Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Normen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus. Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft. Drittstaatsangehöriger, der wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt worden ist. Gefahr für die Allgemeinheit. Verhältnismäßigkeitsprüfung. Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger. Aufschub der Abschiebung

 

Normenkette

EURL 95/2011 Art. 14 Abs. 4 Buchst. b; Richtlinie 2008/115/EU

 

Beteiligte

Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Réfugié ayant commis un crime grave)

Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl

AA

 

Tenor

1.Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes

ist dahin auszulegen, dass

die Anwendung dieser Bestimmung von der Feststellung der zuständigen Behörde abhängt, dass die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft angesichts der Gefahr, die der betreffende Drittstaatsangehörige für ein Grundinteresse der Allgemeinheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält, verhältnismäßig ist. Zu diesem Zweck muss die zuständige Behörde diese Gefahr gegen die Rechte abwägen, die nach der Richtlinie den Personen zu gewährleisten sind, die die materiellen Voraussetzungen von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie erfüllen, ohne dass sie jedoch darüber hinaus prüfen müsste, ob das öffentliche Interesse an der Rückkehr dieses Drittstaatsangehörigen in sein Herkunftsland in Anbetracht des Ausmaßes und der Art der Maßnahmen, denen er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland ausgesetzt wäre, sein Interesse an der Aufrechterhaltung des internationalen Schutzes überwiegt.

2.Art. 5 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger

ist dahin auszulegen, dass

er dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen entgegensteht, wenn feststeht, dass dessen Abschiebung in das vorgesehene Zielland nach dem Grundsatz der Nichtzurückweisung auf unbestimmte Zeit ausgeschlossen ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-663/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 20. Oktober 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 5. November 2021, in dem Verfahren

Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl

gegen

AA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen (Berichterstatter) sowie der Richter P. G. Xuereb, T. von Danwitz und A. Kumin,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. November 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll und V.-S. Strasser als Bevollmächtigte,
  • –        der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs, A. Van Baelen und M. Van Regemorter als Bevollmächtigte,
  • –        der tschechischen Regierung, vertreten durch A. Edelmannová, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
  • –        der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und A. Hoeschet als Bevollmächtigte,
  • –        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, M. H. S. Gijzen und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,
  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Azéma, B. Eggers, L. Grønfeldt und A. Katsimerou als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Februar 2023

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9) sowie der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98) und insbesondere ihres Art. 5.

Rz. 2

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