Entscheidungsstichwort (Thema)
Geltungsbereich. Einführung neuer Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit, des freien Dienstleistungsverkehrs und der Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung. Verbot. Freier Dienstleistungsverkehr. Entsendung von Arbeitnehmern. Drittstaatsangehörige. Erfordernis einer Beschäftigungserlaubnis für die Überlassung von Arbeitnehmern
Normenkette
Assoziierungsabkommen EWG-Türkei Zusatzprotokoll Art. 41 Abs. 1; AEUV Art. 56-57
Beteiligte
Essent Energie Productie BV |
Minister van Sociale Zaken en Werkgelegenheid |
Tenor
Die Art. 56 und 57 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach eine Überlassung drittstaatsangehöriger Arbeitnehmer, wenn diese von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen an ein im ersten Mitgliedstaat ansässiges entleihendes Unternehmen, das sie einsetzt, um Arbeiten für Rechnung eines anderen, in demselben Mitgliedstaat ansässigen Unternehmens durchzuführen, überlassen werden, davon abhängig ist, dass für diese Arbeitnehmer eine Beschäftigungserlaubnis erteilt worden ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Raad van State (Niederlande) mit Entscheidung vom 20. Februar 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Februar 2013, in dem Verfahren
Essent Energie Productie BV
gegen
Minister van Sociale Zaken en Werkgelegenheid
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça, G. Arestis, J.-C. Bonichot und A. Arabadjiev,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. März 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Essent Energie Productie BV, vertreten durch T. L. Badoux, advocaat,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,
- der dänischen Regierung, vertreten durch M. Wolff als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Enegren und M. van Beek als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. Mai 2014
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls, das am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichnet und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde (ABl. L 293, S. 1, im Folgenden: Zusatzprotokoll), sowie von Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80). Der Assoziationsrat wurde durch das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei auf der einen und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft auf der anderen Seite unterzeichnete Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffen, das durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde (im Folgenden: Assoziierungsabkommen).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Essent Energie Productie BV (im Folgenden: Essent) und dem Minister van Sociale Zaken en Werkgelegenheid (Minister für Soziales und Beschäftigung, im Folgenden: Minister) wegen einer Geldbuße, die von Letzterem gegen Erstere dafür verhängt wurde, dass sie Arbeiten von drittstaatsangehörigen Arbeitnehmern durchführen ließ, ohne dass für diese eine Beschäftigungserlaubnis erteilt worden war.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Assoziierungsabkommen
Rz. 3
Gemäß seinem Art. 2 Abs. 1 ist Ziel des Assoziierungsabkommens, durch die schrittweise Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 12 des Assoziierungsabkommens) sowie durch die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit (Art. 13 des Abkommens) und des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 14 des Abkommens) eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien, u. a. im Bereich der Arbeitskräfte, zu fördern, um die Lebenshaltung des türkischen Volkes zu verbessern und später den Beitritt der Republik Türkei zur Union zu erleichtern (vierter Erwägungsgrund und Art. 28 des Abkommens).
Zusatzprotokoll
Rz. 4
Das Zusatzprotokoll, das nach seinem Art. 62 Bestandteil des Assoziierungsabkommens ist, legt nach seinem Art. 1 die Bedingungen, die Einzelheiten und den Zeitplan für die Verwirklichung der in Art. 4 des Abkommens genannten Übergangsphase fest.
Rz. 5
Es enthält einen Titel II („Freizügigkeit und Dienstleistungsverkehr”), der in seinem Kapitel I „Arbeitskräfte” und in seinem Kapitel II das Niederlassungsrecht, Dienstleistungen und de...