Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Öffentliche Dienstleistungsaufträge. Nachprüfungsverfahren. Klage eines Bieters, dessen Angebot nicht angenommen wurde, auf Nichtigerklärung der Entscheidung über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags. Anschlussrechtsbehelf des Zuschlagsempfängers. Von der nationalen Rechtsprechung entwickelte Regel, nach der zunächst der Anschlussrechtsbehelf zu prüfen ist und bei dessen Begründetheit die Klage ohne Prüfung ihrer Begründetheit für unzulässig zu erklären ist. Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht. Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts. Durch eine Entscheidung des Plenums des obersten Verwaltungsgerichts eines Mitgliedstaats aufgestellter Rechtsgrundsatz. Nationale Regelung, nach der diese Entscheidung für die Kammern dieses Gerichts verbindlich ist. Pflicht der mit einer unionsrechtlichen Frage befassten Kammer, diese Frage, falls sie mit der Entscheidung des Plenums nicht einverstanden ist, an dieses zu verweisen. Befugnis oder Pflicht der Kammer, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen

 

Normenkette

Richtlinie 89/665/EWG Art. 1 Abs. 1, 3; AEUV Art. 267

 

Beteiligte

PFE

Puligienica Facility Esco SpA (PFE)

Airgest SpA

 

Tenor

1. Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 3 und Abs. 3 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nationalen Verfahrensvorschriften entgegensteht, die es gestatten, die Klage eines Bieters, der ein Interesse daran hat, einen bestimmten Auftrag zu erhalten, und der rügt, dass ihm durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht im Bereich öffentlicher Aufträge oder gegen die Vorschriften über dessen Umsetzung ein Schaden entstanden sei oder zu entstehen drohe, auf Ausschluss eines anderen Bieters für unzulässig zu erklären, nachdem die von diesen Vorschriften vorgesehene vorrangige Prüfung des vom anderen Bieter eingelegten Anschlussrechtsbehelfs vorgenommen wurde.

2. Art. 267 AEUV ist dahin auszulegen, dass er der Auslegung einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der eine Kammer eines letztinstanzlich entscheidenden Gerichts, die sich in Bezug auf eine Frage nach der Auslegung oder der Gültigkeit des Unionsrechts der durch eine Entscheidung des Plenums dieses Gerichts aufgestellten Leitlinie nicht anzuschließen vermag, diese Frage an das Plenum verweisen muss und somit daran gehindert ist, den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung zu ersuchen.

3. Art. 267 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine Kammer eines letztinstanzlich entscheidenden Gerichts, nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union eine ihm von ihr gestellte Frage nach der Auslegung des Unionsrechts beantwortet hat oder wenn aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bereits eine eindeutige Antwort auf die Frage hervorgeht, selbst alles Erforderliche tun muss, damit diese Auslegung des Unionsrechts umgesetzt wird.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di giustizia amministrativa per la Regione siciliana (Rat der Verwaltungsgerichtsbarkeit für die Region Sizilien, Italien) mit Entscheidung vom 26. September 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Dezember 2013, in dem Verfahren

Puligienica Facility Esco SpA (PFE)

gegen

Airgest SpA,

Beteiligte:

Gestione Servizi Ambientali Srl (GSA),

Zenith Services Group Srl (ZS),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, T. von Danwitz, J. L. da Cruz Vilaça, D. Šváby und F. Biltgen, der Richter A. Rosas, E. Juhász (Berichterstatter), A. Borg Barthet, J. Malenovský, J.-C. Bonichot, C. Vajda und S. Rodin sowie der Richterin K. Jürimäe,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: I. Illéssy, dann V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsräte,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. März 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Puligienica Facility Esco SpA (PFE), vertreten durch U. Ilardo, avvocato,
  • der Gestione Servizi Ambientali Srl (GSA) und der Zenith Services Group Srl (ZS), vertreten durch D. Gentile und D. Galli, avvocati,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Varone, avvocato dello Stato,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Recchia und A. Tokár als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. April 2015,

aufgrund des Beschlusses vom 16. Juli 2015 über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und auf die mündliche Verhandlung vom 15. September 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri ...

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