Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Begriff ‚Klage, die an ein Insolvenzverfahren anknüpft und in engem Zusammenhang damit steht ’. Begriff ‚Konkurs’. Vom Insolvenzverwalter erhobene Klage auf Erfüllung einer Forderung. Aus der internationalen Beförderung von Gütern entstandene Forderung. Verhältnis zwischen den Verordnungen Nrn. 1346/2000 und 44/2001 und dem Übereinkommen über Beförderung im internationalen Straßengüterverkehr (CMR)
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 Art. 3 Abs. 1; Verordnung (EG) Nr. 44/2001 Art. 1 Abs. 2 Buchst. b
Beteiligte
Nickel & Goeldner Spedition |
Nickel & Goeldner Spedition GmbH |
Tenor
1. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass die Klage auf Erfüllung einer auf die Erbringung von Beförderungsdienstleistungen gestützten Forderung, die von dem im Rahmen eines in einem Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahrens bestimmten Verwalter eines insolventen Unternehmens erhoben wird und die sich gegen den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Empfänger dieser Dienstleistungen richtet, unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen” im Sinne dieser Vorschrift fällt.
2. Art. 71 der Verordnung Nr. 44/2001 ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat in dem Fall, in dem ein Rechtsstreit sowohl in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 als auch in den Anwendungsbereich des am 19. Mai 1956 in Genf unterzeichneten Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr in der Fassung des am 5. Juli 1978 in Genf unterzeichneten Protokolls fällt, nach Art. 71 Abs. 1 dieser Verordnung die in Art. 31 Abs. 1 dieses Übereinkommens vorgesehenen Regelungen über die gerichtliche Zuständigkeit anwenden kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos Aukščausiasis Teismas (Litauen) mit Entscheidung vom 20. März 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 26. März 2013, in dem Verfahren
Nickel & Goeldner Spedition GmbH
gegen
„Kintra” UAB
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter A. Borg Barthet und E. Levits, der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) sowie des Richters S. Rodin,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Nickel & Goeldner Spedition GmbH, vertreten durch F. Heemann, advokatas,
- der „Kintra” UAB, vertreten durch V. Onačko, advokatas,
- der litauischen Regierung, vertreten durch D. Kriaučiūnas und G. Taluntyte als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, J. Möller und J. Kemper als Bevollmächtigte,
- der Schweizer Regierung, vertreten durch M. Jametti als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Steiblyte und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 3 Abs. 1 und 44 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. L 160, S. 1) sowie der Art. 1 Abs. 2 Buchst. b und 71 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Nickel & Goeldner Spedition GmbH (im Folgenden: Nickel & Goeldner Spedition), einer Gesellschaft deutschen Rechts, und der „Kintra” UAB (im Folgenden: Kintra), einer Gesellschaft litauischen Rechts in Liquidation, über die Zahlung von 194 077,76 litauischen Litas (LTL) als Hauptschuld für internationale Güterbeförderungsleistungen.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung Nr. 1346/2000
Rz. 3
Nach ihrem sechsten Erwägungsgrund beschränkt sich die Verordnung Nr. 1346/2000 auf „Vorschriften …, die die Zuständigkeit für die Eröffnung von Insolvenzverfahren und für Entscheidungen regeln, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen”.
Rz. 4
Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung, der die internationale Zuständigkeit regelt, stellt dafür folgende Grundregel auf:
„Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Bei Gesellschaften und juristischen Personen wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist.”
Rz. 5
Art. 44 Abs. 3 Buchst. a dieser Verordnung sieht vor:
„Diese Verordnung gilt nicht
- in einem Mitgliedstaat, sowei...