Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor. Fehlende Umsetzung in innerstaatliches Recht. Für den Staat bestehende Möglichkeit, sich gegenüber einem Konzessionär einer öffentlichen Dienstleistung auf diese Richtlinie zu berufen, wenn diese nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt wurde
Normenkette
Richtlinie 93/38/EWG
Beteiligte
Portgás – Sociedade de Produção e Distribuição de Gás SA |
Ministério da Agricultura, do Mar, do Ambiente e do Ordenamento do Território |
Tenor
Die Art. 4 Abs. 1, 14 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i und 15 der Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor in der durch die Richtlinie 98/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie einem privaten Unternehmen nicht aus dem alleinigen Grund entgegengehalten werden können, dass es Inhaber einer ausschließlichen Konzession für eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse ist und damit in den persönlichen Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt, auch wenn die genannte Richtlinie noch nicht in das innerstaatliche Recht des betroffenen Mitgliedstaats umgesetzt wurde.
Ein solches Unternehmen, das kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen hat und hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über die für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinausgehen, muss die Bestimmungen der Richtlinie 93/38 in der durch die Richtlinie 98/4 geänderten Fassung einhalten. Die Behörden eines Mitgliedstaats können einem solchen Unternehmen daher diese Bestimmungen entgegenhalten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Administrativo e Fiscal do Porto (Portugal) mit Entscheidung vom 26. Juni 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 18. September 2012, in dem Verfahren
Portgás – Sociedade de Produção e Distribuição de Gás SA
gegen
Ministério da Agricultura, do Mar, do Ambiente e do Ordenamento do Território
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz (Berichterstatter) sowie der Richter E. Juhász, A. Rosas, D. Šváby und C. Vajda,
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Portgás – Sociedade de Produção e Distribuição de Gás SA, vertreten durch J. Vieira Peres, advogado,
- des Ministério da Agricultura, do Mar, do Ambiente e do Ordenamento do Território, vertreten durch M. Ferreira da Costa und M. Pires da Fonseca als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Afonso und A. Tokár als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. September 2013
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. L 199, S. 84) in der durch die Richtlinie 98/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 (ABl. L 101, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 93/38).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Portgás – Sociedade de Produção e Distribuição de Gás SA (im Folgenden: Portgás) und dem Ministério da Agricultura, do Mar, do Ambiente e do Ordenamento do Território (Ministerium für Landwirtschaft, Meer, Umwelt und Raumplanung, im Folgenden: Ministério) wegen einer Entscheidung, mit der die Rückzahlung der diesem Unternehmen im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gewährten finanziellen Beihilfe angeordnet wurde, weil Portgás beim Kauf von Gaszählern von einem anderen Unternehmen die unionsrechtlichen Vorschriften über öffentliche Aufträge nicht beachtet hatte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 93/38 bestimmt:
„Diese Richtlinie gilt für Auftraggeber, die
- staatliche Behörden oder öffentliche Unternehmen sind und die eine Tätigkeit im Sinne des Absatzes 2 ausüben;
- oder wenn sie nicht staatliche Behörden oder öffentliche Unternehmen sind, als eine ihrer Tätigkeiten eine Tätigkeit im Sinne des Absatzes 2 oder verschiedene dieser Tätigkeiten auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausüben, die von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats gewährt wurden.”
Rz. 4
Zu den in Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 93/38 genannten Tätigkeiten gehört die Bereitstellung oder das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der...