Deckungsklage gegen Rechtschutzversicherung
In einer aktuellen Entscheidung hat der BGH sich mit einem Fall befasst, in dem die Rechtsschutzversicherung die von ihrem Versicherungsnehmer beantragte Deckungszusage zunächst zu Recht abgelehnt hatte, weil die Erfolgsaussichten der seitens des Versicherungsnehmers beabsichtigten Klage schlecht waren. Während des anschließend von dem Versicherten geführten Deckungsprozesses hatten sich die Erfolgsaussichten infolge einer Änderung der Rechtsprechung deutlich gebessert. Der BGH musste also entscheiden, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung des Deckungsschutzes maßgeblich ist.
Antrag auf Deckungsschutz für Schadensersatzklage
Der Kläger hatte die beklagte Versicherung auf Feststellung der Verpflichtung zur Gewährung von Deckungsschutz für die außergerichtliche und erstinstanzliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen einen Autohersteller im Rahmen des Dieselskandals in Anspruch genommen. Der Versicherungsnehmer war der Auffassung, der Autohersteller habe ein sogenanntes „Thermofenster“ in dem von ihm zum Preis von knapp 40.000 EUR gekauften Wohnmobil verwendet und hiermit die Abgassteuerung des Fahrzeugs auf unzulässige Weise manipuliert.
Deckungsschutz abgelehnt
Die Rechtsschutzversicherung hatte den Deckungsschutz mit der Begründung abgelehnt, die beabsichtigte Schadensersatzklage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Rechtsschutzversicherung verwies auf ein zum Zeitpunkt der Deckungsanfrage aktuelles Urteil des BGH, wonach der Hersteller nur dann zum Schadenersatz verpflichtet ist, wenn ihm arglistiges, d. h. vorsätzliches Handeln nachgewiesen wird. Ein solcher Nachweis war dem Versicherungsnehmer nach Auffassung der Versicherung nicht möglich.
Deckungsklage erstinstanzlich erfolglos
Erstinstanzlich hatte das LG die Klage abgewiesen. Nach Auffassung des LG hatte die Rechtsschutzversicherung wegen mangelnder Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage den Deckungsschutz zu Recht verweigert.
Neues EuGH-Urteil während der Berufungsinstanz
Während des von dem Versicherungsnehmer eingeleiteten Berufungsverfahrens erging eine für den klagenden Versicherungsnehmer günstige Entscheidung des EuGH. Dieser urteilte, dass die EU-Richtlinien zur Fahrzeugtypenzulassung individuellen Schutzcharakter haben können. Damit war der Weg frei für die Bewertung dieser EU-Regeln als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, mit dem Ergebnis, dass auch fahrlässiges Verhalten des Herstellers zu Schadenersatzansprüchen des Käufers führen kann (EuGH, Urteil v. 21.3.2023, C-100/21).
Berufung wegen geänderter Rechtsprechung erfolgreich
Gestützt auf diese Rechtsprechung des EuGH ist das Berufungsgericht in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass die Erfolgsaussichten der von dem Versicherungsnehmer gegen den Autohersteller beabsichtigten Klage mit diesem Zeitpunkt als günstig einzustufen waren und hat der Deckungsklage des Versicherungsnehmers im Wesentlichen stattgegeben.
Änderungen der Beurteilungsgrundlage nach Bewilligungsreife sind zu berücksichtigen
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Versicherung hatte beim BGH keinen Erfolg. Der BGH billigte der beklagten Versicherung zu, dass bei der Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Deckungsgesuchs abzustellen ist, d. h. auf den Zeitpunkt, in dem die Versicherung ihre Entscheidung trifft. Jedoch seien Änderungen der Beurteilungsgrundlage, die sich zugunsten des Rechtsschutzsuchenden auswirken, bei der Prüfung der Erfolgsaussichten bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu beachten.
Der Zeitpunkt der letzten Berufungsverhandlung ist maßgeblich
Der BGH stellte den Grundsatz auf: Erfolgt nach dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife eine Klärung der Rechtslage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung (hier durch den EuGH) zugunsten des Versicherungsnehmers, sind für die Beurteilung des Deckungsschutzanspruchs die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage im Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht maßgeblich.
Änderung der Rechtslage während des Berufungsverfahrens
Die Beurteilungsgrundlage hatte sich nach Auffassung des BGH während des Berufungsverfahrens durch das Urteil des EuGH geändert. Zwar seien zu diesem Zeitpunkt die Einzelheiten der Voraussetzungen und Modalitäten eines Schadensersatzanspruches noch nicht endgültig geklärt gewesen. Dies sei erst durch weitere Urteile des BGH (BGH, Urteile v. 26.6.2023, VIa ZR 335/21; VIa ZR 533/21; VIa ZR 1031/22) nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 26.6.2023 erfolgt. Dort hatte der BGH entsprechend den Vorgaben des EuGH einen Schadensersatzanspruch bei Fahrlässigkeit des Fahrzeugherstellers bejaht, diesen aber auf den sogenannten kleinen Schadenersatz beschränkt.
Keine Berücksichtigung von Entwicklungen nach Schluss der Berufungsverhandlung
Inwieweit sich aus diesen weiteren BGH-Urteilen eine andere, modifizierte Beurteilung der Erfolgsaussichten ergebe – kleiner statt großer Schadenersatz -, ist nach Auffassung des Senats für die Entscheidung über den Deckungsanspruch jedoch nicht maßgeblich. Es komme hierfür allein auf den Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht an, denn die weitere Entwicklung der Rechtsprechung sei für das Berufungsgericht zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar gewesen.
Deckungsanspruch im Wesentlichen begründet
Da die beabsichtigte Schadensersatzklage bezogen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung weder mutwillig noch aussichtslos erschien, sei der Anspruch des Versicherungsnehmers auf Bewilligung der Deckung für die Kosten des von ihm angestrebten Verfahrens im Wesentlichen gegeben gewesen.
(BGH, Beschluss v. 5.6.2024, IV ZR 140/23)
Hinweis: In einem weiteren aktuellen Urteil hat der BGH sich erneut mit den Voraussetzungen der Ablehnung von Deckungsschutz durch die Rechtschutzversicherung auseinandergesetzt. Dieses Mal hat der BGH die Stellung der Rechtsschutzversicherungen gestärkt. Nach dem Urteil des BGH ist die in den Versicherungsbedingungen (ARB 2019) verwendete Klausel rechtlich zulässig, wonach der Versicherte mit der Mitteilung der Ablehnung des Kostenschutzes darauf hinzuweisen ist, dass er, um seinen Anspruch auf Rechtsschutz aufrechtzuerhalten, innerhalb eines Monats die Einleitung eines Schiedsgutachterverfahrens vom Versicherer verlangen kann. Hierin sieht der BGH keine unangemessene Benachteiligung der Versicherungsnehmer (BGH, Urteil v. 12.6.2024, IV ZR 341/22).
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