Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Freier Kapitalverkehr. Zahlungsdienste im Binnenmarkt. Begriff ‚Zahlungsinstrument‘. Vollmacht eines Bevollmächtigten, der im Namen des Kontoinhabers handelt. Kopie der Vollmacht mit Apostille. Zustimmung zur Ausführung eines Zahlungsvorgangs. Begriff ‚Authentifizierung‘. Nicht autorisierte Zahlungsvorgänge. Haftung des Zahlungsdienstleisters für diese Vorgänge. Beweislast
Normenkette
Richtlinie 2007/64/EG; Richtlinie 2007/64/EG Art. 54, 59
Beteiligte
Tenor
1.Art. 4 Nr. 23 der Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG
ist dahin auszulegen, dass
eine Vollmacht, mit der der Inhaber eines Bankkontos einen Bevollmächtigten ermächtigt, durch einen Zahlungsauftrag eine Vermögensverfügung auf diesem Konto vorzunehmen, für sich genommen kein „Zahlungsinstrument“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt. Jedoch kann ein Verfahrensablauf, der zwischen dem Inhaber dieses Kontos und dem Zahlungsdienstleister vereinbart wurde und der dem in einer solchen Vollmacht bestellten Bevollmächtigten gestattet, einen Zahlungsauftrag von diesem Konto zu erteilen, als „Zahlungsinstrument“ eingestuft werden.
2.Art. 54 Abs. 1 und 2, Art. 59 Abs. 1 und 2 sowie Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2007/64
sind dahin auszulegen, dass
in dem Fall, dass ein Zahlungsvorgang auf der Grundlage einer notariellen, mit einer Apostille versehenen Vollmacht des Inhabers des Bankkontos ausgeführt wurde und der Kontoinhaber die Gültigkeit der Vollmacht und damit seine Zustimmung zu diesem Zahlungsvorgang bestreitet, die Tatsache, dass die Vollmacht formal ordnungsgemäß ist, nicht ausreicht, um den Zahlungsvorgang als autorisiert anzusehen; der Zahlungsdienstleister muss nachweisen, dass der Zahlungsdienstnutzer sein Einverständnis mit dem fraglichen Zahlungsvorgang mittels dieser Vollmacht gemäß dem mit ihm vereinbarten Verfahren zur Erteilung der Zustimmung ordnungsgemäß zum Ausdruck gebracht hat.
Tatbestand
In der Rechtssache C-409/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Apelativen sad – Sofia (Berufungsgericht Sofia, Bulgarien) mit Entscheidung vom 9. Juni 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Juni 2022, in dem Verfahren
UA
gegen
„Eurobank Bulgaria“ AD
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter Z. Csehi (Berichterstatter), M. Ilešič, I. Jarukaitis und D. Gratsias,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: R. Stefanova-Kamisheva, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. September 2023,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von UA, vertreten durch V. B. Hambardzhiev und I. S. Velinova, Advokati,
- – der „Eurobank Bulgaria“ AD, vertreten durch K. S. Chuturkova, Advokat,
- – der bulgarischen Regierung, vertreten durch T. Mitova, R. Stoyanov und L. Zaharieva als Bevollmächtigte,
- – der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Očková und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- – der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Pucciariello, Avvocato dello Stato,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Koleva und H. Tserepa-Lacombe als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. November 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Nrn. 19 und 23 in Verbindung mit Art. 59 Abs. 1 der Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG (ABl. 2007, L 319, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen UA, einem italienischen Staatsangehörigen, und der „Eurobank Bulgaria“ AD, einer Bank mit Sitz in Bulgarien (im Folgenden: Eurobank), über Zahlungen von Geldbeträgen, die nicht autorisierten Bankgeschäften mit dem Kontoguthaben des Klägers des Ausgangsverfahrens entsprechen, sowie den Ersatz des durch diese Bankgeschäfte entstandenen materiellen Schadens und die anwendbaren gesetzlichen Verzugszinsen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der dritte Satz des 33. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2007/64 lautete:
„Klauseln und Bedingungen in einem Vertrag über die Bereitstellung und Nutzung eines Zahlungsinstruments, die eine Erhöhung der Beweislast für den Verbraucher oder eine Verringerung der Beweislast für die kartenausgebende Stelle zur Folge hätten, sollten nichtig sein.“
Rz. 4
In Art. 2 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 der Richtlinie hieß es:
„Diese Richtlinie gilt für Zahlungsdienste, die innerhalb der [Europäischen...