Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Wettbewerb. Kartelle. Kartenzahlungssysteme. Vereinbarung zwischen Banken über die Festlegung des Interbankenentgelts. Vereinbarung, die den Wettbewerb sowohl ihrem Zweck als auch ihrer Wirkung nach beschränkt. Begriff der ‚bezweckten' Wettbewerbsbeschränkung
Normenkette
AEUV Art. 101 Abs. 1
Beteiligte
ING Bank NV Magyarországi Fióktelepe |
Kereskedelmi és Hitelbank Zrt |
Magyar Külkereskedelmi Bank Zrt |
Tenor
1. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass bei ein und demselben wettbewerbswidrigen Verhalten davon ausgegangen wird, dass es eine Einschränkung des Wettbewerbs im Sinne dieser Bestimmung sowohl bezweckt als auch bewirkt.
2. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine Vereinbarung zwischen Banken, mit der das Interbankenentgelt in einheitlicher Höhe festgelegt wird, das bei der Durchführung eines Kartenzahlungsvorgangs den Issuing-Banken solcher Karten zusteht, die von auf dem betreffenden nationalen Markt tätigen Kartenzahlungsdienstleistern angeboten werden, nicht als Vereinbarung eingestuft werden kann, die im Sinne dieser Vorschrift eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs „bezweckt”, es sei denn, dass davon auszugehen ist, dass diese Vereinbarung im Hinblick auf ihren Inhalt, ihre Ziele und ihren Zusammenhang den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt, um derart eingestuft zu werden, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) mit Entscheidung vom 6. März 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 3. April 2018, in dem Verfahren
Gazdasági Versenyhivatal
gegen
Budapest Bank Nyrt.,
ING Bank NV Magyarországi Fióktelepe,
OTP Bank Nyrt.,
Kereskedelmi és Hitelbank Zrt.,
Magyar Külkereskedelmi Bank Zrt.,
ERSTE Bank Hungary Zrt.,
Visa Europe Ltd,
MasterCard Europe SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan (Berichterstatter) sowie der Richter I. Jarukaitis, E. Juhász, M. Ilešič und C. Lycourgos,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2019,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Gazdasági Versenyhivatal, vertreten durch A. Kőhalmi und M. Nacsa als Bevollmächtigte,
- der Budapest Bank Nyrt., zunächst vertreten durch L. Wallacher, dann durch A. Kékuti, ügyvédek,
- der ING Bank NV Magyarországi Fióktelepe, vertreten durch A. Kőmíves, ügyvéd,
- der OTP Bank Nyrt., vertreten durch L. Réti und P. Mezei, ügyvédek,
- der Kereskedelmi és Hitelbank Zrt., vertreten durch Z. Hegymegi-Barakonyi, ügyvéd,
- der Magyar Külkereskedelmi Bank Zrt., vertreten durch S. Szendrő, ügyvéd,
- der ERSTE Bank Hungary Zrt., vertreten durch L. Wallacher, ügyvéd,
- der Visa Europe Ltd, vertreten durch Z. Marosi und G. Fejes, ügyvédek,
- der MasterCard Europe SA, vertreten durch E. Ritter, ügyvéd,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Koós und G. Tornyai als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Castilla Contreras, V. Bottka und I. Zaloguin als Bevollmächtigte,
- der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch M. Sánchez Rydelski, C. Zatschler, C. Simpson und C. Howdle als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. September 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 Abs. 1 AEUV.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gazdasági Versenyhivatal (ungarische Wettbewerbsbehörde) und sechs Finanzinstituten – nämlich der Budapest Bank Nyrt., der ungarischen Tochtergesellschaft der ING Bank NV, der OTP Bank Nyrt., der Kereskedelmi és Hitelbank Zrt., der Magyar Külkereskedelmi Bank Zrt. und der ERSTE Bank Hungary Zrt. – sowie zwei Gesellschaften, die Kartenzahlungsdienstleistungen anbieten, nämlich Visa Europe Ltd (im Folgenden: Visa) und MasterCard Europe SA (im Folgenden: MasterCard), über eine Entscheidung der Wettbewerbsbehörde, mit der diese das Vorliegen einer wettbewerbswidrigen Vereinbarung in Bezug auf die Interbankenentgelte festgestellt hat.
Ungarisches Recht
Rz. 3
§ 11 Abs. 1 des Tisztességtelen piaci magatartás és a versenykorlátozás tilalmáról szóló 1996. évi LVII. törvény (Gesetz Nr. LVII von 1996 über das Verbot unlauteren Marktverhaltens und der Wettbewerbsbeschränkung) (im Folgenden: Gesetz über unlauteres Marktverhalten) bestimmt:
„Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen sowie Beschlüsse von im Einklang mit der Vereinigungsfreiheit gegründeten Unternehmensvereinigungen, von unternehmerischen Einrichtungen des öffentlichen Rechts, von Unternehmensverbänden und sonstigen ähnlichen...