Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Gemeinsame Politik im Bereich Asyl und Einwanderung. Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz. Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling. Beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) registrierter Staatenloser palästinensischer Herkunft. Voraussetzungen, um ipso facto den Schutz der Richtlinie 2004/83/EG zu genießen. Wegfall des Schutzes oder Beistands des UNRWA

 

Normenkette

Richtlinie 2004/83/EG Art. 12

 

Beteiligte

Secretary of State for the Home Department

NB

AB

Secretary of State for the Home Department

 

Tenor

1. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass bei der Feststellung, ob der Schutz oder Beistand des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) nicht länger gewährt wird, so dass eine Personipso factodie „Anerkennung als Flüchtling” im Sinne dieser Bestimmung beanspruchen kann, im Rahmen einer individuellen Beurteilung die relevanten Umstände nicht nur zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Person das UNRWA-Einsatzgebiet verlassen hat, sondern auch zu dem Zeitpunkt zu berücksichtigen sind, zu dem die zuständigen Verwaltungsbehörden einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft prüfen oder die zuständigen Gerichte über den Rechtsbehelf gegen eine die Anerkennung als Flüchtling versagende Entscheidung entscheiden.

2. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 ist im Fall einer Person, die nachweist, dass sie gezwungen war, das Einsatzgebiet des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) aus von ihr nicht zu kontrollierenden und von ihrem Willen unabhängigen Gründen zu verlassen, im Rahmen der Prüfung zum Zweck der Feststellung, ob der Schutz oder Beistand des UNRWA nicht länger gewährt wird, so dass diese Personipso factodie „Anerkennung als Flüchtling” im Sinne dieser Bestimmung beanspruchen kann, dem Mitgliedstaat, falls er der Ansicht ist, dass diese Person nunmehr in der Lage sei, in dieses Gebiet zurückzukehren und dort diesen Schutz oder Beistand in Anspruch zu nehmen, der Nachweis dafür obliegt, dass dies der Fall ist.

3. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 ist dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob der Schutz oder Beistand des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) im Sinne dieser Bestimmung nicht länger gewährt wird, so dass eine internationalen Schutz beantragende Person gezwungen war, das UNRWA-Einsatzgebiet zu verlassen, nicht nachgewiesen werden muss, dass das UNRWA oder der Staat, in dem es tätig ist, die Absicht hatte, dieser Person durch Tun oder Unterlassen Schaden zuzufügen oder ihr den Beistand zu entziehen. Für die Zwecke dieser Bestimmung genügt der Nachweis, dass der Beistand oder Schutz des UNRWA tatsächlich aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt wird, so dass das UNRWA aus objektiven oder mit der persönlichen Situation dieser Person zusammenhängenden Gründen nicht länger in der Lage ist, ihr die Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit seiner Aufgabe im Einklang stehen.

4. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt D des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ist dahin auszulegen, dass im Rahmen der Beurteilung der für die Prüfung erforderlichen Voraussetzungen, ob der Schutz oder Beistand des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) nicht länger gewährt wird, so dass eine Personipso factodie „Anerkennung als Flüchtling” im Sinne dieser Bestimmung der Richtlinie 2004/83 beanspruchen kann, der Beistand zu berücksichtigen ist, der dieser Person von Akteuren der Zivilgesellschaft, wie etwa Nichtregierungsorganisationen, gewährt wird, sofern das UNRWA mit ihnen eine dauerhafte formelle Kooperationsbeziehung unterhält, in deren Rahmen es von ihnen bei der Erfüllung seines Mandats unterstützt wird.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom First-tier Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (Erstinstanzliches Gericht, Kammer für Einwanderungs- und Asylfragen, Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 29. Juli 2020, am selben Tag beim Gerichtshof eingegangen, in dem Verfahren

NB,

AB

gegen

Secretary of State for the Home Department,

Beteiligter:

United Nations High Commissioner for Refugees (UK),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Zweiten Kammer A. Prechal in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der ...

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