Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenz. Anwendung des Rechts des Staates der Verfahrenseröffnung. Eigentumsvorbehalt. Belegenheit der Sache
Beteiligte
German Graphics Graphische Maschinen GmbH |
German Graphics Graphische Maschinen GmbH |
Alice van der Schee, Konkursverwalterin der Holland Binding BV |
Tenor
1. Art. 25 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren ist dahin auszulegen, dass die dort verwendete Formulierung „soweit jenes Übereinkommen anwendbar ist” bedeutet, dass die Anerkennungs- und Vollstreckungsvorschriften der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen erst dann in Bezug auf andere als die in Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 genannten Entscheidungen für anwendbar erklärt werden können, wenn zuvor geprüft wurde, ob diese Entscheidungen nicht vom sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 ausgeschlossen sind.
2. Die in Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 vorgesehene Ausnahme in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 ist unter Berücksichtigung des Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der letztgenannten Verordnung dahin auszulegen, dass sie nicht auf eine auf einen Eigentumsvorbehalt gestützte Klage eines Verkäufers gegen einen in Konkurs geratenen Käufer anwendbar ist, wenn sich die vom Eigentumsvorbehalt erfasste Sache zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Käufers im Mitgliedstaat der Verfahrenseröffnung befindet.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 20. Juni 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Juli 2008, in dem Verfahren
German Graphics Graphische Maschinen GmbH
gegen
Alice van der Schee, Konkursverwalterin der Holland Binding BV,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter) sowie der Richter M. Ilešič, A. Tizzano, A. Borg Barthet und E. Levits,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und C. ten Dam als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch J. López-Medel Bascones als Bevollmächtigten,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. Bruni als Bevollmächtigte im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch H. Walker und A. Henshaw als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët und R. Troosters als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 4 Abs. 2 Buchst. b, 7 Abs. 1 und 25 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. L 160, S. 1) und des Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der German Graphics Graphische Maschinen GmbH (im Folgenden: German Graphics) und Frau van der Schee, Konkursverwalterin der Holland Binding BV (im Folgenden: Holland Binding), wegen der Vollstreckung eines Beschlusses eines deutschen Gerichts.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 bestimmt:
„Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Bei Gesellschaften und juristischen Personen wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist.”
Rz. 4
Art. 4 Abs. 1 und 2 Buchst. b dieser Verordnung lautet:
„(1) Soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt, gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wird, nachstehend ‚Staat der Verfahrenseröffnung’ genannt.”
„(2) Das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung regelt, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist. Es regelt insbesondere:
…
b) welche Vermögenswerte zur Masse gehören und wie die nach der Verfahrenseröffnung vom Schuldner erworbenen Vermögenswerte zu behandeln sind.”
Rz. 5
Art. 7 Abs. 1 der Verordnung bestimmt:
„Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen den Käufer einer Sache lässt die Rechte des Verkäufers aus einem Eigentumsvorbehalt unberührt, wenn sich diese Sache...