R. Stefanova-Kamisheva, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. April 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        der AS „PrivatBank“, vertreten durch A. Medne, Advokāte,
  • –        von A und B sowie der Unimain Holdings LTD, vertreten durch J. Loze, K. Loze und L. Mence, Advokāti,
  • –        der Finanšu un kapitāla tirgus komisija, vertreten durch J. Pogiļdjakova, L. Skolmeistare und I. Skuja-Ķirķe,
  • –        der lettischen Regierung, vertreten durch J. Davidoviča, K. Pommere und I. Romanovska als Bevollmächtigte,
  • –        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Meloncelli, Avvocato dello Stato,
  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Malferrari, A. Sauka und T. Scharf als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 29. September 2022

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 63 Abs. 1 und Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV, von Anhang I der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des [EG-]Vertrages [(Artikel aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam)] (ABl. 1988, L 178, S. 5) sowie von Art. 1 der Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfin...

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