Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist. Wiederaufnahme eines Asylbewerbers während der Prüfung seines Antrags. Erlöschen der Zuständigkeit. Verlassen des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate. Neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats. Rechtsmittel. Umfang der gerichtlichen Kontrolle
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 604/2013 Art. 18-19, 27
Beteiligte
Tenor
1. Art. 19 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung, insbesondere ihr Unterabs. 2, auf einen Drittstaatsangehörigen anwendbar ist, der nach der Stellung eines ersten Asylantrags in einem Mitgliedstaat den Nachweis erbringt, dass er das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, bevor er einen neuen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat.
2. Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 ist im Licht des 19. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen, dass in einem Sachverhalt wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen ein Asylbewerber im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung einen Verstoß gegen die Regelung des Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung geltend machen kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Kammarrätt i Stockholm – Migrationsöverdomstolen (Verwaltungsgerichtshof Stockholm – Gericht für Migrationsfragen, Schweden) mit Entscheidung vom 27. März 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 1. April 2015, in dem Verfahren
George Karim
gegen
Migrationsverket
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter), J. L. da Cruz Vilaça und A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin C. Toader und der Kammerpräsidenten D. Šváby und F. Biltgen sowie der Richter J.-C. Bonichot, M. Safjan, E. Jarašiūnas, C. G. Fernlund, C. Vajda und S. Rodin,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 2015,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Karim, vertreten durch I. Aydin, advokat, und C. Hjorth, jur. kand.,
- des Migrationsverk, vertreten durch H. Hedebris und M. Bergdahl als Bevollmächtigte,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk, C. Meyer-Seitz, U. Persson, N. Otte Widgren, E. Karlsson und L. Swedenborg als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der griechischen Regierung, vertreten durch M. Michelogiannaki als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch F. X. Bréchot und D. Colas als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch K. Bulterman und B. Koopman als Bevollmächtigte,
- der schweizerischen Regierung, vertreten durch C. Bichet als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande, C. Tufvesson und K. Simonsson als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 17. März 2016,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 19 und 27 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen Herrn George Karim, der die syrische Staatsangehörigkeit besitzt, und dem Migrationsverk (Amt für Migration, Schweden) (im Folgenden: Amt) wegen dessen Entscheidung, den Antrag von Herrn Karim auf Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis abzulehnen und ihn nach Slowenien zu überstellen.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Der 19. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 604/2013 lautet:
„Um einen wirksamen Schutz der Rechte der Betroffenen zu gewährleisten, sollten im Einklang insbesondere mit Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union Rechtsgarantien und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Überstellungsentscheidungen festgeschrieben werden. Um die Einhaltung des Völkerrechts sicherzustellen, sollte ein wirksamer Rechtsbehelf gegen diese Entscheidungen sowohl die...