EuGH konkretisiert Voraussetzungen der Einziehung von Beute aus Straftaten
Dies hat der EuGH im Rahmen eines vor einem bulgarischen Strafgericht geführten Drogenprozesses entschieden. Das bulgarische Gericht hatte den EuGH um die Auslegung einschlägiger Rechtsvorschriften der EU gebeten.
Bulgarische StA beantragte Einziehung von mutmaßlichen Drogengeldern
In dem beim Regionalgericht im bulgarischen Varna geführten Strafverfahren wurden zwei Straftäter wegen des Besitzes von gefährlichen Betäubungsmitteln verurteilt, die sie offensichtlich verteilen bzw. veräußern wollten. Nach der strafrechtlichen Verurteilung beantragte die Regionalstaatsanwaltschaft in Varna die Einziehung der bei den Durchsuchungen der Wohnungen der Verurteilten aufgefundenen Geldbeträge.
Regionalgericht lehnte Einziehung ab
Im Einziehungsverfahren erklärten die Beteiligten, die Geldbeträge gehörten nicht ihnen, sondern Familienangehörigen. Die Teilnahme dieser Familienangehörigen an dem Einziehungsverfahren ist nach bulgarischem Recht nicht möglich. Das Regionalgericht lehnte die Einziehung der Geldbeträge ab mit der Begründung, zumindest bisher hätten die Verurteilten aus den Straftaten noch keine nachweisbaren wirtschaftlichen Vorteile erzielt. Die von den Beteiligten behaupteten Rechte der Familienmitglieder an dem Geld seien nicht auszuschließen.
StA bestand auf Einziehung unter Hinweis auf EU-Recht
Die zuständige StA focht die ablehnende Entscheidung des Einziehungsgerichts an mit der Begründung, auch für das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln durch die Verurteilten bestehe eine eindeutig belastende Beweislage. Nach EU-Recht sei die Einziehung von Geldbeträgen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Straftaten stammen, grundsätzlich zulässig. Das Gericht habe bei Auslegung der nationalen Einziehungsvorschriften versäumt, die einschlägige EU-Richtlinie 2014/42 über die Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union heranzuziehen.
Anrufung des EuGH durch Rechtsmittelgericht
Das mit der Entscheidung über die Anfechtung befasste Berufungsgericht legte dem EuGH folgende grundlegenden Auslegungsfragen zur EU-Richtlinie 2014/42 zur Beantwortung vor:
- Kommt die EU-Richtlinie 2014/42 nur in Verfahren mit grenzüberschreitenden Sachverhalten zur Anwendung oder auch in rein innernationalen Verfahren?
- Welchen Umfang darf die in der Richtlinie vorgesehene Einziehung von aus Straftaten stammenden Gegenständen haben?
- Inwieweit sind Rechte dritter Personen zu berücksichtigen, die behaupten oder von denen behauptet wird, dass sie Eigentümer eines der Einziehung unterliegenden Vermögensgegenstandes sind?
Handel mit gefährlichen Drogen hat regelmäßig internationalen Bezug
Die von dem bulgarischen Gericht gestellten Fragen beantwortete der EuGH eindeutig. So fällt nach der Entscheidung des EuGH der Besitz von Betäubungsmitteln zum Zweck ihrer Verteilung auch dann in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/42, wenn sich alle mit der Begehung dieser Straftat verbundenen Tatumstände auf einen einzigen Mitgliedstaat beschränken. Dies folge aus dem AEU-Vertrag. Dort sei in Art. 83 Abs. 1 AEUV vereinbart, dass Straftaten aus dem Bereich besonders schwerer Kriminalität grundsätzlich eine grenzüberschreitende Dimension zukommt. Damit sei im Fall des Besitzes von gefährlichen Betäubungsmitteln zum Zweck ihrer Verteilung regelmäßig der Anwendungsbereich der EU-Richtlinie 2014/42 eröffnet.
Einziehungsbefugnis erfasst auch die Beute aus anderen Straftaten
Nach Auffassung des EuGH sieht die Richtlinie 2014/42 in diesen Fällen nicht nur die Einziehung von Vermögensgegenständen vor, die einen wirtschaftlichen Vorteil unmittelbar aus der einen Verfahren zugrunde liegenden Tat begründen, vielmehr umfasse die Vorschrift auch die Einziehung von Vermögensgegenständen des Straftäters, die nach Überzeugung des mit der Sache befassten nationalen Gerichts aus anderen Straftaten stammen.
