Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Besondere Zuständigkeit, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden. Begriff des Vertrags über die ‚Erbringung von Dienstleistungen‘. Beendigung eines Vorvertrags über den künftigen Abschluss eines Franchisevertrags

 

Normenkette

Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 Art. 7 Nr. 1 Buchst. b

 

Beteiligte

EXTÉRIA

EXTÉRIA s.r.o.

Spravime, s.r.o.

 

Tenor

Art. 7 Nr. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen

ist dahin auszulegen, dass

ein über den künftigen Abschluss eines Franchisevertrags geschlossener Vorvertrag, der für den Fall seiner Nichterfüllung eine Verpflichtung zur Zahlung einer Vertragsstrafe vorsieht – wobei die Verletzung dieser vertraglichen Verpflichtung den Gegenstand einer Klage bildet – nicht unter den Begriff des Vertrags über die „Erbringung von Dienstleistungen“ im Sinne dieser Bestimmung fällt. In einem solchen Fall bestimmt sich die gerichtliche Zuständigkeit für eine Klage, deren Gegenstand in dieser Verpflichtung besteht, gemäß Art. 7 Nr. 1 Buchst. a dieser Verordnung nach dem Erfüllungsort dieser Verpflichtung.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-393/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší soud (Oberstes Gericht, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 5. Mai 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Juni 2022, in dem Verfahren

EXTÉRIA s.r.o.

gegen

Spravime, s.r.o.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen (Berichterstatter) und J. Passer,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        der Spravime, s.r.o., vertreten durch M. Čajka, Advokát,
  • –        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
  • –        der portugiesischen Regierung, vertreten durch P. Barros da Costa, S. Duarte Afonso und M. J. Ramos als Bevollmächtigte,
  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Noë und K. Walkerová als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Nr. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1, im Folgenden: Brüssel-Ia-Verordnung).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der EXTÉRIA s.r.o. mit Sitz in Ostrava (Ostrau, Tschechische Republik) und der Spravime, s.r.o. mit Sitz in Ivanovice (Slowakische Republik) betreffend eine Klage auf Zahlung einer Vertragsstrafe wegen Nichterfüllung eines Vorvertrags über den künftigen Abschluss eines Franchisevertrags.

Rechtlicher Rahmen

Rz. 3

Art. 4 Abs. 1 der Brüssel-Ia-Verordnung lautet:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

Rz. 4

Art. 7 Nr. 1 der Brüssel-Ia-Verordnung bestimmt:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

1.      a)      wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;

b)      im Sinne dieser Vorschrift – und sofern nichts anderes vereinbart worden ist – ist der Erfüllungsort der Verpflichtung

  • –        für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen;
  • –        für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen;

c)      ist Buchstabe b nicht anwendbar, so gilt Buchstabe a“.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

Rz. 5

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die Beratungsdienstleistungen im Bereich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmern anbietet, und die Beklagte des Ausgangsverfahrens schlossen am 28. Juni 2018 einen Vorvertrag über den künftigen Abschluss eines Franchisevertrags (im Folgenden: Vorvertrag), der es der Beklagten des Ausgangsverfahrens ermöglichen sollte, Franchise-Filialen der Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Slowakei zu betreibe...

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