Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten. Begriff der Lebensmittel und Lebensmittelzutaten mit neuer primärer Molekularstruktur
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 258/97 Art. 1 Abs. 2 Buchst. c
Beteiligte
Tenor
Art. 1 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten in der durch die Verordnung (EG) Nr. 596/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass sich der Begriff „neue primäre Molekularstruktur” auf Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten bezieht, die vor dem 15. Mai 1997 im Gebiet der Europäischen Union nicht für den menschlichen Verzehr verwendet wurden.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 15. September 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 26. September 2014, in dem Verfahren
Davitas GmbH
gegen
Stadt Aschaffenburg,
Beteiligte:
Landesanwaltschaft Bayern,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs A. Tizzano (Berichterstatter) sowie der Richter A. Borg Barthet, E. Levits und F. Biltgen,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. Oktober 2015,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Davitas GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin C. Sachs,
- der Stadt Aschaffenburg, vertreten durch Rechtsanwältin A. Schellenberg,
- der Landesanwaltschaft Bayern, vertreten durch R. Käß als Bevollmächtigten,
- der griechischen Regierung, vertreten durch I. Chalkias, O. Tsirkinidou und A. Vasilopoulou als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Grünheid und K. A. Herbout-Borczak als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. Januar 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten (ABl. 1997, L 43, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 596/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 (ABl. 2009, L 188, S. 14) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 258/97).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Davitas GmbH und der Stadt Aschaffenburg (Deutschland) wegen eines Bescheids der Letztgenannten, mit dem das Inverkehrbringen eines als „De Tox Forte” bezeichneten Lebensmittels (im Folgenden: De Tox Forte) untersagt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 1 und 2 der Verordnung Nr. 258/97 heißt es:
„(1) Die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über neuartige Lebensmittel oder neuartige Lebensmittelzutaten können den freien Verkehr mit Lebensmitteln behindern. Sie können zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen führen und dadurch das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes unmittelbar beeinträchtigen.
(2) Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit ist dafür Sorge zu tragen, dass neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten einer einheitlichen Sicherheitsprüfung in einem Gemeinschaftsverfahren unterliegen, bevor sie in der [Europäischen Union] in den Verkehr gebracht werden. …”
Rz. 4
Art. 1 dieser Verordnung bestimmt:
„(1) In dieser Verordnung ist das Inverkehrbringen neuartiger Lebensmittel und neuartiger Lebensmittelzutaten in der [Union] geregelt.
(2) Diese Verordnung findet Anwendung auf das Inverkehrbringen von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten in der [Union], die in dieser bisher noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden und die unter nachstehende Gruppen von Erzeugnissen fallen:
c) Lebensmittel und Lebensmittelzutaten mit neuer oder gezielt modifizierter primärer Molekularstruktur;
d) Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die aus Mikroorganismen, Pilzen oder Algen bestehen oder aus diesen isoliert worden sind;
e) Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die aus Pflanzen bestehen oder aus Pflanzen isoliert worden sind, und aus Tieren isolierte Lebensmittelzutaten, außer Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten, die mit herkömmlichen Vermehrungs- oder Zuchtmethoden gewonnen wurden und die erfahrungsgemäß als unbedenkliche Lebensmittel gelten können;
f) Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, bei deren Herstellung ein nicht übliches Verfahren angewandt worden ist und bei denen dieses Verfahren eine bedeutende Veränderung ihrer Zusammensetzung oder der Struktur der Lebensmittel oder der Lebensmittelzutaten bewirkt hat, was sich auf ihren Nährwert, ihren Stoffwechsel oder auf die Menge unerwünscht...