Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Staatliche Beihilfen. Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. Finanzierung. Regelung eines Mitgliedstaats, nach der alle Erwachsenen, die Inhaber einer Wohnung im Inland sind, zur Entrichtung eines Beitrags an die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verpflichtet sind
Normenkette
AEUV Art. 107 Abs. 1, Art. 108 Abs. 3
Beteiligte
Tenor
1. Art. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [108 AEUV] ist dahin auszulegen, dass eine Änderung der Finanzierungsregelung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eines Mitgliedstaats, die wie in den Ausgangsverfahren darin besteht, eine Rundfunkgebühr, die für den Besitz eines Rundfunkempfangsgeräts zu entrichten ist, durch einen Rundfunkbeitrag zu ersetzen, der insbesondere für das Innehaben einer Wohnung oder einer Betriebsstätte zu entrichten ist, keine Änderung einer bestehenden Beihilfe im Sinne dieser Vorschrift darstellt, von der die Kommission gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV zu unterrichten ist.
2. Die Art. 107 und 108 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren, die öffentlich-rechtlichen Sendern vom allgemeinen Recht abweichende Befugnisse einräumt, die es ihnen erlauben, die Zwangsvollstreckung von Forderungen aus rückständigen Rundfunkbeiträgen selbst zu betreiben, nicht entgegenstehen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Tübingen (Deutschland) mit Entscheidung vom 3. August 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 11. August 2017, in dem Verfahren
Südwestrundfunk
gegen
Tilo Rittinger,
Patrick Wolter,
Harald Zastera,
Dagmar Fahner,
Layla Sofan,
Marc Schulte
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Siebten Kammer T. von Danwitz in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin) sowie der Richter C. Lycourgos, E. Juhász und C. Vajda,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Südwestrundfunks, vertreten durch H. Kube, Hochschullehrer,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk, H. Shev, C. Meyer-Seitz, L. Zettergren und A. Alriksson als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Blanck-Putz, K. Herrmann, C. Valero und G. Braun als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. September 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49, 107 und 108 AEUV, des Art. 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und des Art. 10 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) sowie der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Südwestrundfunk (im Folgenden: SWR), einer öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalt, und Tilo Rittinger, Patrick Wolter, Harald Zastera, Marc Schulte, Layla Sofan und Dagmar Fahner wegen vom SWR ausgestellter Vollstreckungstitel zur Beitreibung des von den genannten Personen nicht entrichteten Rundfunkbeitrags.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung (EG) Nr. 659/1999
Rz. 3
Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [108 AEUV] (ABl. 1999, L 83, S. 1) sah vor:
„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck
- ‚Beihilfen’ alle Maßnahmen, die die Voraussetzungen des Artikels [107] Absatz 1 [AEUV] erfüllen;
‚bestehende Beihilfen’
i) … alle Beihilfen, die vor Inkrafttreten des Vertrags in dem entsprechenden Mitgliedstaat bestanden, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die vor Inkrafttreten des Vertrags eingeführt worden sind und auch nach dessen Inkrafttreten noch anwendbar sind;
ii) genehmigte Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die von der Kommission oder vom Rat genehmigt wurden;
…
- ‚neue Beihilfen’ alle Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die keine bestehenden Beihilfen sind, einschließlich Änderungen bestehender Beihilfen.
…”
Rz. 4
Die Verordnung Nr. 659/1999 wurde durch die Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl. 2015, L 248, S. 9) ersetzt. Diese Verordnung enthält die gleichen Definitionen wie die in der vorstehenden Randnumme...