Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist. Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa. Rechtsmittel. Umfang der gerichtlichen Kontrolle
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 604/2013 Art. 12, 27
Beteiligte
Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie |
Tenor
Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist im Licht des 19. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen, dass in einem Sachverhalt wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen ein Asylbewerber im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung die fehlerhafte Anwendung eines in Kapitel III dieser Verordnung festgelegten Zuständigkeitskriteriums und insbesondere des in Art. 12 der Verordnung festgelegten Kriteriums einer Visumserteilung geltend machen kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank Den Haag (Gericht Den Haag, Niederlande) mit Entscheidung vom 2. Februar 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Februar 2015, in dem Verfahren
Mehrdad Ghezelbash
gegen
Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter), J. L. da Cruz Vilaça und A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin C. Toader und der Kammerpräsidenten D. Šváby und F. Biltgen sowie der Richter J.-C. Bonichot, M. Safjan, E. Jarašiūnas, C. G. Fernlund, C. Vajda und S. Rodin,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 2015,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Ghezelbash, vertreten durch Y. G. F. M. Coenders, P. J. Schüller und A. Eikelboom, advocaten,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, H. Stergiou und B. Koopman als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der griechischen Regierung, vertreten durch M. Michelogiannaki als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch F. X. Bréchot und D. Colas als Bevollmächtigte,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande, R. Troosters und K. Simonsson als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 17. März 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 27 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Mehrdad Ghezelbash, der die iranische Staatsangehörigkeit besitzt, und dem Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie (Staatssekretär für Sicherheit und Justiz, Niederlande) (im Folgenden: Staatssekretär) wegen dessen Entscheidung, den asylrechtlichen Antrag von Herrn Ghezelbash auf Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis abzulehnen.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung (EG) Nr. 343/2003
Rz. 3
Art. 19 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 2003, L 50, S. 1), sah vor:
„(1) Stimmt der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme eines Antragstellers zu, so teilt der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, dem Antragsteller die Entscheidung, den Asylantrag nicht zu prüfen, sowie die Verpflichtung, den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, mit.
(2) Die Entscheidung nach Absatz 1 ist zu begründen. … Gegen die Entscheidung kann ein Rechtsbehelf eingelegt werden. Ein gegen diese Entscheidung eingelegter Rechtsbehelf hat keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem innerstaatlichen Recht zulässig ist.”
Verordnung Nr. 604/2013
Rz. 4
In den Erwägungsgr...