Entscheidungsstichwort (Thema)
Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr. Einwanderungspolitik. Illegale Einwanderung und illegaler Aufenthalt. Rückführung illegal aufhältiger Personen. Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger. Abschiebungsverfahren. Haftmaßnahme. Haftverlängerung. Verteidigungsrechte. Anspruch auf rechtliches Gehör. Verletzung. Folgen
Normenkette
Richtlinie 2008/115/EG Art. 15 Abs. 2, 6
Beteiligte
Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie |
Tenor
Das Unionsrecht, insbesondere Art. 15 Abs. 2 und 6 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ist dahin auszulegen, dass das nationale Gericht, das mit der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer in einem Verwaltungsverfahren unter Missachtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör beschlossenen Verlängerung einer Haftmaßnahme betraut ist, die Haftmaßnahme nur dann aufheben darf, wenn es aufgrund aller tatsächlichen und rechtlichen Umstände des jeweiligen Falles der Ansicht ist, dass dieser Verstoß demjenigen, der sich darauf beruft, tatsächlich die Möglichkeit genommen hat, sich in solchem Maße besser zu verteidigen, dass dieses Verwaltungsverfahren zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Raad van State (Niederlande) mit Entscheidung vom 5. Juli 2013, beim Gerichtshof eingegangen am selben Tag, in dem Verfahren
M. G.,
N. R.
gegen
Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis, J.-C. Bonichot (Berichterstatter), A. Arabadjiev und J. L. da Cruz Vilaça,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: M.-A. Gaudissart, Referatsleiter,
aufgrund des Antrags des vorlegenden Gerichts vom 5. Juli 2013, beim Gerichtshof eingegangen am selben Tag, das Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs einem Eilverfahren zu unterwerfen,
aufgrund der Entscheidung der Zweiten Kammer vom 11. Juli 2013, diesem Antrag stattzugeben,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. August 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn G., vertreten durch N. C. Blomjous und M. Strooij, advocaten,
- von Herrn R., vertreten durch L. M. Weber und R. M. Seth Paul, advocaten,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch J. Langer und M. Bulterman als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch K. Pawlowska und M. Arciszewski als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande, A. Bouquet und R. Troosters als Bevollmächtigte,
nach Anhörung des Generalanwalts
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348, S. 98) und von Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten, die Herr G. und Herr R. gegen den Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie (Staatssekretär für Sicherheit und Justiz) wegen der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen führen, mit denen die gegen sie zum Zweck der Abschiebung erlassenen Haftmaßnahmen verlängert wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 11, 13 und 16 der Richtlinie 2008/115 lauten:
„(11) Um die Interessen der Betroffenen wirksam zu schützen, sollte für Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr eine Reihe gemeinsamer rechtlicher Mindestgarantien gelten. …
…
(13) Der Rückgriff auf Zwangsmaßnahmen sollte im Hinblick auf die eingesetzten Mittel und die angestrebten Ziele ausdrücklich den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Wirksamkeit unterliegen. … Die Mitgliedstaaten sollten über verschiedene Möglichkeiten verfügen, Rückführungen zu überwachen.
…
(16) Das Mittel der Inhaftnahme für die Zwecke der Abschiebung sollte nur begrenzt zum Einsatz kommen und sollte im Hinblick auf die eingesetzten Mittel und die angestrebten Ziele dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterliegen. Eine Inhaftnahme ist nur gerechtfertigt, um die Rückkehr vorzubereiten oder die Abschiebung durchzuführen und wenn weniger intensive Zwangsmaßnahmen ihren Zweck nicht erfüllen.”
Rz. 4
Art. 1 der Richtlinie 2008/115 sieht vor:
„Diese Richtlinie enthält gemeinsame Normen und Verfahren, die in den Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Einklang mit den Grundrechten als allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschafts- und des Völkerrechts, einschließlich der Verpflichtung zum Sch...