Grenzen der Einziehung
Die EU-Richtlinie schränkt die Einziehung solcher Gegenstände nach Auslegung des EuGH jedoch insoweit ein, als die Straftat, wegen derer der Täter verurteilt wird, zu den in der Richtlinie beispielhaft genannten schweren Straftatbeständen – u.a. Bestechungsdelikte, Straftaten im Zusammenhang mit einer kriminellen Vereinigung - gehört und die konkrete Straftat direkt oder indirekt zu einem wirtschaftlichen Vorteil des Täters führen kann.
Indizien für die Erlangung indirekter Vorteile können nach dem Urteil des Gerichts äußere Umstände wie der Zusammenhang der Straftat mit organisierter Kriminalität oder die regelmäßig mit einer solchen Straftat verbundene Gewinnerzielungsabsicht der Täter sein.
Einziehung bei Dritten nur unter besonderen Voraussetzungen
Die Einziehung von Vermögenswerten unmittelbar bei dritten Personen ist gemäß Art. 6 der Richtlinie EU 2014/42 nur unter besonderen Voraussetzungen möglich. Die Dritteinziehung setzt den Nachweis voraus, dass
- eine verdächtige oder beschuldigte Person Erträge aus einer Straftat auf eine dritte Person übertragen hat oder
- eine dritte Person solche Erträge erworben hat und
- diese dritte Person davon Kenntnis hatte, dass mit dieser Übertragung oder diesem Erwerb die Einziehung vermieden werden sollte.
Spezielle Garantien für die Berücksichtigung der Rechte Dritter
Schließlich ist die Richtlinie 2014/42 nach der Auslegung des EuGH in Verbindung mit Art. 47 der Grundrechtscharta der EU zu lesen. Danach dürfe eine nationale Regelung grundsätzlich nicht die Einziehung von Vermögensgegenständen vorsehen, die angeblich oder tatsächlich einer dritten Person gehören, ohne dass diese Person die Möglichkeit hat, im Einziehungsverfahren die Stellung eines Beteiligten zu erlangen. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2014/42 verpflichte die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, die sicherstellen, dass alle Personen, die von der Einziehung betroffen sind oder betroffen sein können zur Wahrung ihrer Rechte über das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf ein faires Verfahren verfügen.
Rechte für Drittbeteiligte
Solchen dritten Personen stehen nach der Entscheidung des EuGH insbesondere zu
- das Recht auf rechtliches Gehör,
- das Recht auf Beiziehung eines Rechtsbeistands während des gesamten Einziehungsverfahrens sowie
- die rechtliche Möglichkeit, ihr Eigentumsrecht an den von der Einziehung betroffenen Vermögensgegenständen effektiv geltend zu machen.
Diesen Voraussetzungen wird die geltende bulgarische Regelung, wonach Drittbetroffene grundsätzlich nicht an Einziehungsverfahren beteiligt sind, nicht gerecht.
(EuGH, Urteil v. 21.10.2021, C – 845/19 u. C – 863/19)
Hintergrund: Rechtslage in Deutschland
In Deutschland ist die Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Objekten in § 74 StGB geregelt. Die Verfahrensvorschriften der §§ 424 ff StPO räumen den von einer Einziehung betroffenen dritten Personen besondere Rechte ein, die im wesentlichen den vom EuGH aufgestellten Anforderungen entsprechen dürften.
- Drittberechtigte sind grundsätzlich als Einziehungsbeteiligte an einem Strafverfahren zu beteiligen.
- Dies gilt gemäß § 426 StPO bereits für das vorbereitende Verfahren.
- Den Einziehungsbeteiligten stehen gemäß § 427 StPO weitgehend die gleichen Rechte wie dem Beschuldigten zu.
- Gemäß § 428 StPO hat der Einziehungsbeteiligte das Recht auf einen eigenen Rechtsbeistand.
- Darüber hinaus hat er gemäß § 431 StPO die Möglichkeit, gegen ein Urteil, dass eine Einziehungsverfügung enthält, eigene Rechtsmittel einzulegen.
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