Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsschutzversicherung. Richtlinie 87/344/EWG. Art. 4 Abs. 1. Freie Anwaltswahl durch den Versicherungsnehmer. Vertragliche Beschränkung. Durch dasselbe Ereignis verursachte Mehrheit von Schadensfällen. Auswahl des Rechtsvertreters durch den Versicherer
Beteiligte
UNIQA Sachversicherung AG |
Tenor
Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 87/344/EWG des Rates vom 22. Juni 1987 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung ist dahin auszulegen, dass der Rechtsschutzversicherer sich in dem Fall, dass eine größere Anzahl von Versicherungsnehmern durch dasselbe Ereignis geschädigt ist, nicht das Recht vorbehalten kann, selbst den Rechtsvertreter aller betroffenen Versicherungsnehmer auszuwählen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 23. April 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Mai 2008, in dem Verfahren
Erhard Eschig
gegen
UNIQA Sachversicherung AG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter J.-C. Bonichot, J. Makarczyk, P. Kūris und der Richterin C. Toader (Berichterstatterin),
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. März 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Eschig, vertreten durch Rechtsanwalt E. Salpius,
- der UNIQA Sachversicherung AG, vertreten durch Rechtsanwalt M. Paar,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer und J. Bauer als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch N. Yerrell und G. Braun als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 14. Mai 2009
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 87/344/EWG des Rates vom 22. Juni 1987 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung (ABl. L 185, S. 77).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Eschig und der Versicherungsgesellschaft UNIQA Sachversicherung AG (im Folgenden: UNIQA) wegen der Deckung von Anwaltskosten und der Gültigkeit einer in den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung enthaltenen Klausel, die den Versicherer berechtigt, seine Leistung auf die Führung eines Musterprozesses oder gegebenenfalls auf Sammelklagen oder auf sonstige gemeinschaftliche Formen der Verteidigung durch von ihm ausgewählte Rechtsvertreter zu beschränken, wenn die Interessen mehrerer Versicherungsnehmer aufgrund der gleichen oder einer gleichartigen Ursache gegen dieselben Gegner gerichtet sind.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 11 und 12 der Richtlinie 87/344 heißt es:
„Das Interesse des Rechtsschutzversicherten setzt voraus, dass Letzterer selbst seinen Rechtsanwalt oder eine andere Person wählen kann, die die nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften im Rahmen von Gerichts- und Verwaltungsverfahren anerkannten Qualifikationen besitzt, und zwar immer, wenn es zu einer Interessenkollision kommt.
Den Mitgliedstaaten sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, die Unternehmen von der Verpflichtung freizustellen, den Versicherten seinen Rechtsanwalt frei wählen zu lassen, wenn die Rechtsschutzversicherung sich auf Rechtssachen beschränkt, die aus der Benutzung von Straßenfahrzeugen in ihrem Gebiet herrühren, und weitere einschränkende Bedingungen gegeben sind.”
Rz. 4
Art. 3 der Richtlinie 87/344 bestimmt:
„(1) Die Rechtsschutzgarantie muss Gegenstand eines von den anderen Versicherungszweigen gesonderten Vertrags oder eines gesonderten Kapitels einer Police mit Angabe des Inhalts der Rechtsschutzgarantie und – wenn es der Mitgliedstaat vorschreibt – der entsprechenden Prämie sein.
(2) Die Mitgliedstaaten ergreifen alle erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die in ihrem Gebiet ansässigen Unternehmen gemäß der von dem Mitgliedstaat vorgeschriebenen Regelung oder, sofern der Mitgliedstaat dies gestattet, nach ihrer Wahl wenigstens eine der folgenden Alternativlösungen anwenden:
Entweder muss das Unternehmen sicherstellen, dass ein Mitglied des Personals, das sich mit der Schadensverwaltung des Zweiges Rechtsschutz oder der Rechtsberatung für diese Verwaltung befasst, nicht gleichzeitig eine ähnliche Tätigkeit ausübt, und zwar
- weder für einen anderen Zweig desselben Unternehmens, wenn es sich um ein Mehrspartenunternehmen handelt,
- noch – unabhängig davon, ob es sich um ein Mehrspartenunternehmen oder ein spezialisiertes Unternehmen handelt – in einem anderen Unternehmen, das in finanzieller, geschäftlicher oder verwaltungsmäßiger Hinsicht mit dem ersten Unternehmen verbunden ist ...