Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Geistiges Eigentum. Urheberrecht und verwandte Schutzrechte. Öffentliche Wiedergabe. Begriff. Bereitstellung von Fernsehgeräten in einem Hotel. Übertragung eines Signals über einen Koaxialkabelverteiler. Kabelweiterverbreitung. Kabelunternehmen. Begriffe. Lizenzvertrag für die Kabelweiterverbreitung mit den Verwertungsgesellschaften. Weiterverbreitung des betreffenden Signals mittels einer hoteleigenen Kabelverteilanlage
Normenkette
Richtlinie 2001/29/EG Art. 3 Abs. 1; RL 93/83/EWG
Beteiligte
Tenor
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft
ist dahin auszulegen, dass
die Bereitstellung von Fernsehgeräten in den Gästezimmern oder dem Fitnessraum eines Hotels eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn zusätzlich das Sendesignal über eine hoteleigene Kabelverteilanlage an diese Geräte weitergeleitet wird.
Tatbestand
In der Rechtssache C-723/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht München (Deutschland) mit Beschluss vom 24. November 2022, beim Gerichtshof eingegangen am selben Tag, in dem Verfahren
Citadines Betriebs GmbH
gegen
MPLC Deutschland GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz, des Richters P. G. Xuereb und der Richterin I. Ziemele (Berichterstatterin),
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der Citadines Betriebs GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte A. Conrad und T. Schubert,
- – der MPLC Deutschland GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt M. König,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Samnadda und G. von Rintelen als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Citadines Betriebs GmbH (im Folgenden: Citadines), der Betreiberin eines Hotels, und der MPLC Deutschland GmbH (im Folgenden: MPLC), einer Verwertungseinrichtung, wegen einer Citadines vorgeworfenen Verletzung des ausschließlichen Rechts der öffentlichen Wiedergabe, das MLPC für eine Folge einer auf einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ausgestrahlten Fernsehserie innehaben soll, die die Hotelgäste auf den von Citadines in den Gästezimmern und im Fitnessraum des Hotels zur Verfügung gestellten Fernsehgeräten ansehen konnten.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 93/83/EWG
Rz. 3
Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 93/83/EWG des Rates vom 27. September 1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung (ABl. 1993, L 248, S. 15) bestimmt:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie bedeutet ‚Kabelweiterverbreitung‘ die zeitgleiche, unveränderte und vollständige Weiterverbreitung einer drahtlosen oder drahtgebundenen, erdgebundenen oder durch Satellit übermittelten Erstsendung von Fernseh- oder Hörfunkprogrammen, die zum öffentlichen Empfang bestimmt sind, aus einem anderen Mitgliedstaat durch Kabel- oder Mikrowellensysteme.“
Rz. 4
Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Kabelweiterverbreitung von Rundfunksendungen aus anderen Mitgliedstaaten in ihrem Staatsgebiet unter der Beachtung der anwendbaren Urheberrechte und verwandten Schutzrechte und auf der Grundlage individueller oder kollektiver Verträge zwischen den Urheberrechtsinhabern, den Leistungschutzberechtigten und den Kabelunternehmen erfolgt.“
Richtlinie 2001/29
Rz. 5
In den Erwägungsgründen 4, 9, 10, 23 und 27 der Richtlinie 2001/29 heißt es:
„(4) Ein harmonisierter Rechtsrahmen zum Schutz des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte wird durch erhöhte Rechtssicherheit und durch die Wahrung eines hohen Schutzniveaus im Bereich des geistigen Eigentums substantielle Investitionen in Kreativität und Innovation … fördern und somit zu Wachstum und erhöhter Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie beitragen …
…
(9) Jede Harmonisierung des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte muss von einem hohen Schutzniveau ausgehen, da diese Rechte für das geistige Schaffen wesentlich sind. Ihr Schutz trägt dazu bei, die Erhaltung und Entwicklung kreativer Tätigkeit im Interesse der Urheber, ausübenden Künstler, Hersteller, Verbraucher, v...