Entscheidungsstichwort (Thema)
Richtlinie 92/43/EWG. Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen. Entscheidung des betreffenden Mitgliedstaats, dem von der Kommission erstellten Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung sein Einvernehmen zu erteilen. Interessen und Gesichtspunkte, die von den Mitgliedstaaten zu berücksichtigen sind
Beteiligte
Bundesrepublik Deutschland |
Tenor
1. Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen in der durch die Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom 20. November 2006 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht erlaubt, sein Einvernehmen zur Aufnahme eines oder mehrerer Gebiete in einen von der Europäischen Kommission erstellten Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aus anderen als naturschutzfachlichen Gründen zu verweigern.
2. Art. 6 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 92/43 in der durch die Richtlinie 2006/105 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass fortlaufende Unterhaltungsmaßnahmen in der Fahrrinne von Ästuarien, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind und die bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 92/43 in der durch die Richtlinie 2006/105 geänderten Fassung nach nationalem Recht genehmigt wurden, bei ihrer Fortsetzung nach Aufnahme des Gebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung gemäß Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 3 dieser Richtlinie einer Verträglichkeitsprüfung nach diesen Vorschriften zu unterziehen sind, soweit sie ein Projekt darstellen und das betreffende Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten.
Wenn diese Unterhaltungsmaßnahmen u. a. im Hinblick darauf, dass sie wiederkehrend anfallen, auf ihre Art oder auf die Umstände ihrer Ausführung als einheitliche Maßnahme betrachtet werden können, insbesondere, wenn sie den Zweck haben, eine bestimmte Tiefe der Fahrrinne durch regelmäßige und hierzu erforderliche Ausbaggerungen beizubehalten, können sie als ein einziges Projekt im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43 in der durch die Richtlinie 2006/105 geänderten Fassung angesehen werden.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgericht Oldenburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 13. Mai 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Mai 2008, in dem Verfahren
Stadt Papenburg
gegen
Bundesrepublik Deutschland
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer J.-C. Bonichot in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer sowie der Richter C. W. A. Timmermans, K. Schiemann, P. Kūris und L. Bay Larsen (Berichterstatter),
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. März 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Stadt Papenburg, vertreten durch Rechtsanwalt K. Füßer,
- der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Rechtsanwalt W. Ewer,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Eggers und D. Recchia als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 9. Juli 2009
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 3, Art. 4 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206 S. 7) in der durch die Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom 20. November 2006 (ABl. L 363, S. 368) geänderten Fassung (im Folgenden: Habitatrichtlinie).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verwaltungsrechtsstreits zwischen der Stadt Papenburg und der Bundesrepublik Deutschland wegen des Einvernehmens, das dieser Staat dem von der Europäischen Kommission erstellten Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung (im Folgenden: GGB), die einen flussabwärts an der Ems gelegenen Teil des Gemeindegebiets dieser Stadt einschließt, zu erteilen beabsichtigt.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Rz. 3
Art. 2 Abs. 3 der Habitatrichtlinie lautet:
„Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen tragen den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung.”
Rz. 4
Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Habitatrichtlinie „wird ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung ‚Natura 2000’ errichtet. Dieses Netz besteht aus Gebieten, die die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I sowie die Habitate der Arten des Anhangs II umfassen, und muss den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitat...